Die deutsche Agrarpolitik der vergangenen Jahre ist durch heftige Konflikte zwischen drei konkurrierenden Paradigmen gekennzeichnet. Das produktivistische Paradigma betont die Bedeutung der Landwirtschaft für die Ernährungssicherung, aus der sich eine Verpflichtung der Produzent:innen zur laufenden Erhöhung der Produktivität und eine Verpflichtung des Staates ergibt, strukturell bedingte Einkommensnachteile der landwirtschaftlichen Bevölkerung auszugleichen. Dazu seien erhebliche Eingriffe in die Agrarmärkte gerechtfertigt, da freie Märkte aus dieser Sicht nicht geeignet sind, eine sichere und bezahlbare Ernährung der Bevölkerung zu gewährleisten. Weil diese Argumentation auf einzigartige Besonderheiten des Agrarsektors abhebt, wird sie auch als "landwirtschaftlicher Exzeptionalismus" bezeichnet.
Das marktliberale Paradigma hält die Landwirtschaft hingegen für grundsätzlich konkurrenzfähig mit anderen Sektoren und wendet sich gegen die Unterdrückung von Marktsignalen und Effizienzverluste, die mit staatlichen Markteingriffen und protektionistischer Abschottung einhergehen.
Das Multifunktionalitätsparadigma wiederum betont, dass eine nachhaltige Landwirtschaft sowohl marktfähige Güter (Nahrungsmittel, Futtermittel, Rohstoffe) als auch nicht marktfähige Güter (Bodenfruchtbarkeit, biologische Vielfalt, Kohlenstoffbindung im Boden, schöne Landschaften) erzeugt. Eine Honorierung der nicht marktfähigen Güter durch den Staat sei erforderlich, um ein drohendes Marktversagen zu verhindern. Die nicht marktfähigen Güter werden zudem auch mit einer erhöhten Resilienz der Agrarsysteme in Verbindung gebracht.
Während in der breiten Öffentlichkeit das Multifunktionalitätsparadigma dominiert, ist der Einfluss des produktivistischen Paradigmas in der deutschen und europäischen Agrarpolitik ungebrochen. Wie lässt sich das erklären? Um dieses Rätsel zu lösen, wird im Folgenden ein Blick auf die Verflechtung der deutschen Agrarpolitik mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union geworfen. Angesichts der daraus resultierenden Probleme, vorwärtsweisende Entscheidungen zu generieren, hat die Suche nach neuen Formen der Interessenvermittlung in der Agrarpolitik begonnen. Es wird daher abschließend auch die Frage aufgeworfen, ob ein deliberativer Pluralismus den überkommenen Agrarkorporatismus ablösen und die Verflechtungsfalle
Politikverflechtung zwischen Bund und Ländern
Der institutionelle Rahmen der Agrarpolitik in Deutschland besteht aus einem ausgeprägten Mehrebenensystem, in dem Kompetenzen zwischen Bund und Ländern sowie der EU aufgeteilt sind. Dies führt zu einer oft sehr komplexen Politikverflechtung zwischen den verschiedenen Ebenen (vertikal), aber auch zwischen verschiedenen Handlungsbereichen (horizontal). Starke Politikverflechtung gilt im Allgemeinen als hemmend für Politikwandel, weil sie mit komplizierten und langwierigen Entscheidungsfindungsprozessen einhergeht.
In der Bundesrepublik fällt die Agrarpolitik gemäß Art. 74 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Das bedeutet, dass die Länder agrarpolitische Gesetze erlassen können, solange und soweit nicht der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat. Außerdem erfordern agrarpolitische Gesetzgebungsvorhaben des Bundes eine Mitwirkung des Bundesrates. Nicht zuletzt ist eine enge laufende Abstimmung zwischen Bund und Ländern erforderlich, um Regelungsbedarfe, Verordnungen und deren Umsetzung abzustimmen. Dem dient die Agrarministerkonferenz (AMK), an der die Agrarminister:innen von Bund und Ländern teilnehmen und die sich zwei Mal pro Jahr trifft. Hinzu kommen Sondersitzungen, wenn besonderer Entscheidungsbedarf besteht. Dies war beispielsweise 2021 der Fall, als es um die Frage ging, wie die Reform der GAP in Deutschland umgesetzt werden soll. Neben unterschiedlichen Parteilinien mussten vielfältige Länderinteressen abgestimmt und vermittelt werden.
Gesetzlich verankertes Ziel der deutschen Agrarpolitik ist es, "der Landwirtschaft die Teilnahme an der fortschreitenden Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft und (…) der Bevölkerung die bestmögliche Versorgung mit Ernährungsgütern zu sichern". Dies wurde 1955 in Paragraf 1 des Landwirtschaftsgesetzes (LwG) festgelegt. Weiterhin "ist die Landwirtschaft (…) in den Stand zu setzen, die für sie bestehenden naturbedingten und wirtschaftlichen Nachteile gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen auszugleichen und ihre Produktivität zu steigern. Damit soll zugleich die soziale Lage der in der Landwirtschaft tätigen Menschen an die vergleichbarer Berufsgruppen angeglichen werden." Hier werden alle Kernelemente des produktivistischen Paradigmas und des landwirtschaftlichen Exzeptionalismus artikuliert. Einkommensverbesserung einer spezifischen Berufsgruppe als Ziel der Staatstätigkeit ist in der Bundesrepublik einzigartig. Paragraf 1 LwG ermöglicht dem Staat zu diesem Zweck, die "Mittel der allgemeinen Wirtschafts- und Agrarpolitik – insbesondere der Handels-, Steuer-, Kredit- und Preispolitik" einzusetzen – also umfassende Eingriffe in die Agrarmärkte.
Zudem wurde 1969 mit der in Art. 91a GG verankerten Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) ein Finanzmechanismus für eine umfassende Agrarförderpolitik geschaffen. Die Aufgaben und Koordinierungsmechanismen müssen dabei gemäß Art. 91 Abs. 2 GG "durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates näher bestimmt" werden. Bund und Länder müssen also auch hier zusammenwirken. Die GAK ist zwar im Kern ein Finanzierungsinstrument, über die Fördertatbestände und -bedingungen wird jedoch wesentlich die inhaltliche Ausrichtung bestimmt. Diese werden im GAK-Rahmenplan festgelegt, der jeweils für vier Jahre beschlossen wird. Die Entscheidung fällt der Planungsausschuss für Agrarstruktur und Küstenschutz (PLANAK), in dem die Agrarminister:innen von Bund und Ländern sowie der Bundesminister der Finanzen zusammenkommen.
Im Laufe der Jahre wurden produktivistisch begründete Maßnahmen – wie Investitionshilfen zur Modernisierung und Rationalisierung – zunehmend durch Maßnahmen im Sinne des Multifunktionalitätsparadigmas ergänzt – etwa durch Agrarumwelt- und -klimamaßnahmen. 2020 wurden über den GAK-Rahmenplan knapp 1,6 Milliarden Euro verausgabt. Davon finanzierten die Länder rund 618 Millionen und der Bund etwa 966 Millionen Euro. Der aktuelle Rahmenplan gilt von 2021 bis 2024. 2021 erhielten die Länder durch die GAK insgesamt knapp 1,1 Milliarden Euro vom Bund. Das LwG begründet unter anderem auch staatliche Zuschüsse in die landwirtschaftlichen Sozialsysteme in Höhe von zuletzt 3,9 Milliarden Euro im Jahr 2020 – als Teil produzentenorientierter Einkommenspolitik.
Einbindung ins europäische Mehrebenensystem
Seit 1957 ist die deutsche Agrarpolitik in ein europäisches Mehrebenensystem eingebunden. Die Gründungsmitglieder der Europäischen Gemeinschaften hatten im Rahmen der Römischen Verträge in einem eigenen Kapitel zur Landwirtschaft die Etablierung einer Gemeinsamen Agrarpolitik vereinbart. Demnach sollten die landwirtschaftlichen Märkte Teil des europäischen Binnenmarkts werden. Zugleich können auf Vorschlag der Kommission die Mitgliedstaaten die Einführung spezieller "Marktordnungen" beschließen, was ab Anfang der 1960er Jahre auch für die meisten Agrarprodukte geschah. Die Umsetzung der Maßnahmen obliegt der Kommission, die sich über ein System von Ausschüssen mit den Mitgliedstaaten abstimmt. Mit jeder neuen Marktordnung wurden Kompetenzen auf die EU-Ebene verlagert. Denn laut Art. 4 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) fällt die Agrarpolitik in die geteilte Zuständigkeit zwischen EU und Mitgliedstaaten. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten nur in solchen Bereichen der Agrarpolitik Gesetzgebungskompetenzen besitzen, in denen die Union ihre Zuständigkeit nicht oder nicht mehr ausübt.
Dort, wo die EU agrarpolitisch tätig wird, ist innerhalb der Bundesrepublik gemäß Art. 23 Abs. 4 GG "der Bundesrat (…) an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen", da er bei agrarpolitischen Fragen "an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte" beziehungsweise "die Länder innerstaatlich zuständig wären". In der Folge befinden sich die europäisierten Teile der Agrarpolitik in einem ausgeprägten Mehrebenengeflecht, in dem Bund, Länder und EU-Institutionen zusammenwirken. Dies bedeutete etwa bei den jüngsten Verhandlungen zur GAP für die Förderperiode 2022 bis 2027, dass die Vertreter:innen der Bundesregierung einerseits mit den Bundesländern in der AMK eine abgestimmte deutsche Position und andererseits mit den anderen Mitgliedstaaten im Rat einen EU-weiten Kompromiss aushandeln mussten. Eine solche Politikverflechtung macht die Entscheidungsfindung extrem aufwendig.
Bis zur sogenannten MacSharry-Reform von 1992 wurden mittels der Agrarmarktordnungen die Preise für die meisten landwirtschaftlichen Produkte deutlich über den Weltmarktpreis gehoben. Dies geschah entweder durch Produktionsobergrenzen, sogenannte Quoten (vor allem für Milch und Zucker), oder durch vorgegebene Mindestpreise, Aufkauf von Überschüssen, Einlagerung und Exportsubventionen. Die damit verbundenen Ausgaben führten jedoch zu wiederholten Haushaltskrisen, während die handelsverzerrenden Wirkungen dem Abschluss des Abkommens über die Gründung einer Welthandelsorganisation im Weg standen.
Seit der MacSharry-Reform wurde daher die Einkommensstützung mittels Marktintervention in mehreren Schritten durch Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe ersetzt. Dies ging mit der Umsetzung eines neuen Haushaltssystems der EU einher. Seit 1993 ist die GAP in Form von siebenjährigen Programmen organisiert, die mit der mittelfristigen Finanzplanung der EU synchronisiert sind. 1999 wurde zudem beschlossen, verschiedene Einzelprogramme zu einer "Integrierten Ländlichen Entwicklungspolitik" zusammenzufassen, die auch als "zweite Säule der Agrarpolitik" bezeichnet wird. Die "erste Säule" der GAP umfasst die Direktzahlungen für landwirtschaftliche Betriebe sowie die gemeinsame Marktorganisation. Sie wird vollständig aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) finanziert. Maßnahmen in der "zweiten Säule" hingegen müssen von den Mitgliedstaaten zu festgelegten Sätzen kofinanziert werden. Der EU-Anteil wird hier aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) bezahlt.
Zusammen umfasste der GAP-Haushalt 2014 bis 2020 Ausgaben von rund 408 Milliarden Euro, davon etwa 291 Milliarden (71,3 Prozent) für Direktzahlungen, 99,5 Milliarden (24,4 Prozent) für die Entwicklung des ländlichen Raums und rund 17,5 Milliarden (4,3 Prozent) für Marktmaßnahmen. Dies entsprach etwa 38 Prozent des gesamten EU-Haushalts. Die Verteilung zeigt ein deutliches Übergewicht produktivistischer Elemente (also Direktzahlungen, Marktordnungen) gegenüber multifunktionalen Elementen in der GAP (also ländliche Entwicklungspolitik).
Zielkonflikte
Aufgrund des enormen finanziellen Volumens gehören die Entscheidungen über die GAP zu den zentralen politischen Weichenstellungen in der EU. Bis zum Ende 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon galten für die beiden Säulen der GAP unterschiedliche Entscheidungsverfahren. Seitdem unterliegt die gesamte GAP dem regulären Gesetzgebungsverfahren der EU. Bei der jüngsten GAP-Reform bedeutete dies konkret, dass die Kommission im Frühjahr 2017 mit einer öffentlichen Konsultation begann und im Juni 2018 Legislativvorschläge unterbreitete, die federführend von der Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Räume erarbeitet wurden. Die zeitnah veröffentlichten Vorschläge für den Haushalt 2021 bis 2027 sahen angesichts des Wegfalls der britischen Beitragszahlungen und des Wunsches, mehr Geld für neue Aufgaben freizusetzen, Kürzungen der ersten Säule von rund 10 Prozent und der zweiten Säule von rund 19 Prozent vor. Die finanziellen Gewichte würden damit noch weiter von den multifunktionalen zu den produktivistischen Elementen der GAP verschoben.
Der Vorschlag der Kommission benötigte im Parlament eine einfache und im Rat eine qualifizierte Mehrheit. Im Parlament ist der Agrarausschuss federführend; hier dominieren traditionell Abgeordnete aus Parteien, die landwirtschaftlichen Interessen nahestehen und eher konservativ ausgerichtet sind. Im Rat ist der sogenannte Agrarrat zuständig. Die Agrarminister:innen stehen oft ebenfalls landwirtschaftlichen Interessen nahe. Beide Gruppierungen verstärken also tendenziell das produktivistische Paradigma. Hinzu kommt, dass der produktivistische Agrarexzeptionalismus auch in den Europäischen Verträgen verankert ist: Als Ziele der GAP stehen in Art. 39 Abs. 1 AEUV die Erhöhung der Produktivität der Landwirtschaft und des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, die Stabilisierung der Märkte, die Sicherstellung der Versorgung sowie die Belieferung der Verbraucher:innen zu angemessenen Preisen. Diese Ziele sind seit 1957 unverändert. Der Agrarexzeptionalismus tritt auch in Art. 39 Abs. 2 deutlich zutage, der ausdrücklich auf "die besondere Eigenart der landwirtschaftlichen Tätigkeit" abhebt, "die sich aus dem sozialen Aufbau der Landwirtschaft und den strukturellen und naturbedingten Unterschieden der verschiedenen landwirtschaftlichen Gebiete ergibt".
Zugleich sind jedoch alle Institutionen der EU gemäß Art. 2 und Art. 11 AEUV verpflichtet, sich am Ziel einer nachhaltigen Entwicklung zu orientieren und die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Umsetzung der Unionspolitiken und -maßnahmen einzubeziehen. Kommission, Rat und Parlament sollen zudem laut Art. 114 Abs. 3 AEUV ein "hohes Schutzniveau" in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz anstreben. Diese horizontalen, also alle Politikbereiche betreffenden, Ziele bilden das Einfallstor für den Multifunktionalismus in die GAP. Aufgrund der Festlegungen des Art. 39 AEUV können sie aber nicht zum Kerngehalt der GAP werden. Dies setzt der Möglichkeit, die GAP für die Verwirklichung umwelt-, klima-, verbraucher- oder tierwohlpolitischer Ziele zu nutzen, deutliche Grenzen.
Weiterhin ist von Bedeutung, dass die Ausgestaltung der GAP eng mit dem Haushaltsverfahren der EU verknüpft ist. Die förderpolitischen Instrumente und Transferzahlungen der GAP hängen wesentlich von den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln ab. Das Haushaltsverfahren der EU erfordert jedoch – neben einer Mehrheit im Parlament – Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten im Rat. Diesen Umstand kann jeder Mitgliedstaat nutzen, um für ihn wichtige Aspekte der GAP auf dem Umweg über das Haushaltsverfahren durchzusetzen. Dabei orientieren sich die Mitgliedstaaten zunächst an ihrer Nettozahlerposition, das heißt der Differenz zwischen ihren Beiträgen zum EU-Haushalt und den Rückflüssen aus den verschiedenen Programmen der EU. Da die meisten Mitgliedstaaten Netto-Empfänger der GAP sind, stoßen größere Veränderungen, deren Umverteilungswirkungen möglicherweise schwer absehbar sind, rasch auf Widerstand.
Diese Situation führte bei der jüngsten GAP-Reform dazu, dass das Parlament sich weigerte, eine Position zu beziehen, ehe Klarheit über die für die GAP zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel bestand, sodass es vor der Europawahl 2019 nicht mehr zu einer Abstimmung im Plenum kam. Die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen legte Ende 2019 mit dem European Green Deal, der Farm-to-Fork-Strategie und der Biodiversitätsstrategie drei Dokumente vor, welche den Bestrebungen einer multifunktionalistischen Reform der GAP zunächst Rückenwind gaben. Die Generaldirektion Landwirtschaft, der Agrarausschuss des Parlaments und der Agrarrat kamen jedoch zu dem Ergebnis, dass die bisherigen Vorschläge die Anforderungen des Klima- und Biodiversitätsschutzes bereits weitgehend erfüllten. Die haushaltspolitische Diskussion wurde dann durch das beispiellose Finanzpaket zur Bekämpfung der Folgen der Covid-19-Pandemie bestimmt.
Im Juli 2020 kam es schließlich zur Einigung auf einen Finanzrahmen für die GAP für den Zeitraum 2021 bis 2027 in Höhe von 378,5 Milliarden Euro in laufenden Preisen, davon 291,1 Milliarden (knapp 77 Prozent) für die erste und 87,4 Milliarden (rund 23 Prozent) für die zweite Säule. In konstanten Preisen entspricht dies tatsächlich der angestrebten Kürzung von 10 Prozent in der ersten und 19 Prozent in der zweiten Säule gegenüber der Förderperiode 2014 bis 2020. Die anschließenden Verhandlungen zwischen Rat und Parlament zogen sich noch bis Ende Juni 2021 hin und führten vor allem auf Drängen des Parlaments und des Vizepräsidenten der Kommission, Frans Timmermans, zu einer gewissen Stärkung der multifunktionalen Elemente in der GAP. So müssen die Mitgliedstaaten 25 Prozent der Mittel der ersten Säule für sogenannte Eco-Schemes reservieren und mindestens 30 Prozent der Mittel der zweiten Säule für umwelt- und klimabezogene Maßnahmen einsetzen. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel an der Umweltwirksamkeit der Maßnahmen, die letztlich die Mitgliedstaaten im Rahmen von Nationalen Strategieplänen ausarbeiten. Diese müssen dann wiederum von der Kommission genehmigt werden. Die Details der Rechtstexte – drei umfangreiche Verordnungen – wurden von der Kommission ausgearbeitet, die endgültigen Fassungen wurden im November und Dezember 2021 vom Parlament und dem Rat verabschiedet.
Insgesamt hat sich der Entscheidungsprozess für die GAP 2021 bis 2027 damit um zwei Jahre verzögert. Dies zeigt, dass die Politikverflechtung im agrarpolitischen Mehrebenensystem der EU im Zusammenspiel mit der finanziellen Bedeutung der GAP das bloße Zustandekommen von Entscheidungen fast unmöglich macht. Wie schwierig eine Konsolidierung der vielfältigen Positionen ist, zeigt sich daran, dass das Parlament insgesamt mehr als 600 Seiten mit Änderungswünschen verabschiedete, die in einem Vermittlungsverfahren mit dem Rat abgearbeitet werden mussten. Eine ambitionierte und kohärente Reform der GAP erscheint mit derart fragmentierten Prozessen der Willensbildung wenig wahrscheinlich.
Neue Formen der Interessenvermittlung?
Die Unzufriedenheit mit den eingefahrenen Prozessen in der Agrarpolitik ist bei vielen betroffenen Gruppen stark ausgeprägt und hat zu Überlegungen geführt, wie neue Formen und Foren der Interessenvermittlung in der Agrarpolitik aussehen könnten. Das traditionelle Muster der Interessenvertretung der deutschen Agrarpolitik lässt sich am besten als "Agrarkorporatismus" beschreiben.
Während sich der DBV vorwiegend als Sachwalter eines produktivistisch orientierten Status quo positioniert hat, haben in den vergangenen Jahren mehrere Verbände im Agrarbereich proaktiv Aspekte des Multifunktionalitätsparadigmas aufgegriffen. Zu nennen sind hier die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG), die den Grünen nahestehende Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) oder Fachverbände wie der Bund Deutscher Pflanzenzüchter (BDP). Eher defensive Produzenteninteressen verfolgt hingegen der Bundesverband deutscher Milchviehhalter, der wiederholt durch Protestaktionen wie Milchstreiks auf sich aufmerksam machte.
Das Auftreten der im Herbst 2019 als Facebook-Gruppe gegründeten Bewegung "Land schafft Verbindung" (LsV) veränderte die Dynamik der Agrarpolitik. Ohne feste Verbandsstruktur und trotz eher geringem Professionalisierungsgrad bestimmten die Traktorenproteste von LsV rasch die agrarpolitische Agenda. Als Reaktion wurde im Sommer 2020 beim Bundeskanzleramt eine "Zukunftskommission Landwirtschaft" (ZKL) eingerichtet, die nach einem Jahr einen 160 Seiten langen Bericht vorlegte. Bemerkenswert ist zum einen die Zusammensetzung der Kommission mit 30 Personen aus den Agrar-, Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden sowie der Wissenschaft. Dies spiegelt ein breiteres Verständnis der relevanten Akteur:innen als im klassischen Agrarkorporatismus wider. Zum anderen gelang es der Kommission, viele eingefahrene Positionen zu überwinden und Brücken zwischen produktivistischen und post-exzeptionellen Ideen zu schlagen, die auch von den Vertreter:innen des DBV und LsV mitgetragen wurden. Angesichts der anstehenden Herausforderungen zeichnet sich hier ein Modell der Interessenvermittlung ab, das den monopolistischen Agrarkorporatismus durch einen deliberativen Pluralismus ersetzt. Die in integrativen deliberativen Foren wie der ZKL entwickelten Ideen könnten im besten Fall auch dazu beitragen, der agrarpolitischen Politikverflechtungsfalle durch gemeinsame Orientierungen zu entkommen.
Aktuelle Herausforderungen
Mit Cem Özdemir als neuem Bundeslandwirtschaftsminister wird der Einfluss der Verbände, die traditionell den Grünen nahestehen, mutmaßlich wachsen. Dies sind zum einen die AbL und der BÖLW, aber auch Umwelt- und Klimaschutzverbände. Zugleich wird sich die neue Hausleitung darum bemühen müssen, breite Teile des Agrarsektors mitzunehmen und dafür auch den DBV einzubinden, der traditionell den Unionsparteien politisch nahesteht.
Eine unmittelbar anstehende Aufgabe ist die Umsetzung der Agrarreform vom Dezember 2021. Der Nationale Strategieplan musste bereits Anfang 2022 vorgelegt werden, und es ist zu erwarten, dass die Europäische Kommission Änderungsbedarf anmelden wird. Zugleich beginnen die Vorbereitungen der nächsten GAP-Reform. Diese steht zwar erst für 2026/27 auf der Agenda. Erste Weichen werden aber bereits bei der Zwischenevaluation der GAP 2024 gestellt. Zudem hat die AMK beschlossen, dass bis 2025 Arbeitsgruppen Vorschläge erarbeiten sollen, wie kooperative Ansätze nach niederländischem Vorbild oder ein Punktesystem für die Entlohnung von Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft umgesetzt werden könnten.
Auch aus dem Bereich der Klimapolitik wächst der Druck auf die Agrarpolitik. Die jüngste GAP-Reform ist jedenfalls kaum geeignet, die Ziele des European Green Deal, der Farm-to-Fork-Strategie und der EU-Biodiversitätsstrategie zu erreichen. Zugleich wachsen generell die Ansprüche an die landwirtschaftlichen Flächen. So setzt die Klimapolitik auf die Wiedervernässung von Mooren. Die Einbeziehung der Kohlenstoffbindung in landwirtschaftlichen Böden in Emissionshandelssysteme könnte erhebliche Auswirkungen auf die Landbewirtschaftung haben. Im Rahmen der Bioökonomiestrategie strebt die Bundesrepublik eine Umstellung der Ressourcenbasis von fossilen auf nachwachsende Rohstoffe im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft an. Dadurch entstehen Flächenkonkurrenzen zwischen der Produktion von Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Biomasse für stoffliche und energetische Nutzungen. Zugleich sollen mehr Wälder als Kohlenstoffsenke zur Klimastrategie beitragen und mehr Flächen für den Schutz der Biodiversität bereitgestellt werden. Ohne eine umfassende Koordination der Flächennutzung lassen sich diese Ziele aber nicht gleichzeitig verwirklichen.
Zudem hat der Krieg in der Ukraine ab Ende Februar 2022 zu einer Neubewertung des Ziels der Versorgungssicherheit geführt. Eine Herausforderung wird darin bestehen, die kurzfristige Nahrungsmittelerzeugung nicht gegen langfristige Erfordernisse beim Schutz von Klima und Biodiversität auszuspielen. Eine Lösung ist kaum ohne Verminderung der Tierhaltung und damit des Futtermittelbedarfs vorstellbar. Gleichzeitig soll nach den Plänen der sogenannten Borchert-Kommission zur Zukunft der Tierhaltung massiv in die Verbesserung des Tierwohls investiert werden. Eine Koordination dieser verschiedenen Politikbereiche ist notwendig, um Fehlinvestitionen zu vermeiden.
Die für den Klima- und Biodiversitätsschutz sowie die Ernährungssicherheit erforderlichen Umstellungen in der Flächennutzung sind weiterhin nicht ohne eine deutliche Verschiebung der Ernährungsweisen hin zu mehr pflanzenbasierter Ernährung zu realisieren. Dies könnte auch ernährungsbedingte Krankheiten und volkswirtschaftliche Kosten infolge von Fehlernährung vermindern und verweist auf die Perspektive einer Weiterentwicklung der Agrar- hin zu einer integrierten Ernährungspolitik.
Jede einzelne dieser Herausforderungen erfordert eine stärkere Integration der Agrarpolitik und die Einbindung einer großen Bandbreite von Akteur:innen auch jenseits der traditionellen Agrarpolitik. Die etablierten agrarpolitischen Paradigmen sind weiterzuentwickeln: Ernährungssicherheit mit zukunftsfähigen Ernährungsweisen, Multifunktionalität in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise. Die ZKL war dafür ein interessantes Modell. Nun wird es Zeit, die Zielstellungen der Agrarpolitik in der GAP und im LwG zu reformieren.