Die Kirchen brauchen kein Geld, um Kirche zu sein. Für ihr Wirken unter den Menschen setzen sie aber notwendig Mittel ein, angefangen bei Wasser, Brot und Wein, und nicht endend bei Gebäuden, Kommunikationsmedien und Personal. Kirchliche Finanzen sind kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, dem Auftrag der Kirche nachzugehen.
Die beiden großen Kirchen in Deutschland wenden heute vergleichsweise umfangreiche Mittel für die Erfüllung ihrer Aufgaben auf. Wie viel Geld sie insgesamt einnehmen und ausgeben, ist vor allem deshalb schwer zu sagen, weil die kirchlichen Finanzen auf viele tausend grundsätzlich selbständige Haushalte verteilt sind. Das sind nämlich nicht nur die 27 römisch-katholischen Erzbistümer und Bistümer und die 20 evangelischen Landeskirchen, sondern auch die mehr als 12.000 evangelischen Kirchengemeinden, die mehr als 9.000 römisch-katholischen Pfarreien und zahlreiche weitere kirchliche sowie caritative beziehungsweise diakonische Rechtsträger.
Davon gingen knapp acht Milliarden Euro (64,3 Prozent) in die kirchlichen Arbeitsfelder wie die allgemeine Gemeindearbeit und die zielgruppenbezogene Arbeit, vor allem mit Kindern und Jugendlichen (zusammen rund 1,7 Milliarden Euro), den Pfarrdienst (1,9 Milliarden Euro), Kirchenmusik (0,2 Milliarden Euro), Kindertagesstätten (2,8 Milliarden Euro), Bildungsarbeit (0,7 Milliarden Euro), Unterstützung diakonischer Arbeit (0,4 Milliarden Euro) und Entwicklungshilfe (0,2 Milliarden Euro). Die Leitung und Verwaltung kostete 1,1 Milliarden Euro, die Gebäudeunterhaltung 1,2 Milliarden. Die übrigen Ausgaben verteilten sich vor allem auf die finanzielle Vorsorge, die Kosten der Kirchensteuerverwaltung und den Betrieb von Friedhöfen.
Auf der Einnahmenseite ist die Kirchensteuer mit 5,3 Milliarden Euro (43,1 Prozent) der bedeutendste Posten, gefolgt von der (Teil-)Refinanzierung der Kindertagesstätten (2,2 Milliarden Euro) und der Erfüllung anderer öffentlicher Aufgaben (1 Milliarde Euro) durch die öffentliche Hand, Vermögenserträgen wie Pacht, Miete und Zinsen (1,5 Milliarden Euro), Entgelten wie die Elternbeiträge für die Kindergärten (1 Milliarde Euro) und Rücklagenentnahmen (0,6 Milliarden Euro). Demgegenüber trugen die Spenden (0,34 Milliarden Euro) und die Staatsleistungsansprüche (0,27 Milliarden Euro) 2,8 Prozent und 2,2 Prozent zu den Einnahmen bei.
Diese Zahlen stellen nur exemplarisch die Verhältnisse der evangelischen Kirche vor neun Jahren dar. Für die römisch-katholische Kirche und für die Folgejahre bis heute sind sicherlich andere Beträge einzusetzen. Die Verteilung der Ausgaben und Einnahmen dürfte sich jedoch kaum unterscheiden.
Solche Haushaltszahlen sind ein grober Anhaltspunkt dafür, "wie reich" die Kirchen sind. Weniger aussagekräftig wäre eine Summe des kirchlichen Vermögens. Darin müsste etwa auch das Eigentum an den Gebäuden bewertet werden, die die Kirchen überwiegend selbst nutzen. In den evangelischen Kirchen werden über 74.000 Gebäude gezählt, unter ihnen rund 21.000 Kirchengebäude.
Für die künftige Entwicklung der finanziellen Verhältnisse der Kirchen auf der Ausgabenseite schlagen die Verpflichtungen zur Versorgung der Pfarrer und Kirchenbeamten besonders zu Buche. Im Ruhestand erhalten sie ebenso wie staatliche Beamte grundsätzlich keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern Versorgungsbezüge aus dem kirchlichen Haushalt. Was die dafür vorgesehenen Pensionsrückstellungen decken soll, sieht aus wie ein üppiges Kapitalvermögen der Kirchen, ist aber zu den künftigen Versorgungspflichten ins Verhältnis zu setzen.
Bedeutung der Kirchensteuer für die Kirchenfinanzen
Hinsichtlich der Einnahmen hängen die Finanzen der Kirchen entscheidend an den Beiträgen ihrer Mitglieder in Gestalt der Kirchensteuer. Daran, dass der Anteil der Kirchensteuer fast die Hälfte der Einnahmen ausmacht, lässt sich nur ihre unmittelbare Bedeutung im Gesamtbild der kirchlichen Haushalte ablesen. Mittelbar hängt von ihr aber auch ab, dass die anderen Einnahmequellen ergiebig bleiben. Ihre Schlüsselstellung in den kirchlichen Finanzen zeichnet sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen Einnahmen nicht an vorbestimmte Verwendungszwecke gebunden ist, sondern für alle kirchlichen Aufgaben eingesetzt werden kann. Die durchaus umfangreichen öffentlichen Mittel zur Refinanzierung der öffentlichen Aufgabe der Kinderbetreuung etwa können die Kirchen nur für ihre Kindergärten einsetzen, nicht für den Gemeindepfarrdienst.
Die Kirchensteuer leisten die Kirchenmitglieder als Zuschlag zu ihrer Einkommensteuer. Wie die Höhe der Einkommensteuer bemisst sich also auch die Höhe der Kirchensteuer nach dem staatlichen Steuerrecht und dem zu versteuernden Einkommen. Ein großer Teil der Kirchenmitglieder trägt nicht zum Kirchensteueraufkommen bei, weil ihr Einkommen zu gering ist, um besteuert zu werden. Ein großer Teil des Kirchensteueraufkommens hängt davon ab, welches Einkommen eine kleine Minderheit der finanzkräftigsten Kirchenmitglieder hat – und von deren Willen, Kirchenmitglied zu bleiben. Hinter dem durchschnittlichen Kirchensteueraufkommen je Mitglied, in der evangelischen Kirche beispielsweise zuletzt 313,82 Euro im Jahr 2022,
Abgesehen von der Einkommens- und Steuerentwicklung insgesamt ist für die Zukunft der Kirchenfinanzen somit entscheidend, wie viele Kirchenmitglieder dazu beitragen können. Jeder weiß, dass deren Zahl seit Jahrzehnten sinkt. Vor allem geht die Zahl der Taufen zurück, durch die ein Mensch ja Kirchenmitglied wird. Das wiederum liegt nicht nur an dem steigenden Anteil der Eltern, die selbst nicht der Kirche angehören und denen es schon deshalb nicht einfällt, ihr Kind taufen zu lassen. Auch Eltern, die der Kirche angehören, sehen immer häufiger davon ab.
Eine von der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche gemeinsam in Auftrag gegebene Studie hat diese Entwicklungen in die Zukunft projiziert.
Rückblick: Von der Pfründenwirtschaft zur Kirchensteuer
Die Finanzierung der Kirchen durch ihre Mitglieder in Form einer Steuer wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert eingeführt. Die Kirchensteuer war die Lösung, um die Finanzierung der Kirchen auf eine sichere Grundlage zu stellen. Denn die bis dahin über Jahrhunderte überwiegende Form der Finanzierung war dazu nicht mehr in der Lage. Sie hatte auf einem gewachsenen Gewirr von – grob gesagt – Vermögenserträgen, Zehntrechten und anderen Einkünften beruht. So hatte man etwa für den Lebensunterhalt eines Pfarrers oder die Instandhaltung eines Kirchengebäudes gesorgt, indem man einen Acker oder ein Waldstück stiftete und eine Abgabe aus deren Bewirtschaftung dem kirchlichen Bedarf widmete. Eine Bezeichnung dafür ist das Wort Pfründe, das heute sonst nur sprichwörtlich für eine bequeme, von keiner weiteren Mühe mehr abhängige Ausstattung mit Einkünften steht und gewöhnlich mit dem Attribut "fett" verbunden wird. So fett waren die Pfründen der Kirchen im 19. Jahrhundert aber nicht mehr, dass sie ihre Funktion noch erfüllen konnten. Die Entwicklung des Wirtschaftslebens erlaubte es immer weniger, ein entsprechend aufwendiger werdendes kirchliches Leben überwiegend aus den Früchten agrarischer Produktion zu speisen.
Außerdem hatten sich die mit dem modernen Staat gewachsenen Staatsfinanzen schon in den Jahrhunderten zuvor aus verschiedenen Anlässen und Gründen Kirchengut einverleibt und damit auch dessen Finanzierungsfunktion übernommen. Die umfangreichste Säkularisation kirchlichen Vermögens folgte einem der letzten Gesetze des Heiligen Römischen Reichs, dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Er (über-)kompensierte die linksrheinischen Gebietsverluste der Fürsten an Frankreich dadurch, dass er ihnen Herrschaft, Territorium und Vermögen der aufgehobenen geistlichen Reichsstände zuschlug. Zudem überließ er ihnen auch das kirchliche Vermögen im eigenen Land zur "freien und vollen Disposition", und zwar "sowohl zum Behuf des Aufwandes für Gottesdienst, Unterrichts- und anderer gemeinnützige Anstalten, als [auch] zur Erleichterung ihrer Finanzen". Dabei traten die Staaten vielfach mit Dotationen für die entzogene Finanzbasis der Kirche ein. Diese trugen jedoch nur einen Teil des Bedarfs.
In einem Staat, in dem alle Bürger derselben Kirche angehört hätten, wäre es nicht aufgefallen, wenn man den wachsenden Finanzbedarf der Kirche aus allgemeinen Steuermitteln gedeckt hätte. Doch die konfessionelle Homogenität der Territorien war vielerorts schon längst einem Nebeneinander zumindest der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche gewichen. Die Kirchen wurden damit als "Religionsgesellschaften", also Körperschaften verstanden und rechtlich verfasst, dementsprechend die Konfession der Bürger als Mitgliedschaft. Mit der allmählichen Anerkennung der Religionsfreiheit, letztlich bis zum Kirchenaustrittsrecht, wurde eine Inanspruchnahme der Bürger für die Finanzierung einer Religionsgemeinschaft, der sie nicht angehörten, als fragwürdig erkannt. Eine für die Finanzierung der Kirchen erforderliche Steuer wurde dementsprechend nicht allen Bürgern gemeinsam auferlegt, sondern jeweils den Mitgliedern der einzelnen Kirche. Teilweise wurde diese Finanzierungsform zuerst für die jüdischen Gemeinden geregelt, wo sie in das allgemeine Recht der Religionsgesellschaften integriert wurden, ohne dass man sie mit einer Finanzierung aus staatlichen Mitteln ausstatten wollte. So entwickelte sich die Kirchensteuer.
Trennung von Staat und Kirche
Die Kirchensteuer war somit einer der Beiträge zur Trennung der Finanzen von Kirche und Staat. Sie fügte sich gut ein in die Trennung von Staat und Kirche, wie dann die Weimarer Reichsverfassung von 1919 (WRV) sie vorschrieb. Die dafür entscheidenden Bestimmungen erklärt das Grundgesetz von 1949 (GG) zu seinem Bestandteil (Artikel 140 GG), sodass sie auch heute den geltenden verfassungsrechtlichen Rahmen für die Finanzen der Kirche bilden.
Nach Artikel 137 Absatz 1 WRV "besteht keine Staatskirche". Damit sind die Finanzen der Kirchen aus der Verantwortung des Staates entlassen. Der Staat hat nicht die Aufgabe, für solide Finanzen der Kirchen oder anderer Religions- sowie Weltanschauungsgemeinschaften zu sorgen. Wenn ein Wirtschaftsunternehmen in eine finanzielle Schieflage gerät, kann es vorkommen, dass der Staat fördernd einspringt, etwa um Arbeitsplätze zu erhalten, nachteilige Folgen für den Markt zu dämpfen oder andere öffentlichen Interessen zu wahren. Um die finanzielle Stabilität von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften darf sich der Staat nicht in der gleichen Weise kümmern. Erlaubt – unter Umständen sogar gleichheitsrechtlich geboten – ist dagegen eine Refinanzierung kirchlicher Tätigkeiten, die eine bestimmte öffentliche Aufgabe erfüllen, zum Beispiel die Kinderbetreuung in einem kirchlichen Kindergarten. Ihr Zweck ist die Erfüllung dieser bestimmten öffentlichen Aufgabe, wie sie auch durch nichtkirchliche Träger erfüllt wird, nicht aber eine davon unabhängige institutionelle Finanzierung der Kirche. Gleiches gilt für die Förderung kirchlicher Beiträge zu bestimmten Belangen des Gemeinwohls.
Die Finanzen der Kirchen gehen den Staat also grundsätzlich nichts an. Sie sind eine Angelegenheit der Kirchen; diese ordnen und verwalten sie gemäß Artikel 137 Absatz 3 Satz 1 WRV "selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes". Das darin gewährleistete Selbstbestimmungsrecht aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften schützt die Freiheit der Kirchen zur Gestaltung ihres Finanzwesens, zur Entscheidung über ihre Einnahmen und Ausgaben, zur Entgegennahme von Zuwendungen, zur Anlage und Verwendung ihres Vermögens, auch zur finanziellen Inanspruchnahme ihrer Mitglieder.
Die "Schranken des für alle geltenden Gesetzes" dürfen die Finanzen der Kirchen nicht anders regeln als die Finanzen anderer Rechtsträger, insbesondere nicht unter eine besondere staatliche Finanzaufsicht stellen. Außerdem müssen ihr Zweck und ihre Wirkung auf die Selbstbestimmung der Kirche, wie diese sie nach ihrem religiösen Selbstverständnis bewertet, in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
Innerhalb der so gezogenen Schranken des für alle geltenden Gesetzes unterliegt es somit der Selbstbestimmung der Kirchen, welches Maß an Transparenz und Öffentlichkeit sie für ihre Finanzen pflegen und nach welchen Maßstäben sie die kirchliche Finanzverantwortung ordnen. Die evangelischen Kirchen legitimieren ihre Finanzen durch die synodale und presbyteriale Budgetverantwortung
Dabei machen die Kirchen für die Ordnung ihrer Finanzen von den öffentlich-rechtlichen Organisations- und Handlungsformen Gebrauch, die ihnen Artikel 137 Absatz 5 WRV mit der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bereitstellt.
Verständnis und Ausgestaltung der Kirchensteuer
Diese Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß Artikel 137 Absatz 5 WRV ist die Voraussetzung, unter der sodann Artikel 137 Absatz 6 WRV die so verfassten Religionsgemeinschaften "berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben". Das ist die verfassungsrechtliche Grundlage der Kirchensteuer.
An die Stelle einer Besteuerung "auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten", die es nicht gibt und die daher sonst eigens für die steuererhebungsberechtigten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erstellt werden müssten, setzt das staatliche Kirchensteuerrecht, wie erwähnt, eine Zuschlagsteuer zur staatlichen Lohn- und Einkommensteuer. Sie wird von den staatlichen Finanzämtern festgesetzt, eingezogen und an die betreffende Religionsgemeinschaft weitergeleitet. Das entspricht dem Sinn des Artikel 137 VI WRV und schont nicht nur den Regelungs- und Verwaltungsaufwand auf allen Seiten, sondern auch das Steuergeheimnis der Kirchenmitglieder: Die Religionsgemeinschaften erfahren nicht, welches Einkommen ihre Mitglieder zu versteuern haben, sondern bekommen das Kirchensteueraufkommen ihrer Mitglieder in einer Summe überwiesen. Die Hilfe der staatlichen Finanzämter vergüten die Religionsgemeinschaften mit einem pauschalen Anteil ihres Steueraufkommens. Mit der Anlehnung der Kirchensteuer an den staatlichen Steuertarif verzichten die Kirchen auf eine eigene Steuerpolitik. Im Gegenzug können sie immerhin auf eine Vermutung der Gerechtigkeit für die Lastenverteilung nach einem demokratisch legitimierten Maßstab steuerlicher Leistungsfähigkeit verweisen.
Das Zusammenwirken zwischen staatlichem und kirchlichem Steuerrecht, staatlichen Finanzämtern und kirchlicher Verwaltung ist reich an Regelungsdetails und Einzelfragen, wirft aber keine grundsätzlichen Schwierigkeiten auf. Das in kirchlichen und außerkirchlichen Kreisen oft geäußerte Unbehagen mit der Kirchensteuer ist jedenfalls nicht mit verfassungsrechtlichen Zweifeln begründbar. Abgesehen davon, dass die Verfassung sie ausdrücklich vorsieht, entspricht sie in dem dargelegten Verständnis und in ihrer rechtspraktischen Ausgestaltung ganz der Trennung von Staat und Kirche und der Religionsfreiheit aller Steuerpflichtigen.
Staatsleistungen und ihre Ablösung
Ein geringerer Anteil in den kirchlichen Finanzen, aber eine heute mindestens ebenso große öffentliche Aufmerksamkeit entfällt auf die Staatsleistungen an die Kirchen.
Die Trennung von Staat und Kirche stellte der Weimarer Verfassung 1919 die Aufgabe, auch einen überaus unübersichtlichen Bestand an finanziellen Einzelrechtsverhältnissen zwischen den Ländern und den Kirchen zu entflechten. Sie waren zu großen Teilen Dotationen infolge der erwähnten historischen Vorgänge der Säkularisation kirchlichen Vermögens, die an die Stelle der Eigenmittel der Kirche getreten und mit der vermögensrechtlichen Verselbständigung der Kirche gegenüber dem Staat schon vor 1919 durch Gesetz, Vertrag oder andere Regelungen zu Rechtsansprüchen geworden waren. Die Weimarer Nationalversammlung wollte mehrheitlich die Trennung von Staat und Kirche nicht mit einer neuen Säkularisation belasten, sondern für beide Seiten möglichst wirtschaftlich neutral gestalten. Daher regelt Artikel 138 Absatz 1 WRV: "Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf." Die darin also verfassungsrechtlich gebotene Ablösung bedeutet eine Aufhebung der Dauerleistungspflichten gegen einen Ersatz ihres wirtschaftlichen Wertes.
Dazu ist es bis heute – über 100 Jahre später – noch nicht gekommen. Immerhin ist der wesentliche Entflechtungszweck des Ablösungsgebots schon dadurch erreicht worden, dass die von den Bundesländern mit den Kirchen geschlossenen Staatskirchenverträge die Staatsleistungen zu pauschalen Gesamtzuschüssen zusammenfassen. So sind die Staatskirchenverträge als neue Rechtsgrundlagen an die Stelle der alten getreten. Auf dieser Grundlage werden die Staatsleistungen weitergezahlt, weil anfangs das Reich, nach Inkorporation des Ablösungsgebots in das Grundgesetz der Bund seine Pflicht zur gesetzlichen Regelung der Ablösungsgrundsätze niemals erfüllt hat und die Landesgesetzgeber auch von der auch unabhängig davon bestehenden Möglichkeit einer einvernehmlichen Ablösung keinen Gebrauch gemacht haben. Die Landesgesetzgeber haben stets auf das Fehlen eines "Grundsätzegesetzes" des Reichs und dann des Bundes verwiesen. Der Bundesgesetzgeber hat jahrzehntelang "keinen Handlungsbedarf" erkannt. Die Verfassungswidrigkeit dieses bundesgesetzgeberischen Unterlassens ist nie verfassungsgerichtlich festgestellt worden, weil allein die Länder zur Einleitung eines darauf gerichteten Verfahrens berechtigt sind, aber selbst nicht daran interessiert waren, die Erfüllung des Ablösegebots durchzusetzen. Initiativen zum Erlass eines Grundsätzegesetzes sind zur Zeit der Weimarer Republik aus fiskalischen Gründen steckengeblieben und nach 1949 nicht wieder aufgenommen worden. Die langfristige Entlastung der Landeshaushalte – im Jahr 2022 waren in der Summe 600 Millionen Euro zu zahlen – nach einer bis dahin unangenehmen Mehrbelastung versprach zu wenig politisches Prestige. Das Fehlverständnis der Staatsleistungen als Ausdruck staatlichen Wohlwollens gegenüber den Kirchen oder als finanzielle Anerkennung ihres Wirkens stilisierte die Ablösung zum kulturkämpferischen Signal. So ließ man die Staatleistungen einfach weiterlaufen.
Erst neuerdings macht die Politik Anstalten, das Ablösungsgebot ernst zu nehmen. Nach einer 2020 im Bundestag hinsichtlich des Handlungsbedarfs weitgehend einmütig debattierten, aber von der die Bundesregierung damals tragenden Mehrheit abgelehnten Gesetzesinitiative hat sich die nach der Bundestagswahl 2021 gebildete Koalition vorgenommen, "in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen" zu schaffen. Die Ablösung kann auf verschiedene Weise bewirkt werden.
Bei der Ablösung der Staatsleistungen geht es um erhebliche Beträge für die Haushalte der Bundesländer und der staatsleistungsberechtigten Kirchen, wobei ihr Gewicht im Verhältnis zu den übrigen Finanzen über die Bundesländer und die Kirchen unterschiedlich verteilt ist. Umso wichtiger ist es, endlich eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Nicht auf dem Spiel stehen hingegen die freiheits- und gemeinwohlförderlichen Kooperationsbeziehungen zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften. Ihnen gegenüber ist die Ablösung der Staatsleistungen ebenso neutral wie gegenüber der zweckgebundenen Förderung und Refinanzierung des gemeinnützigen Wirkens von Religionsgemeinschaften aus öffentlichen Mitteln.
Perspektiven für die Finanzierung der Kirchen
Aus verschiedenen Beweggründen wird immer wieder darüber nachgedacht, ob die Finanzen der Kirchen in Deutschland nicht auf andere Füße gestellt werden sollten. Die Finanzierung aus Kirchensteuern wird oft als einzigartig im internationalen Vergleich dargestellt.
Das sollte auch für die Finanzierung von Religionsgemeinschaften aus einer staatlichen Steuer gelten, über deren Verwendung für eine Religionsgemeinschaft oder einen anderen begünstigten Zweck die Steuerpflichtigen selbst bestimmen dürfen, wie etwa in Italien ("otto per mille"). Sie erscheint manchen hierzulande besonders gut geeignet, um die verbindliche Heranziehung von Steuerpflichtigen zur Finanzierung von Religionsgemeinschaften durch Elemente der Freiwilligkeit aufzulockern. Sie löst die Finanzierung aber von der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft. Die Kirchensteuerpflicht des einzelnen Mitglieds besteht gegenüber seiner Religionsgemeinschaft und wird durch diese begründet. Jedes Mitglied kann sich durch Erklärung des Austritts von ihr lösen. Im italienischen Modell tritt an ihre Stelle eine Verpflichtung gegenüber dem Staat zur Leistung einer Zwangsspende. Ihr kann sich kein Steuerpflichtiger entziehen; ohne Weiteres entziehen kann er sich aber der Inpflichtnahme durch seine eigene Religionsgemeinschaft, indem er seine Zwangsspende einem anderen Zweck widmet. Das unterläuft die bürgerliche Wirksamkeit finanzieller Pflichten aus der Mitgliedschaft und ist nur eine Variante der Kirchenfinanzierung aus dem Staatshaushalt, die der Trennung von Staat und Kirche nach Artikel 137 Absatz 1 WRV nicht entspricht.
Die Umstellung der kirchlichen Finanzierung von der Kirchensteuer auf Spenden ist eine Option, die jeder zur Erhebung von Steuern berechtigten Religionsgemeinschaft freisteht. Eine Finanzierung der Kirchen aus Spenden findet sich insbesondere in Nordamerika. Es gibt zahlreiche kleinere Religionsgemeinschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts nach Artikel 137 Absatz 5 und 6 WRV zur Erhebung von Steuern berechtigt sind, doch von diesem Recht keinen Gebrauch machen. Das könnten auch die großen Kirchen tun, ohne dass Artikel 137 WRV geändert werden müsste. Das Aufkommen müsste dann allerdings von einer Spendenkultur getragen sein, wie sie sich in Nordamerika entwickelt hat. Mit einer Gestaltung des kirchlichen Lebens nach den Vorstellungen der jeweils finanzkräftigsten Mitglieder wäre zu rechnen.
Gegenüber allen diesen Möglichkeiten zur Finanzierung der Kirche hebt sich die Kirchensteuer als eine relativ zum Mitgliederbestand effektive, staatsferne und gerechte Finanzierungsquelle ab. Der absehbar fortgesetzte Rückgang der Zahl der Kirchenmitglieder wird diese Finanzierungsquelle allerdings erheblich schwächer sprudeln lassen. Die Kirchen beginnen, sich darauf einzurichten.