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Medizinische Apartheid in Zeiten von Corona | Medizin und Ethik in der Pandemie | bpb.de

Medizin und Ethik in der Pandemie Editorial "Not kennt kein Gebot"? Ethische Perspektiven der Pandemie-Bekämpfung Ethik des Impfens. Impfentscheidungen, ethische Konflikte und historische Hintergründe Leben oder sterben? Triage im Wandel der Zeit Medizinische Apartheid in Zeiten von Corona. Rassismus im Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten Ethische Implikationen und rechtlicher Rahmen globaler Arzneimittelversuche Ethische Herausforderungen für die Pflege in der Covid-19-Pandemie

Medizinische Apartheid in Zeiten von Corona Rassismus im Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten

Harriet A. Washington

/ 14 Minuten zu lesen

"Wir müssen mehr schwarze Amerikaner für Impfstofftests gewinnen"; "Warum People of Color so wichtig sind, um einen Covid-19-Impfstoff zu finden"; "AstraZeneca/Oxford-Covid-19-Impfstudie sucht Teilnehmer aus Minderheiten"; "Beteiligung Schwarzer an Covid-19-Impfstudie unverzichtbar".

Im Sommer 2020 wurde mit schrillen Schlagzeilen immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die afroamerikanische Minderheit in den USA vermeintlich weigere, an klinischen Erprobungen möglicher Corona-Impfstoffe teilzunehmen. Expertinnen und Experten äußerten in Fach- und Publikumsmedien ihre Besorgnis, ein Mangel an schwarzen Probandinnen und Probanden gefährde die Impfstoffentwicklung. Zugleich lag bei afroamerikanischen Menschen die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Coronavirus zu infizieren und daran zu sterben, deutlich höher als bei Amerikanerinnen und Amerikanern europäischer Abstammung. Im Februar 2021 war in den USA einer von 1030 Menschen europäischer Abstammung am Coronavirus gestorben. Bei der afroamerikanischen Minderheit lag die Sterberate mit 1:735 weitaus höher. Gesundheitsfachleute sowie Journalistinnen und Journalisten argumentierten, aus diesem Grund hätten Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner den größten Vorteil davon, an klinischen Versuchen teilzunehmen, und sollten eigentlich stärker als andere an einer Teilnahme interessiert sein.

Wer so argumentiert, verkennt die Grundsätze medizinischer Forschung. Es gibt keine Garantie, dass Tests zum Erfolg führen. Forscherinnen und Forscher hoffen zwar, mit den Tests die Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe nachzuweisen, doch haben sie keine Gewissheit. Wüssten Sie schon im Vorfeld, dass eine bestimmte Impfung wirksam ist oder wirksamer als andere, dürften sie aus ethischer Sicht keine Versuche durchführen: Dies würde das ethische Konzept der equipoise verletzen, nach dem die Forscherin oder der Forscher sich tatsächlich unsicher sein muss, wie stark die relative Wirkung eines zu erprobenden Wirkstoffs ist. Daher hat die Teilnahme an klinischen Versuchen nicht nur Vorteile: Selbst bei wissenschaftlich vorbildlichen und ethisch einwandfreien Versuchen mit menschlichen Probanden besteht das Risiko, dass die Schutzwirkung ausbleibt und es stattdessen zu Nebenwirkungen kommt.

Die Geister von Tuskegee

Fach- und Publikumsmedien erklärten, Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner verweigerten die Teilnahme an klinischen Versuchen aus denselben Gründen, aus denen sie schon so oft den Kontakt zum Gesundheitswesen abgelehnt hätten: Sie litten an einer undifferenzierten Angst vor der Medizin überhaupt, die auf die Tuskegee-Syphilisstudie zurückgehe, in der Ärzte des US Public Health Service (PHS) von 1932 bis 1972 Hunderten afroamerikanischen Männern vorgaukelten, ihre Syphiliserkrankung zu behandeln. In Wirklichkeit wurde die Erkrankung aufrechterhalten, und die Männer erhielten keinerlei Behandlung gegen die lebensgefährliche Infektionskrankheit – mit dem Ziel, deren natürlichen Verlauf zu beobachten.

Diese Forschungen waren verwerflich und sind durch nichts zu rechtfertigen. 40 Jahre lang erhielten Ärzte der US-Regierung die Legende aufrecht, die kranken Männer würden behandelt. Stattdessen gaben sie ihnen bunt gefärbte Aspirintabletten oder führten Lumbalpunktionen und andere nicht-therapeutische Behandlungen durch. Die PHS-Ärzte verweigerten den Männern nicht nur die damals übliche Syphilisbehandlung sowie eine entsprechende Pflege, sondern wiesen auch andere Ärzte in der Region an, die Infektionen nicht zu behandeln. Die Behörde ging so weit, eine Befreiung der Männer von der Wehrpflicht zu erwirken, um zu verhindern, dass diese in einer Militärklinik behandelt würden. Als man erkannte, dass Penicillin Syphilispatienten heilt und vor den neurologischen Verwüstungen einer Parese (teilweisen Lähmung) bewahrt, ordnete Thomas Parran, der damalige Leiter der obersten US-Gesundheitsbehörde, an, die Männer dürften kein Penicillin erhalten, um das Experiment nicht zu gefährden. Nachdem die Nachrichtenagentur Associated Press über die Syphilisstudie berichtet hatte, kam es zu einem Aufschrei. Die PHS-Forscher konterten zur Verteidigung ihrer eindeutig unethischen Weigerung, eine tödliche Krankheit wirksam zu behandeln, die schwarzen Männer fürchteten die Medizin und misstrauten ihr sowie den Ärzten. Selbst wenn man ihnen Penicillin angeboten hätte, wären sie niemals bereit gewesen, es zu nehmen. Die Studie wurde häufig dafür kritisiert, dass die Männer keine Einwilligungserklärung unterschrieben hatten. Das eigentliche Problem war jedoch, dass sie nie erfahren hatten, dass sie an einer Studie teilnahmen. Die Gesundheitsbehörde tat alles, um das vor ihnen zu verheimlichen, weshalb die Männer den Ärzten Glauben schenkten, die vorgaben, sie heilen zu wollen.

Die Tuskegee-Studie wird immer wieder bemüht, um tatsächliche oder vermeintliche Versäumnisse der afroamerikanischen Bevölkerung im Umgang mit dem US-Gesundheitswesen zu erklären. Wie am Fließband sind naiv konzipierte und schlecht geplante Forschungsarbeiten entstanden, in denen Tuskegee als Ursache derselben angeblichen Angst der Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner vor der Medizin benannt wird, auf die sich schon die Väter der Tuskegee-Studie beriefen, um zu rechtfertigen, dass sie einem kranken Mann Penicillin vorenthielten. Am Anfang einer solchen "Beweisführung" steht immer die Annahme, Tuskegee habe der afroamerikanischen Community Angst vor der Medizin eingeflößt.

Kollektive Kurzsichtigkeit

Doch diese Annahme ist falsch. Jene, die sie vertreten, sind sich – wie die Mehrzahl der Fachleute – der vier Jahrhunderte medizinischen Missbrauchs nicht bewusst, auf die Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner im US-Gesundheitssystem zurückblicken – einschließlich jenen Menschenversuchen, die ein Markenzeichen des US-Gesundheitssystems waren. Vor und nach Tuskegee gab es noch viel grausamere Taten, die dem größten Teil der Fachwelt ebenso wenig bewusst sind. Diese Kapitel sind jedoch nicht Teil der offiziellen Medizingeschichte geworden, sodass selbst zahlreiche Fachhistorikerinnen und -historiker viele Einzelheiten der medizinischen Apartheid nicht kennen.

Dass es keinen Sinn ergibt, Tuskegee in der beschriebenen Weise als Argument anzuführen, hat Thomas LaVeist von der Johns-Hopkins-Universität in einer Reihe von Forschungsarbeiten gezeigt. Vielmehr handelt es sich um eine Art Tuskegee-Mythos. So wies LaVeist etwa nach, dass schwarze US-Bürgerinnen und -Bürger, die noch nie von Tuskegee gehört haben, sogar mit höherer Wahrscheinlichkeit Angst davor haben, mit medizinischer Forschung in Berührung zu kommen.

Einem "Teilnehmer" der Tuskegee-Studie wird von einem Arzt Blut abgenommen (1950er Jahre). (© picture-alliance, AP)

Der Mythos von Tuskegee wird zwar immer wieder als einziger Grund der afroamerikanischen "Arztphobie" beschworen, aber er ist inzwischen wissenschaftlich widerlegt. Doch was bringt uns diese Erkenntnis? Der verbreitete und hartnäckige Mythos, ein einziges missbräuchliches medizinisches Experiment in Tuskegee jage schwarzen Menschen Angst vor der Medizin insgesamt ein, erweist sich immer wieder als hochproblematisch. Wenn man das afroamerikanische Misstrauen gegenüber dem US-Gesundheitssystem auf eine einzige Missbrauchserfahrung zurückführt, impliziert dies die Aussage, die Angst und das Misstrauen seien eine Überreaktion auf einen einzigen Fall und nicht etwa eine logische Reaktion auf vier Jahrhunderte systematischen Missbrauchs in allen Bereichen des Gesundheitswesens und der medizinischen Forschung in Amerika. Die reflexartige Erklärung afroamerikanischer Versäumnisse im Umgang mit dem Gesundheitswesen mit dem Experiment von Tuskegee ist auch eine subtile Art der Täter-Opfer-Umkehr. Die strenge Beurteilung des afroamerikanischen Verhaltens ist also fehl am Platz. Ursachen sind viel eher in der mangelnden Vertrauenswürdigkeit des Gesundheitssystems zu suchen.

Studien zeigen, dass afroamerikanische Menschen mit geringerer Wahrscheinlichkeit einen Hausarzt oder eine Krankenversicherung haben oder im Falle von Schwangerschaften, Schmerzen oder Herzkrankheiten eine angemessene Behandlung erhalten – um nur einige Beispiele für die rassistische Ungleichheit im US-Gesundheitswesen zu nennen. Im Sinne der Gleichstellung sollten solche Faktoren, die schwarze Menschen um ihre Versorgung bringen, im Zusammenhang mit ihrem gesundheitsbezogenen Verhalten untersucht werden.

Erinnern wir uns: Dieselbe angebliche Angst vor der Medizin war in der Tuskegee-Studie der Vorwand, Afroamerikanern die damals übliche Standardbehandlung mit Penicillin vorzuenthalten. Man zog es vor, an die Fiktion zu glauben, die Männer hätten ohnehin keine Behandlung gewollt, statt in ihnen die ahnungslosen Opfer einer gewissenlosen Studie zu sehen, bei der ihnen eine sichere und wirksame Behandlung verwehrt wurde. Und so wird vielfach auch davon ausgegangen, dass Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner wegen Tuskegee so viel Angst vor der Medizin haben, dass sie sich weigern, an klinischen Versuchen mit Impfstoffen gegen Covid-19 teilzunehmen.

Immer den Daten nach

Da niemand die notwendigen Daten lieferte, um die einhellige Behauptung zu stützen, schwarze Menschen hätten sich der klinischen Forschung im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie entzogen, suchte ich selbst vergeblich nach demografischen Daten, die diese Annahme entweder untermauern oder infrage stellen würden. Erst nach Abschluss der klinischen Versuche wurden Daten aus den Forschungsberichten veröffentlicht, denen ich entnehmen konnte, dass tatsächlich viele Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner an den Versuchen teilgenommen haben. Sowohl an den Versuchen von Moderna als auch bei Pfizer und Biontech nahmen zu etwa 10 Prozent Afroamerikenerinnen und Afroamerikaner teil. Ihr Anteil an der US-Bevölkerung liegt bei 12,3 Prozent. Es war also kein nennenswertes Fernbleiben von klinischen Versuchen feststellbar, obwohl doch überall die falsche Erzählung verbreitet wurde, Afroamerikaner mieden klinische Versuche "wegen Tuskegee".

Seit die US-Arzneimittelbehörde FDA sichere, wirksame Corona-Impfstoffe freigegeben hat, gilt die allgemeine Aufmerksamkeit dem Vorhaben, so viele US-Amerikaner wie möglich zu impfen, um Individuen zu schützen und Herdenimmunität zu erreichen. Angesichts des schnellen Impfstarts für Risikogruppen ging ein kollektiver Seufzer der Erleichterung durchs Land. Doch erneut wurden die afroamerikanischen Menschen dämonisiert, dieses Mal als Impfskeptiker: Sie verweigerten sich der Spritze, weil sie – natürlich – immer noch "wegen Tuskegee" Angst hätten. Dramatische Anekdoten anstelle belastbarer Daten und Fakten bestimmten die Schlagzeilen. Ernste Verlautbarungen der Gesundheitsbehörden rückten schwarze Impfskeptiker ins Rampenlicht und stellten sie oft als wilde Verschwörungstheoretiker oder fehlgeleitete Rapper dar, die lauthals die Impfungen verfluchten. Täglich wurde ich mit Anfragen für Interviews in Rundfunk und sozialen Medien überhäuft, in denen ich die so verbreitete wie ungerechtfertigte afroamerikanische "Impfparanoia" erläutern sollte. In den Nachrichten wurde häufig gewarnt, schwarze Impfskeptiker gefährdeten die gesamte US-Bevölkerung, da sie den Weg zur Herdenimmunität behinderten.

Erneut wurden keine Daten geliefert, um die Behauptung einer "schwarzen Impfskepsis" zu untermauern, sodass alles auf der anekdotischen Ebene blieb. Als ich nach belastbaren Daten suchte, die diese neuen Behauptungen bestätigten, fand ich nur heraus, dass relativ gesehen weniger Menschen afroamerikanischer als europäischer Abstammung geimpft worden waren. Dies traf gewiss zu, doch es war nur ein Symptom der gut dokumentierten Unfähigkeit des Gesundheitssystems, ethnischen Minderheiten diskriminierungsfreien Zugang zu gewährleisten.

Unangemessenes Vorgehen

Dieses systemische Versagen verschärfte sich weiter durch die Verteilung des Impfstoffs, die zum Nachteil der afroamerikanischen Menschen organisiert war. Oberste Priorität hatten die Ältesten – alle Bürgerinnen und Bürger im Alter von mindestens 85 Jahren. Dies wirkt zunächst logisch und ethisch korrekt, ist doch das Risiko alter Menschen, sich mit dem Coronavirus anzustecken und daran zu sterben, weit überdurchschnittlich. Überdurchschnittlich sind – bezogen auf das Coronavirus – allerdings auch die Gefährdung und die Sterberate unter Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern. Letztere liegt bei ihnen doppelt so hoch wie bei der europäischstämmigen Bevölkerung – und das, obwohl Afroamerikaner ebenso wie Amerikanerinnen lateinamerikanischer Herkunft sowie Indigene relativ junge Bevölkerungsgruppen bilden: Weiße US-Bürgerinnen und Bürger sind im Mittel 44 Jahre alt, Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner dagegen nur 31 Jahre. In der weißen Bevölkerung ist der Anteil der über 90-Jährigen doppelt so hoch. Die höheren Sterberaten und die geringere Lebenserwartung bei Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern bedeuten, dass nur wenige von ihnen ein Alter erreichen, in dem sie von der Entscheidung profitieren, Menschen ab 85 zu bevorzugen.

Ferner wurden Menschen in Gesundheitsberufen wie etwa Medizinerinnen und Mediziner priorisiert geimpft, doch sind insbesondere männliche Afroamerikaner trotz bedeutender Fortschritte in diesen Berufsgruppen nach wie vor unterrepräsentiert. Das Jahr, in dem die meisten schwarzen männlichen Medizinstudierenden in den USA ihren Abschluss machten, war 1978. Auch die Priorisierung innerhalb der im Gesundheitswesen Tätigen wirkte sich negativ auf die Chancen der Afroamerikaner aus, eine Impfung zu erhalten. Denn hier wurde eine frühe Impfung zwar den an vorderster Front im Gesundheitswesen Tätigen angeboten, nicht aber den in der Hierarchie niedriger stehenden Pflegehilfskräften, Ernährungsberaterinnen, Reinigungskräften und so weiter, die denselben Risiken ausgesetzt waren. Afroamerikanerinnen und andere People of Color sind unter den "systemrelevanten" Arbeitskräften überrepräsentiert, die nicht das Privileg haben, von zu Hause arbeiten, Abstand halten und potenziell Infizierte meiden zu können – dennoch hatte ihre Impfung keine Priorität.

Darüber hinaus funktionierte der Zugang zur Impfung häufig über die Registrierung auf einer Website, auf der man nach verfügbaren Terminen suchen musste. Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner verfügen seltener über eine stabile Internetverbindung und haben seltener durch eine Tätigkeit im Homeoffice die Möglichkeit, zwischendurch entsprechende Websites aufzurufen. Manche Privatärztinnen machten Impfangebote, doch schwarze US-Amerikaner sind seltener bei Privatärzten als weiße.

All das soll nicht heißen, es gebe keine afroamerikanischen Impfskeptiker. Die Ablehnung von Impfungen ist in allen Gesellschaftsschichten der USA zu beobachten. Doch die große Mehrheit der Impfskeptiker ist unter den Anhängerinnen und Anhängern der Republikaner zu finden, also größtenteils europäischer Abstammung. Warum wird also das afroamerikanische Verhalten so genau durchleuchtet, wenn es doch tendenziell eher weiße Impfskeptiker sind, die die Gefahr durch das Coronavirus verlängern und die Herdenimmunität bedrohen?

Impfkonflikte

Tatsächlich äußerten einige Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner ihre Angst vor medizinischem Missbrauch und verwerflichen Praktiken mit Blick auf Impfprogramme in den USA und mit nicht-weißen Menschen im Ausland. Doch nur wenige Fachleute haben diese mit dem gebotenen Respekt aufgegriffen. Meist ist nur die Rede von Verschwörungstheorien oder, bestenfalls, von den "missbräuchlichen Praktiken der Vergangenheit"– wobei keine Beweise geliefert werden, dass es sich tatsächlich nur um die Vergangenheit handelt.

Fragwürdige Studien mit Probanden aus der schwarzen Bevölkerung der USA und in Entwicklungsländern hat es allerdings immer wieder gegeben. So planten Mediziner im Südafrika der Apartheid im Rahmen des "Project Coast", schwarze Menschen heimlich zu sterilisieren und die entsprechenden Spritzen als Impfungen darzustellen. Das US-Verteidigungsministerium nötigte überproportional viele schwarze Soldaten zu gefährlichen experimentellen Impfungen gegen Milzbrand. Ab 1989 erhielten in Los Angeles ausschließlich schwarze und hispanische Kinder Impfstoffe im Versuchsstadium – ohne das Einverständnis ihrer Eltern. 2011 organisierte der US-Auslandsgeheimdienst CIA in Pakistan eine Schein-Impfkampagne, die zu einem erneuten Auftreten von Polio in ärmeren Ländern führte. Es stellte sich heraus, dass die angeblichen Impfungen niemanden schützten und die CIA die Aktion nur dazu genutzt hatte, um verdeckt nach Osama bin Laden zu suchen.

Im April 2020 schließlich drangen zwei prominente französische Forscher darauf, ethisch fragwürdige klinische Placebo-Versuche mit möglichen Corona-Impfstoffen in Afrika durchzuführen, wo die Gesundheitsversorgung mangelhaft ist und die Menschen eher nach dem Strohhalm der medizinischen Forschung greifen. Solche Placebo-Studien zu ernsthaften oder tödlichen Krankheiten sind häufig unethisch, weil die Teilnehmenden keine Behandlung erhalten. So fragte der Arzt Jean Paul Mira: "Sollten wir diese Studie nicht in Afrika machen, wo es keine Masken gibt und keine Intensivstationen, so etwa, wie wir es bei bestimmten Aids-Studien gemacht haben, oder mit Prostituierten?" "Stimmt", antwortete sein Kollege Camille Locht, der Forschungsdirektor des französischen Instituts für Gesundheit und medizinische Forschung Inserm. "Wir denken an eine parallele Studie in Afrika mit genau diesem Ansatz."

Wer die Geschichte absolut unmoralischer Impfstoffforschungen kennt, kann auch verstehen, warum es eine Art der Täter-Opfer-Umkehr ist, Menschen in Afrika und Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner in diesem Zusammenhang als paranoid zu bezeichnen. Die meisten klinischen Versuche finden heute in Entwicklungsländern statt, weil Versuche dort schneller und kostengünstiger möglich sind als in reichen Staaten. Forschende argumentieren am häufigsten, Menschen im Globalen Süden hätten bei höherem Krankheitsrisiko weniger Behandlungsmöglichkeiten und profitierten somit am stärksten, wenn ein wirksames neues Medikament erfolgreich getestet und ausgeliefert werden könne. Mit diesem Argument und unter Verweis auf ihre höhere Erkrankungs- und Sterberate wurden auch afroamerikanische Menschen gedrängt, an klinischen Versuchen mit potenziellen Impfstoffen für Covid-19 teilzunehmen. Gesundheitsfachleute vertraten die Meinung, diese Gruppe werde den größten Vorteil von einer wirksamen Impfung haben und solle sich also auch überdurchschnittlich stark an den Versuchen beteiligen.

Allerdings widerlegen die genannten Probleme diese Behauptung in den USA und andernorts. Die rege Teilnahme afroamerikanischer Menschen an den Impfstoff-Tests hat nicht dazu geführt, dass diese nicht mehr überproportional von Krankheit und Tod bedroht wären. Dies hätte auch nicht erwartet werden können, denn die bloße Mitwirkung an der Forschung bringt nicht unbedingt einen gesundheitlichen Vorteil. Das Gegenteil ist der Fall, wird doch von Menschen in ärmeren Ländern und People of Color erwartet, dass sie die Risiken tragen, während die Vorteile anderen vorbehalten sind – insbesondere reichen Weißen in Industrieländern. Dies verletzt das ethische Konzept der Verteilungsgerechtigkeit.

Der Grund dafür ist, dass einmal getestete erfolgreiche Medikamente für ebenjene Menschen, an denen diese getestet wurden, unbezahlbar sind, oder sie werden in ihren Ländern gar nicht erst auf den Markt gebracht. So stellte der Ökonom Michael Kremer fest, dass nur 4 der 1233 Wirkstoffe, die zwischen 1975 und 1997 weltweit zugelassen wurden, für den Einsatz gegen Tropenkrankheiten gedacht sind.

Seit die Verteilung der Covid-19-Impfdosen in Amerika zentrales Thema ist, herrscht Schweigen im Hinblick auf die erhöhte Gefährdung afroamerikanischer Menschen, die durch soziale Unterschiede in der Gesundheitsversorgung lange Zeit schlechteren Zugang zum System hatten. Zu den Haupthindernissen gehört, dass schwarze US-Bürgerinnen und Bürger mit geringerer Wahrscheinlichkeit als weiße einen Hausarzt, eine Krankenversicherung oder eine Arbeit mit genügend zulässigen Fehltagen sowie einen leichten Zugang zu sogenannten safety net hospitals haben, also Sozialkrankenhäusern, die auch Patientinnen und Patienten mit eingeschränkter oder ohne Versicherung akzeptieren. Es kommt erschwerend hinzu, dass das medizinische Fachpersonal häufig unangemessen auf die Symptome dieser Patientengruppe reagiert, was viele Studien über Schmerzen und den implicit bias belegen. Zu erwähnen ist auch die Vernachlässigung, über die afroamerikanische Patientinnen und Patienten klagen, wie es etwa die schwarze Internistin Susan Moore aus Indianapolis tat, ehe sie im Dezember 2020 an Covid-19 starb.

Die Ex-Stadträtin von Tuskegee, Georgette Moon, lässt sich im Januar 2021 gegen Covid-19 impfen. (© picture-alliance, AP, Jay Reeves)

Das Impfprogramm der USA wurde inzwischen für alle Bürgerinnen und Bürger geöffnet, die aus medizinischer Sicht geimpft werden können. Das sind gute Nachrichten, doch Covid-19 wird kaum die letzte Pandemie sein, die durch eine neuartige Infektionskrankheit über uns kommt. Wir müssen uns für die Entkräftung rassistischer Mythen einsetzen, in denen die Opfer zu Tätern gemacht werden. Stattdessen benötigen wir gerechte Impfprogramme, die der Verletzlichkeit afroamerikanischer Menschen Rechnung tragen und die "Rassenschranken" im Gesundheitswesen nicht noch verstärken.

ist Medizinethikerin und Publizistin und lehrt Bioethik an der Columbia University, New York City. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte rassifizierter Ungleichheiten im US-amerikanischen Gesundheitssystem. 2021 erschien ihr jüngstes Buch "Carte Blanche. The Erosion of Medical Consent".
Twitter: Externer Link: @haw95