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Von Vorreitern und Nachzüglern | Lokale Verkehrswende | bpb.de

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Von Vorreitern und Nachzüglern Was bedeutet gute kommunale Verkehrspolitik?

Patricia Feiertag Christian Holz-Rau Joachim Scheiner Isabelle Wachter Karsten Zimmermann

/ 17 Minuten zu lesen

Ein Städtevergleich zeigt, dass die Verlagerung vom Auto auf den ÖPNV, Rad- und Fußverkehr durch kluge politische Steuerung möglich ist. Der Blick sollte jedoch nicht nur auf den innerstädtischen Verkehr gerichtet werden, sondern auch auf den regionalen Pendlerverkehr.

Den Städten wird bei der viel diskutierten Verkehrswende häufig eine tragende Rolle zugesprochen. Tatsächlich haben sich viele Kommunen in den vergangenen Jahren auf den Weg gemacht, ihre Verkehrsplanung nicht mehr primär auf den Ausbau der Straßennetze für einen schnellen, flüssigen Autoverkehr auszurichten, sondern alle Verkehrsträger sowie Stadtentwicklung und Verkehr integriert zu betrachten. Der Grund: Die hohe Motorisierung und Pkw-Nutzung sorgen für Belastungen durch Lärm, Abgase, klimaschädliche Emissionen, Probleme der Verkehrssicherheit und hohen Flächenbedarf.

Nachhaltigere Mobilität bedeutet demgegenüber Verkehrsvermeidung durch kürzere und weniger Wege, Verkehrsverlagerung auf umweltverträglichere Verkehrsträger, leisere, sicherere und sparsamere Abwicklung des Verkehrs sowie klimaneutrale Antriebe und Fahrzeugproduktion. Auf kommunaler Ebene sind die Maßnahmen besonders darauf ausgerichtet, den Verkehr auf Fuß-, Rad- und öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu verlagern, nicht zuletzt um die Lebensqualität vor Ort zu steigern.

Im Folgenden diskutieren wir die Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Verkehrspolitik. Was können Kommunen erreichen? Wo enden kommunale Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit lokaler Programme? Wodurch zeichnen sich jene Kommunen aus, die verkehrspolitische Erfolge verzeichnen? Welche Unterstützung durch andere Ebenen wie Bund, Länder oder Europäische Union benötigen die Kommunen? Wir stützen uns hierfür auf eine Analyse der Verkehrspolitik in zehn deutschen Kommunen. Dabei können Vorreiter- und Nachzüglerstädte unterschieden werden. Vorreiter haben oft früh mit Reformen begonnen und betreiben eine konsequente Politik über einen langen Zeitraum hinweg. Nachzügler haben Weichenstellungen im Sinne einer nachhaltigen Verkehrspolitik vorgenommen, treffen aber bei der Umsetzung auf Widerstände. In der Realität erweist sich eine solch griffige Kategorisierung selbstverständlich als Vereinfachung – Städte können von Vorreitern zu Nachzüglern werden und umgekehrt. Sie können auch in einzelnen Sektoren Vorreiter sein (zum Beispiel beim Radverkehr), in anderen Sektoren aber Nachzügler (zum Beispiel beim ÖPNV).

Zielsetzungen kommunaler Verkehrspolitik

Wenn wir von guter Verkehrspolitik sprechen, stellt sich zunächst die Frage, welche verkehrspolitischen Ziele sich die Kommunen selbst setzen und wie diese zustande kommen. Viele Städte haben Mobilitätskonzepte oder Verkehrsentwicklungspläne beziehungsweise Sustainable Urban Mobility Plans im Sinne der Europäischen Kommission verabschiedet, in denen ihre Ziele formuliert und mit Maßnahmen hinterlegt sind. Üblicherweise wird dafür ein externes Planungsbüro beauftragt, das den Plan erarbeitet, den Erstellungsprozess moderiert und für Entwurf und Redaktion zuständig ist. Die Zielsetzungen sind somit vom aktuellen fachlichen Diskurs in der Verkehrsplanung beeinflusst, werden aber an die Gegebenheiten der jeweiligen Stadt angepasst. Die Kommunalpolitik beauftragt die Mobilitätskonzepte, ist in den Bearbeitungsprozess eingebunden, beschließt die Konzepte und geht eine entsprechende Selbstverpflichtung ein. Eine verbindliche Umsetzung ist damit jedoch nicht unbedingt verbunden.

In diesem Prozess können einzelne Projekte wie die Ausweitung des Parkraummanagements kommunalpolitisch sehr kontrovers sein. Mitunter wird die Ausrichtung der Verkehrspolitik auch zur parteipolitischen Profilierung genutzt. Gerade dann sind interfraktionelle Arbeitskreise und Verkehrsausschüsse der Stadträte Mittel, um sich über die Ausrichtung der Verkehrspolitik zu verständigen. Darüber hinaus ist es inzwischen Standard, die Stadtgesellschaft in einen partizipativen Prozess einzubeziehen und Ziele gemeinsam zu formulieren. Eingebunden werden unter anderem ortsansässige Verbände, Vereine und Lobbygruppen wie der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club, die Organisatoren von Radentscheiden, Handelskammern und Einzelhändler, die sich in vielen Städten durch kritische Positionen und konstruktive Beiträge sowie mit Sachverstand einbringen.

Die Rahmenbedingungen für die Zielsetzungen der kommunalen Verkehrspolitik ergeben sich darüber hinaus – mehr oder weniger direkt – aus den Zielsetzungen anderer Ebenen. Im Bundes-Klimaschutzgesetz ist die Treibhausgasneutralität bis 2045 verankert. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, auch im Verkehrssektor Emissionen einzusparen. Das Umweltbundesamt prognostiziert jedoch eine deutliche Überschreitung des CO2-Budgets des Verkehrssektors bis 2030. Um dies auszugleichen, müsste in den Folgejahren umso stärker eingespart werden. Die Städte setzen sich teils noch ambitioniertere Ziele zur Klimaneutralität. So will etwa Mannheim bis 2030 klimaneutral werden, Wuppertal bis 2035.

Neben dem Klimaschutz gibt es bei der Luftreinhaltung und dem Schutz der Bevölkerung vor Lärmemissionen europäische Vorgaben mit entsprechenden Grenzwerten. Auf kommunaler Ebene besteht die Verpflichtung, Luftreinhaltungs- und Lärmaktionspläne aufzustellen und kontinuierlich fortzuschreiben. Darin sind viele Maßnahmen enthalten, die auch einer nachhaltigen Verkehrspolitik dienen. So hat etwa die EU-Luftqualitätsrichtlinie Impulse gesetzt, weil bei Überschreitung der Grenzwerte Fahrverbote für Autos drohen.

Auch aufgrund dieser einheitlichen Vorgaben und Rahmenbedingungen gehen die Strategien, Handlungsfelder und Zielsetzungen in vielen neueren kommunalen Mobilitätskonzepten in eine ähnliche Richtung. Die Verkehrsverlagerung auf den Umweltverbund, also den Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr, ist zentral, auch weil hier die lokalen Handlungsmöglichkeiten größer sind als beispielsweise bei Antriebstechnologien. Der Schwerpunkt liegt auf dem Personenverkehr. Der Güter- und Wirtschaftsverkehr wird dagegen kaum behandelt. Mobilität für alle zu erhalten und zu ermöglichen, ist aus Gründen der Teilhabe ein soziales Ziel. Daher geht es in den kommunalen Zielsetzungen kaum darum, die Wege im Personenverkehr zu reduzieren, sondern es wird angestrebt, den Verkehr auf den Umweltverbund zu verlagern und verträglicher für Mensch und Umwelt zu gestalten. Gesundheit und Lebensqualität vor Ort sind für die Bevölkerung direkt erlebbar und können auch individuell motivieren, das eigene Verkehrsverhalten umzustellen. Denn ohne ein verändertes Verkehrsverhalten sind die Ziele nicht zu erreichen.

Erfolg messen und nachsteuern

Alle im Projekt WiVer untersuchten Pläne formulieren explizit oder implizit das strategische Ziel, den motorisierten Individualverkehr (MIV) zu reduzieren. Zur Quantifizierung der Ziele wird häufig der sogenannte Modal Split verwendet, also der Anteil der Verkehrsmittel an den Wegen der Wohnbevölkerung. Dabei bleiben sowohl die (zunehmenden) einpendelnden Verkehre als auch die (ebenfalls zunehmenden) zurückgelegten Wegelängen unberücksichtigt, was zu verzerrten Resultaten führt.

Insgesamt ist auffällig, dass den Zielen der kommunalen Mobilitätskonzepte häufig quantitative Indikatoren für die Erfolgsmessung fehlen. Konkrete Ziele gibt es teils zur Sicherheit im Radverkehr, die sich auf die Unfälle mit Personenschäden und die Anzahl der Unfallstellen beziehen. Mancherorts werden zusätzlich operative Ziele beschlossen, etwa zur Länge neuer Radrouten oder Fahrradstraßen. Klare Ziele mit kontinuierlich messbaren oder ohnehin verfügbaren Indikatoren sowie zeitlich eng getaktete Zwischenziele sind aber die Voraussetzung einer Nachsteuerung, die bei strategischen und langfristigen Plänen eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Bisher begleiten die Städte ihre verkehrspolitischen Ziele und Konzepte jedoch nur vereinzelt oder unvollständig über Umsetzungsberichte. Eine Wirkungsevaluation im engeren Sinne beschränkt sich eher auf Modellprojekte und geförderte Maßnahmen, bei denen dies vom Mittelgeber eingefordert wird. Eine systematische Evaluation, also die Kontrolle der Erfolge und Misserfolge der strategischen Mobilitätskonzepte, findet sich kaum.

Ein regelmäßiges Nachsteuern wäre durch gestufte Zielformulierungen und programmiertes Entscheiden zu erreichen. Gemeint ist zum einen die Festlegung und regelmäßige Überprüfung von Zwischenetappen bei den Zielwerten, zum anderen eine regelmäßige Wiedervorlage von Entscheidungen, etwa zu Parkgebühren. Dazu ein Beispiel: Die Ticketpreise im ÖPNV werden jährlich kommunalpolitisch beraten. Meist erfolgt eine Erhöhung aufgrund von Lohnsteigerungen oder der Verteuerung der Energie. Anders jedoch bei den Parkgebühren, die in vielen Städten über Jahre, teils sogar Jahrzehnte stabil bleiben. So geht die Schere zwischen den Kosten für eine Einzelfahrt mit Bus oder S-Bahn und einem Parkticket immer weiter auseinander und wirkt als wachsender zusätzlicher Anreiz für die Benutzung des Autos. Vermieden werden könnte dies durch eine programmierte Steigerung der Parkgebühren, die höher als die Preissteigerung im ÖPNV ausfallen sollte.

Zudem wäre eine schrittweise Budgetierung von Stellplätzen außerhalb von Parkhäusern und Parkplätzen sinnvoll: Mit reduzierter Anzahl der Stellplätze im öffentlichen Raum verringert sich auch die (Attraktivität für die) Nutzung des Autos. Wenn diese schrittweisen Anpassungen programmiert sind, schafft dies Erwartungsstabilität und Planungssicherheit, auch für diejenigen, die sich Gedanken über den nächsten Autokauf machen.

Pull: Angebotsverbesserung als Mittel der Wahl

Ab den 1950er Jahren ging der Straßenausbau für den Pkw- und Lkw-Verkehr mit einem Abbau des ÖPNV-Angebots – vor allem von Straßenbahnen – und Verschlechterungen für Fuß- und Radverkehr einher: Für beide wurde es zunehmend enger und unsicherer. Ab den 1960er Jahren wurden in den Verdichtungsräumen ergänzend zum Straßenausbau jedoch auch zusätzliche Angebote im öffentlichen Nahverkehr geschaffen, etwa durch S- und U-Bahnen oder Park-and-Ride-Anlagen. Die S- und U-Bahn-Systeme konnten allerdings die Dichte der früheren Straßenbahnnetze nicht erreichen. Der Fokus auf den Umweltverbund aus Fuß-, Rad- und öffentlichem Verkehr sowie auf intermodale Mobilitätsangebote hat seither stetig zugenommen – bei weiter steigender Motorisierung und Nutzung von Pkw und Lkw. Die Bandbreite der Maßnahmen zur Angebotsverbesserung ist in den heutigen Mobilitätskonzepten groß und umfasst in der Regel alle drei Bereiche des Umweltverbunds, wenn auch je nach Stadt und örtlichen Gegebenheiten mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung.

Bei der aktuellen Verkehrsnachfrage und -entwicklung gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Städten, die durch das Verkehrsangebot beeinflusst werden. Das bessere Angebot zeigt sich durch engere Takte und günstigere regionale Tarife im ÖPNV, den Ausbau von S-Bahn- und Schnellbahnsystemen, weniger Lücken im Radverkehrsnetz und höheren Standards bei aktuellen Vorhaben. Tatsächlich besitzt die Bevölkerung in Vorreiterstädten weniger Autos und nutzt den MIV sowohl als Fahrerin als auch als Mitfahrer seltener als die Bevölkerung anderer Städte mit ähnlicher Größe und Topografie. Dabei zeigen sich Unterschiede, die auf politische Prioritäten zurückzuführen sind: So sind Darmstadt und Bonn Städte, in denen im Vergleich zu anderen Städten mehr Wege zu Fuß und mit dem ÖPNV zurückgelegt werden, dafür aber weniger Fahrrad gefahren wird. Umgekehrt werden in der sehr fahrradaffinen Stadt Münster weniger Wege zu Fuß und mit dem ÖPNV zurückgelegt. In Freiburg im Breisgau ist die Wegehäufigkeit zu Fuß und mit dem ÖPNV besonders hoch. In allen diesen Vorreiterstädten beobachten wir eine größere Offenheit für die Erprobung neuer Möglichkeiten, eine engere Verzahnung zwischen Vorhaben der Stadtentwicklung und der Verkehrsplanung und ein höheres Tempo der Veränderungen.

Der Umbau von Straßenräumen und der Ausbau des ÖPNV sind kostenintensiv und können von den Kommunen nicht allein finanziert werden. Es gibt bereits ein breites Spektrum an Förderprogrammen von Ländern, Bund und EU. Allerdings bringt die aktuelle Förderpraxis sachliche und administrative Hindernisse mit sich. Dazu gehören kurze Antragsfristen, Programmüberschneidungen, Personalmangel in den Städten und kaum strategische Ausrichtung. Fehlende Fachkräfte sind ein wesentlicher Engpass bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen. Dabei sind gerade in kleineren Städten die Kapazitäten knapp, um ein Scouting nach passenden Fördermitteln zu betreiben, Anträge zu schreiben und die geforderten Zeitrahmen einzuhalten.

Eine bessere Programmierung der Fördermittel im Sinne von Verlässlichkeit, Kontinuität, Integration und Berücksichtigung der lokalen Kontexte wäre wichtig, zum Beispiel im Rahmen eines Bund-Länder-Programms zur verkehrlichen Sanierung von Quartieren, Städten und Regionen, das ähnlich der Städtebauförderung funktionieren könnte. Ziel wäre die Beseitigung von verkehrlichen Funktionsdefiziten. Die Vorteile der Prinzipien der Städtebauförderung liegen auf der Hand – etwa die anteilige Finanzierung durch die drei Ebenen Kommune, Land und Bund (gegebenenfalls ergänzt um EU-Mittel), die Notwendigkeit von integrierten Konzepten, die Einbindung der Stakeholder, die Evaluationspflicht sowie die Kontinuität.

Eine besondere Konjunktur hat derzeit der Ausbau der Radinfrastruktur. Der Anstoß dafür kommt zum Teil aus der radfahrenden Bevölkerung, die sich mit Engagement und Fachkompetenz dafür einsetzt und durch lokale Radentscheide Druck aufbaut. Hierbei geht es vor allem um den Ausbau der Radwege, aber auch um ausreichende und sichere Stellplätze. Der Ausbau der Radwegeinfrastruktur ist ein langjähriger Prozess. Viele Städte, die heute ein hohes Radverkehrsaufkommen aufweisen, zeichnen sich durch eine jahrzehntelange Förderung des Radverkehrs aus. Wichtig ist dabei ein möglichst lückenloses Wegenetz mit ausreichender Breite und guten Sichtbeziehungen, das, anders als etwa in den Niederlanden, in den meisten deutschen Großstädten fehlt. Für den Neubau von Radwegen und den Umbau von Straßenräumen stehen Förderprogramme zur Verfügung, aus denen die Städte Mittel bekommen können. Aber auch die bestehenden Wege müssen in ihrer Qualität erhalten werden, etwa durch aufgefrischte Markierungen und Straßenbeläge. Für diese Aufgaben gilt es, trotz Eigenfinanzierung durch die Kommunen und geringerer Öffentlichkeitswirksamkeit ausreichend Gelder im Haushalt bereitzustellen.

Fahrradstraßen etablieren sich zunehmend in deutschen Städten. Erste Versuche gab es bereits ab 1978 in Bremen, 1997 wurden sie in die Straßenverkehrsordnung (StVO) aufgenommen, und seit 2020 können auch zusammenhängende Fahrradzonen, vergleichbar mit Tempo-30-Zonen für Autos, ausgewiesen werden. Das Prinzip ist, dass der Radverkehr statt auf abgetrennten Radstreifen oder Radwegen auf der Fahrbahn geführt wird und dort Vorrang hat. Reine Fahrradstraßen mit Fahrverbot für den motorisierten Verkehr gibt es in Deutschland kaum, und auch die Beschränkung des Autoverkehrs auf Anwohnerinnen und Anwohner findet selten statt, obwohl dies nach StVO eigentlich die Regel sein sollte. Radverkehr und motorisierter Verkehr teilen sich somit die Fahrradstraßen. Immer mehr Städte weisen Fahrradstraßen aus, teils auf lokale Initiative von Bezirksvertretungen in den Stadtteilen. Bislang entstehen aber oft nur einzelne Straßen mit geringer Gesamtlänge.

Die Stadt Bonn hat 2012 auf Initiative von Bürgerinnen und Bürgern ein Fahrradstraßenkonzept beschlossen, das ein größeres zusammenhängendes Netz mit einer Gesamtlänge von gut 50 Kilometern vorsieht und seither schrittweise umgesetzt wird. Der Ausbau verläuft jedoch schleppend, sodass sich 2020 ein Radentscheid gründete, um dem Thema mehr Dringlichkeit zu verleihen. Fahrradstraßen ersetzen allerdings keine verkehrssicheren und komfortablen Radverkehrsanlagen im Straßennetz insgesamt, insbesondere an Hauptverkehrsstraßen.

Push: Ohne Einschränkung geht es nicht

Durch zusätzliche Angebote für den Umweltverbund allein lassen sich die von den Städten gesetzten und die bundespolitisch verankerten Ziele für den Verkehr nicht erreichen. Zu einer kohärenten Verkehrspolitik gehört das Verknüpfen der Angebotsverbesserungen mit Push-Maßnahmen. Gemeint sind Einschränkungen für den MIV, die ihn dort, wo es Alternativen gibt, im Vergleich unattraktiver machen, sodass weniger Wege mit dem Auto zurückgelegt werden. Bei Push-Maßnahmen kann es sich um Tempolimits, schmalere oder weniger Fahrspuren, Durchfahrtsbeschränkungen, Reduzierung von Parkmöglichkeiten oder um zusätzliche Kosten handeln. Aufgrund der Flächenkonkurrenzen im Siedlungsbestand sind Verbesserungen für den Fuß- und Radverkehr oftmals nicht ohne Reduzierung der Flächen für den motorisierten Verkehr zu erreichen.

Außerdem gilt: Abgestimmte Konzepte, die Pull- und Push-Maßnahmen verknüpfen, sind notwendig, um die durch bessere Angebote erzielten Verlagerungseffekte nicht wieder zunichte zu machen. Andernfalls können Angebotsverbesserungen auch unerwünschte Folgen haben. So verlagert zum Beispiel die Förderung des Radverkehrs vor allem relativ kurze MIV-Fahrten in den innenstadtnahen Bereichen mit geringer Pkw-Geschwindigkeit und/oder mit Parkraumknappheit auf das Fahrrad und schafft damit umgekehrt „neue“ MIV-Kapazitäten im Straßennetz. Diese „neuen“ Kapazitäten werden sich aber ohne ein Gegensteuern erneut mit Autos füllen – und das gerade über längere Strecken, für die der verbesserte Fuß- und Radverkehr eben keine Alternative ist.

Bereits in den 1980er Jahren begannen erste Kommunen, Angebotsverbesserungen für den Umweltverbund mit Einschränkungen des MIV zu verbinden. Diese Maßnahmen waren jedoch kommunalpolitisch hoch umstritten und sind es bis heute. Bund und Länder sowie manche Städte verfolgen weiterhin eine Politik des parallelen Ausbaus. Die Auswertung von Ratsentscheidungen in Kommunen zeigt, dass nach wie vor Pull-Maßnahmen für den Radverkehr und den ÖPNV überwiegen. Der Anteil der Push-Maßnahmen ist sowohl an den Vorgängen insgesamt als auch an den angenommenen Anträgen sehr niedrig. Viele Anträge zu Push-Maßnahmen werden vertagt oder abgelehnt. „Zu jedem Pull ein Push“ ist also längst noch nicht im Mainstream der kommunalen Verkehrspolitik angekommen. Diskutiert werden vor allem Geschwindigkeitsbegrenzungen, etwa Tempo 30 als einheitliches Limit für den MIV in Städten, sowie restriktivere Parkregelungen.

Im Vergleich zu Angebotsverbesserungen verursachen Push-Maßnahmen kaum Kosten und können teils sogar Einnahmen generieren, wenn über Gebühren gesteuert wird. Die Herausforderung besteht darin, die kommunalpolitische Mehrheit und Akzeptanz in der Stadtgesellschaft zu organisieren. Interventionen, die das gewohnte Verhalten einschränken, benötigen eine gute Begründung für die Politik und die Öffentlichkeit. Frühzeitige Kommunikation ist von zentraler Bedeutung. In Münster wurde beispielsweise der Umbau von Fahrradstraßen im Kommunalwahlkampf 2020 gestoppt. Im darauffolgenden Jahr konnte eine Akzeptanz für sie jedoch mit mehr Zeit für Beteiligung und Bürgerinformation geschaffen werden.

Auch temporäre Maßnahmen und Testphasen helfen, umstrittene Eingriffe ergebnisoffen zu erproben, die Sorge vor negativen Wirkungen – Verkehrschaos, Nachteile für den Einzelhandel – zu mindern, positive Effekte spürbar zu machen und bei Bedarf nachzusteuern. In Mailand werden etwa mit dem Programm „Piazze Aperte“ durch temporäre Interventionen mit Farbe und Mobiliar Flächen, die sonst vom MIV genutzt werden, zu öffentlichen Räumen mit Aufenthaltsqualität umgestaltet und getestet, wie diese von den Nachbarschaften angenommen werden.

Erfolg ist lokal begrenzt

Die Bevölkerung von Vorreiterstädten wie Freiburg im Breisgau oder Münster nutzt seltener den MIV als die Bevölkerung von Städten mit ähnlichen Rahmenbedingungen. Besonders groß sind diese Unterschiede bei den kurzen Wegen, die überwiegend innerhalb der Städte zurückgelegt werden. Werden die besonders langen und besonders klimaschädlichen (über-)regionalen Wege mit dem MIV in der Betrachtung berücksichtigt, verwischen dagegen die Unterschiede zwischen Vorreitern und Nachzüglern. Dies verdeutlicht die Grenzen lokaler Verkehrspolitik.

Darüber hinaus weisen die meisten als Vorreiter bekannten Städte wie Freiburg, Münster oder Karlsruhe einen Überschuss an Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie Versorgungsangeboten auf. Entsprechend sind die Wege der Stadtbevölkerung häufig kurz, und auf kurzen Wegen ist die Attraktivität des Autos geringer sowie die Wettbewerbsfähigkeit des Umweltverbundes höher. Im Umland dominiert dagegen das Auto. Dies gilt sowohl für den einpendelnden Verkehr aus dem Umland als auch für die auspendelnde Bevölkerung der Städte. So wurden in der Fahrradstadt Kopenhagen von 1978 bis 2019 im Innenstadtbereich immer weniger Autos und immer mehr Fahrräder gezählt, während am Stadtrand die Zahl der Autos stetig zunahm. Die Verkehrsverlagerung im Stadtzentrum trifft also auf eine Zunahme des MIV am Stadtrand. Sie begünstigt diese unter Umständen sogar: Mehr Menschen entscheiden sich, mit dem Auto in die Städte zu fahren, wenn dort durch Verlagerung von Verkehren auf das Rad oder den ÖPNV die Straßen weniger überfüllt sind und es einfacher ist, einen Stellplatz zu finden. Einige Städte verhindern dies durch autofreie Zonen (Paris), City-Maut (London), deutlich höhere Parkgebühren in der Innenstadt (Amsterdam) oder durch eine auf die gesamte Stadt ausgedehnte Parkraumbewirtschaftung (Zürich). In den meisten Städten wird jedoch über weit weniger einschneidende, eher punktuelle Maßnahmen verhandelt.

Regionale Verkehrspolitik

Viele Wege führen über Gemeindegrenzen – sei es zum Einkaufen, zum Arbeiten oder in der Freizeit. Mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen in Deutschland verlassen zum Arbeiten ihre Wohnortgemeinde. Mit dem Auto fällt das kaum auf – es gibt ein zusammenhängendes Straßennetz. Mit dem Bus oder dem Rad sind diese Grenzen dagegen oft deutlich spürbarer. Die Gestaltung des ÖPNV, was etwa Taktung, Zahl und Längen der Linien angeht, oder der Radwege weist aufgrund kommunaler Zuständigkeiten an den Gemeindegrenzen Brüche auf. Für eine Verkehrswende ist es aber notwendig, dass auch für (über-)regionale Wege der Radverkehr und insbesondere der ÖPNV attraktive(re) Alternativen zum MIV bieten. Dazu bedarf es einer regionalen Verkehrspolitik.

Diese war lange Zeit nur schemenhaft erkennbar. Es tut sich aber etwas auf der regionalen Ebene: bei den Tarifen durch verbundübergreifende, kilometergenau abgerechnete Tickets und natürlich durch das Deutschlandticket. Regionale Radschnellwege und andere Radverkehrsrouten werden zunehmend für Alltagswege und nicht nur für Tourismus und Naherholung entwickelt, seitdem Pedelecs und E-Bikes das Radfahren auf längeren Wegen attraktiver machen.

Die Ausdehnung der Aktionsräume von der lokalen auf die regionale Ebene zeigt sich auch in Ansätzen der interkommunalen Kooperation über den Schienenpersonennahverkehr hinaus. Im Ruhrgebiet arbeitet beispielsweise der Regionalverband Ruhr daran, gemeinsam mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr die kommunalen Nahverkehrspläne zu synchronisieren. Ein weiteres Beispiel ist das Integrierte Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt Rhein-Main. Stärker instrumentell orientiert ist das Integrierte Regionale Mobilitätskonzept für den sogenannten Kooperationsraum zwischen Rhein und Wupper.

In den meisten Fällen beziehen sich regionale Abstimmungsprozesse jedoch auf Einzelprojekte in Zusammenhang mit gemeinsam akquirierten Fördermitteln, oft für einzelne Verkehrsverbindungen. Eine kommunal übergreifende, regionale Verkehrsplanung ist eher die Ausnahme als die Regel. Die Länder können hierfür durch Gesetze Standards setzen und ihre Förderung an entsprechende Kriterien binden. Ein Vorbild hierfür könnte die Agglomerationspolitik der Schweiz sein, bei der stadtregionale Kooperation eine Voraussetzung für die Förderung von Projekten nachhaltiger Verkehrspolitik durch Mittel des Bundes ist – etwa für Velorouten. Erwähnenswert sind auch Städtenetzwerke wie das Zukunftsnetz Mobilität Nordrhein-Westfalen, das Städte zusammenbringt und interkommunale Entwicklungs- und Lernprozesse initiiert. Auf bundesweiter Ebene leistet dies das Deutsche Institut für Urbanistik.

Fazit: Zwischen Ermunterung und Überforderung

Auf der lokalen Ebene ruhen viele Hoffnungen, was die Umsetzung einer Verkehrswende hin zu umweltfreundlichen Verkehrsträgern angeht. Der Städtevergleich im Projekt WiVer zeigt, dass eine Verlagerung von Wegen auf den Umweltverbund durch eine gute, mutige und innovative Verkehrspolitik möglich ist. Städte können in Hinblick auf Lärm, Luftqualität, Gesundheit und Gestaltung des öffentlichen Raums viel erreichen und so die Lebens- und Aufenthaltsqualität verbessern, gerade in Bereichen mit hoher Dichte und hohen Nutzungskonflikten. Damit die Erfolge durch Verkehrsverlagerungen bestehen bleiben, sind zum einen Einschränkungen der Kapazitäten für den MIV innerhalb der Städte notwendig, zum anderen regionale Angebote für Park and Ride, ÖPNV und Rad.

Die Akzeptanz von Einschränkungen zu erreichen, bleibt anspruchsvoll, auch wenn eine Veränderung von Teilen der Bevölkerung eingefordert wird. Bei der Umsetzung hilft es, eine ideologische Aufladung zu vermeiden, stadtweite Standards zu setzen, etwa für Fahrradstraßen, und Gesamtkonzepte zu erarbeiten, zum Beispiel für das Parkraummanagement. Ebenso wichtig ist es, die einzelnen Maßnahmen gut zu kommunizieren und die Wirkung bei umfassenden Einschränkungen durch zeitlich begrenzte Versuche mit Möglichkeit zum Nachsteuern zu testen.

Für den Klimaschutz sind jedoch die langen Distanzen entscheidender, nicht die kurzen innerstädtischen Wege. Zu beobachten ist, dass insgesamt die zurückgelegten Entfernungen zunehmen. Um Pendelwege und andere Wege über kommunale Grenzen hinweg zu adressieren, braucht es eine regionale Verkehrspolitik. Zudem sind auch Bund und Länder als Bauherren in der Pflicht: Ein Kapazitätsausbau der regionalen und überregionalen Straßennetze belastet die Städte. Die Verkehrspolitik des Bundes und der Länder sollte daher konsequent auf die Förderung des öffentlichen Verkehrs und des nichtmotorisierten Verkehrs ausgerichtet werden.

ist promovierte Raumplanerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Europäische Planungskulturen der Technischen Universität Dortmund.

ist Professor i.R. für Verkehrswesen und Verkehrsplanung und leitete bis 2022 das entsprechende Fachgebiet an der Technischen Universität Dortmund.

ist Professor am Fachgebiet Stadtentwicklung der Technischen Universität Dortmund.

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Verkehrswesen und Verkehrsplanung der Technischen Universität Dortmund.

ist Professor für Europäische Planungskulturen an der Technischen Universität Dortmund.