Es wäre alles ganz einfach, wenn Albrecht Daniel Thaer Recht gehabt hätte. "Die Landwirthschaft ist ein Gewerbe, welches zum Zweck hat, durch Produktion (zuweilen auch durch fernere Bearbeitung) vegetabilischer und thierischer Substanzen Gewinn zu erzeugen oder Geld zu erwerben", begann er seine "Grundsäze der rationellen Landwirtschaft" von 1810.
Zwei Jahrhunderte nach Thaer lagert über der Landwirtschaft ein dichtes Netz von politischen Verpflichtungen, sozialen Erwartungen und ökonomischen Regeln, in der Träume vom freien Unternehmertum rasch verblassen. Es gibt mehr als einen Grund, das moralisch zu kritisieren, aber damit kommt man nicht weit: Wohlfeile Empörung prallt an den Systemzwängen der heutigen Ernährungswirtschaft folgenlos ab. Die landwirtschaftliche Praxis ist in mehrfacher Hinsicht von Pfadabhängigkeiten geprägt, die gerade dadurch ihre Wirkung entfalten, dass sie seit Jahrzehnten zu den unausgesprochenen Grundlagen politischer und betriebswirtschaftlicher Entscheidungen zählen. Der Weg in die Geschichte muss deshalb nicht zwangsläufig in jenes vorindustrielle Idyll führen, das heute in zahlreichen Bauernhofmuseen zu besichtigen ist. Vielmehr kann er helfen, gegenwärtige Probleme als Resultat einer unbewältigten Vergangenheit zu verstehen.
Malthus’ Erbe
Während Thaer in Celle und Möglin nach rationellen Wegen der Landbewirtschaftung suchte, schrieb der britische Ökonom Thomas Robert Malthus seine berühmten Warnungen vor Überbevölkerung. Seit mehr als zwei Jahrhunderten leben moderne Gesellschaften deshalb mit der Vision einer Bevölkerung, die schneller wächst als die Nahrungsmittelproduktion und darob ins Verderben voranschreitet, und man kann die zwischenzeitlich gewonnenen Erfahrungen recht einfach zusammenfassen: Im Prinzip lässt sich mit dieser Vision ziemlich gut leben. Die Nahrungsmittel gingen der Menschheit nicht aus, und längst konzentrieren sich die Sorgen der Ernährungsforscher eher auf das Überangebot: Weltweit ist die Zahl der Übergewichtigen heute größer ist als die der Hungernden.
Aus diesem Blickwinkel ist die Geschichte der modernen Landwirtschaft eine grandiose Erfolgsgeschichte. Nicht nur in Deutschland gibt es ein reichhaltiges Angebot günstiger Lebensmittel, und das ist welthistorisch gesehen eine Ausnahmesituation. "Jahrhundertelang brechen mit solcher Regelmäßigkeit Hungersnöte aus, daß sie in den Lebensrhythmus der Menschen eingehen und mit zu den Strukturen ihres Alltags zählen", schrieb der Historiker Fernand Braudel.
Das Gespenst des Malthusianismus geht trotzdem weiter um, denn es wird gebraucht. Seit dem Zweiten Weltkrieg wächst die Bevölkerung vor allem in den Ländern des Globalen Südens, und deshalb ist Überbevölkerung ein beliebtes Thema bei all jenen, die in Umweltdebatten von der überwältigenden Verantwortung der Industrieländer ablenken wollen. Agrarlobbyisten verweisen auf die weiterhin wachsende Weltbevölkerung und verbinden das mit Warnungen vor ökologischen Experimenten: Die Welt braucht Lebensmittel, und wir können sie auch produzieren, sofern uns nicht sentimentale Menschen dazwischenfunken. Malthus markiert auch den Auftakt einer Moderne, die sich mit Agrarfragen am liebsten in statistischer Form beschäftigte. Die Agrarhistorikerin Deborah Fitzgerald hat darauf hingewiesen, dass Zahlen und nicht Narrative die bestimmende Sprache agrarischen Wissens wurden.
Vor 100 Jahren zerbrachen sich Universitätsdozenten noch die Köpfe, wie man die Bauern zur Buchführung animieren könnte und was überhaupt die Zahlen waren, die für ordentliches Wirtschaften entscheidend waren.
Es lebe der Hof
Landwirtschaft ist in Deutschland Bauernsache. Die Berufsvertretung der Agrarproduzenten heißt Deutscher Bauernverband, und wer das für eine unzeitgemäße Bezeichnung hält, wird schwerlich einen Verbandsvertreter finden, der die Argumente hören möchte. Im betrieblichen Alltag sind Landwirte längst Teamplayer, die ihren Boden in enger Abstimmung mit agrartechnischen Dienstleistern und allerlei Aufsehern und Beratern bewirtschaften. Die funktionale Ausdifferenzierung von Berufsfeldern und Aufgabenprofilen steht jedoch neben einem Begriff, der eine Einheit von beruflicher und lebensweltlicher Existenz suggeriert, die wie ein archaischer Überrest in den globalen Kasinokapitalismus des 21. Jahrhunderts hineinragt. Bauer ist man lebenslänglich.
In der Agrargeschichte der Frühen Neuzeit ist die bäuerliche Familienwirtschaft eine von zwei dominanten Betriebsformen. Sie stand in Konkurrenz zur Gutswirtschaft der Rittergutsbesitzer (Junker), die vor allem östlich der Elbe florierte, nicht selten auf Kosten bäuerlicher Existenzen. Man sprach von "Bauernlegen", wenn Menschen zum Verkauf oder zur Aufgabe ihres Hofes gezwungen wurden und dem Arbeitskräftereservoir eines Gutsbetriebs einverleibt wurden. Die Junker waren in der deutschen Geschichte ein Bollwerk gegen Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit, bis sie nach 1945 mit den Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone sang- und klanglos als soziale Formation verschwanden. Wenn man bedenkt, dass nach beiden Weltkriegen über eine Bodenreform diskutiert worden war und in der Weimarer Republik sogar ein Volksentscheid über die Fürstenenteignung abgehalten wurde, waren die alten Eliten mit diesem Abgang noch ganz gut bedient. Dass gegen die Folgen der sowjetischen Bodenreform nach der Wiedervereinigung Entschädigungsklagen lanciert wurden, war im Grunde genommen ein Treppenwitz der deutschen Geschichte, der wohl nur der Amnesie einer umfassend urbanisierten Gesellschaft geschuldet war. In der vergangenen Welt der bäuerlichen Landwirtschaft wusste jeder, dass es beim Grundbesitz nicht bloß um Eigentumstitel ging, sondern um Macht.
Historisch gab es gute Gründe für einen Antagonismus von Bauern und Junkern. Praktisch merkte man davon seit dem späten 19. Jahrhundert nicht mehr viel: Die Landwirte verwandelten sich in eine imaginierte Gemeinschaft, in der Größe und Betriebsverfassung an Bedeutung verloren gegenüber einer gemeinsamen agrarischen Identität. Selbst in Ostelbien, wo es trotz der starken Stellung der Gutsbesitzer weiterhin Vollbauern gab, glaubte seit den 1880er Jahren eine Mehrheit "an eine Interessenidentität von Bauernschaft und Großgrundbesitz".
Zum Selbstverständnis der Bauern gehörte, dass der Hof, wenn irgend möglich, an die nächste Generation übergeben werden sollte. Längst hat die sozialwissenschaftliche Forschung dokumentiert, dass Landwirte sogar bereit waren, für den Erhalt des Familienbetriebs das persönliche Glück zurückzustellen. In einer Studie über die Landjugend um 1970 konfrontierte der Agrarsoziologe Ulrich Planck seine Interviewpartner mit einem Szenario, in dem eine Frau ihre berufliche und private Existenz aufgeben musste, um den Familienbetrieb für ihren noch minderjährigen Bruder zu sichern, und 68 Prozent der männlichen und 62 Prozent der weiblichen Befragten gaben zu Protokoll, dass der Erhalt des Hofes Vorrang habe.
Um einen Hof an die nächste Generation zu übergeben, brauchen männliche Betriebsleiter einen weiblichen Partner. Dass Bauern sich dabei mit berufsspezifischen Herausforderungen konfrontiert sehen, weiß der deutsche Fernsehzuschauer, seit sich die Doku-Soap "Bauer sucht Frau" zum Dauerbrenner entwickelt hat. Man sollte sich freilich vor der Annahme hüten, dass es in der Blütezeit des deutschen Bauerntums romantischer zugegangen wäre. Als die ideologische Verklärung des ewigen Bauern in der frühen NS-Zeit ein schrilles rassenbiologisches Crescendo erfuhr, veröffentlichte das Wochenblatt für die Bauern Westfalens die folgende Kleinanzeige: "Einheirat in schuldenfr. Bauernhof v. 120 Mrg. bietet Bauerntochter (einz. Kind), 25 J., kath., einem tüchtig. Bauernsohn m. Vermögen."
Schrumpfprozesse
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gehört zur Welt der deutschen Landwirtschaft ein Gefühl des Niedergangs. Die Menschen strebten in die Großstädte des Industriezeitalters, zunächst in Einzelfällen, aber schon im Kaiserreich als breiter Strom, der ostelbische Gutsbesitzer über eine "Leutenoth" klagen ließ. In der Akademikerdebatte über "Agrar- und Industriestaat" in den 1890er Jahren wurde verhandelt, was eigentlich längst sozioökonomische Realität war: Die Industrie war der dominante Sektor der deutschen Volkswirtschaft. Billiges Getreide aus Übersee konfrontierte zahlreiche Junker mit einer Konkurrenz, die den Vergleich mit den Globalisierungsschocks seit den 1970er Jahren nicht zu scheuen braucht. Betriebsleiter waren dieser Situation keineswegs hilflos ausgeliefert, denn billige Getreideimporte konnten für innovationsfreudige Landwirte auch eine Chance sein, in die Veredelungswirtschaft einzusteigen. Bei der Schweinefleischproduktion schwang sich Deutschland sogar noch in jüngster Vergangenheit zum führenden Exportland der Welt auf und erreichte im November 2012 mit einem Bestand von 28,3 Millionen Tieren einen historischen Höchstwert.
Der Niedergang beschleunigte sich in der Nachkriegszeit so rasant, dass die bäuerliche Welt Alteuropas innerhalb einer Generation zur Vergangenheit wurde. Nach gängiger Ansicht waren es die 1960er Jahre, die nicht nur in der Bundesrepublik eine Wasserscheide markierten. "Wachsen oder weichen" hieß die Devise, und das lief für zahlreiche Betriebsleiter auf eine schicksalhafte Alternative hinaus. Sie konnten aufgeben und ihre landwirtschaftlichen Nutzflächen an andere Betriebe verkaufen oder verpachten, oder sie konnten versuchen, im Strudel einer Agrarrevolution den Kopf über Wasser zu halten. Inzwischen liegt die Wachstumsschwelle in der deutschen Landwirtschaft bei 100 Hektar: Unterhalb dieser Schwelle nimmt die Zahl der Betriebe weiter ab, darüber steigt sie noch an. Die neuen Betriebsgrößen verlangten nach neuen Produktionsmethoden, und so waren es neben der bäuerlichen Folklore bald nur noch die Eigentumsverhältnisse, die an vergangene Zeiten erinnerten. Bäuerliche Familienbetriebe blieben im Geschäft, schon deshalb, weil im Osten die kollektivierte Landwirtschaft als mahnender Gegenentwurf zu besichtigen war. Das genügte im Kalten Krieg, um allen Überlegungen zu neuen Betriebsformen einen Dämpfer zu verpassen.
Seit Jahrzehnten klagen Landwirte, dass die urbane Gesellschaft den Respekt vor den Produzenten ihrer Lebensmittel vermissen lässt, und das gewiss nicht ohne Grund. "Bauer sucht Frau" konnte wohl nur deshalb zu einer Erfolgsgeschichte des Trash-TV werden, weil Bauern eine der letzten gesellschaftlichen Gruppen sind, die man gefahrlos diskriminieren kann. Insgesamt gesehen verlief der Niedergang nach 1945 erstaunlich geräuschlos. Das hatte eine Menge damit zu tun, dass Bauern in dieser Zeit auf die Unterstützung der Politik zählen konnten.
Subventionen
Der ländliche Raum war in der Moderne ein Synonym für Rückständigkeit, aber deshalb waren die Methoden der Landwirte noch lange nicht rückständig. Der 1893 gegründete Bund der Landwirte konnte sogar eine Pionierrolle für das politische System des Kaiserreichs insgesamt reklamieren. Er war die erste moderne pressure group, ein aggressiv auftretender Interessenverband mit straffer Verwaltung, intensiver Medienarbeit und einer Basis, die schon im Jahr der Gründung auf 200000 Mitglieder anschwoll. Unterstützung kam aus dem gesamten agrarischen Spektrum vom Kleinbauern bis zu ostelbischen Grundbesitzern, obwohl Letztere doch ziemlich häufig den Ausschlag gaben, was den Bund für Landwirte zu einem Lieblingsobjekt der historischen Forschung machte. In den 1970er Jahren hat Hans-Jürgen Puhle den Bund als präfaschistisch tituliert, inzwischen neigt die Zunft zu differenzierteren Urteilen.
Den Impuls zur Verbandsgründung lieferten Handelsverträge des Reichskanzlers Leo von Caprivi, die den Zollschutz für die Landwirtschaft abbauten. Die Protektion der Landwirte war von Anfang an ein politisches Geschäft, in dem mit harten Bandagen gekämpft wurde, und das lag in der Natur der Sache. Es gab die Konkurrenz mit anderen Branchen – Handel und Industrie fanden Caprivis Handelsverträge zum Beispiel ganz prima –, und im internationalen System der Handelsbeziehungen war stets mit Vergeltungsmaßnahmen anderer Länder zu rechnen. Es gibt angenehmere Verhandlungspartner als Funktionäre einer kriselnden Branche, und die Gründung von Verbänden war auch nur einer von mehreren Wegen, den Interessen der Landwirtschaft Gehör zu verschaffen. In der Zeit zwischen den Weltkriegen entstanden in zahlreichen europäischen Ländern spezielle Bauernparteien, die sich sogar zu einer Grünen Internationale mit Sitz in Prag zusammenschlossen.
Der Protest der Landwirte wurde in mehr als einem Land als demokratiegefährdend empfunden, und das hatte in der Zeit nach 1945 Folgen. Es war nicht nur die Erfahrung des Hungers in Kriegs- und Nachkriegszeiten, die die Regierungen Westeuropas zu einer engagierten Unterstützung der Agrarproduzenten animierte, sondern auch die Angst vor dem ländlichen Protestpotenzial. In der Bundesrepublik gipfelte diese Politik im Landwirtschaftsgesetz von 1955, das den Bauern Parität mit dem Rest der Gesellschaft versprach, und Agrarfunktionäre wurden seither nicht müde, an das Versprechen zu erinnern. In den 1960er Jahren wurde die Protektion der Landwirte dann in der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zementiert.
Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob das eine gute Investition für die junge bundesdeutsche Demokratie war. Tatsächlich wurde der radikale Strukturwandel damit zumindest in politischer Hinsicht abgefedert, aber das Kalkül verblasste rasch und war spätestens in den 1970er Jahren obsolet. Da kämpfte die bundesdeutsche Demokratie längst mit ganz anderen Gefährdungen, und außerdem war die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebsleiter für staatsgefährdenden Protest irgendwann zu klein. Dafür waren durch die jahrelange Protektion Pfadabhängigkeiten entstanden, die dem politischen Willen enge Grenzen setzten. Im Kaiserreich konnten viele Bauern noch flexibel reagieren, wenn der Getreidepreis absackte oder Kartoffeln unverkäuflich waren: Dann ging die eigene Ernte halt in den Trog der Schweine. Die spezialisierten Agrarproduzenten, die in der Nachkriegszeit zum dominanten Betriebsmodell wurden, hingen jedoch auf Gedeih und Verderb an einem einzelnen Produkt.
Technologische Aufrüstung
Mit der Agrarrevolution der Nachkriegszeit veränderte sich der Beruf des Landwirts. Die neuen Dimensionen verlangten nach großen Maschinen, zumal sich im Sog des "Wirtschaftswunders" auch zahlreiche Landarbeiter in Richtung Stadt verabschiedeten und deren Arbeitskraft notgedrungen ersetzt werden musste. Auf den Feldern fuhren Traktoren und Mähdrescher, und auch im Stall regierte die Technik von den Melkmaschinen bis zur automatischen Entsorgung der tierischen Exkremente. Der neue Landwirt war mit großtechnischen Systemen vertraut und konnte bei Problemen rasch und eigenständig reagieren. Der neue Landwirt war in aller Regel männlich, und das nicht nur, weil viele der Hilfsarbeiten, die vormals Sache der Landfrau gewesen waren, nun entweder wegfielen oder von Maschinen übernommen wurden. Für die neuen Aufgaben brauchte es Spezialwissen und auch eine gewisse physische und psychische Robustheit, und das lief auf einen Phänotypus hinaus, der durchaus soldatische Züge trug. Mütterliche Gefühle, wie man sie Frauen gerne zuschrieb, waren im Massenstall nicht gefragt.
Traktoren ließen sich für vielfältige Aufgaben nutzen. Das sah bei vielen Maschinen anders aus. Wer mit großem Aufwand eine Melkmaschine installiert und zum Laufen gebracht hatte, konnte die Investition nur in der Milchwirtschaft wieder herausholen, das Gleiche galt für Schweineställe mit Spaltenböden oder Legebatterien. Mit jeder neuen Maschine wuchs auch das betriebswirtschaftliche Risiko: Im Zuge der technologischen Aufrüstung wurde die Landwirtschaft zu einem der kapitalintensivsten Wirtschaftszweige überhaupt. Leicht geriet landwirtschaftliche Produktion da zu einem "Rattenrennen", zumal die Zahl der Abnehmer immer mehr zusammenschrumpfte.
Supermarktketten und andere Großkonzerne kauften Agrarprodukte in großen Mengen und spielten dabei ihre Marktmacht aus, oder sie setzten auf Vertragslandwirtschaft und trieben die Landwirte mit genauen Vorgaben über Anbaumethoden und Preise in die Enge. Selbst gut geführte Betriebe mussten mit knappen Margen wirtschaften, und bei einzelnen Branchen – die Milchbauern sind ein notorisches Beispiel – wurde die Selbstausbeutung quasi zur Geschäftsgrundlage. Das wäre auch dann eine prekäre Situation gewesen, wenn die urbanen Konsumenten seit den 1970er Jahren nicht immer mehr über Ökologie geredet hätten.
Die Sache mit der Umwelt
Bis ins 20. Jahrhundert waren die Landwirte Nettoproduzenten von Energie: Sie verwandelten Sonnenstrahlen in agrarische Produkte. Heute hängt die Landwirtschaft genauso an erschwinglichem Strom und Erdöl wie der Rest der Gesellschaft, hinzu kommen Methanemissionen, Nitrate im Grundwasser, Verlust biologischer Vielfalt und zahlreiche andere Umweltprobleme. Seit Jahrzehnten stehen die Landwirte für die negativen Folgen der industrieförmigen Produktionsmethoden in der Kritik, und durchschlagende Erfolge der Umweltpolitik im Agrarbereich lassen noch auf sich warten. Die jüngsten Nachbesserungen bei der Düngeverordnung, die durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs erzwungen wurden, sind gleichsam eine Bankrotterklärung der bundesdeutschen Agrarpolitik: Dass es einen Zusammenhang zwischen Nitratbelastung und Überdüngung gibt, war seit Jahrzehnten bekannt. Und auch mit der neuen, mit heißer Nadel gestrickten Verordnung ist nun anscheinend niemand glücklich.
Die triste Bilanz liegt nicht nur im Kostendruck und in technologischen Pfadabhängigkeiten begründet. Von Anfang an kam die Umweltdebatte in der Landwirtschaft von außen: Sie wurde von urbanen Konsumenten geprägt, und das lief auf eine durchaus beschränkte Agenda hinaus. Seit Jahrzehnten stehen Pestizide im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses – schon bei Herbiziden und Fungiziden nimmt die Aufmerksamkeit spürbar ab –, und zwischen den Zeilen schimmert nicht selten das Klischee des Bauern durch, der verantwortungslos mit giftigen Chemikalien hantiert. Dabei bleibt meist ungesagt, dass kaum je ein Betriebsleiter in die Landwirtschaft ging, um mit der Giftspritze über Felder zu fahren.
Zeitweise trug der Streit um die ökologischen Probleme der Intensivlandwirtschaft Züge eines Glaubenskampfes. Inzwischen hat sich die Debatte entspannt, auch weil viele Betriebsleiter das Thema inzwischen aus der Ausbildung kennen und Fragen nach der Düngebilanz nicht mehr als Beleidung der bäuerlichen Ehre empfinden. Alternativ wirtschaftende Betriebe beliefern einen etablierten Markt, dessen Chancen und Risiken ohne ideologische Scheuklappen taxiert werden. Vorbei sind die Zeiten, in denen Ökolandwirte als Freaks oder Aussteigertypen galten und in sonntäglichen Kneipengesprächen spekuliert wurde, ob die vielleicht nachts die Giftspritze herausholten. Der heutige Ökobetrieb kämpft vielmehr mit einem Problem, das auch konventionellen Produzenten vertraut ist: Wie bringt man das alles unter einen Hut?
Unbewältigte Vergangenheiten
So wird Landwirtschaft im 21. Jahrhundert im Schatten einer langen Geschichte betrieben, die sich nicht einfach auf einen Nenner bringen lässt. Der heutige Betriebsleiter ist Subventionsempfänger und gewinnorientierter Unternehmer, er arbeitet mit Zahlen und viel Fingerspitzengefühl, er hantiert mit komplexer Technik und nicht minder komplexen Ökosystemen, er unterliegt einem brutalen Kostendruck und den Kontrollen diverser Aufsichtsorgane, und in Momenten der Muße sorgt er sich um seinen Platz in der Gesellschaft und den Hofnachfolger. Es hat sich eine Menge angesammelt, und zugleich hat sich erstaunlich wenig endgültig erledigt. Selbst Malthus geistert weiter durch die einschlägigen Debatten, obwohl wir über Kalorien im Überfluss verfügen und Demografen inzwischen mehr Angst vor der Überalterung haben.
Es fällt nicht schwer, das gegenwärtige Agrarsystem in Bausch und Bogen zu verdammen. Das Problem ist, dass wir auf absehbare Zeit auf dieses Agrarsystem angewiesen sein werden: Es gibt kein alternatives System, das sich "mal eben" umsetzen ließe, auch wenn eine ausufernde Populärliteratur gerne einen anderen Eindruck erweckt. Für den Moment bleibt nur ein tastendes Vorgehen, das gleichermaßen auf Umsicht und Entschlossenheit setzt, und vielleicht könnte dabei auch die Geschichte einen Beitrag leisten. Der Blick in die Vergangenheit sensibilisiert für historische Vorbelastungen und Pfadabhängigkeiten, für unausgesprochene Erwartungen, dubiose Leitbilder und illusionäre Hoffnungen auf gewerbliche Normalität, und sie erschließt einen Erfahrungsschatz, wenn es um den Umgang mit divergenten Zielvorstellungen geht. Nicht zuletzt zeigt die Geschichte, dass Debatten über Landwirtschaft immer Teil des gesamtgesellschaftlichen Gesprächs gewesen sind und wohl auch in Zukunft bleiben werden. Vielleicht könnte die eine oder andere Diskussion etwas weniger verbissen geführt werden, wenn man merkt, dass sich manche Fragen nicht zum ersten Mal stellen.