Digitaltechnologische Entwicklungen haben den Ruf, in höchstem Maße disruptiv zu sein. Als radikale Technologien verbessern sie nicht nur bestehende Prozesse, sondern revolutionieren unseren Blick auf Ziele und Möglichkeiten gesellschaftlichen Handelns.
Es ist insofern nicht überraschend, dass auch in den jüngsten Auseinandersetzungen um Künstliche Intelligenz, die seit dem öffentlichen Launch von ChatGPT Ende 2022 ein neues Level erreicht hat, die Auswirkungen auf Demokratie zum wichtigen Thema geworden sind. Anknüpfend an die virulente Kritik an sozialen Medien und deren Auswirkungen auf den demokratischen Diskurs stehen dabei insbesondere die Risiken von Manipulation und Desinformation im Blickpunkt. Die demokratischen Herausforderungen, die durch eine breite gesellschaftliche Einbettung von KI in unser Alltagsleben entstehen, sind aber vielschichtiger, weshalb im Folgenden ein Überblick über Entwicklungspfade gegeben wird, der aufschlüsselt, wie sich demokratische Prozesse und demokratische Öffentlichkeit im sich wandelnden soziotechnischen Kontext verändern könnten.
Neue Dynamik
Künstliche Intelligenz ist nicht erst seit ChatGPT eine gesellschaftlich relevante Technologie. Genauer gesagt ist Künstliche Intelligenz überhaupt keine einzelne Technologie, sondern wird besser als eine kategoriale Bezeichnung für technologische Verfahren verstanden, die das Ziel haben, komplexe Probleme unabhängig und situationsgerecht zu lösen. Die Verfahren, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll, sind dabei nur abstrakt von biologischen Fähigkeiten und Strukturen inspiriert. Künstliche Intelligenz unterscheidet sich von menschlicher Intelligenz auch dann, wenn bestimmte Leistungen oder Ergebnisse vergleichbar erscheinen. Zu analysieren ist daher, wie sich gesellschaftliche Kommunikationen und Prozesse ändern, wenn in ihr verschiedene Rationalitäten und Agenten zusammenwirken.
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts lassen sich grob zwei Strategien unterscheiden, KI zu realisieren: Auf der einen Seite stehen Ansätze, die auf Klassifizierungen und der nach logischen Regeln operierenden Verarbeitung von Daten aufsetzen – sogenannte symbolische KI –, auf der anderen konnektionistische Verfahren, die auf maschinelles Lernen setzen und mittels neuronaler Netze versuchen, Probleme situationsgerechter zu analysieren, in Daten Muster und Wahrscheinlichkeiten zu bestimmen und diese Ergebnisse zu neuen Lösungen zu kombinieren.
Für den um 2010 einsetzenden und sich seitdem extrem beschleunigenden neuerlichen Aufschwung von KI sind insbesondere letztere Verfahren verantwortlich. Grundlegend für den Erfolg ist zum einen die Verfügbarkeit über enorm große Rechenkapazitäten, die zudem immer spezifischer für KI-Anwendungen ausgelegt werden; zum anderen der Zugriff auf riesige Datenmengen, die sich beispielsweise aus der Verlagerung und Vermessung von Alltagskommunikation in soziale Medien und die Allgegenwart von Sensoren und Kameras in Zeiten des mobilen Internets speist. Sichtbare Erfolge von KI-Verfahren – etwa durch Verbesserungen in den Bereichen Bilderkennung oder Übersetzungen – haben dann eine wirtschaftliche Dynamik ausgelöst, die wiederum verstärkend auf die Weiterentwicklung der Technologie wirkt.
Wie aber werden diese technologischen Veränderungen relevant für demokratische Prozesse? Wie immer in Untersuchungen, die sich der Schnittstelle von Technologie und Gesellschaft nähern, ist es wichtig, hier nicht die Technik zum alleinigen Akteur zu machen oder eine monolithische Logik aus ihr zu folgern. Untersucht werden muss vielmehr, wie die Konstellation, die aus der Verbindung von durch Technologie beförderten Handlungsmöglichkeiten, ökonomischen Anreizen, politischer Regulierung und gesellschaftlichen Nutzungspraktiken entsteht, in Bezug auf politische Kontexte Veränderungsimpulse erzeugt.
Demokratische Öffentlichkeit
Vor 2022 drehte sich die Diskussion um die Transformation demokratischer Öffentlichkeit durch KI-Verfahren hauptsächlich um den Einsatz von KI in der Moderation von Inhalten auf sozialen Netzwerken, worin eine Verstärkung bereits bekannter Probleme mit der strukturellen und strukturierenden Macht von Plattformen gesehen wurde.
An erster Stelle steht die Befürchtung der epidemischen Zunahme von Desinformation. Generative KI ermöglicht sogenannte Deep Fakes, bei denen multimediale Inhalte wie Videos oder Tonaufnahmen erzeugt oder tiefgreifend verändert werden. Wie niedrigschwellig diese Form von Eingriffen ist, weiß jeder, der schon mal digitale Filter für Bilder oder Videos verwendet hat. Obwohl Manipulationen und Fälschungen immer schon Teil politischer Kommunikation waren, verschiebt generative KI hier die Gewichte: Viel mehr Akteure erhalten durch die Anwendungen die Möglichkeit, auch komplexe Medienarten schnell und täuschend echt zu verändern. Und gerade diesen Formaten wird ein besonders großer Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zugeschrieben, da das, was wir sehen oder hören, oft einen größeren Eindruck macht, als das, was wir lesen. Die Manipulation solcher immersiven Medienformate gilt daher als subtil und tiefgreifend zugleich. Hinzu kommt, dass nicht nur die Qualität manipulativer Eingriffe steigt, sondern dass die neuen Möglichkeiten sich mit einem medialen Kontext verbinden, der ohnehin bereits als anfällig für Desinformation und Emotionalisierung gilt. Die Aufmerksamkeitsökonomie sozialer Medien mit ihren segmentierten Adressatengemeinschaften und hohem Erregungslevel ebenso wie die heute so wichtige Gruppenkommunikation in Messenger-Diensten macht es sowohl schwierig, Desinformationen zu entdecken, als auch diese dann erfolgreich zu kontern. Gerade strategisch agierende Akteure können daher durch generative KI profitieren und die entstehenden Potenziale ausnutzen, um etwa Radikalisierungsprozesse zu vertiefen.
Neben der gezielten Desinformation muss, zweitens, Misinformation zu den problematischen Auswirkungen von KI gezählt werden. Misinformation resultiert aus der immanenten Unzuverlässigkeit der angewandten Verfahren, die aus der Generierung neuer Inhalte durch die maschinelle Interpretation von Trainingsdaten erfolgt. Das heißt, mitunter „halluziniert“ generative KI – sie schafft Zusammenhänge, ohne dass diese zu prüfen oder zu belegen wären. Dies geschieht in einer überzeugenden Weise, da die Verfahren ja gerade darauf ausgerichtet sind, menschliche Erwartungen zu erfüllen und oftmals Vorurteile fortgeschrieben werden, die gesellschaftlich verbreitet und daher in die Trainingsdaten eingeschrieben sind. Auf dieses Phänomen reflektiert zu reagieren, setzt hohe Medienkompetenz voraus, da die Autorität der Information groß und die Möglichkeit ihrer Überprüfung gering ist. KI-erzeugte Inhalte nicht als sinnvolle, sondern als allein der Form nach passende Ergebnisse zu interpretieren, erfordert einen deutlichen Bruch mit bisherigen Rezeptionsgewohnheiten.
Wenn Desinformation und Misinformation in einer Gesellschaft zunehmen, ist dies bereits für sich eine Herausforderung für den demokratischen Diskurs. Die Basis, auf der sich Gesellschaften austauschen und über Kompromisse verhandeln, wird kleiner, Fragmentierung wahrscheinlicher. Trotzdem ist offen, inwiefern die durch KI erzeugte Mis- und Desinformation tatsächlich qualitativ so bedeutsam ist, wie im öffentlichen Diskurs häufig unterstellt – und ob nicht auch Möglichkeiten gesellschaftlichen Anpassens und Lernens stärker hervorgehoben werden müssten.
Zum einen könnte die in der Forschung eigentlich schon länger angezweifelte Filterblasenhypothese neue Plausibilität bekommen. Diese besagt, dass algorithmische Verfahren, die Inhalte personalisieren, eine Vereinseitigung des Informationsangebots nach sich ziehen. Da Algorithmen selektieren, was wir ohnehin hören wollen, bewegten wir uns vorwiegend unter Gleichgesinnten, was demokratische Kompromisse und Perspektivwechsel erschwere.
Ebenso offen, aber potenziell bedenklich sind die Auswirkungen, die generative KI auf die Ökonomie von Medien und Journalismus haben wird. Hier ist unter anderem zu fragen, wie mit journalistischen Inhalten Geld verdient werden kann, wenn die Schnittstelle zur Interaktion mit den Leser*innen oder Konsument*innen noch mehr in von Technologiekonzernen kontrollierte Umgebungen abwandert. Eine weitere Frage ist, wie sich die Trennung von informierten Eliten und desinteressiertem Publikum unter dem Einfluss der Technologie verändert.
KI und demokratisches Regieren
Die breite gesellschaftliche Adaption von KI-Verfahren bringt auch jenseits von generativer KI und öffentlichem Diskurs eine Reihe neuer Herausforderungen mit sich. Ein Bereich, der besondere Aufmerksamkeit verdient, ist die Veränderung demokratischer Regierungspraxis durch assistierte oder gar automatisierte Entscheidungssysteme.
Für den anhaltenden Boom verantwortlich sind die zugeschriebenen analytischen Fertigkeiten von auf Mustererkennung spezialisierten KI-Verfahren. Diese befeuern Datensammlung und Anwendungsentwicklung und erhöhen die Erwartungen an eine datenzentrierte und effektive Politik. Präzisere Analyse sowie der Einsatz von Vorhersagen und Simulationen sollen Schwächen repräsentativdemokratischer Verfahren ausgleichen, zu denen ein beschränkter Zeithorizont, fehlende Responsivität in dynamischen Situationen und eine zu ungenaue Anwendung von Steuerungsinstrumenten gezählt werden. KI-basierte Verfahren sollen Politik besser machen und dadurch die Output-Legitimation demokratischer Systeme erhöhen.
Öffentliche Machtausübung setzt in demokratischen Staaten ein besonders hohes Maß an Kontrolle voraus: Sie ist an Grund- und Bürgerrechte gebunden, muss Standards von Gleichheit und Gerechtigkeit genügen und in einer Weise ausgeübt werden, dass die ihr Unterworfenen nicht nur nachvollziehen können, wie sie regiert werden, sondern auch wirkungsvoll gegen Missbrauch und Fehlentwicklungen opponieren können. Der zunehmende Einsatz von KI-Verfahren birgt hierbei zahlreiche Herausforderungen.
Mit Blick auf Grundrechte und Gleichheitsfragen liegt die Schwierigkeit in der Logik der Fortschreibung vergangener Muster, in denen eine Reproduktion von Macht- und Statusasymmetrien angelegt ist. Muster werden hier zu Regeln, die sich dann wieder selbst bestätigen, wie es aus Fällen von predicitive policing bis hin zur Administration von Gesundheitsleistungen bekannt ist.
Mit Blick auf demokratische Normen der Kontrolle und Rechenschaftspflicht kommt ein weiteres Problem hinzu: die opake technische Struktur der auf maschinellem Lernen beruhenden KI-Verfahren und der Umstand, dass politische Institutionen sich für deren Entwicklung und Betrieb stark von der Infrastruktur und den Leistungen privatwirtschaftlicher Akteure abhängig machen. Ohne klare Regelungen, die sicherstellen, dass Kontrolle und Rechenschaft praktisch möglich bleiben, untergraben KI-Verfahren demokratische Verfahrensgarantien.
Dies wird zusätzlich davon überlagert, dass datengetriebenes Entscheidungshandeln oft als in Spannung stehend zu demokratischer Selbstbestimmung konzipiert wird. Die Kritik ist hier, dass Demokratien durch das Setzen auf KI-Verfahren sich einer hierarchischen Logik unterwerfen, die Daten fetischisiert und darüber die Möglichkeit partizipatorischer Selbstbestimmung negiert.
Politische Partizipation
Werfen wir als Drittes einen Blick darauf, wie eine breite gesellschaftliche Aneignung von KI-Verfahren sich auf politische Teilhabe von Bürger*innen auswirken könnte. Verändert KI die Möglichkeiten und Modi politischer Partizipation? Antworten hierauf sind noch spekulativer als in den beiden zuvor betrachteten Feldern, was daran liegt, dass dies nicht nur von der Ausgestaltung der Anwendungen abhängt, sondern auch von der Anbindung und Akzeptanz im politischen System. Unterscheiden lassen sich zwei mögliche Richtungen – bottom-up und top-down – und eine Gegentendenz.
Eine Top-down-Intensivierung bedeutet, dass seitens der Politik unter Rückgriff auf KI-Anwendungen der Austausch mit den Bürger*innen gezielt ausgebaut wird. Dies liegt allgemein auf der Linie einer zunehmend kommunikativ auftretenden Politik, und es entspricht der Erwartung, dass Digitalisierung direkte und unmittelbare Kommunikation befördert. KI-Anwendungen könnten etwa eingesetzt werden, um Politik stärker reaktions- und erklärungsfähig zu machen, wie es etwa durch Chatbots heute schon im Bereich der Verwaltung versucht wird. Dies könnte zum Beispiel auch in der Unterstützung regelmäßiger deliberativer Verfahren zwischen Politik und diffuser Bürgerschaft münden. KI-Anwendungen könnten hier Beteiligungsumgebungen strukturieren, die Zusammenführung komplexer Debatten erlauben und nachvollziehbar machen, wie bürgerschaftliche Beteiligung wirksam wird.
Aus Bottom-up-Perspektive wird in den Blick genommen, wie KI-Anwendungen dazu beitragen, dass neue Formen zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation möglich werden oder neue Protest- und Aktionsformen entstehen. Dass Digitalisierung transformative Effekte in Bezug auf politisches Handeln haben kann, ist gut erforscht.
Größer gedachte Vorschläge, die auf eine Umgestaltung des politischen Systems zielen, etwa indem sie den Einsatz von Bots als Agenten politischer Partizipation vorschlagen, sind selten und setzen eine demokratische Struktur voraus, die stärker direktdemokratisch orientiert ist.
Neben der Schaffung von Partizipationsmöglichkeiten wird in der wissenschaftlichen Literatur auch über eine Gegentendenz spekuliert, für deren Relevanz es bereits stärkere empirische Anhaltspunkte gibt: nämlich, dass sich demokratische Politik künftig weniger an der expliziten politischen Partizipation als vielmehr am messbaren Verhalten der Bürger*innen orientiert.
Ausblick
Die aufgezeigten potenziellen Entwicklungspfade demokratischer Praxis angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Einbettung von KI-Verfahren ergeben ein uneinheitliches und ambivalentes Bild. Künstliche Intelligenz ist nicht einfach eine rivalisierende Kraft zu demokratischen Prozessen, wie es populäre Kritiken nahelegen. Die transformative Wirkung der Entwicklung ist aber auch nicht nur begrenzt auf die wachsenden Möglichkeiten effektiver Manipulation. Es ist daher notwendig, die Verschlingung von KI-Technologien und demokratischen Entwicklungen kleinteiliger und mit Blick auf konkrete Dimensionen demokratischen Lebens nachzuvollziehen, um die Rekonfiguration der sich verschiebenden Handlungsmöglichkeiten von individuellen, staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren besser zu verstehen.
Neben der Analyse schärft sich so der Blick dafür, dass eine aktive politische Gestaltung der digitaltechnologischen Entwicklung möglich und aus demokratischer Sicht sogar naheliegend ist. Anders als in früheren Phasen der Digitalisierung, in denen ein liberaler Imperativ vorherrschte, der eine gesellschaftlich positive Entwicklung unterstellte, wenn man technologische Innovation nur frei walten ließe, ist für KI-Verfahren schon zum jetzigen Zeitpunkt deutlich, dass es eine Notwendigkeit demokratisch sensibler Regulierung gibt. Aktuelle Vorschläge fokussieren dabei hauptsächlich Anwendungsszenarien (etwa Gesichtserkennung oder Deep Fakes) und die Frage der Datengrundlage von KI (Datenschutz und Copyright). Aus demokratischer Sicht muss darüber hinaus aber auch verstärkt auf gesellschaftliche Mitbestimmungsmöglichkeiten geachtet werden – und zwar in Hinblick auf Entwicklung, Anwendung und Einsatz von KI. Dies erschöpft sich nicht in der einfachen Forderung nach Transparenz, sondern meint die Etablierung eingriffsfähiger Institutionen, die in der Lage sind, öffentliche Interessen und bürgerliche und demokratische Rechte auch gegen technische Möglichkeiten und ökonomische Anreize stark zu machen.