Wenn mich jemand fragt, wie ich zur Kirche stehe, bin ich zwiegespalten:
Ich bin katholisch aufgewachsen und sozialisiert worden. Taufe, Kommunion und Firmung, all das habe ich mitgemacht. Mit meiner Familie war ich zwar nicht jede Woche, aber doch sehr regelmäßig in der Kirche und in den Kindergottesdiensten. Zusätzlich war ich auf einer erzbischöflichen Schule, und auch hier waren der Religionsunterricht und der monatliche Besuch des Schulgottesdienstes bis zum Abitur Pflichtprogramm. Kirche, der Glaube und die christlichen Werte waren damit von Anfang an ein Teil meines Lebens.
Nach meiner Kommunion wurde ich Messdienerin, ging zu den wöchentlichen Gruppenstunden, war mehrmals im Monat als Messdienerin in der Kirche und fuhr auf Sommerlager und Herbstfahrten mit. In dieser Zeit lernte ich viele neue Leute kennen und knüpfte Kontakte, aus denen lebenslange Freundschaften entstanden sind. Mit 16 Jahren wurde ich dann selbst Leiterin, übernahm eine Gruppenstunde, plante Fahrten und Aktionen mit und entdeckte meine Begeisterung dafür. In einer Gruppe aktiv zu sein, die dieselben christlichen Werte vertritt wie ich, mit ihnen gemeinsam tolle Aktionen zu planen und durchzuführen, viele Kinder damit glücklich zu machen – das macht auch mich glücklich.
Mit der Zeit engagierte ich mich mehr und lernte, was Jugendarbeit alles bedeutet und wie viele unterschiedliche Jugendverbände und -organisationen es eigentlich gibt. Auch wenn sich die Schwerpunkte ein wenig unterscheiden, gibt es eine große Gemeinsamkeit. Ziel ist es, dass Kinder und Jugendliche innerhalb der Verbände eine gute Zeit haben und gleichzeitig innerhalb der Gemeinschaft Werte wie Respekt, Gleichberechtigung, Demokratie, Selbstständigkeit, Freundschaft und den Glauben kennenlernen und erfahren.
Leider sind die Werte, die in den Jugendverbänden bereits gelebt werden, in der katholischen Kirche in der Realität eher weniger vorhanden. Durch mein Engagement im Diözesanausschuss des BDKJ (Bund deutscher katholischer Jugend) im Erzbistum Köln kam ich zum ersten Mal aktiv und verstärkt mit überregionalen kirchlichen Themen und der Kirchenpolitik in Kontakt. Die Enthüllungen über den sexuellen Missbrauch in der Kirche haben mich erschüttert. Vor allem die Art und Weise, wie danach damit umgegangen wurde, hat mich sehr frustriert. Anstatt anständiger Aufarbeitung, Konsequenzen für die Täter und Solidarität mit den Opfern, gab es nur Schweigen und noch mehr Vertuschung, was für mich ein mehr als fragwürdiges Bild von der Moral in der Kirche gezeichnet hat. Dazu kommen die generell veralteten Strukturen und das längst nicht mehr zeitgemäße Weltbild, das die Kirche vertritt. All das wären eigentlich mehr als genug Gründe, der Kirche den Rücken zu kehren.
Warum also tue ich es nicht?
Weil Kirche für mich (zumindest die gelebte Kirche) viel mehr ist als nur Missbrauch und staubige Regeln. Ich bin noch in der Kirche, weil sie einen Ort für meinen Glauben und die Gemeinschaft bietet. Menschen mit denselben Werten kommen zusammen, um zu feiern. Ob an Feiertagen, Festen, in Krisenzeiten oder im ganz Alltäglichen: Die Kirche ist ein Ort des Zusammenkommens und der Begegnung. Dabei steht sie sich allerdings oft selbst im Weg.
Verstaubte Ansichten, langjährige Mitglieder, die wegsterben und immer mehr Menschen, die aus der Kirche austreten, weil nichts getan wird, um diese Strukturen aufzubrechen und um die Institution attraktiver zu gestalten. Und dazu der Satz: "Das haben wir immer so gemacht", sobald jemand neue Ideen hat.
Der "klassische" Gottesdienst in der Gemeinde ist meist eintönig, langweilig und nicht sonderlich ansprechend. Außer an Feiertagen zieht mich heute selten etwas in die Messe. Ich weiß allerdings, dass es auch anders sein kann: Auf Katholik*innentagen, bei Aktionen der Jugendverbände oder in Taizé habe ich schon an verschiedensten Arten von Gottesdiensten teilgenommen. Impulse, die zum Nachdenken anregen, mitreißende Predigten zu aktuellen Themen, Live-Bands oder generell einfach Lieder, die Lust zum Mitsingen machen. Es braucht nicht viel, um einen Gottesdienst zu einer ansprechenden Veranstaltung zu machen. Dabei sind Inhalt und Ablauf ja eigentlich derselbe wie im "klassischen" Gottesdienst.
Neben der Umgestaltung der Gottesdienste gibt es auch noch weitere Angebote und Möglichkeiten (abseits vom Kirchenbesuch), um durch den Glauben zusammenzukommen. Seien es Workshops, Diskussionen, spirituelle Impulse, gemeinsame Gebete oder andere Veranstaltungen, man muss nur mal etwas verändern und neue Möglichkeiten in Betracht ziehen. Ich bin froh, dass es in meiner Heimatgemeinde noch motivierte Menschen gibt, die sich trotz des ständigen Gegenwindes des Erzbistums und der Institution Kirche noch engagieren und neue, attraktivere Möglichkeiten des Zusammenkommens schaffen.
Wenn die Kirche so weitermacht wie bisher, hat sie meiner Meinung nach in dieser Form keine lange Zukunft mehr. Es muss dringend auch von oben etwas getan werden, um die verstaubten Strukturen aufzubrechen und die Kirche wieder attraktiver zu gestalten. Dazu sollte sich die Kirche ein Beispiel an den engagierten Menschen in den Gemeinden vor Ort und ihren Jugendverbänden nehmen. Die aktuellen Grundlagen und Werte, die dort bereits gelebt werden, müssen von der Institution Kirche anerkannt, verinnerlicht und umgesetzt werden. Eine Weltkirche braucht Weltoffenheit.