Um die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union ist es in den vergangenen Jahren vergleichsweise ruhig geworden. Dagegen machten in früheren Jahrzehnten ihre "Butterberge" und "Weinseen" als Symbole teurer Überschussproduktion Schlagzeilen; für viele Menschen stand die GAP für haarsträubenden Bürokratismus und die Fehlentwicklungen europäischer Integration. Die Landwirtschaftspolitik war aber nicht nur viele Jahrzehnte lang das strittigste, aufwendigste und kostspieligste Projekt im vereinten Europa, sondern auch ein Motor für weiteren Zusammenschluss. In den ersten Jahrzehnten des Einigungsprozesses war sie die wichtigste gemeinsame Politik. In keinem anderen eigenständigen Politikfeld wurden im Zeitalter des Kalten Kriegs nationale Kompetenzen so weitgehend auf eine supranationale Ebene verlagert. Die GAP war lange Zeit Leuchtturm und Sorgenkind zugleich; sie bildete einen Motor des zusammenwachsenden Europas, produzierte aber auch neue Konflikte und Trennlinien. Wie Integration und Desintegration in der EU-Agrarpolitik zusammenhingen, und was dies für den Kontinent bedeutete, bleibt dennoch häufig unterbelichtet.
Aufbruch in ein grünes Europa
Seit dem späten 19. Jahrhundert durchlief die Landwirtschaft in Europa eine tiefgreifende Transformation. Moderne Produktionsmethoden, bei denen chemischer Dünger und energieintensive Maschinen eine immer bedeutsamere Rolle spielten, ermöglichten, dass immer weniger Höfe immer mehr Menschen mit Lebensmitteln versorgten. Dieser riesige Erfolg hatte jedoch eine schon damals viel diskutierte Schattenseite: Die Veränderungen trieben viele Betriebe in die Existenzkrise und zwangen Millionen von Menschen, sich beruflich umzuorientieren. Verstärkt wurden die Probleme durch die damalige Globalisierungswelle, aufgrund derer billige Agrarerzeugnisse auf die heimischen Märkte drängten. Zugleich galt die Landwirtschaft in Europa mitnichten als ein beliebiger Teil der Wirtschaft: Phasen von Hunger und Krieg hatten gelehrt, wie wichtig der Sektor für Wohl und Wehe eines Landes war. Hinzu kamen agrarromantische Ideen, die der Landwirtschaft eine herausgehobene Rolle für die jeweilige Gesellschaft einräumten – vielerorts galt das Bauerntum als Quelle nationaler Identität. Aus all diesen Gründen intervenierte der Staat in kaum einen anderen Bereich so tiefenscharf und umfassend wie in den primären Sektor. Trotz gradueller Unterschiede setzten die meisten Gesellschaften zunehmend auf staatliche Intervention und Protektion, um die eigene Landwirtschaft zu schützen.
Nach 1945 setzte sich dieser Trend fort, wobei in einigen Gesellschaften die staatlichen Subventionen die Staatskassen bereits wenige Jahre nach Kriegsende zu überfordern drohten. Das galt besonders für Frankreich und die Niederlande mit ihren leistungsstarken Agrarsektoren. Dementsprechend kamen aus diesen beiden Ländern 1949/50 die ersten Vorschläge zugunsten einer europäischen Lösung: Integration sollte den eigenen Betrieben neue Märkte erschließen; im Falle einer supranationalen politischen Lösung würden sich darüber hinaus die bisherigen staatlichen Kosten vergemeinschaften lassen. Insofern war es weniger der Hunger der Kriegsjahre als der sich bereits bald danach abzeichnende Überschuss an Agrarprodukten, der die Debatten über ein grünes Europa antrieb.
Aufbauend auf dem französischen und dem niederländischen Vorschlag scheiterte ein erster Anlauf, eine gemeinsame Agrarpolitik für Westeuropa zu schaffen, im Sommer 1954. Die Haltungen der verschiedenen Regierungen erwiesen sich als zu unterschiedlich, und auch die Agrarlobby sah Europa eher als Gefahr denn als Chance. Außerdem kristallisierte sich nun heraus, dass sich selbst in Westeuropa nur wenige Regierungen auf einen Ansatz zur weitreichenden Übertragung von Kompetenzen auf eine überstaatliche Ebene einlassen würden – viele neutrale Staaten, aber zum Beispiel auch das Vereinigte Königreich und die verschiedenen skandinavischen Gesellschaften waren dafür nicht zu haben.
Der nächste Anlauf zur Integration des Agrarsektors baute deswegen auf ein bereits etabliertes Projekt auf. 1951 hatten die Regierungen von Belgien, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und der Bundesrepublik für die Bereiche Kohle und Stahl ein gemeinschaftliches Regelwerk mit stark supranationalen Zügen aufgebaut; mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der sogenannten Montanunion, schufen sie die erste Vorläuferorganisation der heutigen EU. Mitte der 1950er Jahre entschlossen sich diese Regierungen, die europäische Integration noch weiter voranzutreiben und diskutierten eine Reihe von Projekten, etwa einen gemeinsamen Markt und vertiefte Kooperation im Energie- und Verkehrsbereich. Zugleich zogen sie eine Lehre aus dem Scheitern des ersten Anlaufs zugunsten eines grünen Europas: In den Verhandlungen, die 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) führten, sprach man auch über die Landwirtschaft. Weil jedoch so Vieles überaus kontrovers blieb, einigten sich die beteiligten Regierungen im Rahmen des EWG-Vertrags lediglich auf die Absicht, den Agrarsektor künftig vereinigen zu wollen. Die größte gemeinsame Klammer bestand in dem Konsens, dass man die Landwirtschaft nicht ungeschützt den Marktkräften überlassen dürfe, da dies das Todesurteil für die meisten Betriebe bedeutet hätte. Da damals noch rund 25 Prozent der Beschäftigten der EWG-Staaten in dem Bereich beschäftigt waren, hätte eine marktliberale Lösung unerträgliche soziale Verwerfungen nach sich gezogen. Soweit war man sich 1957 einig. Alle konkreten Fragen zur Ausgestaltung der GAP überließ der EWG-Vertrag jedoch der Zukunft. Vagheit war hier Programm.
Die Gemeinsame Agrarpolitik startete so als ein äußerst fragiles Pflänzlein. Entsprechend dauerte es mehr als ein Jahrzehnt, bis sie voll funktionsfähig war: Im Juli 1968 erstreckten sich ihre Marktverordnungen auf rund 90 Prozent der gesamten Agrarproduktion in der Gemeinschaft, und 1970 einigte man sich auf dauerhafte Finanzregelungen für den Sektor. Dass dies gelang, erklärt sich im Wesentlichen aus einer Allianz zwischen der französischen und der niederländischen Regierung sowie dem Beitrag der Europäischen Kommission. Wie schon zu Beginn der 1950er Jahre hofften die beiden Regierungen, für ihre Agrarüberschüsse neue Märkte gewinnen zu können und ihre nationalen Subventionen zu vergemeinschaften. Für die Kommission stand Machtgewinn im Vordergrund – denn eine supranationale Politik bedurfte eines handlungsfähigen europäischen Organs jenseits der Mitgliedstaaten. Besonders der damalige Agrarkommissar Sicco Mansholt aus den Niederlanden verstand es mit einer Mischung aus Sachkenntnis und Verhandlungsgeschick immer wieder, Blockaden in den komplizierten Verhandlungen zu überwinden.
Die Bundesrepublik stand dieser Entwicklung äußerst kritisch gegenüber. Die Bundesregierung widersetzte sich zunächst unter Kanzler Konrad Adenauer und später unter seinem Nachfolger Ludwig Erhard nach Kräften jener Ausrichtung der GAP, die sich in den frühen 1960er Jahren herausbildete. Ökonomisch sprach gegen das supranationale Modell, dass es für die Bundesrepublik billiger war, die mittelgroße eigene Landwirtschaft selbst zu subventionieren und den Rest des Bedarfs günstig auf dem Weltmarkt zu kaufen, als sich auf ein teureres, stark integriertes europäisches System einzulassen. Unter dem Druck der westdeutschen Agrarlobby setzte Bonn in Brüssel auf Blockade, aber auch auf hohe Preise für die heimische Erzeugung. Diese Haltung musste die Bundesregierung nach harten Verhandlungen Ende 1964 räumen – als Ergebnis kamen fortan alle EWG-Betriebe bei Getreide als dem Schlüsselprodukt landwirtschaftlicher Produktion in den Genuss vergleichsweise hoher, von Brüssel garantierter Preise.
Es handelte sich um einen mehr als problematischen Kompromiss mit entsprechenden Folgen: Die Politik hoher Preise war ein Produktionsanreiz für die Landwirtschaft. Sie führte zu massiver Überschussproduktion – zu den berüchtigten "Butterbergen" und "Weinseen". Dabei hätte man diese und andere Agrarerzeugnisse deutlich billiger auf dem Weltmarkt beziehen können: So kostete etwa ein Kilogramm Rindfleisch 1969 in der EWG 4,80 DM, auf dem Weltmarkt dagegen nur die Hälfte.
Agrarpolitik als Motor
Trotz dieser Probleme entwickelte sich die GAP bald zu einem Motor und Flaggschiff europäischer Einigung. Das galt hauptsächlich für die Landwirtschaft selbst, die das europäische Regelwerk aufgrund ihres protektionistischen, redistributiven Ansatzes immer weiter durchdrang. Denn der gewählte Ansatz hatte eine Tendenz zur Selbstverstärkung: Die Konzessionen, zu denen sich jede Seite in den komplizierten Verhandlungen gezwungen sah, kompensierte man häufig durch Integrationsschritte für weitere Teile des Sektors. Gab es erst einmal Marktverordnungen für Weizen, Schweinefleisch, Eier und Geflügel, stellte sich rasch die Frage, warum es nicht auch entsprechende Regelungen für Wein, Tabak oder Hopfen geben sollte. Gestärkt wurde die GAP auch durch die verschiedenen Erweiterungsrunden um neue Mitgliedstaaten: Häufig traten agrarisch geprägte Gesellschaften hinzu, die von der europäischen Landwirtschaftspolitik wesentlich zu profitieren hofften. Das galt etwa für die Republik Irland (1973) ebenso wie für Griechenland (1981), Spanien und Portugal (beide 1986), aber auch für die zahlreichen ostmitteleuropäischen Gesellschaften, die der EU seit 2004 beigetreten sind.
Die herausgehobene Rolle der GAP innerhalb des Einigungsprozesses zeigte sich daran, wie viele politische, administrative, finanzielle und intellektuelle Kapazitäten sie mittelfristig band. Zwischen 1958 und 1965 bezog sich rund 90 Prozent der gesamten Gesetzgebung auf europäischer Ebene auf die GAP. Auch nachdem 1967 die EWG, die Montanunion und Euratom zur Europäischen Gemeinschaft (EG) fusioniert hatten, machte in den 1970er Jahren der Agrarteil über 80 Prozent des gemeinsamen Haushalts aus. In dieser Zeit galt die damalige Generaldirektion VI, die in der Europäischen Kommission in Brüssel für die GAP zuständig zeichnete, als der glanzvollste Teil der gesamten EG. Auch noch in den 1980er Jahren definierte die Agrarintegration das europapolitische Tagesgeschäft mehr als jeder andere Bereich. Es ist nur leicht überspitzt, wenn man sagt: Damals war die GAP die EG, und die EG die GAP.
Entsprechend symbolisch aufgeladen war die GAP: Ihr Bild oszillierte zwischen Ikone und Trivialität. Zugleich galt die Agrarpolitik als Gradmesser für Stand und Ernsthaftigkeit der europäischen Einigung allgemein. Der Kalte Krieg, in dem der Ostblock durch seine Politik der Kollektivierung eine radikale Alternative für den primären Sektor entwickelte, verlieh dieser Tendenz zusätzliche Kraft und machte die GAP zu einer heiligen Kuh, an der man nicht herumkritisieren durfte, ohne zugleich die Frage nach der grundsätzlichen Haltung zur EG aufzuwerfen. Diese herausgehobene Sonderstellung des Agrarsektors verdichtete sich in einer rhetorischen Frage, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der GAP zieht – ob denn das große europäische Friedensprojekt an Weizen, Sojabohnen oder Zucker scheitern solle. Technische Kontroversen über den Abschöpfungsbetrag für Schweinefleisch oder den Interventionspreis für Olivenöl mussten vor diesem Hintergrund trivial und beinahe lächerlich wirken. Es war genau diese Ambivalenz, welche die Integration immer wieder beflügeln und mögliche Widerstände aus dem Weg räumen sollte.
Dies erklärt zugleich, warum eine grundlegende Reform der GAP lange Zeit als unmöglich galt – zu sehr wurde diese Option mit einer Demontage der GAP assoziiert. Scheitert das grüne Europa, dann scheitert Europa – diese Denkfigur prägte den Einigungsprozess schon lange bevor Bundeskanzlerin Angela Merkel 2010 eine ähnliche Formulierung in Bezug auf den Euro gebrauchte. Die GAP galt als unantastbar, was dringend notwendige Reformen jahrzehntelang verhinderte.
Zugleich sollte man die Leistungen der GAP mitnichten unterschätzen – insbesondere ihre kaum bekannte sozialpolitische Rolle. Die GAP bildete die Form, in der sich die grundstürzende Verwandlung der westeuropäischen Landwirtschaft seit den 1960er Jahren vollzog. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte die Transformation des Sektors tiefgreifende soziale und politische Krisen nach sich gezogen. Verarmung und Perspektivlosigkeit waren Gründe für politischen Radikalismus und den Aufstieg von Diktaturen gewesen, nicht nur in Deutschland. Wie anders dagegen in der zweiten Jahrhunderthälfte: Die GAP half, das Protestpotenzial des primären Sektors in friedlichen Bahnen zu halten. Die Bauern streikten in Brüssel; anders als in der Zwischenkriegszeit drehte sich die Protestspirale allerdings kaum weiter in Richtung physischer Gewalt und politischem Extremismus. Auf dem Papier ging es bei der GAP um eine ganze Reihe von Zielen, besonders um die Erhöhung der Produktion. De facto waren ihre Subventionen für die Betriebe in den Mitgliedstaaten in erster Linie eine versteckte Form der Sozialpolitik, die dem dramatischen Wandel des Sektors politische Maßnahmen entgegenstellte.
Aufgrund der GAP vollzog sich der "Abschied vom Agrarland" weitgehend geräuschlos. Denn ihre Subventionen gingen zwar nicht so weit, dass die Landwirtschaft im bestehenden Umfang hätte fortexistieren können. Waren bei Gründung der EWG 1957 noch rund 25 Prozent aller Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig, liegt dieser Wert für die heutige EU bei vier Prozent. Die GAP half jedoch, die schlimmsten sozialen Folgen dieses Wandels abzufedern. In diesem Sinn bildete sie eine redistributive Sozialpolitik im Gewand der Wirtschaftspolitik; sie war ein häufig übersehenes Mittel zur Stabilisierung des sozialen Friedens.
Landwirtschaftspolitik als Spaltpilz
Diese bedeutsame Rolle und diese Erfolge bilden aber nur die eine Seite. Zugleich blieb die GAP weitgehend Solitär und entwickelte sich nicht zum Vorbild weiterer Politiken mit einer ähnlichen Mischung aus supranationalem Ansatz und redistributiver Ausrichtung – und dies, obwohl verschiedene Seiten immer wieder entsprechende Forderungen erhoben. Häufig verband sich damit das Leitbild eines "sozialen Europa" – als Ansatz, der sich institutionell lange Zeit kaum durchsetzen konnte.
Der Hauptgrund dafür, dass sie nicht zur Blaupause weiterer Politiken mit ähnlich großer Hebelkraft werden konnte, lag daran, dass der in ihr angelegte Anreiz zur Ausweitung der Produktion exorbitante Kosten für den Haushalt der Gemeinschaft nach sich zog. Das grüne Europa galt deswegen vielerorts bald als abschreckendes Beispiel. Gerade Nettobeitragszahler wie die Bundesrepublik waren nicht bereit, sich auf eine Wiederholung des Modells der GAP einzulassen – und gerade in Bonn sah man gerne darüber hinweg, dass man durch die Richtungsentscheidungen der frühen 1960er Jahre selbst wesentlichen Anteil an den Fehlentwicklungen hatte.
Wie sehr die GAP das Potenzial in sich trug, das sich vereinigende Europa zu spalten, zeigte sich auch an anderer Stelle. Besonders für Frankreichs Präsident Charles de Gaulle (1959–1969) ging es mit der für sein Land so wichtigen Agrarintegration oft nicht schnell genug. Die GAP war einer der Hauptgründe, warum der Präsident 1965 mit der sogenannten Politik des leeren Stuhls das Institutionengefüge der Europäischen Gemeinschaften für ein halbes Jahr stilllegte und so eine der tiefsten Krisen in der Geschichte des Einigungsprozesses auslöste.
Die GAP war auch ein wesentlicher Grund, warum de Gaulle im Verlauf der 1960er Jahre zwei Anläufe des Vereinigten Königreichs, der EG beizutreten, torpedierte – zu sehr fürchtete er, dass es aufgrund seiner anderen Agrarstruktur das bestehende Regelwerk kritisieren und zerstören würde. Als das Vereinigte Königreich 1973 beitrat, bewahrheiteten sich zumindest einige dieser Befürchtungen. Das Inselreich wurde überproportional zur Kasse gebeten und beschwerte sich in der Folgezeit lautstark. Die Frage des britischen Beitrags zum Agrarbudget entwickelte sich zu einem Dauerkonflikt, der den gesamten Einigungsprozess lähmte. Eine halbwegs gütliche Klärung gelang erst bei einem Gipfeltreffen in Fontainebleau 1984. Aber auch noch Jahrzehnte später ließen sich auf der Insel leicht Ressentiments gegen die GAP mobilisieren, wie sich nicht zuletzt im Kontext des Brexit beobachten ließ. So unterstrich etwa Premierminister Boris Johnson im Oktober 2019, dass der Austritt einen "better deal" für die Landwirtschaft bedeute.
Noch in einem weiteren Sinne trug die GAP einen desintegrativen Kern in sich: Durch ihre protektionistischen Züge förderte sie zwar den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten zwischen den Mitgliedstaaten, erschwerte denjenigen mit Drittstaaten jedoch deutlich. Eines der ersten Länder, das dies zu spüren bekam, war Dänemark. Vor Gründung der EG hatte das skandinavische Land einen guten Teil seiner Agrarproduktion exportiert, etwa in die Bundesrepublik. Dieser Handel geriet nun unter massiven Druck. Und während Dänemark als westeuropäisches Land auf die desintegrative Wirkung der GAP durch einen Beitritt zur EG reagieren konnte, kam diese Option für viele andere Länder in- und außerhalb Europas nicht infrage.
GAP im Wandel
Nachdem die GAP die Agenda der EG mehr als drei Jahrzehnte grundlegend geprägt hatte, trat sie ab den späten 1980er Jahren etwas in den Hintergrund. Neue Projekte, wie der Aufbau des Binnenmarkts, später der Euro oder die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, übernahmen die Schlagzeilen und prägten das Tagesgeschäft in Brüssel.
Zugleich hat sich die europäische Agrarpolitik selbst spürbar gewandelt. Die Logik maximaler Produktion, die den Kurs lange geprägt hatte, wurde 1984 erstmals durch eine Quotenregelung für Milch relativiert.
Den entsprechenden Richtungswechsel hat die EU durch weitere Reformschritte, wie die 1999 beschlossene Agenda 2000 oder den sogenannten Gesundheitscheck von 2009, weiter vorangetrieben. Vor diesem Hintergrund hat sich das Berufsprofil der in der Landwirtschaft Beschäftigten massiv geändert. Sprach man früher vom Bauern oder Landwirt, ist heute auch von Klima- oder Energiewirtschaft die Rede, in der man aus Biomasse Energie gewinnt oder sich in der Landschaftspflege betätigt und damit gewachsene Kulturlandschaften erhält. Daneben hat nicht nur der Ökolandbau die ländlichen Berufe verändert; unter dem Stichwort "Soziale Landwirtschaft" bieten manche Höfe heute Menschen mit körperlichen oder anderen Beeinträchtigungen eine Beschäftigung.
Zusammengefasst dominiert mit Blick auf das Politikfeld das Bild übergreifender Kontinuitäten und langsamen Wandels. Wirklich nachhaltig und klimaneutral ist die europäische Landwirtschaft bis heute nicht; knapp ein Drittel des regulären Haushalts für diesen in Beschäftigtenzahlen und Wirtschaftsleistung äußerst nachrangigen Bereich zu investieren, erscheint vielen als verfehlt. Außerdem hat sich am Interventionismus in vielen Bereichen wenig verändert – dieser folgt nun lediglich anderen Logiken als dem preiszentrierten Ansatz früherer Jahre. Letztlich hängt die Landwirtschaft immer noch am Brüsseler Tropf.
Aus der Perspektive vieler Betroffener überwiegt dagegen das Gefühl dramatischer Veränderungen. Das Versprechen des institutionellen Europas, dem Sektor ein einträgliches Auskommen zu gewährleisten, erfüllte sich stets nur für einen Teil der Betriebe. Dort, wo es zu Liberalisierungsschritten kam, etwa im Bereich des Milchmarkts, hat dies große Proteste seitens der landwirtschaftlichen Betriebe nach sich gezogen. Auch die sich immer weiter verschärfenden Umweltauflagen gelten vielen als Knebel, zumal gerade kleinere Betriebe in längeren Zyklen planen müssen, als es die Politik zulässt. Zugleich dürfte den meisten in der Landwirtschaft Beschäftigten klar sein, dass sie auf einem vollständig liberalisierten Markt chancenlos wären – und sich gleichzeitig der gesellschaftspolitische Konsens so weit gewandelt hat, dass umfangreichere Schutzmaßnahmen auf mitgliedstaatlicher Ebene, als sie die EU bieten kann, kaum zu erwarten sind.
Wenngleich Herausforderungen wie die Eurokrise, der Umgang mit der Pandemie oder jüngst der russische Überfall auf die Ukraine viele Fragen drängender erscheinen lassen als die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, verdient diese weiterhin, beachtet zu werden. Das gilt nicht nur, weil sie weiterhin ein tragendes Politikfeld der Union ist, sondern auch, weil sich an ihr wie unter einem Brennglas Probleme und Chancen europäischer Einigung studieren lassen.