Wer bekommt ein Intensivbett und wird an ein Beatmungsgerät angeschlossen, wenn es nicht genügend Plätze gibt? Ist ein junges Leben mehr wert als ein altes? Wie kann der moralische Stress eines Pflegers gemindert werden, der eine schwerkranke Patientin isolieren muss, sodass sie sich nicht von ihren Angehörigen verabschieden kann? Wie lassen sich Impfstoffe entwickeln, ohne die Probanden als Mittel zum Zweck zu behandeln? Wie wird über Impfpriorisierungen entschieden? Sollen Individuen, um eine sogenannte Herdenimmunität zu erreichen, dazu verpflichtet werden, sich impfen zu lassen? Ist die zeitweise Aufhebung von Patenten auf Impfstoffe geboten, um Entwicklungsländer bei der Eindämmung der Krankheit zu unterstützen?
Die Corona-Pandemie spitzt nicht nur virologische und epidemiologische Fragen zu, sondern auch moralische. Ethik, als die Wissenschaft von der Moral, spielt eine entscheidende Rolle in deren Diskussion. Das zeigt etwa die enorme Aufmerksamkeit, die Gremien wie dem Deutschen Ethikrat in der Pandemie zuteilwird – ebenso wie deren gestiegener Einfluss auf die Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Im Kern geht es in der Pandemie darum, Freiheitsrechte und Bevölkerungsschutz abzuwägen, Eigenverantwortung und staatliche Maßnahmen auszutarieren sowie rationales Denken und individuelle Autonomie zu verbinden. Hinzu kommen Fragen der Verteilungsgerechtigkeit – sowohl innerhalb Deutschlands als auch im globalen Maßstab.
Zwar kann Ethik in der Pandemie keine eindeutigen Antworten geben. Aber sie kann helfen, Missstände in Forschung und Pflege zu identifizieren, Leitlinien zu formulieren – für den Fall einer Triage-Situation oder für die Impfstoffverteilung – und mit guten Gründen gerechtfertigte medizinische Behandlungsmethoden zu entwickeln. Ob bei künftigen Pandemien ähnliche Diskussionen geführt werden, bleibt abzuwarten. Denn nicht zuletzt können sich moralische Einstellungen und ethische Abwägungen im Laufe der Zeit wandeln.