Die meisten auf dem Land lebenden Menschen sind zufrieden mit ihrer Wohnsituation, ja, selbst mit der Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Dienstleistungen und Einrichtungen vor Ort.
Fragt man Leute, die auf dem Land leben, was sie täten, wenn sie sich keinen eigenen Pkw mehr leisten könnten, so würde nur ein kleiner Teil direkt einen Umzug erwägen.
Historisch betrachtet gab es in den ländlichen Räumen Deutschlands in der Vergangenheit tatsächlich weniger Pkw-Besitz und kürzere Alltagswege als in den Großstädten sowie ein deutlich engmaschigeres Schienenverkehrsnetz als heute.
Biografisch betrachtet lernen Menschen in ländlichen Räumen heute den ÖPNV vor allem durch den Schulbus kennen und werden bereits früh mit den Einschränkungen eines nicht umfassend vorhandenen ÖPNV-Systems konfrontiert.
Das Auto ist unter den aktuellen Bedingungen in Deutschland – mit einem dichten, kostenlos benutzbaren Straßennetz sowie durchweg günstigen Parkmöglichkeiten – eine universelle Komplettlösung für alle Anlässe und Wegelängen. Dagegen bieten andere Verkehrsangebote nur für bestimmte Wege einen Vorteil: das Fahrrad für Kurzstrecken, Zug und Bus auf eng getakteten Schnellstrecken. Diese „Spezialisten“ müssen sich also möglichst gut gegenseitig ergänzen und aufeinander abgestimmt werden – so wie ein Puzzle –, um eine echte Alternative zum Auto zu bieten. Die Übergänge zwischen den Puzzleteilen sind dabei mögliche Störungsquellen, bei denen die realen wie die erwarteten Wartezeiten sowie die objektive wie die subjektiv empfundene Sicherheit eine große Rolle spielen.
Der Umweltverbund, wie die Gruppe der umweltverträglichen Verkehrsmittel genannt wird, kann unter den aktuellen Bedingungen nicht attraktiver sein als der Pkw. Gleichwohl bedeutet das nicht, dass außer einer Antriebswende in Richtung Elektromobilität nichts weiter zu tun wäre. Zum einen hat der ÖPNV in ländlichen Räumen längst nicht (mehr) die Qualität, die er haben könnte. Zudem fehlen oft noch weitere, den ÖPNV ergänzende Puzzleteile sowie eine integrierte Planung. Und schließlich gilt es, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass die Nutzung des Umweltverbunds für die Bevölkerung naheliegend, bequem und kostengünstig wird, während die ökologischen und sozialen Kosten der Auto-Nutzung deutlicher spürbar werden müssen. Auf all diese Punkte werde ich im Folgenden nacheinander eingehen.
Schneller, flexibler, einheitlicher: ÖPNV stärken
Um mehr Menschen für die Nutzung des ÖPNV zu gewinnen, darf das öffentliche Verkehrsangebot nicht deutlich schlechter sein als das private Auto. Dafür gilt es, eine Lösung für die Mobilität vor Ort zu entwickeln, die den Linienverkehr auf Hauptachsen mindestens im Stundentakt sicherstellt und die Flächen zwischen den Achsen mit flexiblen Zubringern anbindet.
Die Stärke des ÖPNV ist die wirtschaftlich effiziente und umweltfreundliche Bündelung von räumlich und zeitlich paralleler Verkehrsnachfrage. Diese Stärke kommt jedoch in dünnbesiedelten Räumen nur auf den Hauptachsen und zum Teil bei der Schülerbeförderung zum Tragen. Ein attraktiver ÖPNV, der über die reine Schülerbeförderung hinausgeht, kann jedoch gerade in ländlichen Räumen nicht ohne öffentliche Zuschüsse finanziert werden. Im Zuge der Klimaschutzdebatte der vergangenen Jahre haben Bund und Länder ihre Finanzierungsvereinbarungen reformiert, was größere finanzielle Spielräume eröffnet. So haben Brandenburg, Niedersachsen und Baden-Württemberg etwa Programme für ein landesbedeutsames
Um ein ÖPNV-Mindestangebot aufrechtzuerhalten, sind ferner auch flexible ÖPNV-Angebotsformen wie Rufbusse und Anrufsammeltaxis unverzichtbar. Die Anfänge dafür reichen in Deutschland rund 40 Jahre zurück.
Bislang führen ungleiche kommunale Ausgangssituationen und Prioritätensetzungen zu großen Unterschieden im ÖPNV-Angebot.
Alternativen aufbauen
Alternative Angebotsformen wie Car-, Bike- oder Ridesharing unterliegen in der Regel nicht dem Personenbeförderungsgesetz, weil der Fahrgast entweder selbst fährt oder das Angebot unentgeltlich ist beziehungsweise das Entgelt die Betriebskosten nicht übersteigt. Im Gegensatz zum ÖPNV gibt es hier durchweg keine Beförderungsgarantie – die gewünschte Fahrt findet nur statt, wenn ein entsprechendes Verkehrsmittel verfügbar oder eine relevante Mitfahrgelegenheit vorhanden ist.
Carsharing mit flexiblen Rückgabeorten gibt es derzeit nur in einigen deutschen Großstädten. In ländlichen Räumen funktioniert es meist nur mit festen Stationen, in Form von kleinen Vereinen sowie kommunalen oder betrieblichen Fahrzeugflotten, die außerhalb des Dienstgebrauchs auch Privaten zur Ausleihe offenstehen.
Bikesharing mit flexiblen Rückgabeorten gibt es bislang nur in wenigen ländlichen Tourismusregionen (zum Beispiel auf Usedom); stärker verbreitet ist der traditionelle Fahrradverleih.
Ridesharing, also öffentliche Mitfahrvermittlung, scheitert oft daran, in kurzer Zeit eine kritische Masse an Fahrtanbietern und Mitfahrenden zum Mitmachen gewinnen zu müssen.
Soziale Fahrdienste werden von einer sozialen Institution wie dem Deutschen Roten Kreuz oder einzelnen Vereinen angeboten, meist für bestimmte Personengruppen mit Mobilitätseinschränkungen und für konkrete Fahrtzwecke wie den Besuch des Wochenmarkts („Marktbus“). Sie fahren in der Regel zum Nulltarif oder gegen einen kleinen Beitrag; oft bilden Spenden oder Sponsorenverträge einen Großteil der Einnahmen.
Durch integrierte Planung Verkehr vermeiden
Um die Distanzen in ländlichen Räumen zu verringern, sind dezentrale Versorgungsstrukturen und mobile Dienstleistungen ein wichtiger Baustein.
Der anhaltende Wachstumstrend im Online-Handel führt allerdings zu Verlagerungen von Wegen im Personenverkehr hin zu zusätzlichen Wegen im Güterverkehr – vor allem, solange mehrere Anbieter bei der Zustellung hart miteinander konkurrieren. Hier sind stärker als bislang neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den Anbietern gefragt. Die Forschungsergebnisse zur Umweltwirkung von Online-Shopping im Vergleich zum traditionellen Einkauf zeigen ein facettenreiches Bild: Im Schnitt verursacht ein Lieferdienst weniger CO2-Emissionen als eine Einkaufsfahrt mit dem Auto.
Es empfiehlt sich, nicht nur Personen- und Güterverkehr gemeinsam zu planen, sondern auch Verkehrsangebote und Versorgungsstandorte aufeinander abzustimmen.
Die Verkehrsforscher Christian Holz-Rau und Joachim Scheiner haben zudem plausibel dargelegt, dass eine integrierte Raum- und Verkehrsplanung zwar vor Ort zu mehr Aufenthaltsqualität und mehr Teilhabemöglichkeiten für Personen ohne Auto führen kann, die stark gestiegenen Wegelängen jedoch vor allem auf solche gesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen sind, die mehrheitlich positiv bewertet werden und sich nicht einfach zurückdrehen lassen – etwa allgemein steigende Einkommen, höhere Bildungsabschlüsse, die höhere Erwerbsquote von Frauen und anderes mehr.
ÖPNV finanzieren – zentrale und aktuelle Herausforderung
Die Unterfinanzierung des ÖPNV hat bereits zu einem deutlichen Rückgang des Angebotes geführt.
Nach Artikel 106a des Grundgesetzes steht den Ländern für den ÖPNV als Teil der Daseinsvorsorge ein Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes zu, der über die im Regionalisierungsgesetz definierten Regionalisierungsmittel an die Länder weitergegeben wird.
Das Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (GVFG) trat 1971 in Kraft. Durch das GVFG werden die Länder und Gemeinden am Mineralölsteueraufkommen des Bundes beteiligt. Das GVFG wurde 2019/20 deutlich aufgestockt und der Förderkatalog erweitert. So ist auch die Reaktivierung von Schienenstrecken förderfähig und wird in einigen Bundesländern bereits geprüft.
Der finanzielle Beitrag der kommunalen Aufgabenträger für den ÖPNV ist bereits seit 1993 rückläufig. Hatten die Kommunen 1993 etwa 4,5 Milliarden Euro für die ÖPNV-Finanzierung ausgegeben, so waren es 2012 nur noch 3,2 Milliarden Euro.
Der Anteil der Nutzerfinanzierung im ÖPNV ist zwischen 1993 und 2012 kontinuierlich gestiegen.
Doch auch „ÖPNV zum Nulltarif“ scheint nicht im größeren Umfang zu einer Verlagerung vom Pkw auf den ÖPNV zu führen: „Ein Nulltarif im ÖPNV führt zu einer erheblichen Steigerung der Fahrgastnachfrage, die im Wesentlichen durch verlagerte Wege zu Fuß und mit dem Fahrrad sowie durch induzierten Verkehr verursacht wird. (…) Die Auswirkungen von Preisänderungen im ÖPNV auf die Nachfrage im motorisierten Individualverkehr (MIV) sind gering; ÖPNV-ferne Gruppen werden auch bei erheblichen Preissenkungen allein nur in geringem Maße zur Verkehrsverlagerung angeregt.“
Neue Finanzierungswege wagen
Autofahrerinnen und Autofahrer tragen bislang nur in geringem Maße zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur bei.
Insbesondere Modelle der Nutznießerfinanzierung sind als weitere Säule neben der Haushalts- und der Nutzerfinanzierung zu prüfen.
Mit Bedacht bewegen
Um die Klimaschutzanforderungen auch in ländlichen Räumen zu bewältigen und dabei soziale Härtefälle und Spaltungen zu vermeiden, ist es wichtig, das Puzzle des Umweltverbunds auszubauen. Ein Mindest-Puzzle an Pkw-Alternativen muss bereits existieren, ehe eine deutliche Verteuerung der Pkw-Nutzung stattfindet. Es gilt zu verhindern, dass Klimaschutz und soziale Teilhabe gegeneinander ausgespielt werden und am Ende beide Bereiche ausgebremst werden. Die Bausteine für eine zukunftsfähige Mobilität sind dabei an sich unabhängig vom Raumtyp, doch die genaue Ausgestaltung und Umsetzung unterscheidet sich zwischen urbanen und ländlichen Räumen (Abbildung).
Ein substanzieller Angebotsausbau dürfte allerdings nur durch eine Aufstockung und Reform der ÖPNV-Finanzierung machbar sein – ein verkehrspolitisch durchaus schwieriges Pflaster, wie bereits das Deutschlandticket zeigt. Ein Ausbau von landesbedeutsamen Schnellbusnetzen ist zwar planungsseitig rascher zu realisieren als der Deutschlandtakt im Schienenfernverkehr und die Reaktivierung von Schienenstrecken im Nahverkehr, stößt jedoch auf einen zunehmenden Mangel an Fahrpersonal. Das betrifft auch die Schienenersatzverkehre, die parallel für die Schienensanierung benötigt werden. Hier könnten autonom fahrende Kleinbusse und Carsharing-Fahrzeuge irgendwann vielleicht Alternativen ermöglichen. Durch den Einsatz autonomer Fahrzeuge entfiele auch ein Großteil der Kosten für Fahrpersonal, sodass attraktivere Angebote bei gleichem Finanzeinsatz möglich wären.
In den Fällen, in denen es auch in Zukunft nicht ohne (eigenes) Auto geht, sollte das Auto möglichst ressourcensparend betrieben werden. Um auch die Fahrkompetenz älterer Menschen, die eine besonders große Personengruppe in ländlichen Räumen ausmachen, länger zu erhalten, sind zum Beispiel Fahrtrainings, Mobilitätsberatungen, Gesundheitschecks und Fahrassistenzsysteme eine sinnvolle Ergänzung.
Insgesamt wird der Druck der Klimaschutzverpflichtungen weiter steigen. Eine Internalisierung der externen Verkehrskosten rückt damit verstärkt auf die politische Agenda. Neue Antriebs-, Speicher- und Sensortechnologien bieten neue Möglichkeiten. Sie erfordern jedoch auch gesetzgeberische Anpassungen: Ohne sorgfältig gestaltete Rahmenbedingungen kann sowohl die Digitalisierung als auch die Fahrzeug-Automatisierung zu einer Zunahme des klimaschädlichen motorisierten Individualverkehrs auf Kosten der öffentlichen Verkehre führen sowie zu mehr Zersiedlung, Flächenverbrauch und Verkehrsleistung – nicht nur, aber auch in ländlichen Räumen.
Allerdings wird gerade in ländlichen Räumen das Puzzle aus Pkw-Alternativen nur in wenigen Fällen genauso oder gar schneller und flexibler als das Auto sein können. Das Paradigma „schneller-flexibler-arbeitsteiliger“ ist schließlich die eigentliche Ursache hinter der starken räumlichen Expansion und des Verkehrswachstums der zurückliegenden Jahrzehnte.