In den Wirtschaftswissenschaften wie in der Politik gibt es schon seit Langem einen lebhaften Streit über die Rolle des Staats in der Wirtschaftspolitik und seine Lösungskompetenz in einer komplexen Welt: Während manche "weniger Staat" fordern, wünschen sich andere das Gegenteil. Auch in der Agrarpolitik ist der Ruf nach "mehr Staat" allzu oft zu vernehmen. Zuletzt hat die noch durch Bundeskanzlerin Angela Merkel eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft im Juli 2021 ehrgeizige Pläne für den Umbau des Sektors vorgelegt. Weil die landwirtschaftliche Produktion auf der Nutzung verschiedener Umweltgüter beruht, werden marktwirtschaftliche Kräfte allein zwar nie zu einer optimalen Lösung führen, doch das heißt nicht automatisch, dass die Situation durch staatliches Eingreifen in jedem Fall besser werde. Die Erfahrungen vergangener Jahrzehnte mit weitreichenden und kostspieligen staatlichen Eingriffen in den Agrarsektor (etwa Preisstützung und Produktionsquoten) zeigen, dass trotz vielfältiger staatlicher Bemühungen eine allgemeine Unzufriedenheit bei Konsument*innen, Umweltschützer*innen, Steuerzahler*innen und gerade auch bei den Landwirt*innen selbst über das Erreichte besteht.
Diese Einschätzung müsste beim Ruf nach weiteren staatlichen Eingriffen viel stärker zu Bescheidenheit und Vorsicht mahnen. Nachhaltige (Agrar-)Politik setzt Kenntnisse über die Möglichkeiten, aber insbesondere auch die Grenzen staatlichen Handelns voraus. Deshalb werden in diesem Beitrag drei eng miteinander verwobene agrarpolitische "Baustellen" thematisiert, bei denen die Grenzen der Agrarpolitik in der öffentlichen Diskussion häufig übersehen oder sogar bewusst ignoriert werden, sodass Erwartungen geweckt werden, die von der Agrarpolitik gar nicht zu erfüllen sind.
Strukturwandel
Zwischen 1960 und 2020 ist die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe mit einer Mindestgröße von 2 Hektar in den westlichen Bundesländern von 1154882 auf rund 260000 und somit um durchschnittlich 2,5 Prozent pro Jahr gesunken.
Der Rückgang der Betriebsanzahl bei gleichzeitigem Anstieg der durchschnittlichen Größe wird nicht nur in Deutschland beobachtet, sondern schreitet schon seit Jahrhunderten in fast allen Ländern der Welt voran und ist das Resultat des Zusammentreffens fundamentaler ökonomischer und sozialer Kräfte. Dennoch wird in der öffentlichen Diskussion häufig suggeriert, dass ein Aufhalten oder gar die Umkehr des Strukturwandels möglich und in erster Linie nur eine Frage der agrarpolitischen Überzeugung sei. Forderungen nach dem Ende des "Höfesterbens" und der Abkehr vom bisherigen "Wachsen oder Weichen" setzen voraus, dass die wirtschaftliche Existenz aller kleinbäuerlichen Betriebe dauerhaft garantiert werden könne. Doch die Geschwindigkeit des Strukturwandels kann von der Agrarpolitik höchstens kurzfristig und nur geringfügig beeinflusst werden. So ermöglichte technischer Fortschritt in der Vergangenheit den landwirtschaftlichen Betrieben, durch Investitionen in die Mechanisierung mit weniger Personal größere Flächen zu bewirtschaften und mehr Tiere zu halten.
Treibende Kräfte des landwirtschaftlichen Strukturwandels sind also der technische Fortschritt und die allgemeine Lohnentwicklung. Selbst wenn es gelingen könnte, den technischen Fortschritt in der deutschen Landwirtschaft fortan gänzlich einzustellen, ließen sich die steigende Einkommensentwicklung für Fach- und Führungskräfte in den anderen Wirtschaftssektoren und der technische Fortschritt in anderen Ländern nicht aufhalten. Zwar spielen bei Landwirt*innen persönliche Präferenzen für eine selbstständige Tätigkeit, für das Arbeiten in der Natur und das Landleben sowie für die Weiterführung eines Familienbetriebes eine wichtige Rolle, doch werden größere Einkommensunterschiede gegenüber anderen Sektoren in der Regel nur von älteren Landwirt*innen hingenommen, denen die Hürden für einen Wechsel in einen anderen Sektor zu hoch erscheinen. Spätestens bei einer anstehenden Hofübergabe werden die potenziellen Hofnachfolger*innen abwägen und ihre Entscheidungen für oder gegen eine landwirtschaftliche Tätigkeit entsprechend ihrer Einkommensaussichten treffen.
Würde demzufolge der Strukturwandel aufhören, wenn der Staat mit Agrarpreisstützungen oder anderen Maßnahmen dafür sorgte, dass die Einkommensentwicklung aller bestehenden Betriebe mit der allgemeinen Einkommensentwicklung Schritt hielte? Denkbar könnte es vielleicht sein, aber es wäre sehr kostspielig. Eine exakte Schätzung dieser Kosten ist nicht möglich, denn hierzu müssten unter anderem Annahmen über die Auswirkungen eines erfolgreichen Aufhaltens des Strukturwandels auf die Investitionsentscheidungen der Betriebe getroffen werden. Eine realistische Größenordnung dieser Kosten lässt sich mit Blick auf die zurückliegenden zwei Jahrzehnte abschätzen.
Zwischen 1999 und 2020 fiel die Anzahl der in der deutschen Landwirtschaft auf Haupt- und Nebenerwerbsbetrieben
Die Aufgabe von landwirtschaftlichen Betrieben ist zweifelsohne auch mit Kosten verbunden, sowohl für die betroffenen Menschen als auch für Dörfer und ländliche Räume, die zunehmend ihren landwirtschaftlichen Charakter verlieren. Es ist daher legitim zu versuchen, den Strukturwandel zu gestalten und soziale Härten abzumildern, aber dauerhaft aufhalten oder völlig umkehren lässt er sich nicht. Wenn sich die Zukunftskommission Landwirtschaft bei der Ausarbeitung ihrer vielzitierten agrarpolitischen Empfehlungen von einer "Vision" leiten lässt, in der "eine stabile bis steigende Anzahl der Höfe" für "wünschenswert" erklärt wird, weckt sie Erwartungen, die nicht zu erfüllen sind.
Eine realistische und keine von Wunschdenken getriebene Auseinandersetzung mit dem Thema ist dringend geboten. Zwar war die Geschwindigkeit des Strukturwandels zwischen 2010 und 2020 nur etwa halb so hoch wie in den fünf Jahrzehnten davor, doch waren 46,7 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebsleiter*innen in Deutschland 2020 mindestens 55 Jahre alt. Das bevorstehende altersbedingte Ausscheiden der Baby-Boomer wird wieder zu einer Beschleunigung des Strukturwandels führen. Agrarpolitiker*innen können heute viel versprechen und womöglich auch die anstehenden individuellen Entscheidungen über die Weiterführung von Betrieben beeinflussen, doch letztendlich müssen die Hofnachfolger*innen mit den Folgen leben.
Einkommen in der Landwirtschaft
Die zweite Baustelle betrifft das Einkommen der landwirtschaftlichen Haushalte, das den Strukturwandel wesentlich mitbestimmt. Einkommensstützung ist auch eine der sehr oft genannten Begründungen für die Gewährung von Subventionen an landwirtschaftliche Betriebe. Die Betriebe in Deutschland erhalten verschiedene Subventionen wie die Agrardieselvergütung und Investitionsbeihilfen, laut landwirtschaftlicher Gesamtrechnung insgesamt 6,9 Milliarden Euro im Jahr 2020; auf die EU-Direktzahlungen entfallen davon 4,8 Milliarden.
Wie wichtig sind diese Subventionen für das Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland? Laut EU-Kommission betrug der Anteil der Direktzahlungen am landwirtschaftlichen Faktoreinkommen
Häufig wird in diesem Zusammenhang auf das Einkommensziel der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU als Rechtfertigung für die Gewährung von Subventionen und insbesondere der Direktzahlungen verwiesen. Dieses lautet, "auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten". Dabei werden die einleitenden Worte "auf diese Weise" von Agrarpolitiker*innen und Vertreter*innen des Berufstands gern übersehen. Sie stellen nämlich eine direkte Verbindung zum ersten Ziel der GAP her, dem Produktivitätsziel, das folgendermaßen formuliert ist: "die Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte, zu steigern".
Die EU-Verträge sehen somit keine direkte Subventionierung der Einkommen in der Landwirtschaft vor, denn gemäß Vertragstext sollen höhere Einkommen über die Förderung der Produktivität erzielt werden. Sollte die Stützung der landwirtschaftlichen Einkommen ein vorrangiges Ziel der EU-Agrarpolitik sein, müssten die zuständigen EU-Institutionen und Agrarpolitiker*innen ihre Entscheidungen und Maßnahmen auf Basis umfassender Statistiken über die tatsächliche Einkommenssituation der landwirtschaftlichen Haushalte treffen. Doch das ist nicht der Fall. Die in der EU erhobenen Statistiken erfassen nämlich nur das landwirtschaftliche Einkommen der landwirtschaftlichen Haushalte. Dabei bezieht nicht nur in Deutschland die Mehrheit dieser Haushalte auch außerlandwirtschaftliches Einkommen. 2020 hatte fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland Einkommen aus landwirtschaftsnahen Quellen wie der Erzeugung erneuerbarer Energie und dem Fremdenverkehr.
Um die einkommensstützende Wirkung der Direktzahlungen zielgerichtet auf die Betriebe zu fokussieren, die besonders einkommensschwach sind, bräuchte man statistische Erhebungen, die das gesamte Einkommen der landwirtschaftlichen Haushalte und nicht nur den landwirtschaftlichen Teil dieses Einkommens erfassen. Allerdings wurden und werden solche Daten in der EU nicht erhoben. Im Rahmen der umfangreichen und detaillierten Erhebung der finanziellen Lage der landwirtschaftlichen Haushalte in der EU, das sogenannte Informationsnetz landwirtschaftlicher Buchführungen der Europäischen Union, werden Daten über das nicht-landwirtschaftliche Einkommen dieser Haushalte nicht systematisch erfasst. Vor 25 Jahren wurden Daten aus der deutschen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ausgewertet, um Einblicke in die nicht-landwirtschaftlichen Einkommen und das Vermögen der landwirtschaftlichen Haushalte zu gewinnen.
Das Fehlen einer adäquaten Informationsbasis über die Einkommenssituation in der Landwirtschaft ist lange bekannt. Bereits 2003 stellte der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht über die Messung des landwirtschaftlichen Einkommens in der EU fest: "Folglich liefern die statistischen Instrumente der Gemeinschaft derzeit keine ausreichenden Informationen über das verfügbare Einkommen landwirtschaftlicher Haushalte, die eine Bewertung der Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung ermöglichen würden."
Etwas überspitzt ausgedrückt befindet sich die GAP im einkommenspolitischen Blindflug. Die Verantwortlichen in Brüssel und in den Mitgliedstaaten wissen nicht, welche Verteilungswirkung die Agrarsubventionen haben, und sie weigern sich seit Jahrzehnten, eine entsprechende Informationsbasis zu schaffen. Zudem ist zu bedenken, dass die Direktzahlungen zwar an die Flächenbewirtschafter*innen ausgezahlt werden, aber in nicht unerheblichem Umfang über den Pachtpreis an die Bodeneigentümer*innen weitergereicht werden, die deshalb von der Höhe und dem Fortbestand der Agrarsubventionen profitieren.
Betriebsgröße und Umwelteffekte
Die Agrarumweltpolitik, hier unsere dritte Baustelle, hat in den vergangenen 30 Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Für die Förderperiode 2021 bis 2027 beziehen sich drei der neun Ziele der GAP auf die Umwelt, ab 2023 sind allein in Deutschland Ausgaben in Höhe von jährlich mehr als 2 Milliarden Euro für Agrarumweltmaßnahmen vorgesehen.
Diese Annahme beruht auf Ideen des Ökonomen Ernst F. Schumacher, der in den 1970er Jahren die Entwicklung hin zur modernen Landwirtschaft scharf kritisierte: "Es ist nun einmal das grundlegende ‚Prinzip‘ der Landwirtschaft, dass sie mit Leben, das heißt mit lebenden Substanzen, zu tun hat. (…) Das grundlegende ‚Prinzip‘ der modernen Industrie auf der anderen Seite besteht darin, dass sie mit vom Menschen entwickelten Prozessen zu tun hat, die nur dann zuverlässig wirken, wenn sie auf vom Menschen entwickelte, tote Materie angewendet werden. Das Ideal der Industrie ist die Ausschaltung lebender Substanzen." Der zentrale Kritikpunkt Schumachers besteht in der Entwicklung einer "Industrialisierung" hin zu größeren Betriebsgrößen und zur wachsenden "Mechanisierung und Chemisierung". Aus der Ablehnung des Wachstums entsteht bei Schumacher die Vision einer dezentralen, vielfältigen und kleinteiligen Wirtschaftsweise, der er die Aufgabe zuschreibt, "die weitere Umwelt des Menschen menschenwürdig zu gestalten und zu veredeln".
In der Agrardebatte wurde aus dieser Vision das Leitbild einer "bäuerlichen Landwirtschaft" entwickelt, die einerseits durch den Einsatz von Familienarbeitskräften, andererseits durch geringe Betriebsgrößen gekennzeichnet ist. Es ist vielfach angemerkt worden, dass der Begriff nicht trennscharf definiert und eine Projektionsfläche für idealistische Vorstellungen einer "Bilderbuch-Landwirtschaft" ist.
Die Forschungsliteratur zu dieser Fragestellung ist überschaubar. Agrarökomische wie auch agrarökologische Studien belegen überwiegend keinen klaren Zusammenhang zwischen der Betriebsgröße und möglichen Umweltvorteilen.
Mit Blick auf die Forschungsliteratur lässt sich insgesamt festhalten: Es gibt keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und Umweltbilanz. Daher erscheint es naheliegend, Agrarumweltpolitik unabhängig von der Betriebsgröße zu fördern und eher die spezifischen Ziele und ökologischen Erfordernisse in den Blick zu nehmen. Eine Förderung kleiner Schläge sowie die Koordination von Maßnahmen auf Landschaftsebene lassen sich durchaus mit Umweltvorteilen begründen.
Fazit
Die GAP ist eine über Jahrzehnte gewachsene Politik als Ergebnis von verschiedenen Pfadabhängigkeiten. Politische Forderungen, den Strukturwandel endlich zu stoppen, Landwirt*innen durch Einkommenshilfen zu unterstützen oder kleine Betriebe aus Umweltgründen prioritär zu fördern, erweisen sich häufig nicht als tragfähig beziehungsweise als schlicht nicht sinnvoll. Der Strukturwandel lässt sich agrarpolitisch allenfalls in seiner Geschwindigkeit bremsen, jedoch nicht als Phänomen insgesamt beeinflussen oder gar beenden. Die Direktzahlungen, das einkommenspolitische Hauptinstrument der GAP, sind wenig effizient und nicht auf das Einkommensziel ausgerichtet. Schließlich gibt es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und Umweltbilanz.
Die drei in diesem Beitrag diskutierten "Baustellen" zeigen exemplarisch, dass in agrarpolitischen Debatten immer wieder populäre Lösungsvorschläge diskutiert werden, die sich aber aus wissenschaftlicher Sicht als nicht haltbar erweisen. Vielen agrarpolitischen Akteur*innen fällt es anscheinend zunehmend schwer, die Komplexität agrarpolitischer Zusammenhänge in der öffentlichen Debatte zu vermitteln und für entsprechend differenzierte und abgewogene Lösungen zu werben.