Viel ist seit dem Überfall Russlands auf sein Nachbarland Ukraine von der Militarisierung oder Verrohung der Sprache gesprochen worden.
Ich konzentriere mich daher hier auf drei Aspekte von Kontinuitäten einer aktuellen "Sprache des Krieges": auf den Topos der Zeitenwende, auf neue alte Schlagwörter und auf mobilisierende Kriegsbotschaften. Damit möchte ich die öffentlich empfundene und konstruierte Einzigartigkeit und Neuheit der aktuellen Kriegs-Rhetorik ein wenig relativieren.
Der Topos der Zeitenwende
Der Linguist David Römer hat in einer diskurslinguistischen Studie zu Wirtschaftskrisendiskursen ein Argumentationsmuster der Zeitenwende identifiziert und wie folgt definiert:
Der Topos der Zeitenwende behauptet, eine Ära sei zu Ende gegangen und man befinde sich an der Schwelle zu einer neuen Zeit. Er geht von der Annahme aus, dass nichts mehr so ist, wie es vorher war. Die allgemein-abstrakte Folgerung aus dem Topos der Zeitenwende lautet, es könne nicht mehr so weitergehen wie bisher, Prozesse des Umdenkens seien notwendig, es müsse umgestaltet werden.
Es ist frappierend, wie genau Römer mit dieser Definition einer in fast 50 Jahre alten Texten zu Wirtschaftskrisen gefundenen Argumentation das trifft, was Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Verwendung seines "Wortes des Jahres"
Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. (…) Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.
"Zeitenwende" steht seither wie kein anderes Wort für die Idee, dass mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in Europa und in Deutschland nichts mehr so sei wie zuvor, dass alles bisher Gültige in der Außen- und Sicherheitspolitik im Verhältnis zu Russland sich als falsch, als nicht mehr haltbar erwiesen habe und dass sich nun bezüglich politischer und vor allem militärischer Handlungen alles ändern müsse, was insbesondere Sanktionen gegen und den Abbruch der Handelsbeziehungen zu Russland sowie eine beispiellose Erhöhung von Militärausgaben bedeutet.
Das Zitat Römers zeigt, dass es in Diskursen, die noch nicht lange her sind, diesen Eindruck schon des Öfteren gegeben hat: Ab einem oft überraschend eingetretenen Ereignis, jedenfalls ab einem von vielen nicht vorhergesehenen Zeitpunkt habe sich innerhalb kürzester Zeit etwas so grundlegend geändert, dass danach "nichts mehr [ist], wie es war".
Neue alte Schlagwörter: "Politik der Stärke"
Der Westen muss nach den Annexionen Putins auf eine Politik der Stärke setzen und die Ukraine mit schweren Waffen unterstützen.
Für die Politik der Stärke
Die Abschreckung muss funktionieren, und da müssen wir jetzt mehr tun bei der Bundeswehr.
Der General [Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe] mahnte die Nato-Staaten, im Ernstfall auch Atomwaffen einzusetzen: "Für eine glaubhafte Abschreckung brauchen wir sowohl die Mittel als auch den politischen Willen, die nukleare Abschreckung nötigenfalls umzusetzen."
Der Kalte Krieg war nie vorüber
Droht ein neuer Kalter Krieg? Befinden wir uns bereits darin? Oder könnte es gar infolge des Ukraine-Kriegs wieder zu einem großen Krieg kommen (…)?
Diese ausgewählten Zitate aus Online- und Printmedien sollen auf ein weiteres sprachliches Phänomen aufmerksam machen. In den aktuellen öffentlichen Debatten über den Krieg in der Ukraine werden Schlagwörter wie "Politik der Stärke", "Abschreckung" oder "Kalter Krieg" wiederverwendet, die in der Regel mit der Ost-West-Konfrontation zwischen 1949 und 1989 in Verbindung gebracht werden. Sie sind in der Epoche, die im Rückblick mit einem dieser Schlagwörter als "Kalter Krieg" bezeichnet wird, tatsächlich wichtig gewesen. Sie können aktuell als Indikatoren einer neuen, mit jener bis 1989/90 herrschenden Konfrontation vergleichbaren außen- und sicherheitspolitischen Konstellation gelten. Sie sind aber – im Sinne des Begriffshistorikers Reinhart Koselleck – auch als "Faktoren" der aktuellen geschichtlichen Entwicklung zu sehen:
Während in der historischen Rückschau "Politik der Stärke" in der Regel als relativ wertungsfreie historische Vokabel für die Politik Konrad Adenauers gegenüber der Sowjetunion beziehungsweise dem Ostblock verwendet wird (und eher seltener auch für die Nato-Rüstungspolitik der 1980er Jahre), wird es in seiner Entstehungszeit von verschiedenen Akteur:innen mit unterschiedlicher Wertung verwendet.
"Politik der Stärke": nun ja, man wirft sie uns vor. Das ist ein Schlagwort, das in manchen Zirkeln nicht schlecht wirkt. Aber es ist doch einfach die Wahrheit! Haben wir nicht in den letzten Jahren gelernt, daß es einzig die Stärke ist, die den Sowjetrussen imponiert und die sie dazu bringt, Zugeständnisse zu machen?!
Dieses Zitat des CDU-Politikers Kurt Georg Kiesinger aus dem Jahr 1954 zeigt prototypisch die – den beiden aktuellen Zitaten entsprechende – positive Verwendungsweise der Wortverbindung aufseiten der Regierungsparteien der 1950er Jahre. Schon zu dieser Zeit wird sie – anders als man erwarten könnte, da "Entspannungspolitik" als historische Vokabel heute zumeist auf Willy Brandts Ostpolitik referiert – als Antonym, also als Gegensatz zur "Politik der Entspannung" genutzt. Auch wenn es Nuancen bezüglich dessen gibt, worauf genau referiert wird, ist bei dieser Verwendung doch bemerkenswert, wie offensiv die Wortverbindung, die von dieser Seite zum Teil auch als Vorwurfsvokabel an die Adresse der "Sowjetrussen" gerichtet wird, als Fahnenwort Verwendung findet, da sie gleichzeitig beim politischen Gegner eine (siehe das Kiesinger-Zitat) eindeutig abwertende Funktion hatte.
Politik der Stärke wurde zum Schlagwort, stiftete Verwirrung und wurde mißbraucht. (…) Der Westen meinte mit Politik der Stärke auch keine aggressive Gewaltanwendung, sondern nur die Bereitschaft zu einer Gewaltabwehr, falls der Osten angreifen oder seine Expansionspolitik weitertreiben sollte.
Der Vorwurf des "Missbrauchs" geht einerseits gegen den außenpolitischen Gegenspieler, die Sowjetunion und ihre Statthalter in der DDR, die die westliche Politik mit dem Stigmawort "Politik der Stärke" bekämpften, andererseits aber auch gegen die SPD-Opposition. Denn die setzte mit dem Wort zum einen stillschweigend voraus, dass die so bezeichnete Politik Wiedervereinigung, Abrüstung und Entspannung verhindere. Zum anderen behauptete sie dies auch ausdrücklich, so etwa der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer 1956 im Bundestag: "Die Politik der Stärke als Politik der Wiedervereinigung ist gescheitert."
Für die frühe Bundesrepublik ist diese heterogene Verwendung von "Politik der Stärke" mentalitätsgeschichtlich aufschlussreich: Man kann über den Wortgebrauch und den Streit um ihn etwas darüber lernen, wie zu dieser Zeit hinsichtlich des Verhältnisses zum Ostblock und zur Sowjetunion gedacht und gefühlt wurde. Auch "Kalter Krieg", "Koexistenz", "Abrüstung", "Wettrüsten", "Abschreckung" und "Gleichgewicht" sind diesbezüglich relevant.
Mobilisierende Kriegsbotschaften
Die Geschichte der politischen Rede ist voll von Kriegsreden und arm an Friedensreden. [In der Tradition der mobilisierenden Kriegsrede seit Thukydides wird] die militärische Auseinandersetzung (…) als unausweichlich u./o. aufgezwungen gekennzeichnet. Der Gegner habe eine Situation herbeigeführt, angesichts derer – sofern man höchste Werte u./o. Interessen nicht verraten wolle – nichts anderes übrig bleibe, als militärisch vorzugehen mit dem Ziel, siegreich zu sein. Dazu bedürfe es außergewöhnlicher Anstrengungen und Opfer, die zu vollbringen man (…) die eigene Gruppe (Nation, Religionsgemeinschaft, Verbündete o.ä.) auffordert.
Liest man die Übersetzung der Ansprache Wladimir Putins zum Überfall auf die Ukraine,
erstens die Narratio, in der der Redner erzählt, wie es zu der aktuellen Situation gekommen ist, in der "leider" ein militärischer Einsatz, ein Krieg oder eine Aufrüstungsmaßnahme erforderlich sind;
zweitens die Selbstdarstellung beziehungsweise Selbstinszenierung des Redners als verantwortungsvoller und friedliebender Mensch, der alles versucht hat, um die militärische Maßnahme zu vermeiden, der aber nun gezwungen ist, diese anzuordnen, um seiner Aufgabe gerecht zu werden;
drittens die Rechtfertigung und Legitimation der begonnenen oder zu beginnenden Maßnahme durch die Darstellung der Handlungen des Gegners (Notwendigkeits-Topos) und der Gefahren, die drohen, wenn nun nicht militärisch reagiert wird (Dringlichkeits-Topos). Zu beiden gehört die Ausmalung eines Feindbildes;
viertens die Darstellung der Ziele, die nur durch einen Krieg/einen militärischen Einsatz oder eine Aufrüstungsmaßnahme zu erreichen sind. Gerade in der jüngeren Vergangenheit kann dies bis zu Varianten des "Heile Welt"-Topos (Stichwort "neue Weltordnung", "dauerhafter Frieden") gehen;
fünftens die Berufung auf die Geschichte, die lehrt, dass die unpopuläre Maßnahme nötig sei und/oder dass man Erfolg haben wird (Geschichts-Topos), sowie die Anrufung eines höheren Wesens als Berufung auf die Religion;
sechstens die Berufung auf Instanzen wie grundlegende (zu verteidigende) Werte, kodifizierte Normen (Prinzipien-Topos) und/oder Verpflichtungen gegenüber Partnern, Verträgen und anderem mehr (Autoritäts-Topos);
siebtens der Ausdruck der Siegesgewissheit, in der Regel eingebaut in einen Schlussappell und verbunden mit der Erklärung der Solidarität des Kriegsherrn/des Redners mit seinen Soldaten/seinem Volk, zum Teil auch verbunden mit Drohungen an den Gegner;
achtens schließlich der Solidaritätsappell nach innen, bei Diktatoren wie Adolf Hitler etwa verbunden mit Drohungen an die, die sich verweigern, ansonsten oft verknüpft mit der Darstellung der Ernsthaftigkeit der Lage und der zu erwartenden Opfer.
Im Deutschen Bundestag wurde am 27. Februar 2022 die schon gefallene Entscheidung verkündet und gerechtfertigt, künftig nicht nur das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen zu wollen, sondern kurzfristig durch ein Sondervermögen 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zur Verfügung zu stellen, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen und Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Anhand der Reden von Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock zeige ich exemplarisch, wie einige der genannten Elemente auch bei der Rechtfertigung der aktuellen Maßnahmen wiederauftauchen.
Das, was vor dem Bundestag gerechtfertigt werden muss, unterscheidet sich selbstverständlich von den (Angriffs-)Kriegsreden der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, von den Aufrüstungs- und Kriegsbeteiligungsreden der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber weniger. Es geht wie 1958 und 1983 um Aufrüstung, es geht wie 1991 bei der finanziellen Unterstützung des Golfkriegs, 1999 bei der Beteiligung am Kosovokrieg der Nato und 2001 am Afghanistan-Einsatz um die Rechtfertigung von (in diesem Fall indirekten) Kriegsbeteiligungen.
Es mag der Kürze der Reden geschuldet sein, dass die Narratio, wie es zur aktuellen Situation gekommen ist (Punkt 1 der oben genannten Grundelemente), in den Reden vom 27. Februar 2022 ausfällt. Denn es hätte durchaus einiges zu erzählen gegeben, wie man sich bemüht habe, Russland von einer Invasion abzuhalten. Der zweite Punkt wird kurz, aber deutlich realisiert:
Wir haben es bis zur letzten Minute mit Diplomatie versucht. Der Kreml hat uns hingehalten, belogen und sich all dem verweigert, wofür wir bisher als Europäerinnen und Europäer eingestanden haben. Putin wollte diesen Krieg – "whatever it takes". (Baerbock)
Wir nehmen die Herausforderung an, vor die die Zeit uns gestellt hat – nüchtern und entschlossen. (Scholz)
Im Mittelpunkt der beiden Kriegsbotschaften im Bundestag stehen dagegen der Notwendigkeits- und der Dringlichkeits-Topos (Punkt 3). Wie beim Golfkrieg 1991, beim Kosovokrieg 1999 und beim Afghanistan-Einsatz 2001 werden die Kriegshandlungen des Gegners drastisch benannt und die Dringlichkeit der Unterstützung der Angegriffenen deutlich gemacht, um noch Schlimmeres zu verhindern:
Die Bilder aus der Ukraine sind kaum zu ertragen. Tausende fliehen. Wahrscheinlich hat jeder hier im Saal eine Nachricht bekommen von Freunden, Bekannten, von Kolleginnen und Kollegen, mit denen man – so wie ich letzte Woche – noch gemeinsam in Kiew Mittag gegessen hat und die jetzt sagen: Bitte, rettet uns! – Eltern mit kleinen Kindern verbringen in U-Bahn-Schächten ihre Nächte, um Schutz vor Bomben und Raketen zu suchen. Das könnten wir in diesen U-Bahn-Schächten sein, das könnten unsere Kinder sein. (Baerbock)
Die Darstellung des Feindbildes Putin/Russland beschränkt sich bei Annalena Baerbock auf die mehrmalige Benennung des "Systems Putin" und der von diesem System ausgehenden "rücksichtslosen Aggression". Auch bei Olaf Scholz klingt es eher diplomatisch-moderat:
Putin will ein russisches Imperium errichten. Er will die Verhältnisse in Europa nach seinen Vorstellungen grundlegend neu ordnen, und dabei schreckt er nicht zurück vor militärischer Gewalt.
Breiten Raum in Baerbocks Rede nehmen die Berufungen auf Prinzipien und Autoritäten ein (Punkt 6). Wie in allen bisher untersuchten US-amerikanischen und deutschen Kriegsbotschaften geht es auch Baerbock um höchste Prinzipien: "Frieden in Europa", "unsere Freiheit", "das internationale Völkerrecht", "die Werte einer regelbasierten internationalen Ordnung" und das "menschliche friedliche Miteinander", "unsere Grundrechte". Sie beruft sich für die angekündigte Unterstützung der angegriffenen Ukraine und die Aufrüstung der Bundeswehr aber vor allem implizit auf diese Prinzipien, insofern sie den russischen Angriff als Angriff auf diese charakterisiert. Später sagt sie nur sehr allgemein, es gehe um diese Prinzipien. Daneben wird von ihr der Autoritäts-Topos vor allem in Form der Berufung auf das Völkerrecht beziehungsweise die "Charta der Vereinten Nationen" genutzt. Die Berufung auf Bündnissolidarität in der Nato, aufgrund derer gehandelt werden müsse, stand gerade in Gerhard Schröders Unterstützung des von den USA angeführten Krieges in Afghanistan 2001 im Mittelpunkt. Bei Baerbock ist sie eher randständig, in Scholz’ Rede spielt sie an mehreren Stellen eine größere Rolle:
Ohne Wenn und Aber stehen wir zu unserer Beistandspflicht in der Nato. (…) gemeinsam mit unseren Alliierten jeden Quadratmeter des Bündnisgebietes zu verteidigen. (…) Dabei stehen wir nicht allein, sondern zusammen mit unseren Freunden und Partnern in Europa und weltweit. Unsere größte Stärke sind unsere Bündnisse und Allianzen.
Und während Berufungen auf die Geschichte, wie zum Beispiel auf die gescheiterte Appeasement-Politik der 1930er Jahre, und auf Gott (Punkt 5) in den kurzen Bundestagsreden nicht vorkommen, werden die Kriegsziele (Punkt 4) sehr deutlich bestimmt, von Scholz klarer als von Baerbock. Die Ziele "Frieden in Europa" und "Sicherung der nationalen Selbstbestimmung" werden von ihr nur en passant gestreift und sind eher zu erschließen. Scholz verpackt das zuvor schon genannte Ziel "Frieden in Europa" ("Wir werden nicht ruhen, bis der Frieden in Europa gesichert ist") im Schlussappell noch einmal in seinen Dank an "alle, die in diesen Zeiten mit uns einstehen für ein freies und offenes, gerechtes und friedliches Europa. Wir werden es verteidigen."
Die beiden letzten der genannten Elemente von Kriegsbotschaften, der Ausdruck von Siegesgewissheit und der Solidaritätsappell nach innen (Punkte 7 und 8), kommen in den Reden ebenfalls vor, wenn auch eher am Rande. Anders als in früheren Kriegsbotschaften werden sie nicht in einem flammenden Schlussappell untergebracht. Baerbock drückt die Siegesgewissheit lediglich indirekt in einer an Putin gerichteten Prophezeiung aus: "Mittel- und langfristig wird dieser Krieg Ihr Land ruinieren."
Der Solidaritätsappell nach innen meint in Kriegsbotschaften die Notwendigkeit, "die Reihen im Inneren [zu] schließen, an das Mitmachen, Zustimmen oder die Solidarität der eigenen Bevölkerung [zu] appellieren sowie diese auf den Ernst der Lage und die zu erwartenden Opfer ein[zu]stimmen".
Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen. (…) Das ist eine große nationale Kraftanstrengung. (…) Aber machen wir uns nichts vor: Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld. (Scholz)
Schluss
Der eher technisch-bürokratische Charakter gerade von Scholz’ Rede, in der er viele Einzelmaßnahmen auflistet oder seinen Dank an Kabinettskolleg:innen ausdrückt, stellt in der Reihe der Kriegsbotschaften des 20. und des frühen 21. Jahrhunderts eine Besonderheit dar. Nichtsdestotrotz reihen sich die Zeitenwende-Reden von Scholz und Baerbock in die Tradition deutscher Kriegsbotschaften beziehungsweise Kriegs- und Aufrüstungsreden ein, indem sie einige von deren topisch-argumentativen Elementen nutzen. Das kann im Sinne der Rhetorik, die eben für verschiedene Redeanlässe eine jeweilige Auswahl struktureller und inhaltlicher Mittel bereithält, auch nicht anders sein. Es lohnt sich dennoch, daran zu erinnern, dass es sich auch bei diesen im Zeichen der Zeitenwende als gänzlich neu und besonders erscheinenden Mitteln um bewährte Muster handelt, die bei solchen Gelegenheiten abgerufen werden.
In diesem Sinne sollten mit den drei aufgegriffenen Gesichtspunkten einer "Sprache des Krieges" – den Traditionen der Zeitenwende-Rhetorik, der Verwendung neuer alter Schlagwörter und den Grundelementen der Rhetorik von Kriegsbotschaften – nicht die Besonderheit und die neuen Herausforderungen, die sich mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine für die westlichen Gesellschaften ergeben, infrage gestellt werden. Es sollte aber doch bewusst gemacht werden, dass vieles zumindest auf der sprachlich-rhetorischen Ebene in gleicher und ähnlicher Form schon dagewesen ist. Insofern kann das Aufzeigen (sprach)geschichtlicher Traditionslinien das aktuelle zeitgenössische Bewusstsein, es mit gänzlich einzigartigen und neuen "Dingen" zu tun zu haben, ein wenig relativieren.