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Deutschlands Weg in die Automobilgesellschaft Verkehrspolitik im Schatten des NS

Andreas Knie

/ 16 Minuten zu lesen

Die entscheidenden Grundlagen für die autozentrierte deutsche Verkehrspolitik wurden im Nationalsozialismus gelegt. Trotz völlig geänderter Umstände setzt sich die Bevorzugung des Autos bis heute fort. Dies begrenzt auch den Gestaltungsspielraum auf kommunaler Ebene.

Wer die fast 50 Millionen Autos auf Deutschlands Straßen sieht, an den ehrfürchtigen Umgang der Politiker mit den Repräsentanten der deutschen Automobilindustrie denkt und nicht versteht, warum Deutschland kein generelles Tempolimit auf Autobahnen kennt, der muss glauben, dass den Deutschen die Liebe zum Automobil in den Genen liegt. Dem ist aber nicht so. Entgegen landläufiger Meinung ist Deutschland lange kein Autoland gewesen. Die heutige Dominanz des Autos ist das Ergebnis eines willentlich eingeleiteten Prozesses. Die Grundbedingungen für die Popularisierung des Autos in Deutschland wurden zwischen 1933 und 1939 politisch geschaffen – sie ließen sich damit auch politisch wieder verändern.

Der Eindruck von der ewig tiefen Liebe der Deutschen zum Auto wurde auch von den Überlieferungen der Technikgeschichte befeuert. Die auf Heldengeschichten spezialisierte Erzähltradition hob immer wieder einzelne Personen wie Gottlieb Daimler, Carl Benz oder Rudolf Diesel als Pioniere und Autoerfinder hervor. Sicherlich haben deutsche Ingenieure die Automobiltechnik mit wegweisenden Beiträgen insbesondere beim Antrieb bereichert. Aber dass das Auto in Deutschland erfunden worden und es immer schon populär gewesen wäre, stimmt einfach nicht.

Als der eigentliche „Erfinder“ des Autos gilt Emil Jellinek. Der Geschäftsmann, der Anfang des 20. Jahrhunderts als österreichisch-ungarischer Konsul in Nizza lebte, diktierte den damaligen Ingenieuren und Technikern seine Vorstellung von einer modernen Fahrmaschine in die Konstruktionspläne. Der so entstandene „Mercedes“ – benannt nach der Tochter Jellineks – gilt gemeinhin als erstes richtiges Auto, das nicht mehr wie eine Pferdedroschke ohne Pferde aussah. Der handgefertigte Rennwagen wurde in geringer Stückzahl teuer verkauft. Zu den ersten Absatzmärkten gehörten daher die Länder, wo die Schönen und Reichen der damaligen Welt ihre Rennwettbewerbe und Repräsentationsfahrten absolvierten, also vor allem Frankreich, Italien und England. Erst als die Ford Motor Company 1913 die moderne Fließbandproduktion im Automobilbau einführte, entwickelte sich zunächst in den USA und später in Europa so etwas wie ein Massenmarkt.

In Deutschland blieb das Auto auch nach dem Ersten Weltkrieg eher rar, 1925 betrug der gesamte Bestand an Personenkraftwagen gerade einmal 100.000 Einheiten, von denen die allermeisten als Taxen zugelassen waren. Deutsche Hersteller verstanden sich in erster Linie als Manufakturen für Sonderwünsche betuchter Kunden mit geringen Stückzahlen. Nach der Weltwirtschaftskrise ab 1929 gerieten sie alle in ökonomische Schieflagen. Das größte Unternehmen Opel hatte die Eigentümerfamilie schon zwei Jahre vorher an General Motors verkauft, die sächsischen Hersteller Horch, Audi, DKW und Wanderer mussten unter Druck der Kapitalgeber zur Auto Union fusionieren, und Daimler-Benz wurde unter der Regie des beherrschenden Mehrheitsaktionärs Deutsche Bank in großen Teilen eingemottet. In Fachkreisen wurde 1931 darüber debattiert, ob der Automobilstandort Deutschland bald Geschichte sein könnte.

Allerdings galt auch in Deutschland das Auto als Ikone und ein Lieblingsobjekt der Moderne in Kunst, Kultur und Architektur. Menschen, die sich modern und mondän gaben, besaßen ein Automobil und fuhren selbst. Die Riege der Selbstfahrenden reichte von Bert Brecht über Leni Riefenstahl bis zu Max Schmeling. Bis dato bewegten sich die Automobilisten mehrheitlich als betuliche Herrenfahrer, das heißt, dass ein Chauffeur das Fahrzeug lenkte und in aller Regel auch die umfangreichen Wartungs- und Servicearbeiten erledigte. Für das gemeine Volk blieb das Auto ein unerreichbarer Luxus.

Die wenigen Autos gaben auch keine Begründung für einen aufwendigen Ausbau der Straßeninfrastruktur ab. Überregionale Straßen von guter Qualität gab es wenige, die Regeln der Benutzung zwischen den einzelnen Ländern und Städten war völlig unterschiedlich und unübersichtlich: Mal durfte links, dann in einer anderen Stadt wieder rechts gefahren werden, mal wurde die Geschwindigkeit streng reguliert, mal galt praktisch freie Fahrt. Bereits damals gab es Lobbyverbände, die einen Ausbau der Infrastruktur forderten, aber bei den Reichsregierungen der Weimarer Republik kein Gehör fanden. Das Auto war in der Zwischenkriegszeit in Deutschland zwar das Lieblingsobjekt weniger Betuchter, aber es hatte keinerlei verkehrswirtschaftliche Bedeutung.

Förderprogramm der Nationalsozialisten

Es war den Nationalsozialisten vorbehalten, dies zu ändern. Die NSDAP fokussierte sich früh auf technikbegeisterte junge Menschen und unterhielt im Unterschied zu anderen Parteien ab 1934 ein eigenes „Amt für Technik“ – eine Parteidienststelle, die 1936 in „Hauptamt für Technik“ umbenannt wurde. Gemeinsam mit der „Reichsverwaltung des Nationalsozialistischen Bundes deutscher Technik“ fungierte es als Herausgeber der Monatszeitschrift „Die Deutsche Technik – Technopolitische Zeitschrift der Architekten, Chemiker, Ingenieure, Techniker“. Darin wurde ausgiebig über Fragen des Straßenbaus und der Automobiltechnik debattiert, was den Diskurs über moderne Technikfragen weit über die Parteigrenzen hinaus prägte.

Zwar war es Zufall, dass der soeben zum Reichskanzler ernannte Adolf Hitler im Februar 1933 statt des erkrankten Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die Eröffnung der Internationalen Automobil- und Motorrad-Ausstellung in Berlin eröffnete, seine Rede selbst war es aber keineswegs. Vielmehr war sie eine strategisch platzierte Ansage: Die Nationalsozialisten setzten zukünftig auf das Auto als zentrales Verkehrsmittel und begründeten daraus vor allen Dingen ein sozialpolitisches Programm. Hitler wollte das Auto populär und für alle Haushalte in Deutschland verfügbar machen. Das entsprechende Autopopularisierungsprogramm war umfassend und folgenreich: Neben der Reichsgaragenordnung von 1939, in der festgelegt wurde, dass für alle privaten und öffentlichen Bauten eine jeweils genau definierte Zahl von Stellflächen vorgehalten werden musste, war es die in der Reichsverkehrsordnung von 1934 erstmals einheitliche Definition der Verkehrsregeln mit einer eindeutigen Festlegung der Dominanz des Kraftwagens, deren Folgen bis heute nachwirken. Dem Auto gehörten jetzt die Straßen – Fuhrwerke, Fußgänger und Radfahrer hatten zu verschwinden oder durften sich lediglich am Rand aufhalten. Darüber hinaus gab es keine Geschwindigkeitsbegrenzung mehr. Diese Regelung wurde allerdings nach 1939 in Vorbereitung auf den nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug wieder kassiert.

Aber damit nicht genug: Bis zum Ende der NS-Herrschaft wurden knapp 4.000 Kilometer Reichsautobahn fertiggestellt. Dabei gab es praktisch keine Autos – der Gesamtbestand war zwar kräftig gestiegen, war aber mit rund 441.000 Pkw 1935 und 700.000 Pkw 1938 immer noch verschwindend gering. Daher blieben die neuen Straßen weitgehend leer, sie hatten auch keinerlei militärische Bedeutung, sondern waren eine reine Demonstration des Willens, das Auto als Zukunftstechnologie zu positionieren. Kein anderes Land verfügte in dieser Zeit über ein ähnlich großes Netz an „Nur-Autostraßen“.

Gebaut wurden diese Straßen von der Deutschen Reichsbahn. Das damals größte Unternehmen der Welt mit rund einer Million Beschäftigten war in der Lage, die entsprechende logistische Vorleistung für den schnellen Bau bereitzustellen. Die Reichsbahn verfolgte mit diesem Engagement ursprünglich ganz eigene Ziele. Schon Ende der 1920er Jahre war nämlich der Lastkraftwagen zu einem Konkurrenten der Bahn geworden, der ihre Monopolstellung im Güterverkehr gefährdete. Immer mehr Frachtaufträge gingen an die private Konkurrenz abseits der Schiene. Die Reichsbahnleitung nahm daher die Pläne privater Lobbyorganisationen aus der Bau-, Zement- und Asphaltindustrie zum Anlass, mit der neuen Reichsregierung den Bau der Fernstraßen voranzutreiben, um die Herrschaft über den Güterverkehr zurückzugewinnen. Analog zur Schiene beabsichtigte die Reichsbahn, durch die Kontrolle der neuen Straßen den Zugang sowie die Mengen- und Preisgerüste der Lastkraftwagen mitzubestimmen. Allerdings ging der Plan nicht auf, weil die Nationalsozialisten eine Gebührenordnung für den neuen Straßentyp ablehnten. Die Partei, vor allen Dingen aber Fritz Todt, der von Hitler eingesetzte „Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen“, hatte sich gegenüber dem Verkehrsministerium und der Reichsbahn mit der Idee einer frei verfügbaren und für alle nutzbaren Straße durchgesetzt. Dies ist umso bemerkenswerter, da die Reichsbahn immer noch eine Macht im Staat war und Generaldirektor Julius Dorpmüller ab 1937 sogar in Personalunion als Reichsverkehrsminister amtierte. Die Reichsbahn hatte damit selbst entscheidende Vorleistungen für den späteren Siegeszug der Autos geschaffen.

Das Autoprogramm der Nationalsozialisten verfügte aber über weitere Elemente: Es brauchte ja noch das passende Fahrzeug. Die Angebotspalette der deutschen Hersteller war für eine Massenmotorisierung nicht geeignet. Die Autos waren viel zu teuer und das Produktionsprogramm auf Einzelfertigung spezialisiert. Hitler ließ verkünden, er wünsche sich für eine durchschnittliche deutsche Familie ein Auto, das Platz für vier Personen haben und nicht mehr als 1.000 Reichsmark kosten solle. Als sich die deutschen Hersteller weigerten, ein solches Fahrzeug zu produzieren, wurde Ferdinand Porsche beauftragt, das Fahrzeug und die dafür notwendig Fabrik zu entwickeln. Porsche war Anfang der 1930er Jahre bei Daimler als Vorstand abgesetzt worden und erlebte mit einem kleinen Konstruktionsbüro in dieser Zeit eher die Schattenseiten des Geschäfts. Das Geld für die Entwicklung und den Bau der Fabrik kam diesmal nicht von der Reichsbahn, sondern aus dem geraubten Vermögen der Gewerkschaften. Parallel wurde ein staatliches Ansparprogramm für das neue Auto aufgesetzt, an dem rund 300.000 Familien teilnahmen, die zwar später kein Fahrzeug erhalten sollten – aber die Idee des Volksautos war in den Köpfen platziert. Der Traum vom eigenen Wagen als ein wichtiges Element vom privaten Glück gewann an Substanz.

Katapultstart nach dem Krieg

Mit dem 1939 losgetretenen Vernichtungskrieg sabotierten die Nationalsozialisten die Entwicklung ihrer eigenen Verkehrspolitik, doch die Fundamente einer Automobilgesellschaft waren gelegt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnte Deutschland daher einen Katapultstart in die Autozukunft hinlegen. Zwar ging der Bestand in ganz Deutschland (Ost und West) 1950 auf etwas mehr als 500.000 Pkw zurück, aber die wichtigsten Ingredienzien für den Beginn der Massenmotorisierung waren bereitgestellt.

So verfing das Auto als Teil des staatlichen Glücksversprechens nun auch in Deutschland, selbst wenn es noch bis in die 1970er Jahre dauern sollte, bis sich Familien mit Durchschnittseinkommen tatsächlich einen eigenen Wagen leisten konnten. Das Volkswagenwerk entwickelte sich zu Europas modernster Produktionsstätte, in der alle Voraussetzungen für eine Massenproduktion nach US-amerikanischem Vorbild gegeben waren. Mit Heinrich Nordhoff konnte ein bereits bei Opel in Brandenburg mit der amerikanischen Produktionsphilosophie vertrauter Kenner als Vorstandschef engagiert werden. Die britischen und amerikanischen Besatzungsmächte unterstützten das Hochfahren der Produktion sogar noch, während die Sowjetunion in Thüringen und Sachsen ganze Automobilfabriken im ehemaligen automobilen Kernland demontierte und damit die Unterschiede in der Industriestruktur zwischen Ost und West deutlich vergrößerte.

Die Benutzung der Straße blieb in der Bundesrepublik einheitlich so geregelt: Das Auto hatte überall Vorfahrt, und die Idee, weder inner- noch außerorts eine Begrenzung der maximal zulässigen Höchstgeschwindigkeit einzuführen, sollte 1951 wieder aufgegriffen werden. Erst 1955 – nach insgesamt mehr als 70.000 Verkehrstoten in nur fünf Jahren – wurde für Ortschaften die zulässige Höchstgeschwindigkeit wieder begrenzt. Auf den Autobahnen wirken die Spuren der NS-Politik dagegen bis heute nach. Die von den Nationalsozialisten errichteten knapp 4.000 Kilometer Autobahn waren kaum zerstört und konnten fortan genutzt werden. Wirkungsvoll inszenierte Fotos waren durchaus als Aufforderung zum Fahren zu lesen. Aus heutiger Sicht sticht vor allen Dingen die große Leere der Straße hervor. Die Autobahnen entwickelten gewissermaßen eine eigene Ästhetik und boten den wenigen Kraftfahrenden beinahe paradiesische Verhältnisse, die literarisch und filmisch aufgenommen und verbreitet wurden, um den Traum vom eigenen Wagen mit eindrücklichen Bildern zu unterlegen.

Für die vielfach zerstörten Zentren größerer Städte lagen bereits Vorplanungen für den Wiederaufbau vor. Schon im Oktober 1943 war unter Generalinspekteur Albert Speer ein Wiederaufbaustab gebildet worden, der eine Entflechtung der alten Stadtstrukturen zugunsten einer funktionalen Gliederung vorsah. Nach Kriegsende konnten Stadtplaner unmittelbar daran anknüpfen. Besonders eindrucksvoll entfaltete sich diese Kontinuität in Hannover durch den damaligen Baustadtrat Rudolf Hillebrecht, der – wie fast alle seiner damaligen Kollegen – vom Aufbaustab Speer praktisch direkt in die Nachkriegsstadtplanung einstieg. Zwar war die Zurichtung der Städte zu Transitzonen keine genuin nationalsozialistische Idee, aber die NS-Planer hatten konkrete Vorarbeiten für die praktische Umsetzung geleistet, die dann in West- und Ostdeutschland adaptiert werden konnten und die Grundlage für das schufen, was heute „autogerechte Stadtplanung“ genannt wird.

Obgleich die Zahl der Kraftfahrzeuge in den 1940er Jahren niedrig geblieben war, waren die Voraussetzungen für die Massenmotorisierung somit bereits geschaffen, das Auto fest in der mentalen Struktur verankert. Zwar konnten sich nur wenige ein Fahrzeug leisten, aber dass sich dies ändern würde, davon waren alle gesellschaftlichen Kräfte der Nachkriegszeit überzeugt. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist die Entscheidung des des Westberliner Senats von 1953: Auf Betreiben des städtischen Verkehrsunternehmens BVG wurde entschieden, zukünftig keine Straßenbahnen mehr zu bauen und das noch vorhandene Netz mit der Begründung abzureißen, die Stadt müsse schneller werden. Dem Auto würde auch in Form von Bussen die Zukunft gehören, und der schienengebundene öffentliche Verkehr sollte als U‑Bahn unter die Erde verschwinden. Zu dieser Zeit gab es allerdings auch in Berlin noch sehr wenige private Autos, und die Straßenbahn – oder wie die Berliner damals immer noch sagten: „die Elektrische“ – transportierte rund zwei Drittel aller Fahrgäste. Es war also eine Wette auf die Zukunft, die aber offenbar alle gerne eingingen, weshalb schon mal kräftig auf Vorrat für irgendwann kommende Autos gebaut wurde. Deutschland unterzog sich damit selbst einer Art Crashkurs in Sachen Automobilgesellschaft. Die bereits aus anderen Ländern bekannten Maßnahmen wurden übernommen, aber – typisch deutsch – noch konsequenter und kompromissloser umgesetzt.

Steuerliche und rechtliche Vorfahrt

Obwohl der Gesamtbestand an Kraftfahrzeugen in Deutschland Anfang der 1950er Jahre erstmals die Millionengrenze überstieg, blieb die Dynamik weiter hinter den Erwartungen zurück und rief zahlreiche Ideen für eine Autoförderung auf den Plan. Der Historiker Dietmar Klenke, der das Standardwerk über die bundesdeutsche Nachkriegsverkehrspolitik verfasst hat, sieht das Jahr 1957 als den – heute würde man sagen – Kipppunkt in der Popularisierung des Autos. Denn trotz der genannten rechtlichen, planerischen und infrastrukturellen Vorbereitungen blieben der Erwerb und der Betrieb von Kraftfahrzeugen für den überwiegenden Teil der Bevölkerung schlichtweg zu teuer.

1957 trat daher eine Reihe von fiskalpolitischen Maßnahmen in Kraft, die allein dem Zweck dienten, den Absatz von privaten und gewerblichen Pkw anzukurbeln. „Unter anderem konnten Privatpersonen berufsbedingte Fahrten mit einem Kilometersatz von der Einkommensteuer absetzen, der deutlich über den eigentlichen Betriebskosten lag. Die Mineralölsteuer, die heutige Energiesteuer, die seit 1939 auf Benzin und Dieselverkäufe erhoben wird, wurde zweckgebunden: Die daraus generierten Einnahmen durften nun nur noch zum Bau und Erhalt von Bundesstraßen eingesetzt werden. Umfang und Wirkung dieses steuerlichen Anreizprogramms für die Massenmotorisierung sind kaum zu überschätzen. (…) Damit war ein sich selbst beschleunigender Regelkreislauf in Gang gesetzt: Mehr Steuern bedeuteten mehr Geld für Infrastruktur, damit stieg die Attraktivität von PS-starken Autos mit einem höheren Kraftstoffverbrauch, der wiederum durch höhere Steuern mehr Geld für die automobile Infrastruktur in die Kassen spülte.“

Die Maßnahmen wirkten, und der dringend erwünschte Absatz begann hochzuschnellen. 1959 betrug der Gesamtbestand bereits mehr als 3,5 Millionen Pkw, und erstmals war so etwas wie eine breite Sichtbarkeit gegeben. Allerdings fehlte neben der fiskalischen und infrastrukturellen Förderung noch ein entscheidender Baustein, der für die Popularisierung von großer Bedeutung sein sollte.

Zu dieser Zeit galt noch die Reichsgaragenordnung, die in Form von Stellplatzverordnungen – wie viele andere Gesetze und Verordnungen aus der NS-Zeit – praktisch bruchlos übernommen worden war. Die Bevorratung von Kfz-Stellflächen ging dabei von der Voraussetzung aus, dass die Fahrzeuge alle auf privaten Abstellflächen geparkt wurden. Das Parken auf öffentlichen Flächen war schlicht verboten. Allerdings stieg mit dem steigenden Bestand auch die Not an Parkflächen. Insbesondere die Zahl gewerblich zugelassener Fahrzeuge wuchs rasch. 1960 betrug der Bestand schon 4,5 Millionen Pkw, 1965 wurden fast 10 Millionen Wagen gezählt.

Ein Bremer Kaufmann sah sich unter diesen Umständen nicht mehr in der Lage, seinen Geschäftswagen auf einem privaten Stellplatz unterzubringen und blieb einfach auf der Straße stehen. Er parkte seinen Lieferwagen also unter einer Laterne und wurde prompt vom Bremer Senat mit einer entsprechenden Ordnungsstrafe belegt. Aber der Kaufmann gab nicht auf, leistete sozusagen Widerstand und besetzte einfach weiterhin den öffentlichen Raum mit seinem Fahrzeug und war damit nicht alleine. Der anschließende Rechtsstreit zog sich über Jahre hin und endete erst 1966 mit einem richtungweisenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes. Weil das Urteil eindrücklich demonstriert, wie die verkehrspolitischen Präferenzen damals gesetzt wurden, soll es im Folgenden etwas ausführlicher zitiert werden.

In seiner Urteilsbegründung führte das Gericht aus: „In einer stürmischen Entwicklung seit Anfang der fünfziger Jahre ist das Automobil in der Bundesrepublik bei einem am 1. Juli 1963 erreichten Stand der Motorisierung von acht Einwohnern je Pkw und weiterer, sprunghafter Zunahme zu einem Gebrauchsgegenstand aller Bevölkerungskreise geworden.“ Nach dieser Zustandsbeschreibung stellte das Gericht ebenso zutreffend fest: „Diese Entwicklung hat der Staat nicht nur geduldet, sondern gefördert. Schon im Vorspruch der Reichsstraßenverkehrsordnung von 1934 heißt es: ‚Die Förderung des Kraftfahrzeugs ist das Ziel, dem auch diese Ordnung dienen soll.‘ (…) In der Bundesgesetzgebung ist insbesondere die steuerliche Berücksichtigung der Kosten des Arbeitnehmers zur Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten ein allgemein bekannter Ausdruck dieser Förderung.“ Das Gericht erkannte auch, dass dies durchaus mit Problemen verbunden war: „Mit der Zunahme des Kraftfahrzeugverkehrs hat aber der Straßenbau und hat insbesondere der Bau von Garagen und Einstellplätzen nicht Schritt halten können, den die Reichsgaragenordnung vom 17. Februar 1939 (RGBl. I S. 219) in der Fassung vom 13. September 1944 (RArbBl. I S. 325) zur Entlastung der öffentlichen Verkehrsflächen von ruhenden Kraftfahrzeugen vorsieht. Die – unausweichliche – Folge ist, dass ein großer Teil der motorisierten Verkehrsteilnehmer praktisch gezwungen ist, öffentliche Straßen zum Dauerparken als ‚Laternengarage‘ zu benutzen. Jeder Blick in die Verkehrswirklichkeit der Gemeinden in der Bundesrepublik bestätigt dies als tägliches Erfahrungsbild. Damit erweist sich das Abstellen von Kraftfahrzeugen über Nacht sowie an Sonn- und Feiertagen an öffentlichen Straßen als grundsätzlich den Verkehrsbedürfnissen entsprechend und damit als grundsätzlich verkehrsüblich und gemeinverträglich.“

Das Gericht stellte also eindeutig fest, dass die Förderung des Autos als ein Staatsziel zu verstehen sei, dass es dafür aber nicht ausreichend private Stellflächen gebe und es durchaus als Teil des Gemeinwohls anzusehen sei, wenn Fahrzeuge auch öffentlich geparkt werden können. Im Weiteren führte das Gericht noch aus, dass es den Kommunen sehr wohl überlassen bleibe, Einzelheiten zu regeln und auch die Optionen des Parkens einzuschränken. Grundsätzlich aber war damit klargestellt: Es gibt ein Recht auf öffentliches Parken. Das Gericht relativierte einleitend zwar selbst, dass die Fragen des „Gemeinverträglichen“ in einem zeitlichen Kontext stehen und das dieses Urteil sozusagen einen Zeitstempel trägt. Aber auch unter völlig geänderten Umständen gibt es bis heute keinerlei Revision dieses Urteils, der 1966 verkündete Richterspruch gilt weiterhin.

Mit dieser höchstrichterlichen Feststellung, dass auch der öffentliche Raum zum Parken privater Autos grundsätzlich zur Verfügung stehen muss, war für die Autoförderung ein weiteres Hemmnis weggeräumt. Im weiteren Lauf der Jahre stiegen die Zulassungen dann auch rasant an, und der Bestand wuchs deutlich. 1970 waren bereits 14 Millionen Pkw in ganz Deutschland angemeldet.

Verkehrspolitik in der Traditionsfalle

Für den hier zu verhandelnden Kontext ist interessant, dass das Bundesverwaltungsgericht 1966 praktisch ohne mit der Wimper zu zucken sein Urteil mit der NS-Gesetzgebung begründete. Das Gericht bestätigte die politische Entscheidung aus dem Jahr 1934 und machte diese zur Maxime der eigenen Rechtsprechung. Damit wurde höchstrichterlich festgestellt, dass Grundlagen der autozentrierten Verkehrspolitik aus der NS-Diktatur stammen und dass diese weiterhin zu achten sind. Die Nationalsozialisten hatten den damals vorherrschenden Zeitgeist der Moderne zu einem konsistenten Programm verdichtet und das gegenüber seinen Nachbarländern deutlich rückständigere Deutschland an die Spitze der Massenmotorisierung geschoben. Der Katapultstart des Autoverkehrs nach dem Zweiten Weltkrieg war nur möglich, weil die rechtlichen, wirtschaftlichen, infrastrukturellen und kulturellen Grundlagen bereits politisch definiert waren und das Auto bereits in der NS-Zeit zum Verkehrsmittel der Zukunft bestimmt worden war.

Die Frage ist aber, warum sich die politisch Verantwortlichen bis heute an diese Entscheidungen gebunden fühlen. Auch die vom Bundesrat im Herbst 2023 vorerst gestoppte Reform des Straßenverkehrsgesetzes weicht im Kern nicht davon ab: Das Auto hat weiterhin Vorfahrt. Die Weigerung, ein generelles Tempolimit auf Autobahnen einzuführen, setzt die Tradition aus den 1930er Jahren fort. Auch die Optionen für eine kommunale Verkehrswende im Sinne einer Neuverteilung des öffentlichen Raumes sind durch den Fortbestand dieser Tradition sehr begrenzt. Ein Eingriff in die rechtlich garantierte Vorfahrt des Autofahrens ist offenbar nur dann zulässig, wenn Gefahrenstellen zu beseitigen sind und es bereits Unfälle gegeben hat: Die Straßenverkehrsordnung kennt bis heute keine prospektive oder vorsorgende Verkehrspolitik, die Gefahren erst gar nicht entstehen lässt, sondern lässt wirksame Regulierung nur zu, wenn es bereits zu Toten und Verletzten gekommen ist.

Eine Interpretation könnte sein, dass Deutschland auch im Jahr 2024 noch dabei ist, den vermeintlichen Modernisierungsrückstand bei der Motorisierung nachzuholen und auch immer noch dem Ziel folgt, möglichst viele Autos zuzulassen, denen alle erdenklichen Privilegien eingeräumt werden. Hier wäre dann ein Blick über die Grenzen Deutschlands sinnvoll, denn andernorts ist der Abschied vom Gedanken, dass private Autos auf öffentlichem Grund in den Städten abgestellt werden können, längst eingeläutet. Ob es die skandinavischen Staaten oder die Beneluxländer, Städte in Frankreich, Spanien oder sogar an der US-amerikanischen Ostküste sind: Der Raum wird neu verteilt, das private Auto ist nur noch ein kleiner Teil einer viel größeren Geschichte in der Zukunft der lebenswerten Städte.

Möglicherweise ist der Unwillen zu Veränderungen auch deshalb so groß, weil die deutsche Autoindustrie im Windschatten der ausgesprochen autofreundlichen Verkehrspolitik ab Mitte der 1930er Jahre von einem fragilen Gebilde zu einem stählernen Koloss werden konnte, dem keine Steine in den Weg gelegt werden, um nicht in den Verdacht zu geraten, Wohlstand und wirtschaftliche Prosperität zu gefährden. Im Ergebnis ist der aktuelle Verkehrszustand jedoch ein selbst gemachter, der mit Mut und Gestaltungswillen auch verändert werden könnte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Kurt Möser, Die Geschichte des Autos, Frankfurt/M. 2002.

  2. Vgl. Weert Canzler et al., Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende, Bielefeld 2018.

  3. Vgl. Klaus Kuhm, Moderne und Asphalt. Die Automobilisierung als Prozess technologischer Integration und sozialer Vernetzung, Wiesbaden 1997.

  4. Vgl. Historische Anzahl an Kraftfahrzeugen und Personenkilometer nach Kfz-Typ in Deutschland in den Jahren 1906 bis 1959, 1.1.2000, Externer Link: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/249900.

  5. Vgl. Gregor M. Rinn, Das Automobil als nationales Identifikationssymbol, Dissertation, Humboldt-Universität zu Berlin 2008.

  6. Vgl. Canzler et al. (Anm. 2).

  7. Vgl. Johannes Baumeister, Weichenstellung für die automobile Zukunft? Die kraftwagenpolitischen Konzepte und Strategien der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft in der Zwischenkriegszeit, 1920–1939, Dissertation, Technische Universität Berlin 2023.

  8. Vgl. Möser (Anm. 1).

  9. Vgl. Dietmar Klenke, Freier Stau für freie Bürger. Die Geschichte der bundesdeutschen Verkehrspolitik, Darmstadt 1995.

  10. Weert Canzler/Andreas Knie, Autodämmerung. Experimentierräume für die Verkehrswende, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin 2019, S. 13f.

  11. Vgl. Andreas Knie, Der Laternenparker von Bremen. Die Gesellschaft muss erstreiten, welchen Raum der Autoverkehr einnehmen soll, in: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, WZB-Mitteilungen 174/2021, S. 36ff.

  12. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 4.3.1966, BVerwG IV C 2.65, Externer Link: https://research.wolterskluwer-online.de/document/3930ea95-b9c1-4512-b5d2-6fcb4132e516.

  13. Vgl. Andreas Knie, Das Auto behält die Vorfahrt, 20.10.2023, Externer Link: http://www.klimareporter.de/verkehr/das-auto-behaelt-die-vorfahrt.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Andreas Knie für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Professor für Soziologie und Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.