Bäuerliche Proteste hat es in der bundesdeutschen Geschichte schon mehrfach gegeben, doch haben sie in den vergangenen Jahren durch ihre oft spektakuläre Art eine neue Qualität und mediale Aufmerksamkeit gewonnen. So rollte ab Herbst 2019 eine dezentral organisierte Protestwelle durchs Land, bei der Landwirtinnen und Landwirte mit Demonstrationen und unkonventionellen Inszenierungen öffentlichkeitswirksam in Erscheinung traten – und zwar ohne die Beteiligung des einflussreichen Deutschen Bauernverbandes (DBV). Über soziale Medien und andere digitale Kommunikationswege entfalteten die Protestnetzwerke breite Mobilisierungkraft und sorgten auf diese Weise dafür, dass zahlreiche Bäuerinnen und Bauern sich an groß angelegten Sternfahrten mit Traktoren in Großstädte beteiligten, Molkereien, Schlachthöfe und Handelsunternehmen blockierten oder grüne Kreuze auf Feldern aufstellten, um ein größeres gesellschaftliches Bewusstsein für ihre Lage zu schaffen.
Trotz einzelner Allianzen hat sich bislang jedoch kein neuer organisationspolitischer Rahmen entwickelt; eher ist eine fragmentierte Empörungskultur mit Ad-hoc-Zusammenschlüssen zu beobachten, die aber jeweils eine Eigendynamik entfalten. Fragmentierung und Mobilisierung stehen hier also nicht im Widerspruch zueinander, vielmehr werden die analogen Protestformen digital stabilisiert. Die "Kommunikation im Internet (kann) den Face-to-Face-Charakter analoger Vergemeinschaftung (zumindest zeitweise) ersetzen und eine tragfähige Protestkultur auf Dauer stellen".
Was treibt die protestierenden Bäuerinnen und Bauern an? Welche Ursachen gibt es für bestehende Unzufriedenheiten? Wie lassen sich die Beteiligten politisch verorten, und welche Perspektiven bieten sich nach dem Abebben der ersten Protestwelle? Da es bei den Protestaktionen um mehr als Landwirtschaft geht und Grundprinzipien der Ernährung und des Umgangs mit der Natur berührt werden, ist es überraschend, dass diese Fragen und die Proteste an sich von der Forschung bislang kaum betrachtet wurden. Während die Umwelt- und Klimaproteste der vergangenen Jahre sowie die Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen auch in der Wissenschaft viel Widerhall fanden, liegen zu den Akteuren und Hintergründen der Bauernproteste keine empirischen Analysen vor. Wie im Allgemeinen spielen der Agrarsektor und der ländliche Raum auch in den Sozialwissenschaften nur eine randständige Rolle. In einem vierköpfigen Team der Ruhr-Universität Bochum und der Fachhochschule Münster haben wir versucht, diese Forschungslücke durch eine Online-Befragung ein Stück weit zu schließen.
Strukturwandel als Verlusterfahrung
Die Sorgen und die Unzufriedenheit der protestierenden Bäuerinnen und Bauern können nur vor dem Hintergrund des umfassenden Strukturwandels des Agrarsektors und der ökologischen Belastungen, die mit den hochtechnisierten Produktionsformen oft einhergehen, interpretiert werden. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich in der Landwirtschaft in den zurückliegenden Jahrzehnten ein tiefgreifender Wandel vollzogen, der viele Millionen Menschen direkt berührt. In den vergangenen Jahren hat sich zudem die Situation im global aufgestellten Ernährungsgewerbe durch die Macht der großen Handelsketten und das Verbraucherverhalten weiter in Richtung niedriger Preise vor allem für Milch und Fleisch zugespitzt. Viele Agrarbetriebe aus diesen Sparten können nicht mehr wirtschaftlich arbeiten, nicht wenige müssen ihren Hof früher als geplant aufgeben.
Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in der Bundesrepublik ist von 1950 bis Ende der 1980er Jahre von rund 1,6 Millionen auf 0,7 Millionen gesunken und lag nach Angaben des jüngsten Agrarberichts der Bundesregierung von 2019 bei 275000. Die Zahl der Erwerbstätigen lag in der Landwirtschaft im Jahr 2020 bei 580000 Personen, das sind 1,3 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland und bedeutet ein Minus von 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wenn allerdings die gesamte Lebensmittelkette betrachtet wird, also das "Agribusiness" von der Urproduktion über das Ernährungsgewerbe und den Handel bis hin zum Verbraucher, dann waren dort 2020 rund 4,4 Millionen Menschen beschäftigt. Zugleich ist die landwirtschaftliche Effizienz seit den 1950er Jahren enorm gestiegen: Während damals in der Bundesrepublik ein Bauer zehn Menschen ernährte, sind es 70 Jahre später rund 135 Menschen. Dies hat aber nicht verhindert, dass bei den Bauern finanziell immer weniger hängen bleibt: Während 1950 beim Broteinkauf noch 45 Prozent des gezahlten Ladenpreises beim Bauern verblieben, sind es derzeit nur noch vier Prozent.
Im Rückgang der Erwerbstätigen spiegelt sich auch die geschmolzene "Konfliktfähigkeit" agrarischer Interessen wider, die ein Indikator für die Interessendurchsetzung in politischen Entscheidungsprozessen ist. Dies spüren auch die Protestierenden. Während es jungen Klimaaktivistinnen und -aktivisten oftmals gelingt, mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, weil sie ein globales Problem thematisieren, müssen Bäuerinnen und Bauern für ein bisschen Berichterstattung in der Regel sehr viel mehr Aufwand betreiben, weil ihre Anliegen als Partikularinteressen gedeutet werden. Neben der Organisationsfähigkeit beweist sich die Konfliktfähigkeit von Interessen in Entzugsmöglichkeiten gegenüber staatlichen Instanzen, anderen Interessengruppen oder der Öffentlichkeit: Ein wirksames Druckmittel ist die Zurückhaltung von Kapital oder Arbeit, wie sie etwa von Unternehmen und Gewerkschaften in Konflikten eingesetzt wird. Vor einigen Jahren setzten auch einige bäuerliche Protestakteure auf einen "Milchstreik", konnten damit allerdings kaum Wirkung erzielen. Ein weiteres Druckmittel von Verbänden gegenüber politischen Parteien ist die Drohung mit dem Entzug von Wählerstimmen. Durch den massiven Rückgang der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft kann diese Drohung bei politischen Parteien jedoch kaum noch ein Entgegenkommen bewirken. Auch dramatisierende Argumente, etwa, dass die Ernährung der Bevölkerung auf dem Spiel stehe, übersetzen sich nicht in mehr mediale Aufmerksamkeit oder politische Durchsetzungsmacht. Eher nutzen sie sich ab und ziehen symbolische Beschwichtigungen nach sich. Demgegenüber wird in der Öffentlichkeit viel stärker auf die Qualität und Nachhaltigkeit der Ernährung geachtet.
Die derzeitige Lage in der Landwirtschaft stellt sich folglich spannungsreich und oft subjektiv widersprüchlich dar, zumal es sich um einen globalen Wandel des Agrar- und Ernährungssystems handelt. Einerseits steigen die Anforderungen aus ökologischer und tierethischer Sicht, andererseits ist es für landwirtschaftliche Betriebe wegen der niedrigen Lebensmittelpreise immer schwieriger, überhaupt profitabel zu arbeiten. Es lässt sich somit von einem "Zangengriff von Ökonomie und Ökologie" sprechen, der sich im Landwirtschaftssektor unmittelbar bemerkbar macht, aber auch allgemein krisenhafte "Störungen der Gesellschafts-Natur-Beziehungen" kennzeichnet.
Wer protestiert?
Die Daten zu Teilnehmendenstruktur und Beweggründen der Bauernproteste stammen zum einen aus der Online-Befragung Ende 2020, zum anderen aus begleitenden qualitativen Interviews. Der Teilnahmeaufruf für die Befragung wurde über diverse Kanäle und Foren in sozialen Medien verbreitet, in denen Bäuerinnen und Bauern sich organisieren. Gleichzeitig wurde die Umfrage über eine landwirtschaftliche Fachzeitschrift und einen Newsletter verbreitet, um Personen zu erreichen, die nicht in den genannten Gruppen aktiv sind, aber trotzdem Sorgen und Forderungen äußern wollen.
Insgesamt verzeichneten wir 603 gültige Teilnahmen, wovon 492 genauer betrachtet wurden, da diese Personen sich selbst als Landwirtinnen und Landwirte im Voll- oder Nebenerwerb einordneten (n = 396) beziehungsweise eine Tätigkeit oder einen Beruf in Bezug zur Landwirtschaft angaben (n = 96). Über 82 Prozent der Befragten waren männlich, rund 17 Prozent weiblich. Das Medianalter lag bei 44 Jahren. Von den Befragten betrieben zum Zeitpunkt der Erhebung 93,9 Prozent konventionelle Landwirtschaft, 14,6 Prozent boten Dienstleistungen an (etwa einen Hofladen), und 4,3 Prozent betrieben ökologische Landwirtschaft.
Der überwiegende Großteil der befragten Voll- und Nebenerwerbstätigen ist von grundlegenden ökonomischen Existenzfragen belastet: Über 95 Prozent gaben an, sich einige oder große Sorgen um die persönliche wirtschaftliche Zukunft zu machen, 98 Prozent sorgen sich über die generelle Zukunft der Landwirtschaft. Zudem machen sich über 83 Prozent einige oder große Sorgen um das Ansehen aufgrund des Berufs. Über 85 Prozent gaben einige oder große Sorgen wegen der Klimawandelfolgen an, über 77 Prozent sorgen sich um die Umwelt. Die größten Sorgen beziehen sich allerdings auf mögliche neue Vorgaben der Politik für die Landwirtschaft: Über 87 Prozent machen sich deshalb große, weitere über 9 Prozent einige Sorgen.
Bei der Frage nach der parteipolitischen Repräsentation der Interessen der Landwirtschaft sehen 40 Prozent der Befragten diese am ehesten von der FDP vertreten, dahinter folgen CDU/CSU mit 18,4 Prozent. Die übrigen Parteien spielen kaum eine Rolle – und überhaupt sehen 37,4 Prozent der Befragten ihre Interessen durch keine Partei vertreten. Gründe hierfür könnten sein, dass sich die Liberalen als die Partei der Selbstständigen definieren und somit an die kulturelle Tradition des "freien" Bauern erinnern, der eigenständig entscheidet und sensibel auf die Ausweitung bürokratischer Auflagen reagiert. Aus dem hohen Anteil der Personen, die die Interessen der Landwirtschaft von keiner politischen Partei repräsentiert sehen, lassen sich zudem Hinweise auf Repräsentationsdefizite und ein Vertrauensverlust in die traditionellen politischen Institutionen ableiten. Misstrauen und Politik(er)verdrossenheit zeigen sich auch in der schwindenden Bindekraft der traditionell in der landwirtschaftlichen Berufsgruppe stark verankerten Unionsparteien: Laut Forschungsgruppe Wahlen machten bei der Bundestagswahl 2021 zwar immer noch 45 Prozent der Landwirtinnen und Landwirte ihr Kreuz bei CDU/CSU, zugleich bedeutete dies aber einen massiven Verlust im Vergleich zu den vorherigen Bundestagswahlen (2017: 61 Prozent; 2013: 75 Prozent).
Bei der Beobachtung der Proteste im Agrarmilieu taucht immer wieder die Frage auf, inwieweit es populistischen Kräften gelingt, die Unzufriedenheit und den Zorn der Protestierenden in ihren Organisationen zu bündeln. Beispiele aus anderen Ländern legen nahe, dass sich aus dem traditionellen Mittelstand heraus, zu dem auch die bäuerliche Bevölkerung zählt,
Protestmotive
Hinsichtlich der Existenzsorgen zeigen sich erhebliche Differenzen zwischen den verschiedenen ländlichen Regionen. Denn es gibt weder "die" Landwirtschaft, noch "den" ländlichen Raum. Eher ist eine zunehmende Zerrissenheit der landwirtschaftlichen Lebenswelten zu beobachten, was auch auf die Protestbewegungen ausstrahlt. Während es in sozioökonomisch "erfolgreichen" ländlichen Räumen mehr Optionen für eine Diversifizierung gibt und berufliche Alternativen leichter zu finden sind, ballen sich die Problemlagen in peripheren Regionen, die somit von weiterer Entwertung bedroht sind.
Die Umfrageergebnisse und weitere Interviews zeigen, dass es neben den Existenzängsten und der Wut über immer mehr Regulierung – etwa durch Insektenschutz oder Düngeverordnungen – eine weitere wichtige Triebkraft für die Proteste gibt: "Die niedrigen und oft ausbleibenden Erlöse frustrieren viele Landwirte, ebenso wie die bürokratischen Dokumentationspflichten – sie werden teilweise als große Zumutung wahrgenommen. An erster Stelle ist es jedoch meist das schwindende Ansehen, ein in der Öffentlichkeit gezeichnetes Bild, das Bauern als subventionierte Tierquäler und Umweltvergifter erscheinen lässt, das den Befragten zu schaffen macht."
Genährt wird die Unzufriedenheit auch durch pauschale Verurteilungen, wenn die Verschiedenheit der landwirtschaftlichen Betriebe nicht wahrgenommen wird und höchstens zwischen "der" Biolandwirtschaft und "der" traditionellen Landwirtschaft unterschieden wird. Denn auch unter den nicht ökologisch zertifiziert arbeitenden Betrieben gibt es regional orientierte, die sich ihrer Verantwortung für Mensch und Umwelt bewusst sind. In den vergangenen Jahrzehnten war der Trend zur auf Effizienz getrimmten und global operierenden Hochleistungslandwirtschaft – die niedrige Lebensmittelpreise ermöglicht, aber auch Umweltgefährdungen und Ressourcenverschwendung mit sich bringt – jedoch politisch gewollt und wurde vom DBV und den Agrarverwaltungen entsprechend forciert. Die Großbetriebe aber profitieren bislang am stärksten von den milliardenschweren EU-Subventionen, die primär von der Größe der bewirtschafteten Fläche abhängen. "Längst führen die Produktionsformen einer Landwirtschaft, die unter globalisierten Marktbedingungen strikt auf die kontinuierliche Steigerung der quantitativen Erträge pro Flächeneinheit beziehungsweise Nutztier ausgelegt ist, vielfältig zur Überbeanspruchung natürlicher Ressourcen."
Die ökologischen Herausforderungen sind auch dadurch gewachsen, weil sie jahrzehntelang in der agrarpolitischen Arena ignoriert wurden. Dass die Protesthaltungen der Landwirtinnen und Landwirte allerdings in der Öffentlichkeit bislang auf wenig Entgegenkommen stoßen, liegt auch an den Skandalen in der Fleischindustrie und anderen ethisch fragwürdigen Vorkommnissen in der Hochleistungslandwirtschaft. Viele konventionell wirtschaftende Betriebe lehnen diese Produktionsmethoden jedoch ebenfalls ab, womit insgesamt die internen Spannungen in der Landwirtschaft immer stärker hervortreten: Über die Differenzierung zwischen ökologischer, konventioneller und industrialisierter Landwirtschaft hinaus unterscheiden sich die ökonomischen Lagen zwischen Groß- und Kleinbetrieben, Viehhaltern und Getreidewirtschaft, Höfen mit Zusatzeinnahmen aus Tourismus und Sport oder bestimmte Lebensmittel.
Zukunft in Zeiten schwindender Systemakzeptanz
Die Proteste im Agrarsektor zeigen, dass der klassische Entwicklungspfad in eine Sackgasse geführt hat und die etablierten agrarpolitischen Strategien brüchig geworden sind. Anschaulich wird dies anhand der über Jahrzehnte gepflegten Vorbehalte etwa vom DBV gegenüber der Ökolandwirtschaft, obgleich diese einen zukunftsfähigen Entwicklungspfad aufzeigt, während der bisherige Ansatz nur noch den Bestand weniger Großbetriebe zu sichern vermag. Diese allerdings werden kaum die über Jahrhunderte landwirtschaftlich geprägte Kulturlandschaft bewahren.
Manche Bäuerinnen und Bauern glaubten jahrelang, sie seien als "Ernährer der Bevölkerung" ganz besonders "systemrelevant", und ihre Interessen müssten entsprechend berücksichtigt werden. Diese überhöhte Selbstwahrnehmung wurde sowohl vom DBV, der als mitgliederstarker Verband an allen wichtigen agrarpolitischen Entscheidungen aktiv beteiligt war,
Im Zuge der Proteste seit 2019 hat es insbesondere das Netzwerk "Land schafft Verbindung" geschafft, sich als oppositionelle Agrarbewegung zu etablieren. Der eingetragene Verein sieht sich selbst als verbandsübergreifende und parteineutrale Instanz. Die Ausdifferenzierung in Untergruppen birgt indes die Gefahr, sich als bäuerliche Protestbewegung bald wieder selbst zu "zerlegen". Von außen betrachtet wirken die Aktivitäten oftmals diffus, und die Interessenformierung ähnelt eher zufälligen Schwärmen denn strategisch geleiteten Organisationen. Dies kann zu Rückzügen in geschlossene Teilgesellschaften führen, die den Blick auf gesamtgesellschaftliche Dynamiken verengen. Dadurch driften die Lebenswelten weiter auseinander, und statt auf Kommunikation miteinander und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu setzen, gewinnen Rückzugstendenzen und Abgrenzungen an Bedeutung, um den Statuserhalt zu sichern. Derartige Prozesse sind auch bei anderen abschmelzenden Gruppen aus dem alten Mittelstand zu beobachten: In Zeiten wachsenden Misstrauens gegenüber politischen Institutionen sind negative Allianzen leichter zu positionieren als konstruktive Angebote, denn sie kommen ohne ein kohärentes mehrheitsfähiges Konzept aus.
Nach dem Auslaufen der ersten Protestwelle merken die Bäuerinnen und Bauern indes, dass ihre Forderungen nicht erfüllt wurden, und beklagen sich in den sozialen Medien über die nachlassende Sichtbarkeit in der Medienöffentlichkeit. Insofern wirkten die Proteste als Themengenerator, lösten allerdings keine Problemlösungsresonanz aus, sodass weitere Enttäuschungen und wohl auch Konflikte bereits programmiert sind. Proteste von Bäuerinnen und Bauern können jedoch als seismografische Warnsignale für den konfliktbeladenen Wandel des Landwirtschaftssektors angesehen werden. Die Schrumpfungsprozesse in der konventionellen Landwirtschaft vollziehen sich zwar im Stillen, müssen aber individuell verarbeitet werden, denn viele Betroffene sehen darin aufgrund der sozialräumlichen Verbundenheit ein Auslaufmodell der traditionellen ländlichen Lebensform und damit ihrer Identität. Nicht zuletzt auch deshalb sollte diesen Transformationsprozessen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden – sowohl seitens der Medien als auch der Politik.
Da die ökologische Transformation des Agrar- und Ernährungssystems die landwirtschaftspolitische Agenda der nächsten Jahre mutmaßlich bestimmen wird, sind die Protestierenden somit gefordert, sich über die Artikulation von Verlustängsten hinaus konstruktiv daran zu beteiligen. Hierfür braucht es jedoch eine Arena, in der die Sorgen und Nöte der Protestgruppen gehört und berücksichtigt werden, eine bessere Vernetzung der verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure
Ein institutioneller Rahmen hierfür wäre zum Beispiel eine neue, zentral koordinierte "Konzertierte Aktion". In der Zukunftskommission Landwirtschaft ist es bereits gelungen, sowohl die Agrarverbände, allen voran den DBV, als auch Umwelt- und Naturschutzverbände sowie weitere maßgebliche Organisationen auf eine gemeinsame Strategie festzulegen. Dieser Konsens sollte nicht nur für einen ökologisch ausgerichteten Umbau des Agrarsystems genutzt, sondern hierüber könnten auch die Sorgen und Frustrationen der Bäuerinnen und Bauern aufgegriffen werden, damit diese nicht in Apathie oder politische Radikalisierung umschlagen. Der Handlungskonsens auf Regierungsebene ist zudem in einen Umsetzungskonsens zu transferieren. Gleichzeitig sind dezentrale Impulse wichtig; Handlungsfelder gibt es genug: von der Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes bis hin zu den existenziellen ökonomischen Problemen einzelner Gruppen.