"Hey Kids, könnt ihr die Stöcke, die ihr gesammelt habt, nicht zu einem Kreuz zusammenlegen?" Gottesdienste unter freiem Himmel, ob in ganz großen Gruppen bei Kirchentagen oder beim Zeltlager mit einer überschaubaren Gruppe: Solche Gottesdienste im Freien sprechen mich besonders an. Dort ist das Erleben der Gemeinschaft und auch der Natur noch mal ganz anders und intensiver. Im Grunde braucht es gar nicht die Gebäude aus Stein. Viel wichtiger sind die lebendigen Bausteine (1 Petrus 2,5). Wo diese zusammenkommen, baut sich Kirche auf.
Kirche ist für mich zuallererst die Gemeinschaft der Glaubenden. Die Menschen, die Jesus Christus folgen wollen und an den dreifaltigen Gott glauben, von dem er Zeugnis abgelegt hat. So kann es im Grunde nur eine Kirche geben, eine Gemeinschaft der Glaubenden. Das entspricht ja auch dem Gebetswunsch Jesu, dass alle eins sind (Johannes 17,21). Die Kirche als Institution und in Konfessionen aufgegliedert ist Menschenwerk. In der von mir beschriebenen Kirche als große Glaubensgemeinschaft bin ich zu Hause, von klein auf. Ich durfte viele Erfahrungen machen, die mir einen lebendigen, dem Leben zugewandten Gott und Glauben aufgedeckt haben. Viele Menschen haben mir ihren Glauben in ihrem Alltag authentisch und ansteckend vorgelebt. Und mit vielen Menschen durfte ich besondere, glückliche Momente erleben – in Gottesdiensten, bei Großveranstaltungen wie Weltjugendtagen oder Ministrantenwallfahrten oder auch in Einzelgesprächen und -begleitungen.
Die katholische Kirche als Institution ist leider sehr weit von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt. Der Pfarrer vor Ort kennt, akzeptiert und begleitet seine Gemeindemitglieder als Personen in ihren Sorgen und Freuden. Die Kirchenleitung aber ist häufig auf Bestandswahrung bedacht und wenig innovationsfreudig. Der jungen Generation gegenüber herrscht eine große Skepsis. Partizipation und Gleichberechtigung werden klein geschrieben. Dagegen ist die evangelische Kirche demokratischer, direkter, lebensnaher verfasst. Doch auch sie wird von den Menschen unserer Tage oft in Geiselhaft mit ihren katholischen Geschwistern genommen – Fehler von Papst und Bischöfen führen dazu, dass auch ihre Mitglieder austreten wollen. Beide Kirchen leiden vor allem unter dem Desinteresse, das dem Glauben entgegengebracht wird. Die Menschen haben es heute scheinbar nicht mehr nötig, an einen Gott zu glauben und einer Kirche anzugehören. Zumindest aber das letztere.
Zwölf Jahre habe ich mich als Priester in der katholischen Kirche mit viel Herzblut engagiert, gerade die Kinder- und Jugendarbeit lag mir am Herzen. Das, was ich in und mit lebendiger Gemeinde erfahren durfte, wollte ich auch anderen ermöglichen. Mit der Zeit fiel es mir jedoch immer schwerer, die Entscheidungen der Kirchenleitung gegenüber den Gemeindemitgliedern vor Ort zu vertreten. Als ich mich verliebte, war klar, dass die Wege sich trennen mussten. Den wenigsten katholischen Priestern ist es offiziell erlaubt, in einer Beziehung zu leben. So habe ich selbst erlebt, wie schnell die Rede von Mitbrüderlichkeit enden kann, manche sogenannten Mitbrüder nicht mal mehr auf Mails antworten und ein persönlicher Brief an den eigenen Bischof aus einer Abteilung der Verwaltung beantwortet wird. Aus den Gemeinden, in denen ich wirken durfte, habe ich fast ausnahmslos bestärkende und ermutigende Reaktionen erfahren. Das Kirchenvolk reagiert auf das Festhalten am Zölibat mit Kopfschütteln und Verärgerung. Zu arg und zahlreich sind die Verfehlungen von zölibatär Lebenden, auch in der Kirchenleitung!
Nichtsdestotrotz sehe ich meine Berufung weiterhin darin, das Evangelium zu verkünden und Menschen in den verschiedenen Lebenslagen zu begleiten. Ich bin sehr froh und dankbar, dass die Evangelische Kirche von Westfalen mich als Pfarrer angestellt hat. So kann ich weiterhin die Arbeit verrichten, für die mein Herz schlägt und die ich für sehr wichtig und notwendig erachte. Die Menschen in meiner jetzigen Kirchengemeinde begegnen mir mit einer großen Offenheit. Ich möchte mit ihnen gemeinsam die Perspektive auf ein Leben in Fülle, das Jesus uns verheißen hat, im konkreten Alltag erfahren und umzusetzen versuchen. Konkret bedeutet das eine positive Sicht auf Sexualität, gleiche Behandlung von Menschen unterschiedlicher Geschlechter, unbedingter Einsatz für die Würde und Gottesebenbildlichkeit jedes menschlichen Lebens, verantwortungsvoller Umgang mit der Schöpfung und Stärkung des Friedens, unter dem eigenen Dach der Christenheit beginnend.
Wichtig ist mir, mich selbst als Teil von Kirche zu verstehen. Sie ist nicht bloß eine mir fremd gegenüberstehende Größe. Sehr beeindruckend finde ich auch heute noch die Antwort, die Mutter Teresa von Kalkutta einmal einem Journalisten im Interview gab. Er fragte sie, was sich denn alles in der Kirche ändern müsse. Darauf entgegnete sie ihm: "Sie und ich." Umkehr ist ein Schlüsselwort in der Verkündigung des Wanderpredigers aus Nazareth. Umkehr gelingt nicht theoretisch, sondern im ganz konkreten Leben von dir und mir.