Dass Sport unpolitisch sein soll, ist ein wichtiges Ideal,
Deutscher Sport nach 1945
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich aus den Besatzungszonen zwei sehr ungleiche deutsche Staaten: die DDR als sozialistischer Staat mit sowjetischer Prägung mit etwa 17 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern im Osten und die Bundesrepublik als demokratischer Staat mit mehr als 60 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern im Westen. Letztere hatte den Anspruch, nicht nur einen Teil Deutschlands, sondern die Menschen in beiden Staaten zu vertreten. Dieser "Alleinvertretungsanspruch" hatte große Bedeutung für die innerdeutschen Sportbeziehungen.
Sehr verschieden und durch die Besatzungsmächte beeinflusst war auch die Sportentwicklung. In der unmittelbaren Nachkriegszeit ging es den Alliierten darum, die deutsche Bevölkerung umzuerziehen und die Spuren des Nationalsozialismus zu tilgen. So wurde der Schulsport umgestaltet und Elemente verboten, die einer vormilitärischen Erziehung hätten dienen können. Der Fokus lag auf einer Körperertüchtigung im Dienste der Gesundheit, wobei die Gymnastik einen wichtigen Stellenwert einnahm.
Mit der Staatsgründung 1949 wollten die Sportfunktionäre der Bundesrepublik den Wettkampfsport wiederbeleben. Es wurde ein Nationales Olympisches Komitee (NOK) gegründet, das durch das IOC anerkannt wurde. Die Verantwortlichen der DDR gründeten ihr NOK zwei Jahre später. Zuvor lehnten sie, der Sowjetunion folgend, die Olympischen Spiele als zu bürgerlich ab. Doch in Moskau erfolgte eine Neubewertung: Internationale Sportwettkämpfe sollten fortan als Bühne dienen, um der Welt die Überlegenheit und Leistungsfähigkeit von Sozialismus und Kommunismus zu demonstrieren. Der Antrag der DDR auf Anerkennung ihres NOK sorgte beim IOC für Irritation:
Der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik befeuerte die Bemühungen der DDR um sportliche Sichtbarkeit. Im Zuge ihrer Remilitarisierung ab 1955 wurden Sport und Schulsport zunehmend leistungsorientiert gestaltet und dabei Aspekte einer vormilitärischen Erziehung und Wehrhaftmachung der Bevölkerung eingebunden. Erste sportliche Erfolge und die Anerkennung der DDR durch einige internationale Sportverbände führten zu einer internationalen Wahrnehmung des kleineren deutschen Staates. Die guten Platzierungen von Sportlerinnen und Sportlern aus der DDR hatten noch eine zweite Dimension, denn auch in Richtung der eigenen Bevölkerung galt es, für den sozialistischen Staat zu werben: Viele Menschen in der DDR konnten sich nicht mit ihrem neuen Heimatland identifizieren und sahen in der Bundesrepublik den für sie attraktiveren deutschen Staat. Tausende wechselten deswegen jährlich auf die andere Seite der innerdeutschen Grenze. Die Führung der DDR hoffte, dass sportliche Erfolge und positive Bilder von erfolgreichen Athletinnen und Athleten helfen würden, das Nationalbewusstsein und die Heimatliebe der Bevölkerung in der DDR zu stärken.
Zwei Staaten, eine Mannschaft 1956–1968
Nachdem bei den Olympischen Spielen 1952 nur die Bundesrepublik Deutschland repräsentiert hatte, war die Führung der DDR fest entschlossen, 1956 in Cortina d’Ampezzo (Winter) und Melbourne (Sommer) ebenfalls anzutreten. Nach dem Bruch der Lausanner Vereinbarung war die Beziehung der DDR zum IOC und seinem Präsidenten Avery Brundage jedoch gestört. Der kurzerhand ernannte neue Präsident des NOKs der DDR, Heinz Schöbel, vermochte den Kontakt wieder aufzunehmen. Er reichte erneut einen Aufnahmeantrag ein, der im Mai 1955 bei der IOC-Sitzung in Paris positiv beschieden wurde – wenn auch nur provisorisch und mit der Auflage, eine gemeinsame deutsche Mannschaft zu bilden. Diese hatte im Januar 1956 in Cortina d’Ampezzo noch recht geräuscharm Premiere. Nur wenige Sportlerinnen und Sportler der DDR waren dabei, und niemand von ihnen gewann eine Goldmedaille, sodass das Abspielen der DDR-Hymne nicht zum Problem wurde. Im Vorfeld der im November beginnenden Sommerspiele in Melbourne einigte man sich darauf, im Falle eines deutschen Sieges Beethovens Neunte Sinfonie abspielen zu lassen. 159 deutsche Sportlerinnen und Sportler, davon 36 aus der DDR, reisten als gemeinsame Mannschaft nach Australien. Der IOC-Präsident wertete dies als Sieg des Sports über die Politik. Dabei sah er darüber hinweg, dass die Spielsportarten keine echten gemeinsamen Mannschaften entsandten und kaum deutsch-deutsche Sportkontakte bestanden.
Im Vorfeld der Olympischen Spiele 1960 in Squaw Valley (Winter) und Rom (Sommer) galt es in den innerdeutschen Verhandlungen eine weitere Hürde zu überwinden: 1957 hatte die DDR entschieden, sich eine eigene Flagge zu geben, die in der Bundesrepublik als "Spalterflagge" verboten war. Es bedurfte jetzt also auch hier eines Kompromisses: So wurde für die Flagge der gemeinsamen Olympiamannschaft die Olympischen Ringe in weiß auf schwarz-rot-goldenem Hintergrund abgebildet. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik versicherte sich noch bei seinem Botschafter in Rom, dass Fahnen mit dem Staatswappen der DDR sofort "polizeilich beschlagnahmt" würden.
Am 13. August 1961 schottete die DDR die innerdeutsche Grenze ab. Zu viele Arbeitskräfte waren in die Bundesrepublik übergesiedelt, es galt, nach innen und außen ein Zeichen der Machtsicherung zu setzen. Somit wurde aus der bis dahin recht durchlässigen Grenze ein lebensbedrohliches Bollwerk. Der bundesdeutsche Sport reagierte drei Tage später mit den Düsseldorfer Beschlüssen: Das NOK und der Deutsche Sportbund (DSB) entschieden sich für den Abbruch aller innerdeutschen Sportbeziehungen. Die Bildung der gemeinsamen deutschen Mannschaften für die Olympischen Spiele 1964 war somit noch schwieriger als zuvor und wurde von Beginn an durch das IOC begleitet. Bereits 1962 erinnerte der Kanzler des IOC, Otto Mayer, an die Verpflichtung zur gemeinsamen deutschen Mannschaft,
Die Ausscheidungswettkämpfe fanden teils in den beiden deutschen Staaten, teils in neutralen Ländern statt. Den Aufenthalt in der Bundesrepublik nutzten einige Sportlerinnen und Sportler zur "Republikflucht", also dem Ausscheiden aus der Mannschaft und dem Verbleib in der Bundesrepublik, was zu weiteren Spannungen führte. So konnten ehemalige DDR-Athletinnen und -Athleten nicht gefahrlos zu weiteren Wettkämpfen in die DDR zurückkehren, da ihnen dort schwere Strafen drohten. Immer wieder war in diesen Fällen der schlichtende Eingriff des IOC-Präsidenten notwendig, der im August 1964 allmählich der deutschen Frage überdrüssig wirkte und übermittelte: "Ich glaube bestimmt, daß dies das letzte Mal war, daß es notwendig wurde, mich um eine Entscheidung zu bitten."
Nach diesen Spielen stellte das NOK der DDR 1965 bei der IOC-Sitzung in Madrid einen erneuten Antrag auf Anerkennung. Zuvor hatte die Bundesrepublik alle Botschaften des westlichen Auslands mit Vertretern im IOC kontaktiert und um Ablehnung gebeten. Doch dieses Verhalten wurde seitens des IOC negativ bewertet.
Zwei deutsche Mannschaften in München 1972
Kurz nach dem Mauerbau reifte seitens der Vertreter des bundesdeutschen NOKs der Entschluss, ein Zeichen im Konflikt mit der DDR zu setzen. Eine erste Idee, die Olympischen Spiele 1968 in Gesamtberlin (Ost und West) auszurichten, scheiterte an politischen und praktischen Hürden – und einer zu spät eingereichten Bewerbung. Der nächste Anlauf wurde professioneller angegangen. NOK-Chef Daume begeisterte den Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, der die Bewerbung engagiert und pragmatisch voranbrachte. Die Regierung sagte eine Teilkostenübernahme zu, und in der Bevölkerung brach eine wahre Olympiaeuphorie aus. Die Organisation der "schönsten und wertvollsten"
1966 stimmte das IOC in Rom München als Austragungsort zu, und das Organisationskomitee um Daume und Vogel plante die "heiteren Spiele". Sowohl die Sportstätten, allen voran das luftige Olympiastadion, umgeben vom Olympischen Park, als auch die Eröffnungsfeier, die Farbgebung, das Olympische Dorf und das Gesamtkonzept sollten ein modernes, freies und vor allem friedliches Deutschland präsentieren. Polizistinnen und Polizisten, die auf dem Olympiagelände als Ordnungsdienst eingesetzt waren und das Hausrecht ausübten, trugen keine Waffen und waren in Uniformen in freundlichem Hellblau gekleidet. Die Hauptstrategien bei Konflikten waren Deeskalation und Humor. Soldaten der Bundeswehr unterstützen nur am Rande als Fahrer und Helfer, jedoch ohne Verantwortung für die Sicherheit.
Vor Herausforderungen wurde die Bundesrepublik durch den geplanten Start der DDR gestellt, erstmals mit eigener Symbolik und sichtbar eigener Mannschaft. Das IOC hatte sich vor der Vergabe der Spiele an München des DDR-Startrechts versichert. Das Zeigen der DDR-Flagge war in der Bundesrepublik ab 1970 gestattet. Das Konzept für die Olympischen Spiele sah vor, nationale Aspekte weniger zu berücksichtigen und der DDR möglichst wenige Repräsentationsmöglichkeiten zu bieten. Diese hatte sich für ihre olympische Teilnahme in München zwei Ziele gesetzt: Der eigene Status sollte verbessert werden, während man das Ansehen der Bundesrepublik beschädigen wollte.
Den größten außen- und innenpolitischen Erfolg erhoffte sich die DDR von möglichst vielen Medaillen. Ein Grundstein dafür, die DDR zu einer "führenden Sportnation" zu entwickeln, wurde an den Kinder- und Jugendsportschulen gelegt, deren Arbeit im Vorfeld der Spiele in München ausgebaut und intensiviert wurde.
Der ostdeutsche Auftritt in München war gründlich geplant. Die Sportlerinnen und Sportler als "Diplomaten im Trainingsanzug" sollten der Welt die Leistungsfähigkeit der kleinen DDR beweisen. Die Staatssicherheit versuchte dabei, sogenannte Republikfluchten zu verhindern. Die Athletinnen und Athleten wurden im Vorfeld geschult und vor Ort streng überwacht – Inoffizielle Mitarbeiter der Staatsicherheit durchsetzten die Mannschaft, die Funktionäre und die Presse.
Bis zum 4. September 1972 erlebten die Organisatoren in München die Spiele, für die man lange gekämpft hatte, in ihrer besten Form. Die internationale Presse überschlug sich mit Lob für die Organisation, die Gestaltung, die deutsche Gastfreundschaft und die grandiose stimmungsvolle Eröffnungsfeier. Die positive Stimmung und die heitere Atmosphäre bekräftigten die Richtigkeit der Auswahl Münchens als Austragungsort dieser Olympischen Spiele und kontrastierte damit die sich aus dem Attentat ergebene Zäsur.
Das ignorierte Attentat
In den Morgenstunden des 5. September 1972 drangen palästinensische Terroristen in das Olympische Dorf ein. Sie kletterten in Trainingsanzügen über einen Zaun und wurden dabei sogar noch beobachtet, aber für Athleten gehalten, die etwas zu lange feiern waren – womit das auf Entspannung und Freundlichkeit beruhende Sicherheitssystem seine erste Schwäche offenbarte. Die Attentäter nahmen elf Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln. Zwei ermordeten sie direkt vor Ort in der Mannschaftsunterkunft, die weiteren neun Israelis, fünf der Angreifer und ein Polizist starben bei einem missglückten Befreiungsversuch in den Morgenstunden des nächsten Tages auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck.
Während der Stunden der Belagerung und Verhandlung wurde eine Reihe sicherheitstaktischer Fehler gemacht. Unter anderem wurden Bilder des Ortes der Geiselnahme und die Maßnahmen der Polizei im Fernsehen übertragen. Die Wettkämpfe starteten am Morgen des 5. Septembers zunächst wie vorgesehen, wurden aber am Nachmittag für einen Tag unterbrochen. Am 6. September sprach IOC-Präsident Brundage bei der Trauerfeier vor 80.000 Menschen die berühmt gewordenen Worte: "The games must go on!"
Obwohl die männlichen DDR-Sportler genau gegenüber der Wohnung der Israelis in der Conollystraße untergebracht waren und das Drama aus der ersten Reihe verfolgen konnten, spielte das Attentat in der Wahrnehmung der ostdeutschen Athletinnen und Athleten keine große Rolle. Von vornherein bemühten sich die DDR-Funktionäre, den Vorfall herunterzuspielen. Erich Honecker schlug zwar im ersten Moment eine Abreise vor, doch Sportchef Manfred Ewald beruhigte ihn damit, dass für die Teilnehmenden aus der DDR keine Gefahr bestehe. Zu groß wäre der Verlust an verschenkten Medaillen, würde man zu diesem Zeitpunkt bereits die Spiele abbrechen. In den ostdeutschen Medien, allen voran im "Neuen Deutschland", wurde nur zwei Tage lang über das Attentat berichtet. Am 6. September wurde den Opfern Beileid ausgesprochen, die Tat streng verurteilt und die Teilnahme der DDR-Mannschaft an der Trauerfeier angekündigt. Am Tag darauf standen das Versagen der bundesdeutschen Sicherheitsorgane und die Frage nach der Verantwortung im Zentrum. Danach widmeten sich die Sportjournalisten wieder den sportlichen Erfolgen. Der Trauerfeier blieben die Ostdeutschen fern.
In der späteren offiziellen Olympiapublikation erhielt "die terroristische Aktion" kaum Aufmerksamkeit und wurde räumlich von den Olympischen Spielen getrennt und als "Drama von Fürstenfeldbruck" bezeichnet.
In den Unterlagen der Staatssicherheit hingegen liegt aufgrund der räumlichen Nähe der DDR-Mannschaft zur israelischen Unterkunft ein sehr detaillierter Bericht zu den Vorgängen in der Conollystraße vor, verfasst von den Sportjournalisten, die sich auch während der angespannten Sicherheitslage ohne Probleme in der Nähe des Überfalls bewegen konnten.
Das Attentat zerstörte die "heiteren Spiele" und den von der Bundesrepublik so dringend gewünschten Repräsentationsraum – für die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer lag nach dem 5. September 1972 ein Schatten auf ihrer olympischen Erinnerung. Tod und Trauer drängten sich vor Wettkämpfe und Medaillengewinn. Für die Athletinnen und Athleten der DDR war das weniger der Fall – sie wurden nach dem 5. September durch Funktionäre abgeschottet und dazu angehalten, sich auf den Wettkampf zu konzentrieren. In die Erinnerung der ostdeutschen Gesellschaft verankerte sich vielmehr, dass die DDR in München 1972 zum ersten Mal eigenständig und mit Hymne und Flagge starten durfte. Das Attentat hingegen wurde in der Rückschau kaum den Spielen zugordnet und vielmehr als logische Konsequenz verfehlter Nahostpolitik der Bundesrepublik gedeutet.
Die DDR war mit dem Ziel angereist, die eigene Reputation zu erhöhen und den Ansehensgewinn der Bundesrepublik zu beschränken. Dieser Plan ging zumindest zur Hälfte auf – mit Platz drei in der Medaillenwertung fanden die Leistungen international Beachtung. Die Staatssicherheit schätzte die Reise ebenfalls als Erfolg ein: Kein Teammitglied hatte einen Fluchtversuch unternommen. Nur wenige Wochen nach den Olympischen Spielen unterzeichnete Bundeskanzler Willy Brandt einen Grundlagenvertrag mit der DDR. Den Alleinvertretungsanspruch und die Wiedervereinigung als politisches Ziel gab die Bundesregierung somit auf. Mit dem Sportprotokoll 1974 regelten dann auch die beiden deutschen Sportverbände ihre Beziehungen miteinander. Die "Querelles d’Allemand" waren somit vorerst beendet.