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Unterstützung beibehalten anstatt abwarten! | bpb.de

Unterstützung beibehalten anstatt abwarten!

Wojciech Michnik

/ 9 Minuten zu lesen

Die aktuelle Debatte um einen Nato-Beitritt der Ukraine fokussiert sich stark auf die Frage des „Wann“. Stattdessen sollte vor allem sichergestellt werden, dass das Land auch weiterhin politische und militärische Unterstützung im laufenden Krieg erhält.

Es ist kein leichtes Unterfangen, die Zukunft der Beziehungen zwischen der Nato und der Ukraine zu skizzieren, denn diese Zukunft hängt von vielen Faktoren ab – vom inneren Zusammenhalt der Nato und ihren Unterstützungsmöglichkeiten für die Ukraine, von der ukrainischen Strategie Russland gegenüber, insbesondere während des Kriegs, und nicht zuletzt vom Ausgang des Kriegs selbst. Die Analyse der künftigen Beziehungen zwischen der Nato und der Ukraine, wie sie hier vorgelegt wird, beschränkt sich auf einen kurzen Zeitrahmen von zwei bis fünf Jahren. Dabei werden zwei miteinander verknüpfte Perspektiven dargestellt: Erstens die in der Nato vorherrschende Sichtweise und zweitens die regionale Perspektive der mittel- und osteuropäischen Nato-Mitgliedstaaten.

Vertiefung der Partnerschaft

Insbesondere während des Nato-Gipfels in Vilnius im Juli 2023 ließ sich ein Vorgeschmack auf die künftige Dynamik der Beziehungen zwischen der Nato und der Ukraine erahnen. Die ukrainischen Erwartungen stellten sich als weitaus höher heraus, als das Bündnis angenommen hatte. Es kam zu einem kurzfristigen Streit zwischen der Nato und der Ukraine über den Zeitplan und die Einzelheiten der künftigen Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. Diese Meinungsverschiedenheit sollte jedoch nicht über eine wichtige Errungenschaft hinwegtäuschen, die für eine Vertiefung der Partnerschaft zwischen Nato und Ukraine steht und eine Mitgliedschaft Kyjiws im Bündnis wahrscheinlicher macht als je zuvor: Der Nato-Ukraine-Rat wurde ins Leben gerufen. Eine Stärkung erfuhren die Beziehungen außerdem dadurch, dass die Einladung an die Ukraine, dem Bündnis beizutreten, erneut bekräftigt wurde. Der Rat dient künftig als wichtige Plattform für Konsultationen, Entscheidungsfindung und Krisensitzungen zwischen den beiden Partnern. Die Frage der Zusammenarbeit der Nato mit der Ukraine und der Unterstützung Kyjiws durch das Bündnis im laufenden Krieg wird wahrscheinlich das zentrale Thema der Beziehungen sein, solange der Krieg andauert. Dem neu eingerichteten Rat scheint in diesem Zusammenhang große Bedeutung zuzukommen, da er als zuverlässige Plattform für die Förderung der Zusammenarbeit gedacht ist. In diesem Format kann die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und dem Bündnis zu echter Intensität kommen, vorausgesetzt natürlich, dass auf beiden Seiten der Wille zur Zusammenarbeit und das Verständnis für die Rolle und die Bedürfnisse des Rats vorhanden sind. Mit der Einrichtung des Rats erweitert die Ukraine ihre Möglichkeiten, die Nato in Sicherheitsfragen zu konsultieren, und sie kann sich besser mit dem Bündnis abstimmen und koordinieren.

Auch wenn der Nato-Gipfel in Vilnius die ukrainische Seite nicht zufriedengestellt haben mag, so darf das Ergebnis insbesondere auf kurze Sicht doch als Meilenstein gelten. Im Januar 2022 wäre eine enge Zusammenarbeit zwischen der Nato und der Ukraine noch undenkbar gewesen. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass die Einleitung der "militärischen Spezialoperation" gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 von Präsident Wladimir Putin offiziell unter anderem mit dem Versuch der Ukraine begründet wurde, sich den westlichen Institutionen, der Europäischen Union und der Nato anzunähern. Mit dem Einmarsch in die Ukraine und der Entfesselung eines ausgedehnten Kriegs beschleunigte Russland ausgerechnet diesen Prozess. Viele ihrer westlichen Verbündeten sind mit der Ukraine der Ansicht, dass sie ihren Platz in der Nato militärisch und moralisch verdient hat. In der Tat scheint die Mitgliedschaft im Bündnis, auch wenn sie keineswegs unmittelbar bevorsteht, greifbarer zu sein, als sie es noch vor Februar 2022 gewesen ist. Zur Enttäuschung der ukrainischen Regierungsvertreter wurde auf dem Nato-Gipfel in Vilnius jedoch kein klarer Zeitplan für den ukrainischen Beitritt festgelegt. Wie der politische Beobachter Stephen Sestanovich treffend feststellte, war das Bündnis nicht bereit, "die ukrainische Mitgliedschaft von einem Ziel in eine Realität zu verwandeln. (…) Deshalb wird sich der Erfolg des kommenden Gipfels daran messen lassen müssen, ob die Nato ihrer ständig wachsenden Unterstützung für die Ukraine genug Gewicht geben kann, um es sowohl dem Bündnis als auch Kyjiw zu ermöglichen, diesen Schritt als einen echten Meilenstein auf dem Weg zu einer dauerhaften Partnerschaft wahrzunehmen."

Die Sichtweise der östlichen Staaten

Der russische Krieg in der Ukraine, der mit der Invasion und Annexion der Krim 2014 begann, veränderte die geopolitische Lage in Europa und die regionale Sicherheitslage grundlegend. In der Folge des Kriegs wurden die Sicherheitsbedrohungen in Mittel- und Osteuropa neu bewertet, was dementsprechende Reaktionen Russlands nach sich zog. Dies ist der Hintergrund, vor dem viele mittel- und osteuropäische Nato-Mitgliedstaaten, zum Beispiel die baltischen Staaten, Polen und Rumänien, die gegenwärtige internationale Politik beobachten, einschließlich möglicher Beziehungen zwischen der Nato und der Ukraine. Ihre politischen Maßnahmen und Reaktionen auf die russische Aggression sind nicht nur von der bestehenden regionalen Architektur beeinflusst, sondern zudem von ihrer jeweiligen "durchwachsenen" Geschichte mit Russland.

Für die mittel- und osteuropäischen Nato-Mitgliedstaaten ist die Ukraine nicht nur ein Land, das am Rande Europas einen Unabhängigkeitskrieg führt, sondern auch eines, das sich den imperialen Ambitionen Russlands entgegenstellt, die leicht über die Ukraine selbst hinausgehen könnten. Aus der mittel- und osteuropäischen Perspektive heraus kann es ohne eine souveräne und unabhängige Ukraine keinen dauerhaften Frieden in Europa geben. Zu dieser Wahrnehmung trägt bei, dass es unterschiedliche Ansichten über das Ausmaß der Sicherheitsbedrohung gibt. In Polen und den benachbarten Frontstaaten geht man davon aus, dass die von Russland ausgehende Bedrohung in absehbarer Zeit nicht abnehmen wird. Führende Politiker in der Region haben immer wieder die Befürchtung geäußert, dass Putins Expansionsbestrebungen irgendwann auch sie treffen könnten. "Solange Putin an der Macht ist" sagt die einflussreiche polnische Sicherheitsexpertin Justyna Gotkowska, "sehen wir selbst in einer Waffenruhe in der Ukraine immer nur eine Kampfpause und keine Einigung."

Diese in der Region weit verbreitete Perspektive wird mit größter Wahrscheinlichkeit die Art und Weise prägen, wie sich diese Staaten die Beziehungen zwischen Nato und Ukraine vorstellen. Zunächst einmal werden die Nato-Frontstaaten engere Beziehungen zwischen der Nato und der Ukraine, einschließlich einer Vollmitgliedschaft Kyjiws im Bündnis, besonders vehement unterstützen. Selbst wenn eine Mitgliedschaft der Ukraine in absehbarer Zukunft, zumindest solange der Krieg andauert, nicht möglich ist, werden sich die Frontstaaten für eine vielseitige Unterstützung der Ukraine durch die Nato einsetzen. Für diese Staaten ist die Fähigkeit der Ukraine, sich gegen russische Aggressionen zu verteidigen, unmittelbar mit ihrer eigenen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zur Abschreckung Russlands verbunden. Diese Betrachtungsweise und dieser Ansatz werden keineswegs von allen Nato-Mitgliedstaaten geteilt. Es ist daher anzunehmen, dass dies in naher Zukunft zu Spaltungen und Streitigkeiten innerhalb des Bündnisses führen wird. Darüber hinaus gibt es selbst bei den treuesten Verbündeten der Ukraine in der Nato, wie etwa Polen, gewisse Anzeichen von "Kriegsmüdigkeit", da sich innenpolitische Fragen gelegentlich gegen die bedingungslose Unterstützung der Ukraine durchsetzen. Der jüngste polnisch-ukrainische Streit über Getreide brachte dies deutlich zum Vorschein. Manche Streitpunkte und Probleme zwischen der Ukraine und ihren regionalen Partnern werden sicherlich erneut aufbrechen. Man kann sogar davon ausgehen, dass die Gräben zwischen der Ukraine und anderen mittel- und osteuropäischen Ländern umso tiefer werden, je länger der Krieg andauert. Und so sehr diese Risse und Probleme auch bereits laufende Diskussionen innerhalb der Nato oder der Europäischen Union beeinflussen mögen, ist es doch von immenser Bedeutung, dass sie in den Beziehungen zwischen der Nato und der Ukraine nicht überhandnehmen. Ein Zerwürfnis zwischen der Ukraine und ihren Nachbarstaaten würde die Position der Ukraine gegenüber der Nato definitiv schwächen und sich in der Folge negativ auf die euro-atlantische Sicherheit auswirken.

Unabhängig davon, ob man eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine befürwortet oder nicht, lässt sich kaum ein anderes Verteidigungsbündnis in der Welt finden, das seine Mitgliedstaaten so erfolgreich vor ausländischen Angriffen geschützt hat. Die Nato bleibt auf lange Sicht die einzig brauchbare Sicherheitsorganisation im euro-atlantischen Raum, die in der Lage ist, der Ukraine soliden Schutz zu bieten. Von nur bilateralen Sicherheitsvereinbarungen einmal abgesehen ist die Nato daher wohl die einzige Sicherheitsoption für die Ukraine. Diese Tatsache scheint sowohl in Kyjiw als auch in den Nato-Frontstaaten gut verstanden worden zu sein. Die Frage ist: Wird diese Realität im gesamten Westen verstanden und akzeptiert werden?

Schlussfolgerungen

In Bezug auf die Zukunft der Beziehungen zwischen der Nato und der Ukraine wird man, sobald eine grundlegende gemeinsame Sicherheitsagenda festgelegt ist, kurzfristig mehr von Kontinuität denn von Veränderung sprechen. Der außenpolitische Kurs der Ukraine wird sich wahrscheinlich kaum ändern. Gleiches gilt für die Nato. Das Bündnis versteht die geopolitische Bedeutung der Ukraine, denn eine unabhängige und souveräne Ukraine bleibt ein Schlüsselfaktor für die euro-atlantische Sicherheit. Aus demselben Grund wird jedoch auch die Haltung Russlands dieselbe bleiben, da Russland davon ausgeht, dass die Aufnahme der Ukraine in die Nato den Versuchen Moskaus, die Ukraine zu kontrollieren und zu unterwerfen, ein Ende setzen würde. Da die Beendigung des Kriegs eine Voraussetzung für den Beitritt der Ukraine zum Bündnis ist, sollten beide Seiten ihre Beziehungen auch unabhängig von den Aussichten auf eine ukrainische Nato-Mitgliedschaft betrachten. In einem kürzlich erschienenen Artikel in "The Economist" wird zurecht davor gewarnt, dass zu viele Gespräche über die Ukraine von einem "Ende des Kriegs" abhängig gemacht würden: "Betet für einen schnellen Sieg, aber rüstet euch für einen langen Kampf – und eine Ukraine, die trotzdem überleben und gedeihen kann."

Mit Blick auf die Zukunft sollten sich das Bündnis und seine Mitgliedstaaten nicht zu sehr auf den Zeitpunkt und die Bedingungen für den Beitritt der Ukraine zur Nato konzentrieren, sondern vielmehr auf die Aufrechterhaltung der unerschütterlichen Unterstützung für eine unabhängige Ukraine. Es ist wenig sinnvoll, in Dauerschleifen das ohnehin offensichtliche Diktum zu wiederholen, die Ukraine könne der Nato erst nach Beendigung des Kriegs beitreten; die Verknüpfung der Mitgliedschaft der Ukraine mit dem Ende der Feindseligkeiten "erhöht möglicherweise die russischen Anreize zur Fortsetzung des Kriegs". Wenn man die derzeitige russische Strategie richtig liest, führt Moskau einen Zermürbungskrieg und setzt möglicherweise darauf, dass die Ukraine früher oder später nicht mehr die Kosten des Kriegs tragen kann und die westlichen Partner die Geduld verlieren und ihre Unterstützung für die Ukraine einschränken. Diese vertrackte Situation wirft eine zwingende Frage auf, die nur wenige im Westen zu beantworten bereit sind: Ist die Ukraine in der Lage, den Krieg zu ihren Bedingungen zu beenden, indem sie allein kämpft, nur ausgestattet mit militärischer Ausrüstung aus dem Westen, während der Rest Europas am Rande steht und zusieht? Unabhängig davon, welche Antwort man auf diese Frage findet, lässt sich aus den komplexen Zusammenhängen des laufenden Kriegs herauslesen, dass die Zukunft der Beziehungen zwischen Nato und Ukraine auf kurze wie auf lange Sicht weniger davon abhängt, was nach Kriegsende passiert, sondern vielmehr davon, wie der Krieg überhaupt ausgeht.

Aus dem Englischen von Birthe Mühlhoff, Dinslaken

ist Research Scholar an der University of Arizona (2023–24 Fulbright-NATO Security Studies Award). Zudem ist er Assistant Professor für Internationale Beziehungen und Sicherheitsstudien an der Jagiellonian University in Kraków. Michnik ist freier Redakteur bei New Eastern Europe.
E-Mail Link: wojciech.michnik@uj.edu.pl