Während der Olympischen Sommerspiele 1972 in München überfielen acht Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe "Schwarzer September" die israelische Mannschaft der Herren: Zwei Israelis wurden dabei erschossen, neun Sportler wurden als Geiseln genommen, um die Befreiung von mindestens 200 Gefangenen aus israelischer Haft zu erpressen – eine Forderung, die die israelische Regierung ablehnte. Die Geiselnahme, die in den frühen Morgenstunden des 5. September begann, dauerte rund 20 Stunden. Vor Ort arbeitete ein politischer Krisenstab an der Beendigung der Geiselnahme, dem Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP), der bayerische Innenminister Bruno Merk (CSU), der seit Juni 1972 nicht mehr amtierende Ex-Oberbürgermeister Münchens Hans-Jochen Vogel (SPD), der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber und der Präsident des deutschen Nationalen Olympischen Komitees sowie des Organisationskomitees der Münchner Spiele Willi Daume angehörten. In der Nacht zum 6. September endete die Geiselnahme in einem Desaster: Bei einem missglückten Befreiungsversuch durch die bayerische Polizei kamen alle Geiseln sowie ein Polizist und fünf Palästinenser zu Tode. Die drei überlebenden Terroristen wurden verhaftet, jedoch wenige Wochen später durch eine Flugzeugentführung wieder freigepresst.
Die Bundesregierung und der Freistaat Bayern konnten nach diesen Ereignissen keine gravierenden Fehler der Sicherheitskräfte erkennen. Sowohl Bundeskanzler Willy Brandt als auch der bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel lehnten die Rücktrittsangebote ihrer Innenminister – Hans-Dietrich Genscher auf Bundesebene und Bruno Merk in Bayern – kategorisch ab und vermieden jede dahingehende öffentliche Diskussion.
Jenseits bundesdeutscher Erfahrungshorizonte
Das Olympia-Attentat überschritt in vielfacher Hinsicht die bundesdeutschen Erfahrungshorizonte. Zwei Aspekte sind besonders hervorzuheben: Erstens hatte es auf bundesdeutschem Boden noch nie eine erpresserische terroristische Geiselnahme gegeben. Diese Anschlagsform ist sehr öffentlichkeitswirksam und setzt den Staat unter starken Zugzwang – wobei freilich in diesem Fall die Bundesrepublik nicht in der Position war, die an Israel gerichteten Forderungen zu erfüllen. Bis zum September 1972 hatten es bundesdeutsche Politik und Sicherheitsbehörden im Wesentlichen mit deutschen Linksterroristen sowie mit extremistischen, in der Bundesrepublik lebenden Exilanten – insbesondere Jugoslawen – zu tun gehabt. Deren gewaltsame Aktionen richteten sich vorwiegend gegen Landsleute beziehungsweise Einrichtungen des eigenen Staates.
Dieser begrenzte Erfahrungshintergrund prägte die Sicherheitsvorkehrungen für die Olympischen Spiele. Im Vorfeld des 5. September waren bei den Sicherheitsbehörden durchaus Hinweise auf eine mögliche Aktion palästinensischer Terroristen eingegangen. Diese wurden jedoch als diffus bewertet und wirkten sich nicht auf das Sicherheitskonzept aus.
Zweitens verwischte das grenzüberschreitende Operieren der palästinensischen Terroristen die Trennlinie zwischen Innen- und Außenpolitik in bis dahin nicht gekannter Weise. Das Olympia-Attentat selbst wurde von Politik und Öffentlichkeit im Wesentlichen als ein Problem der inneren Sicherheit wahrgenommen, die Diskussion verblieb "weitgehend innerhalb des innenpolitischen Koordinatensystems".
Die ersten unmittelbaren Reaktionen der Bundesregierung auf den Anschlag umfassten zunächst eine Reihe ausländerpolitischer Maßnahmen, um potenziellen Terroristen den Aufenthalt in der Bundesrepublik zu verwehren.
Darüber hinaus aber nahm die Bundesregierung auch eine Reihe langfristig angelegter Maßnahmen in Angriff, um Ereignisse von der Art des Münchner Anschlags in Zukunft besser abwehren zu können. So entwickelte das Auswärtige Amt die Idee einer UN-Konvention gegen Terrorismus, die es ab dem UN-Beitritt der Bundesrepublik im September 1973 weiterverfolgen und die schließlich zur UN-Konvention gegen Geiselnahme vom Dezember 1979 führen sollte.
Sicherheitsbehörden
Eine wichtige Folge des Olympia-Attentats war der Wandel bundesdeutscher Wahrnehmungen zum Terrorismus. Zwar entsprachen die unmittelbaren Reaktionen auf den Anschlag teilweise noch der Einschätzung, dass terroristische Geiselnahmen ein "ausländisches" und punktuelles Problem seien. Vor dem Erfahrungshintergrund des 5. September sollte sich aber bald in Sicherheitsbehörden, Politik und Öffentlichkeit die Auffassung durchsetzen, dass die Bundesrepublik immer wieder mit entsprechenden Bedrohungen konfrontiert werden könnte. Mittelfristig beförderte dies die Überzeugung, dass der Staat terroristischen Erpressungsversuchen nicht nachgeben dürfe und dass terroristische Straftäter stets juristisch zur Verantwortung zu ziehen seien.
Im Zuge der Bekämpfung des Linksterrorismus hatte Bundesinnenminister Genscher schon seit Beginn der 1970er Jahre den Ausbau und die Verbesserung der Kooperation der Sicherheitsbehörden betrieben. Vor diesem Hintergrund zog die Tatsache, dass die in Fürstenfeldbruck eingesetzten Polizisten offensichtlich unzulänglich ausgebildet gewesen waren, rasche Konsequenzen nach sich: Innerhalb kürzester Zeit wurde die Gründung von auf Geiselbefreiung spezialisierten polizeilichen Einheiten beschlossen. Die prominenteste war die auch in Nahkampf und Präzisionsschießen geschulte Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9), die mit diesem Profil die "erste polizeiliche Spezialeinheit in Europa" war.
Europäische Kooperation
Durch das Olympia-Attentat hatte die innere Sicherheit der Bundesrepublik neuartige grenzüberschreitende Dimensionen erhalten. Offensichtlich konnte sie nicht mehr allein im Rahmen klassischer Innenpolitik gewährleistet werden. Wenige Tage nach dem Olympia-Attentat legte deshalb das BMI die Konzeption einer Konferenz über innere Sicherheit für die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften (EG) vor.
Wenngleich der Vorstoß zunächst scheiterte, stellte die Bevorzugung der EG als Handlungsrahmen wichtige Weichen. Schritte auf Ebene von Interpol wurden im BMI als wenig erfolgversprechend beurteilt, da deren Statuten eine Befassung mit Angelegenheiten politischen Charakters untersagten und man Probleme bei der Zusammenarbeit mit arabischen Staaten befürchtete. Den Kreis der Europarats-Staaten hielt das BMI für zu heterogen, um zu raschen und effektiven Ergebnissen zu kommen. Auch eine Intensivierung der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit arabischen Staaten wurde zunächst nicht ernsthaft in Erwägung gezogen – auch deshalb, weil die diplomatischen Beziehungen zu den arabischen Staaten erst im Entstehen begriffen waren.
Die Bevorzugung des EG-Rahmens erklärt sich zudem aus der Tatsache einer besonderen gemeinsamen Betroffenheit und eines kleinen und an enge Zusammenarbeit gewöhnten Kreises, der schnell wirksame Ergebnisse erwarten ließ. Darüber hinaus spielten die Kontexte der europäischen Einigungsgeschichte eine wichtige Rolle: Nach bundesdeutscher Auffassung hatten die EG-Staaten gemeinsame Interessen im Bereich der Innenpolitik, die unmittelbar mit der europäischen Integration zusammenhingen. Diese ergaben sich zum einen aus dem Ziel, die europäischen Binnengrenzkontrollen abzuschaffen, und zum anderen aus dem Bestreben, auch jenseits des Geltungsbereichs der Römischen Verträge Integrationsfortschritte zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund sollte das BMI seinen Plan einer europäischen Konferenz für innere Sicherheit hartnäckig weiterverfolgen: zunächst in bilateraler Kooperation mit Frankreich, bevor dann 1975 infolge einer britischen Initiative der Durchbruch auf EG-Ebene gelang. Auf dem Europäischen Rat vom Dezember 1975 in Rom wurde die sogenannte TREVI-Konferenz ins Leben gerufen.
Folgen für die bundesdeutsche Terrorismusbekämpfung
Das Olympia-Attentat war von wesentlicher Bedeutung für die weitere bundesdeutsche Terrorismusbekämpfung: Es zog einen grundlegenden Wahrnehmungswandel und wichtige politische Weichenstellungen nach sich. Die im Augenblick des Anschlags eher als punktuelles, fremdes Problem perzipierte Gefahr terroristischer Geiselnahmen sollte zunehmend als Angelegenheit gesehen werden, von der die Bundesrepublik auch in Zukunft betroffen bleiben würde. Das BMI leitete Maßnahmen ein, um der Bedrohung langfristig und effektiv begegnen zu können: Die Informationsauswertung und die Planungs- und Entscheidungsprozesse der Sicherheitsbehörden wie auch der politischen Entscheidungsträger wurden stärker auf entsprechende Gefahrenlagen ausgerichtet, und es wurden speziell ausgebildete polizeiliche Eliteeinheiten gegründet, die letztlich eine Voraussetzung dafür waren, dass sich mittelfristig der Grundsatz staatlicher Unnachgiebigkeit gegenüber terroristischen Erpressungen etablieren konnte. Darüber hinaus rückte das Olympia-Attentat die grenzüberschreitende Dimension der inneren Sicherheit in den Fokus und gab wichtige Impulse für eine verstärkte internationale Kooperation. Dabei wurde die Abwehr auch ausländischer Terroranschläge weiterhin als eine Aufgabe der Innenpolitik gesehen und mit entsprechenden Instrumenten angegangen.