PalästinenserInnen lebten lange Zeit von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt in der Bundesrepublik. Seit den späten 1950er Jahren zogen mehrere Tausend arabischsprachige Menschen, die im Völkerbundsmandat für Palästina (1920–1948) geboren worden waren, in Städte wie Mannheim, Münster oder Frankfurt. Die meisten von ihnen waren 1948 infolge des arabisch-israelischen Kriegs nach Jordanien, Syrien, Ägypten und in den Libanon geflüchtet. Nach ihrem Schulabschluss kamen sie in die noch junge Bundesrepublik Deutschland, um zu arbeiten oder zu studieren.
Mit dem Anschlag auf das israelische Team bei den Olympischen Spielen in München rückte diese Gruppe von MigrantInnen auf einmal in den Fokus des öffentlichen Interesses. Im Herbst 1972 fragten Printmedien vom "Spiegel" bis zur "Bild": Wie viele PalästinenserInnen lebten eigentlich in der Bundesrepublik? Konnte man ihnen vertrauen? Welche Verbindungen unterhielten sie zu bewaffneten Gruppen im Nahen Osten? Auch die Behörden nahmen PalästinenserInnen verstärkt ins Visier. Innerhalb eines Monats wurden Schätzungen zufolge über 200 Menschen aus der Bundesrepublik ausgewiesen, die Einreise für BürgerInnen arabischer Staaten erschwert und mehrere palästinensische Vereinigungen verboten.
Der Anschlag von München hatte somit auch spürbare Folgen für in der Bundesrepublik lebende PalästinenserInnen. Doch wie genau setzte sich die palästinensische Diaspora in Westdeutschland zusammen? Wie nahmen PalästinenserInnen die Ereignisse vom Herbst 1972 wahr? Und welche Reaktionen gab es auf die Presseberichte und die Maßnahmen der Bundesbehörden?
Der folgende Beitrag greift zur Beantwortung dieser Fragen auch auf palästinensische Quellen zurück. Verschiedene Archivdokumente, Interviews, Autobiografien, arabische Zeitungen und Zeitschriften geben Einblicke in eine noch kaum erforschte Geschichte von PalästinenserInnen in der Bundesrepublik. In einem ersten Schritt wird das Entstehen der palästinensischen Diaspora in Westdeutschland seit den späten 1950er Jahren dargestellt. Für diese Gruppe von Menschen stellten der Sechstagekrieg von 1967 und das Aufkommen politischer Gewalt durch palästinensische Gruppen einen gravierenden Einschnitt dar, wie der zweite Teil des Beitrags verdeutlicht. Der dritte Teil fokussiert auf den Anschlag von 1972 und seine Folgen für PalästinenserInnen in der Bundesrepublik. In einem letzten Schritt soll gezeigt werden, wie die Reaktion der Behörden zu einer neuen Mobilisierung von PalästinenserInnen und ihren linken Verbündeten führte.
Palästinensische Diaspora in Westdeutschland
Mit dem arabisch-israelischen Krieg und der Gründung Israels 1948 flüchteten etwa 700.000 PalästinenserInnen aus dem Gebiet des neuen jüdischen Staats. Die meisten PalästinenserInnen flohen nach Jordanien, das 1950 das Westjordanland und Ost-Jerusalem annektiert hatte. In den 1950er Jahren stammten etwa zwei Drittel der jordanischen Bevölkerung aus dem ehemaligen Völkerbundsmandat für Palästina. Die geflüchteten PalästinenserInnen befanden sich häufig in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Zum Verlust von Eigentum und der Erfahrung von Flucht und Vertreibung kam hinzu, dass viele der Nachbarländer Israels kaum ausreichende Studien- und Arbeitsmöglichkeiten boten. Vor diesem Hintergrund zogen insbesondere junge palästinensische Männer in Staaten, die ihnen bessere Zukunftsaussichten boten.
Ein besonders beliebtes Ziel waren dabei Golfstaaten wie Kuwait, Qatar oder Saudi-Arabien. In diesen Ländern, die mithilfe der Einnahmen aus dem Ölgeschäft ihre Städte und öffentliche Infrastruktur ausbauten, herrschte eine große Nachfrage nach gut ausgebildeten Arbeitskräften.
Diese Lücke füllten private Vermittlungsagenturen. In der Ost-Jerusalemer Zeitung "Filastin" (Palästina) fanden sich in den frühen 1960er Jahren regelmäßig Anzeigen, die Arbeitsstellen in Westdeutschland versprachen.
In der westdeutschen Öffentlichkeit wurden palästinensische MigrantInnen jedoch so gut wie nicht wahrgenommen. Bis heute ist ihre Spur in Archiven nur schwer nachzuverfolgen, denn die Menschen, die aus Gaza oder Ost-Jerusalem in die Bundesrepublik kamen, wurden von den Behörden meistens nach ihren Pässen kategorisiert, als Staatenlose oder Jordanier. "Palästina" existierte nicht als Nationalstaat, dementsprechend tauchen in deutschen Archiven aus der Zeit keine palästinensischen Staatsbürger auf. Auch in der zeitgenössischen Presse fand sich der Ausdruck "Palästinenser" nur selten. Viel eher war von "Palästina-Flüchtlingen" oder "Arabern" die Rede.
Aus historischer Perspektive können die PalästinenserInnen in der Bundesrepublik während der späten 1950er und frühen 1960er Jahre als Teil einer Diaspora bezeichnet werden.
Politische Gewalt seit 1967
Für PalästinenserInnen war der Sechstagekrieg von 1967 eine wichtige Zäsur. Der überraschend schnelle Sieg Israels über die Armeen Ägyptens, Jordaniens, Syriens und des Irak erschütterte die politische Landschaft im Nahen Osten. PalästinenserInnen rückten nun von den pan-arabischen Allianzen ab, auf die sie zuvor im Konflikt mit Israel gebaut hatten. Anstatt auf die Armeen Ägyptens oder Syriens setzten sie nun verstärkt auf einen eigenständigen Kampf gegen den jüdischen Staat. Mit dieser neuen Strategie war die Stunde bewaffneter Gruppen wie der Fatah oder der neugegründeten Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) gekommen, die bis 1969 zu dominanten Kräften innerhalb der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) aufstiegen.
PalästinenserInnen bemühten sich fortan auch verstärkt um die Aufmerksamkeit einer globalen Öffentlichkeit für ihre Sache. In Westeuropa erhoffte man sich besonders Beistand von linken Gruppen, die seit den 1960er Jahren ihre Solidarität mit der "Dritten Welt" verkündeten.
Zur palästinensischen "globalen Offensive"
Die Anschläge vom Frühjahr 1970 führten zu Diskussionen zwischen verschiedenen palästinensischen Gruppen über den Sinn und Zweck politischer Gewalt außerhalb des Nahen Ostens. Die Demokratische Volksfront zur Befreiung Palästinas (DFLP), die in mehreren westdeutschen Städten Unterstützer hatte, kritisierte Aktionen wie den Anschlag auf die Swissair-Maschine. Diese Form der Gewalt sei nichts anderes als "individueller Terror", der nicht zu einer Massenbewegung führen könne.
Im Herbst 1970 eskalierte die Gewalt auch in Jordanien, das sich nach 1967 zu einem wichtigen Stützpunkt bewaffneter palästinensischer Gruppen entwickelt hatte. Ein bereits länger schwelender Konflikt mit dem haschemitischen Königshaus um die Kontrolle im Land mündete in einem Bürgerkrieg, der als "Schwarzer September" in die palästinensische Geschichte eingehen sollte. Nach der Niederlage in Jordanien verlegten Gruppen wie die Fatah und die PFLP ihre Aktivitäten vor allem nach Beirut, das zum Zentrum palästinensischer Politik wurde.
In den fünf Jahren vor dem Anschlag auf die olympischen Sommerspiele hatte sich somit viel verändert: Nach dem Sechstagekrieg hatten PalästinenserInnen eine weltweite Offensive gegen Israel begonnen, in der sie sowohl enge Verbindungen zu Linken in der Bundesrepublik knüpften als auch Anschläge in zahlreichen Ländern verübten. Dabei vertraten palästinensische Gruppen keine einheitliche Haltung zu politischer Gewalt außerhalb des Nahen Ostens. Vielmehr war eine unübersichtliche Landschaft bewaffneter Gruppen entstanden, die unterschiedliche politische Positionen einnahmen, zum Teil miteinander konkurrierten und verschiedene Verbündete im links-alternativen Milieu der Bundesrepublik hatten.
Der Anschlag 1972 und seine Folgen
Im Herbst 1972 stand die palästinensische Diaspora in Westdeutschland plötzlich im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Am 5. September 1972 entführte und tötete ein Kommando der palästinensischen Organisation Schwarzer September elf Mitglieder des israelischen Olympiateams. Bei dem Feuergefecht mit westdeutschen Sicherheitskräften am Flughafen Fürstenfeldbruck kamen auch ein Polizist und fünf der acht palästinensischen Entführer ums Leben. Einige Wochen später, am 29. Oktober, entführten Palästinenser eine Lufthansa-Maschine, die von Damaskus nach Frankfurt fliegen sollte, und pressten so die drei überlebenden Attentäter aus dem Gefängnis in der Bundesrepublik frei.
Nach dem Anschlag in München berichtete die westdeutsche Presse ausführlich über PalästinenserInnen in der Bundesrepublik. Für die Titelstory der Ausgabe vom 17. September 1972 wählte "Der Spiegel" als Überschrift ein Zitat des Münchner Kriminalpolizeidirektors Gustav Stogel: "Der Araber – dem ist nicht zu trauen".
Auch die westdeutschen Behörden sahen in der palästinensischen Diaspora eine Bedrohung. Bereits zwei Tage nach dem Anschlag von München wurden die Einreise von Staatsbürgern aus arabischen Staaten erschwert und die Visumsbestimmungen deutlich verschärft. Das Bundesinnenministerium ordnete an, besonders Menschen aus arabischen Staaten, die als Touristen einreisen wollten, an der Grenze zurückzuweisen. Mit Merkblättern auf Deutsch, Französisch, Englisch und Arabisch versuchte die Bundesregierung, an Flughäfen um Verständnis für die Kontrollen, Restriktionen und langen Wartezeiten zu werben. Trotzdem sah sie sich mit einer Welle von Protesten, insbesondere von deutschen Botschaften und Reisenden aus dem Nahen Osten, konfrontiert.
In den folgenden Wochen wiesen die Behörden außerdem zahlreiche PalästinenserInnen aus der Bundesrepublik aus. Der Bundesverfassungsschutz schätzte, dass innerhalb eines Monats nach dem Anschlag 255 Ausweisungsverfügungen gegen BürgerInnen arabischer Staaten ergangen seien.
Es ist bis heute umstritten, ob der "Schwarze September", der hinter dem Anschlag von München steckte, von der Fatah direkt kontrolliert wurde. Sicher ist, dass die Gruppe aus Mitgliedern der Fatah bestand und Kontakte zu hohen Fatah-Funktionären, insbesondere zu Salah Khalaf, hatte.
Die Ausweisungsverfügungen verdeutlichen jedoch, dass es bei den Ausweisungen nicht primär um direkte Verbindungen zum Schwarzen September ging. Vielmehr betrachteten die westdeutschen Behörden und Teile der Presse mehrere palästinensische Gruppen als Bedrohung, die nicht länger in der Bundesrepublik geduldet werden sollte. So wurde am 21. September 1972 eine 23-jährige Palästinenserin, die in Hamburg studierte, nach Israel abgeschoben, weil sie für die Fatah aktiv war.
Die martialischen und mitunter xenophoben Kommentare in der westdeutschen Presse zeigen, dass diese weitreichenden Maßnahmen durchaus antizipiert wurden. Henri Nannen schrieb im "Stern" zu den von ihm geforderten Ausweisungen: "Leider werden davon auch Unschuldige betroffen. Aber der Satz, daß es besser ist, zehn Schuldige davonkommen zu lassen, als einem Unschuldigen Unrecht zu tun, gilt nur im Frieden. Im Krieg gilt der umgekehrte Satz."
Palästinensische Reaktionen und Grundrechte von MigrantInnen
Verschiedene palästinensische Publikationen rechtfertigten den Anschlag des Schwarzen September. In der PLO-Zeitschrift "Filastin al-Thawra" (Palästina der Revolution) wurden die getöteten Täter kurz nach den Ereignissen in München als "Märtyrer" bezeichnet.
In den folgenden Wochen konzentrierte sich die Berichterstattung palästinensischer Publikationen vor allem auf die Maßnahmen der westdeutschen Behörden. Am 27. September 1972 beschrieb "Filastin al-Thawra" in einem ausführlichen Artikel die Festnahmen und Ausweisungen von PalästinenserInnen aus der Bundesrepublik und fragte: "Ist das die Rückkehr des Nazismus (…) gegen die Araber?"
Ähnliche Schlagzeilen waren auch in der Zeitschrift der PFLP, "al-Hadaf" (Das Ziel), zu finden. Mitte Oktober prangte auf der Titelseite eine Spielkarte mit Fotos von Willy Brandt und Adolf Hitler. Während Hitler mit einem Hakenkreuz abgebildet war, wurde Brandt mit einer Kombination aus Hakenkreuz und Davidstern gezeigt – eine Verbildlichung der antisemitischen Parole "Nazi-Israel".
Anfang der 1970er Jahre verbreiteten verschiedene pro-palästinensische Veröffentlichungen die antisemitische Gleichsetzung Israels mit dem nationalsozialistischen Regime, durch die aus jüdischen Opfern Täter gemacht wurden. Auch in der Bundesrepublik war in linken Publikationen von einem "neuen Antisemitismus" zu lesen, der sich nun aber eben nicht mehr gegen Juden richten würde. Kurz nach dem Anschlag veröffentlichte der Münchner Trikont-Verlag beispielsweise ein Buch mit dem Titel "Der neue Antisemitismus: Die Liquidierung von Ausländerorganisationen in der BRD; zum Verbot von GUPS und GUPA".
Das Verbot von GUPS und GUPA sowie die Ausweisungswelle im Herbst 1972 mobilisierten jedoch Menschen über krude Vergleiche mit dem Nationalsozialismus hinaus. Gegen das Vorgehen der Behörden brachte sich eine Koalition aus linksradikalen Gruppen (K-Gruppen), Studentenverbänden und Organisationen, die sich für die Rechte von MigrantInnen einsetzten, in Stellung. Am 8. Oktober kam es in Dortmund zu einer Demonstration, an der nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur 4.000 Menschen teilnahmen.
Auch die Westdeutsche Rektorenkonferenz, Vorgänger der Hochschulrektorenkonferenz, kritisierte in einer Stellungnahme vom 2. Oktober 1972 die Ausweisungen.
Auch PalästinenserInnen, ihre Familien und EhepartnerInnen organisierten sich und gingen rechtlich gegen die Ausweisungen vor. Am 18. Juli 1973 errangen zwei Palästinenser einen Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht, das in den Ausweisungen eine Verletzung ihrer Grundrechte und einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip sah.
Das Schicksal der aus der Bundesrepublik ausgewiesenen PalästinenserInnen gestaltete sich allerdings unterschiedlich. Diejenigen, die in die Bundesrepublik zurückkehrten, mussten hierfür mitunter langwierige Gerichtsprozesse in Kauf nehmen, waren von ihren Familien getrennt oder hatten Schwierigkeit, wieder eine Arbeit zu finden. Auch nach ihrer Rückkehr konnten ehemalige Mitglieder der GUPS mit Auflagen belegt werden, wie etwa einer täglichen Meldepflicht bei der Polizei.
Fazit
Der Anschlag von München erschütterte die Olympischen Sommerspiele auf gewaltsame und verstörende Weise. Die dramatischen Szenen vom 5. September 1972 und die Ermordung von elf Mitgliedern des israelischen Olympia-Teams haben sich bis heute tief in die kollektive Erinnerung eingeschrieben. In den Wochen nach dem Anschlag veränderte sich auch das Leben von vielen PalästinenserInnen in der Bundesrepublik. Die palästinensische Diaspora, die sich in den 1960er Jahren gebildet hatte, geriet durch den Anschlag ins Zentrum einer öffentlichen Auseinandersetzung um Migration und Gewalt. Aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Fatah oder der GUPS wurden zahlreiche PalästinenserInnen aus der Bundesrepublik ausgewiesen.
In den Augen bewaffneter palästinensischer Gruppen unterstrichen die Maßnahmen der westdeutschen Behörden, dass die Bundesregierung ein Feind der palästinensischen Sache war. PalästinenserInnen lebten jedoch auch nach 1972 in der Bundesrepublik und waren politisch aktiv. Auch die Kontakte zwischen der Bundesregierung und der Fatah wurden nach kurzer Zeit wieder aufgenommen. Im Herbst 1975 eröffnete der Fatah-Funktionär Abdallah Frangi die "Informationsstelle Palästina" als PLO-Vertretung in Bonn.
Auf die linke Solidaritätsbewegung mit PalästinenserInnen in der Bundesrepublik hatte der Anschlag von 1972 einen paradoxen Effekt. Nur wenige radikal linke Gruppen wie die RAF befürworteten den Anschlag explizit. Für größere Teile der Linken wurden die Ereignisse von München jedoch schnell vom Verbot palästinensischer Vereinigungen und der Ausweisungswelle überlagert. Auf diese Weise kam es in der Bundesrepublik im Herbst 1972 zu einer pro-palästinensischen Mobilisierung, die sich nun besonders auf die Rechte von MigrantInnen in Westdeutschland konzentrierte. Damit stach die Reaktion der radikalen Linken auch im internationalen Vergleich hervor. In Frankreich etwa hatten die Ereignisse von München eine Reihe von Linken dazu bewegt, sich von der palästinensischen Sache abzuwenden.