Die meisten auf dem Land lebenden Menschen sind zufrieden mit ihrer Wohnsituation, ja, selbst mit der Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Dienstleistungen und Einrichtungen vor Ort. Zur Auflösung der Fußnote[1] Solange ein Pkw zur Verfügung steht, sind auch in ländlichen Räumen wichtige Einrichtungen wie Supermärkte, Schulen und medizinische Versorgungseinrichtungen innerhalb von 15 bis 20 Minuten zu erreichen. Zur Auflösung der Fußnote[2] Personen ohne Auto haben in ländlichen Regionen hingegen einen deutlich kleineren Aktionsradius und legen nur halb so viele Kilometer pro Tag zurück wie Personen mit Auto. Zur Auflösung der Fußnote[3] Kein Wunder, dass für Landbewohnerinnen und Landbewohner das Auto wichtiger ist als der öffentliche Verkehr und bis zu 70 Prozent aller Alltagswege (in Großstädten nur 38 Prozent) mit dem Auto zurückgelegt werden: Zur Auflösung der Fußnote[4] In Großstädten befinden sich mehr Ziele in fuß- und fahrradgeeigneter Entfernung, und es gibt ein dichtes Netz an öffentlichen Verkehrsangeboten.
Fragt man Leute, die auf dem Land leben, was sie täten, wenn sie sich keinen eigenen Pkw mehr leisten könnten, so würde nur ein kleiner Teil direkt einen Umzug erwägen. Zur Auflösung der Fußnote[5] Was hingegen immer wieder als Alternative zum eigenen Auto genannt wird, ist: das Auto – und zwar das Auto der Verwandten oder Nachbarn. Warum ist das so? Dafür ist sowohl ein historischer als auch ein biografischer Blick auf die Mobilität in ländlichen Räumen aufschlussreich.
Historisch betrachtet gab es in den ländlichen Räumen Deutschlands in der Vergangenheit tatsächlich weniger Pkw-Besitz und kürzere Alltagswege als in den Großstädten sowie ein deutlich engmaschigeres Schienenverkehrsnetz als heute. Zur Auflösung der Fußnote[6] Dass heute vielerorts schlechte ÖPNV- und Radwegenetz in ländlichen Räumen ist Folge technischer und sozioökonomischer Entwicklungen sowie verkehrspolitischer Entscheidungen: „Verkehr näht zusammen, was in zunehmend spezialisierten und fragmentierten gesellschaftlichen Teilsystemen raumzeitlich auseinanderfällt.“ Zur Auflösung der Fußnote[7] Deutschland hatte in den vergangenen Jahrzehnten den Fokus auf eine flächendeckende Pkw-Nutzung gelegt – während etwa die Niederlande besonders stark den Radverkehr förderten und die Schweiz das Schienen- und Busnetz.
Biografisch betrachtet lernen Menschen in ländlichen Räumen heute den ÖPNV vor allem durch den Schulbus kennen und werden bereits früh mit den Einschränkungen eines nicht umfassend vorhandenen ÖPNV-Systems konfrontiert. Zur Auflösung der Fußnote[8] Da die meisten Schulen zeitgleich beginnen, müssen die Kinder und Jugendlichen in einem engen Zeitfenster befördert werden; zu allen anderen Tageszeiten besteht deutlich weniger Transportbedarf. Der Aufgabenträger muss nun diese maximalen Nachfragespitzen abdecken und zugleich dafür sorgen, dass den restlichen Tag über nicht mehr Fahrzeuge als nötig herumstehen. Das führt zu maximal gefüllten Bussen mit wenig Fahrkomfort. Zudem muss der Schulbus gerade in ländlichen Räumen oft lange Strecken zurücklegen, mit unvermeidbaren Umwegen. Kinder und Jugendliche merken frühzeitig, wie groß der Fahrzeitunterschied zwischen Schulbus und Auto ist, und empfinden es oft als Befreiung, wenn sie alt genug sind, um selbstbestimmt mit Mofa oder Auto fahren zu können.
Das Auto ist unter den aktuellen Bedingungen in Deutschland – mit einem dichten, kostenlos benutzbaren Straßennetz sowie durchweg günstigen Parkmöglichkeiten – eine universelle Komplettlösung für alle Anlässe und Wegelängen. Dagegen bieten andere Verkehrsangebote nur für bestimmte Wege einen Vorteil: das Fahrrad für Kurzstrecken, Zug und Bus auf eng getakteten Schnellstrecken. Diese „Spezialisten“ müssen sich also möglichst gut gegenseitig ergänzen und aufeinander abgestimmt werden – so wie ein Puzzle –, um eine echte Alternative zum Auto zu bieten. Die Übergänge zwischen den Puzzleteilen sind dabei mögliche Störungsquellen, bei denen die realen wie die erwarteten Wartezeiten sowie die objektive wie die subjektiv empfundene Sicherheit eine große Rolle spielen.
Der Umweltverbund, wie die Gruppe der umweltverträglichen Verkehrsmittel genannt wird, kann unter den aktuellen Bedingungen nicht attraktiver sein als der Pkw. Gleichwohl bedeutet das nicht, dass außer einer Antriebswende in Richtung Elektromobilität nichts weiter zu tun wäre. Zum einen hat der ÖPNV in ländlichen Räumen längst nicht (mehr) die Qualität, die er haben könnte. Zudem fehlen oft noch weitere, den ÖPNV ergänzende Puzzleteile sowie eine integrierte Planung. Und schließlich gilt es, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass die Nutzung des Umweltverbunds für die Bevölkerung naheliegend, bequem und kostengünstig wird, während die ökologischen und sozialen Kosten der Auto-Nutzung deutlicher spürbar werden müssen. Auf all diese Punkte werde ich im Folgenden nacheinander eingehen.
Schneller, flexibler, einheitlicher: ÖPNV stärken
Um mehr Menschen für die Nutzung des ÖPNV zu gewinnen, darf das öffentliche Verkehrsangebot nicht deutlich schlechter sein als das private Auto. Dafür gilt es, eine Lösung für die Mobilität vor Ort zu entwickeln, die den Linienverkehr auf Hauptachsen mindestens im Stundentakt sicherstellt und die Flächen zwischen den Achsen mit flexiblen Zubringern anbindet. Zur Auflösung der Fußnote[9] Bahnhöfe und zentrale Haltestellen sollten als „Mobilstationen“ ausreichend Park-and-Ride- und Bike-and-Ride-Angebote mit Lademöglichkeiten bereithalten.
Die Stärke des ÖPNV ist die wirtschaftlich effiziente und umweltfreundliche Bündelung von räumlich und zeitlich paralleler Verkehrsnachfrage. Diese Stärke kommt jedoch in dünnbesiedelten Räumen nur auf den Hauptachsen und zum Teil bei der Schülerbeförderung zum Tragen. Ein attraktiver ÖPNV, der über die reine Schülerbeförderung hinausgeht, kann jedoch gerade in ländlichen Räumen nicht ohne öffentliche Zuschüsse finanziert werden. Im Zuge der Klimaschutzdebatte der vergangenen Jahre haben Bund und Länder ihre Finanzierungsvereinbarungen reformiert, was größere finanzielle Spielräume eröffnet. So haben Brandenburg, Niedersachsen und Baden-Württemberg etwa Programme für ein landesbedeutsames Zur Auflösung der Fußnote[10] Busliniennetz aufgelegt. Zur Auflösung der Fußnote[11] Der Vorteil: Durch Schnellbuslinien lassen sich zügigere Direktverbindungen herstellen und Zuständigkeitsgrenzen der einzelnen Landkreise überschreiten; sie passen damit deutlich besser zu den realen Verkehrsverflechtungen.
Um ein ÖPNV-Mindestangebot aufrechtzuerhalten, sind ferner auch flexible ÖPNV-Angebotsformen wie Rufbusse und Anrufsammeltaxis unverzichtbar. Die Anfänge dafür reichen in Deutschland rund 40 Jahre zurück. Zur Auflösung der Fußnote[12] Dabei werden in der Regel Kleinbusse oder Pkw eingesetzt, die nur nach Voranmeldung fahren. Dies ermöglicht ein zeitlich engmaschigeres Fahrtangebot und zusätzliche Bedarfshaltestellen oder gar Haustürbedienung. Europaweit gibt es dafür verschiedene erfolgreiche Beispiele. Zur Auflösung der Fußnote[13] Flexible Verkehre haben im Vergleich zum Linienbus geringere Kosten pro Kilometer, aber sehr hohe Kosten pro Fahrgast. Zur Auflösung der Fußnote[14] Hier gilt es, den Zuschussbedarf im Blick zu behalten und den regional passenden und wirtschaftlich vertretbaren Mix aus Linienverkehr und flexiblen Bedienformen zu finden. Zur Auflösung der Fußnote[15] Um Konflikte mit dem Taxi- und Mietwagengewerbe zu verhindern, sollten diese frühzeitig einbezogen werden. Allerdings wird es in ländlichen Räumen schwieriger, Taxiunternehmen für derlei Modelle zu gewinnen, sodass etliche Verkehrsunternehmen ihre flexiblen Angebote selbst erbringen oder Sozialdienste einbinden, die Kleinbusflotten vorhalten. Zur Auflösung der Fußnote[16]
Bislang führen ungleiche kommunale Ausgangssituationen und Prioritätensetzungen zu großen Unterschieden im ÖPNV-Angebot. Zur Auflösung der Fußnote[17] Um dem Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse näherzukommen, wären räumlich differenzierte Vorgaben für eine ÖPNV-Mindestbedienung sinnvoll. Zur Auflösung der Fußnote[18] Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen empfiehlt zum Beispiel bei Bushaltestellen in ländlichen Räumen Einzugsbereiche zwischen 300 Metern und 700 Metern. Zur Auflösung der Fußnote[19] Für viele ist jedoch bereits ein Abstand von 300 oder 400 Metern zu groß, um als „Hausanschluss“ empfunden zu werden. Zur Auflösung der Fußnote[20] Gerade für ältere, mobilitätseingeschränkte Personen ist schon der Weg zur Haltestelle oftmals eine Hürde. Erste Vorschläge für Mindestbedienstandards gibt es bereits, doch eine gesetzliche Regelung steht noch aus.
Alternativen aufbauen
Alternative Angebotsformen wie Car-, Bike- oder Ridesharing unterliegen in der Regel nicht dem Personenbeförderungsgesetz, weil der Fahrgast entweder selbst fährt oder das Angebot unentgeltlich ist beziehungsweise das Entgelt die Betriebskosten nicht übersteigt. Im Gegensatz zum ÖPNV gibt es hier durchweg keine Beförderungsgarantie – die gewünschte Fahrt findet nur statt, wenn ein entsprechendes Verkehrsmittel verfügbar oder eine relevante Mitfahrgelegenheit vorhanden ist. Zur Auflösung der Fußnote[21]
Carsharing mit flexiblen Rückgabeorten gibt es derzeit nur in einigen deutschen Großstädten. In ländlichen Räumen funktioniert es meist nur mit festen Stationen, in Form von kleinen Vereinen sowie kommunalen oder betrieblichen Fahrzeugflotten, die außerhalb des Dienstgebrauchs auch Privaten zur Ausleihe offenstehen. Zur Auflösung der Fußnote[22]
Bikesharing mit flexiblen Rückgabeorten gibt es bislang nur in wenigen ländlichen Tourismusregionen (zum Beispiel auf Usedom); stärker verbreitet ist der traditionelle Fahrradverleih. Zur Auflösung der Fußnote[23] Bewährt haben sich kostenlose Pedelec-Testzeiträume für ÖPNV-Abonnenten Zur Auflösung der Fußnote[24] und der Verleih von Lastenfahrrädern und Fahrradanhängern als Kaufentscheidungshilfe oder für unregelmäßige größere Transporte. Zur Auflösung der Fußnote[25]
Ridesharing, also öffentliche Mitfahrvermittlung, scheitert oft daran, in kurzer Zeit eine kritische Masse an Fahrtanbietern und Mitfahrenden zum Mitmachen gewinnen zu müssen. Zur Auflösung der Fußnote[26] Schon rein rechnerisch ist die notwendige räumlich-zeitliche Deckung von Mitnahmeangeboten und Mitfahrwünschen ein Problem. Zur Auflösung der Fußnote[27] Hinzu kommen weitere Hürden: die geringe Bereitschaft, das eigene Auto für eine Mitnahme von Dritten zu öffnen, überhaupt mit unbekannten Menschen in einem Pkw zu sitzen; die Anforderungen des Personenbeförderungsgesetzes an eine in den ÖPNV integrierte Personenbeförderung, wodurch private Mitnahmefahrten nicht ohne Weiteres einbezogen werden können; zudem die Frage, ob bereits das Betreiben einer digitalen Vermittlungsplattform einer Genehmigung bedarf. Zur Auflösung der Fußnote[28]
Soziale Fahrdienste werden von einer sozialen Institution wie dem Deutschen Roten Kreuz oder einzelnen Vereinen angeboten, meist für bestimmte Personengruppen mit Mobilitätseinschränkungen und für konkrete Fahrtzwecke wie den Besuch des Wochenmarkts („Marktbus“). Sie fahren in der Regel zum Nulltarif oder gegen einen kleinen Beitrag; oft bilden Spenden oder Sponsorenverträge einen Großteil der Einnahmen. Zur Auflösung der Fußnote[29] Wichtig ist, dass sie nicht parallel zum regulären ÖPNV fahren, sondern gezielt Lücken schließen.
Durch integrierte Planung Verkehr vermeiden
Um die Distanzen in ländlichen Räumen zu verringern, sind dezentrale Versorgungsstrukturen und mobile Dienstleistungen ein wichtiger Baustein. Zur Auflösung der Fußnote[30] Deutschland hat dafür mit dem langjährigen Planungsleitbild der „dezentralen Konzentration“ grundsätzlich gute Voraussetzungen.
Der anhaltende Wachstumstrend im Online-Handel führt allerdings zu Verlagerungen von Wegen im Personenverkehr hin zu zusätzlichen Wegen im Güterverkehr – vor allem, solange mehrere Anbieter bei der Zustellung hart miteinander konkurrieren. Hier sind stärker als bislang neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den Anbietern gefragt. Die Forschungsergebnisse zur Umweltwirkung von Online-Shopping im Vergleich zum traditionellen Einkauf zeigen ein facettenreiches Bild: Im Schnitt verursacht ein Lieferdienst weniger CO2-Emissionen als eine Einkaufsfahrt mit dem Auto. Zur Auflösung der Fußnote[31] Allerdings variiert der CO2-Ausstoß pro Fahrt deutlich, je nachdem, ob Einzelwege oder Wegeketten zurückgelegt werden, ob ein Auto oder der Bus genutzt wird und ob der Einkauf bereits beim ersten Mal erfolgreich war. Lieferverkehr ist am ökologischsten, wenn die Produkte aus dem Nahbereich stammen, größere Mengen auf einmal geliefert werden, die Lieferung gleich beim ersten Anfahren übergeben werden kann und später keine Retoure anfällt. Zur Auflösung der Fußnote[32] Um Fehlzustellungen zu reduzieren und die Wegelänge für Rückgaben zu verringern, können stationäre oder mobile – von den Zustellern möglichst gemeinsam genutzte – „Mikro-Depots“ ein Ansatz sein, was zudem den Einsatz von Lastenfahrrädern oder fußläufigen Transporthilfen für die Zustellung unterstützt. Zur Auflösung der Fußnote[33]
Es empfiehlt sich, nicht nur Personen- und Güterverkehr gemeinsam zu planen, sondern auch Verkehrsangebote und Versorgungsstandorte aufeinander abzustimmen. Zur Auflösung der Fußnote[34] So sollten keine Bau- und Gewerbegebiete mehr geplant werden, die nur mit dem Auto zu erreichen sind. Zur Auflösung der Fußnote[35] Weitere Bausteine einer integrierten Raum- und Verkehrsplanung sind dann zum Beispiel Direktvermarktung und Dorfläden, Mehrfunktionshäuser, Telemedizin sowie die Förderung von Telearbeit, Homeoffice und Coworking-Räumen. Allerdings ist gerade für Telemedizin und Telearbeit ein leistungsfähiges Mobilfunk- und Breitbandnetz erforderlich. Ferner zeigen Analysen aus der Schweiz einen Zusammenhang zwischen Telearbeit und einer geringeren Anzahl beruflicher Wege, aber auch einen Zusammenhang zwischen Telearbeit und einer längeren Gesamtwegelänge pro Woche. Zur Auflösung der Fußnote[36] Es gilt daher, mögliche Rebound-Effekte im Auge zu behalten. Zur Auflösung der Fußnote[37]
Die Verkehrsforscher Christian Holz-Rau und Joachim Scheiner haben zudem plausibel dargelegt, dass eine integrierte Raum- und Verkehrsplanung zwar vor Ort zu mehr Aufenthaltsqualität und mehr Teilhabemöglichkeiten für Personen ohne Auto führen kann, die stark gestiegenen Wegelängen jedoch vor allem auf solche gesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen sind, die mehrheitlich positiv bewertet werden und sich nicht einfach zurückdrehen lassen – etwa allgemein steigende Einkommen, höhere Bildungsabschlüsse, die höhere Erwerbsquote von Frauen und anderes mehr. Zur Auflösung der Fußnote[38]
ÖPNV finanzieren – zentrale und aktuelle Herausforderung
Die Unterfinanzierung des ÖPNV hat bereits zu einem deutlichen Rückgang des Angebotes geführt. Zur Auflösung der Fußnote[39] Auch der laufende Erhalt und Betrieb der Verkehrsinfrastruktur ist seit Längerem unterfinanziert. Zur Auflösung der Fußnote[40] Die Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen hat sich allerdings grundsätzlich bewährt, auch wenn die verschiedenen Finanzierungswege der öffentlichen Hand ein komplexes Gesamtbild ergeben. Zur Auflösung der Fußnote[41]
Nach Artikel 106a des Grundgesetzes steht den Ländern für den ÖPNV als Teil der Daseinsvorsorge ein Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes zu, der über die im Regionalisierungsgesetz definierten Regionalisierungsmittel an die Länder weitergegeben wird. Zur Auflösung der Fußnote[42]
Das Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (GVFG) trat 1971 in Kraft. Durch das GVFG werden die Länder und Gemeinden am Mineralölsteueraufkommen des Bundes beteiligt. Das GVFG wurde 2019/20 deutlich aufgestockt und der Förderkatalog erweitert. So ist auch die Reaktivierung von Schienenstrecken förderfähig und wird in einigen Bundesländern bereits geprüft. Zur Auflösung der Fußnote[43]
Der finanzielle Beitrag der kommunalen Aufgabenträger für den ÖPNV ist bereits seit 1993 rückläufig. Hatten die Kommunen 1993 etwa 4,5 Milliarden Euro für die ÖPNV-Finanzierung ausgegeben, so waren es 2012 nur noch 3,2 Milliarden Euro. Zur Auflösung der Fußnote[44] Die Gründe sind vielfältig: Neben fehlenden eigenen Einnahmequellen und der Abhängigkeit von Landeszuweisungen spielt vor allem der geringere Defizitausgleich durch die sinkenden Gewinne der Energiesparte kommunaler Unternehmen eine bedeutende Rolle. Der ÖPNV steht als freiwillige Leistung in der Priorität hinter den kommunalen Pflichtaufgaben und in Konkurrenz zu weiteren freiwilligen Leistungen. Daher wird diskutiert, den ÖPNV als Pflichtaufgabe der kommunalen Selbstverwaltung zu verankern, um die Ziele der Daseinsvorsorge und die Umwelt- und Klimaschutzziele zu erreichen. Dafür ist dann erforderlich, den Kommunen auch die entsprechenden Finanzmittel für die Pflichtaufgabe ÖPNV zur Verfügung zu stellen beziehungsweise ihnen den rechtlichen Rahmen für eigene Finanzierungsinstrumente zu bieten.
Der Anteil der Nutzerfinanzierung im ÖPNV ist zwischen 1993 und 2012 kontinuierlich gestiegen. Zur Auflösung der Fußnote[45] Dies hängt im Wesentlichen mit mäßigen Fahrgastzuwächsen vor allem im Schienenpersonennahverkehr und überproportional gestiegenen Fahrpreisen zusammen: Der Anstieg der Fahrpreise war zwischen 2000 und 2018 mehr als doppelt so hoch wie der Preisanstieg für Kauf und Unterhaltung von Kraftfahrzeugen. Zur Auflösung der Fußnote[46] Da sich jedoch die ÖPNV-Angebotsdichte in vielen Gemeinden nicht wesentlich verbessert hat, dürfte die Zahlungsbereitschaft für die ÖPNV-Nutzung bei vielen Kundengruppen weitgehend ausgeschöpft sein.
Doch auch „ÖPNV zum Nulltarif“ scheint nicht im größeren Umfang zu einer Verlagerung vom Pkw auf den ÖPNV zu führen: „Ein Nulltarif im ÖPNV führt zu einer erheblichen Steigerung der Fahrgastnachfrage, die im Wesentlichen durch verlagerte Wege zu Fuß und mit dem Fahrrad sowie durch induzierten Verkehr verursacht wird. (…) Die Auswirkungen von Preisänderungen im ÖPNV auf die Nachfrage im motorisierten Individualverkehr (MIV) sind gering; ÖPNV-ferne Gruppen werden auch bei erheblichen Preissenkungen allein nur in geringem Maße zur Verkehrsverlagerung angeregt.“ Zur Auflösung der Fußnote[47] Wesentlich wirksamer als ein pauschaler Nulltarif sind Preissenkungen für Seltennutzer und Gelegenheitskunden, da diese im Vergleich zu den ÖPNV-affinen Häufignutzern ein deutlich höheres Verlagerungspotenzial von Pkw-Fahrten aufweisen und darüber hinaus bei Preisänderungen stärker reagieren. Zur Auflösung der Fußnote[48] Positive Beispiele sind Bahncard-Modelle im Nahverkehr sowie nutzungsabhängige Anreizmodelle, die auf E-Ticketing-Systemen basieren. Zur Auflösung der Fußnote[49]
Neue Finanzierungswege wagen
Autofahrerinnen und Autofahrer tragen bislang nur in geringem Maße zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur bei. Zur Auflösung der Fußnote[50] Die Diskussion über die ÖPNV-Finanzierung sollte daher nicht isoliert, sondern gemeinsam mit der Finanzierung des Verkehrs insgesamt geführt werden. Schließlich erzeugt der motorisierte Individualverkehr externe Kosten in Höhe von etwa 110 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland, die von der Allgemeinheit getragen werden. Zur Auflösung der Fußnote[51] Eine Anrechnung der externen Verkehrskosten würde nicht nur zu zusätzlichen Einnahmen führen, die unter anderem für die ÖPNV-Finanzierung genutzt werden könnten, sondern auch die Verkehrsziel- und Verkehrsmittelwahl positiv im Sinne geringerer umwelt- und klimaschädlicher Emissionen beeinflussen. Hierfür wären etwa eine Pkw-Maut im gesamten deutschen Straßennetz, die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung und die Einführung einer Verkehrserzeugungsabgabe auf kommunaler Ebene geeignete Schritte. Zur Auflösung der Fußnote[52]
Insbesondere Modelle der Nutznießerfinanzierung sind als weitere Säule neben der Haushalts- und der Nutzerfinanzierung zu prüfen. Zur Auflösung der Fußnote[53] Nutznießer sind Personen und Institutionen, die durch das Vorhalten des ÖPNV einen indirekten Vorteil haben, zum Beispiel Arbeitgeber und Immobilienbesitzer. Während im Ausland unterschiedliche Instrumente der Nutznießerfinanzierung etabliert sind – etwa die Nahverkehrsabgabe in Frankreich oder die Dienstgeberabgabe in Wien –, fehlt in Deutschland ein entsprechender Rechtsrahmen. Zur Auflösung der Fußnote[54] Eine Ausnahme bildet das Parkraummanagement. Allerdings muss jede Reglementierung des Parkens im öffentlichen Straßenraum bislang verkehrsrechtlich begründet werden; allein aus Gründen des Klimaschutzes oder der Einnahmenerzielung ist dies derzeit nicht möglich. Zur Auflösung der Fußnote[55]
Mit Bedacht bewegen
Um die Klimaschutzanforderungen auch in ländlichen Räumen zu bewältigen und dabei soziale Härtefälle und Spaltungen zu vermeiden, ist es wichtig, das Puzzle des Umweltverbunds auszubauen. Ein Mindest-Puzzle an Pkw-Alternativen muss bereits existieren, ehe eine deutliche Verteuerung der Pkw-Nutzung stattfindet. Es gilt zu verhindern, dass Klimaschutz und soziale Teilhabe gegeneinander ausgespielt werden und am Ende beide Bereiche ausgebremst werden. Die Bausteine für eine zukunftsfähige Mobilität sind dabei an sich unabhängig vom Raumtyp, doch die genaue Ausgestaltung und Umsetzung unterscheidet sich zwischen urbanen und ländlichen Räumen (Abbildung).
Ein substanzieller Angebotsausbau dürfte allerdings nur durch eine Aufstockung und Reform der ÖPNV-Finanzierung machbar sein – ein verkehrspolitisch durchaus schwieriges Pflaster, wie bereits das Deutschlandticket zeigt. Ein Ausbau von landesbedeutsamen Schnellbusnetzen ist zwar planungsseitig rascher zu realisieren als der Deutschlandtakt im Schienenfernverkehr und die Reaktivierung von Schienenstrecken im Nahverkehr, stößt jedoch auf einen zunehmenden Mangel an Fahrpersonal. Das betrifft auch die Schienenersatzverkehre, die parallel für die Schienensanierung benötigt werden. Hier könnten autonom fahrende Kleinbusse und Carsharing-Fahrzeuge irgendwann vielleicht Alternativen ermöglichen. Durch den Einsatz autonomer Fahrzeuge entfiele auch ein Großteil der Kosten für Fahrpersonal, sodass attraktivere Angebote bei gleichem Finanzeinsatz möglich wären. Zur Auflösung der Fußnote[56] Dabei ist jedoch eine große Spannweite an Auswirkungen denkbar, von einer deutlichen Verbesserung bis hin zu massiven Verschlechterungen der verkehrlichen, städtebaulichen und sozialen Verhältnisse sowie der Umweltsituation – dafür braucht es Regulierungsinstrumente, um Risiken zu minimieren und Chancen zu nutzen. Zur Auflösung der Fußnote[57]
In den Fällen, in denen es auch in Zukunft nicht ohne (eigenes) Auto geht, sollte das Auto möglichst ressourcensparend betrieben werden. Um auch die Fahrkompetenz älterer Menschen, die eine besonders große Personengruppe in ländlichen Räumen ausmachen, länger zu erhalten, sind zum Beispiel Fahrtrainings, Mobilitätsberatungen, Gesundheitschecks und Fahrassistenzsysteme eine sinnvolle Ergänzung. Zur Auflösung der Fußnote[58] Beispiele für die Kopplung von Elektromobilität mit erneuerbaren Energien in ländlichen Räumen gibt es bereits, Zur Auflösung der Fußnote[59] zudem eine Vielzahl an Handlungsleitfäden für elektromobiles Carsharing. Zur Auflösung der Fußnote[60] In ländlichen Räumen dürfte der Aufbau zusätzlicher Ladeinfrastrukturen deutlich einfacher werden als in den Städten, wo der begrenzte öffentliche Raum für sehr unterschiedliche Zwecke genutzt und auch eingefordert wird. Um kurzfristig eine Antriebswende im Verkehr zu erreichen, sind insbesondere Flottenbetreiber gefragt – zum Beispiel die öffentliche Hand, Unternehmen, Carsharing- und Taxibetriebe –, da dort hohe Jahresfahrleistungen erreicht werden und andere Fahrzeuge oder Verkehrsmittel zum Ausgleich etwaiger Reichweitenbeschränkungen zur Verfügung stehen. Zur Auflösung der Fußnote[61]
Insgesamt wird der Druck der Klimaschutzverpflichtungen weiter steigen. Eine Internalisierung der externen Verkehrskosten rückt damit verstärkt auf die politische Agenda. Neue Antriebs-, Speicher- und Sensortechnologien bieten neue Möglichkeiten. Sie erfordern jedoch auch gesetzgeberische Anpassungen: Ohne sorgfältig gestaltete Rahmenbedingungen kann sowohl die Digitalisierung als auch die Fahrzeug-Automatisierung zu einer Zunahme des klimaschädlichen motorisierten Individualverkehrs auf Kosten der öffentlichen Verkehre führen sowie zu mehr Zersiedlung, Flächenverbrauch und Verkehrsleistung – nicht nur, aber auch in ländlichen Räumen.
Allerdings wird gerade in ländlichen Räumen das Puzzle aus Pkw-Alternativen nur in wenigen Fällen genauso oder gar schneller und flexibler als das Auto sein können. Das Paradigma „schneller-flexibler-arbeitsteiliger“ ist schließlich die eigentliche Ursache hinter der starken räumlichen Expansion und des Verkehrswachstums der zurückliegenden Jahrzehnte. Zur Auflösung der Fußnote[62] Eine tragfähige Verkehrswende in ländlichen Räumen benötigt daher auch eine Abkehr von diesem Wachstumscredo und ein neues Leitbild: eine bewusste Handlungsauswahl statt hektischem Multitasking, eine gemeinschaftlichere Nutzung von Fahrzeugen und Gebäuden, eine nahräumlichere Versorgung – die unvermeidlich mit geringerer Produkt- und Dienstleistungsvielfalt einhergeht – und insgesamt ein bescheidenerer Lebensstil.