Frühe Bildung und Erziehung soll, das hat der 16. Kinder- und Jugendbericht 2020 herausgearbeitet, die "Fundamente demokratischen Verhaltens" legen.
Politiktheorie und praktische Politik heben gleichermaßen hervor,
Ausschlaggebend für die rechtliche Verankerung frühkindlicher Demokratiebildung bleibt demnach der nationale Rechtsrahmen. So ist es zuvorderst der Bund, der mithilfe des Kinder- und Jugendhilferechts regelt, dass Kinder in Kindertageseinrichtungen nicht nur betreut und erzogen, sondern auch auf ein Leben in der Demokratie vorbereitet werden sollen. Der Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsauftrag der Einrichtungen ist demnach an die Ausbildung von grundlegenden Sozialkompetenzen und die Beteiligung von Kindern an allen sie betreffenden Angelegenheiten gebunden. Das Achte Sozialgesetzbuch gibt vor, dass der Förderauftrag sich eben nicht nur auf die geistige und körperliche Entwicklung des Kindes bezieht, sondern auch auf dessen soziale und emotionale Entwicklung. Die "Vermittlung orientierender Werte und Regeln" ist wesentlicher Bestandteil der pädagogischen Arbeit (SGB VIII, §22 Abs. 3). Damit verknüpft sind ferner unveräußerliche Beteiligungsrechte. Kinder sind entsprechend ihrem jeweiligen Entwicklungsstand in alle sie betreffenden Entscheidungen miteinzubeziehen, was seitens der Träger von Kindertageseinrichtungen sichergestellt werden muss (SGB VIII §22 a; SGB VIII §45 Abs. 2).
Die genaue Ausgestaltung dieses Auftrags obliegt qua Zuständigkeit für das Bildungswesen den Ländern. Sie greifen den Auftrag in ihren Bildungsprogrammen für Einrichtungen der frühen Bildung auf und differenzieren ihn nach jeweils eigenen Schwerpunkten weiter aus. Es gibt daher 16 verschiedene Bildungsprogramme, die zwar durch einen gemeinsamen "Orientierungsrahmen" der Kultus- und Jugendministerkonferenz miteinander verbunden sind,
Demokratie als Lebensform begreifen
Wie die Demokratiebildung in Schule und Erwachsenenbildung ist auch die in Kindertageseinrichtungen für das Funktionieren unserer demokratischen Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung.
Was Holz wie Sturzenhecker hier als generelle "Stoßrichtung" von Demokratiebildung hervorheben, erweist sich auch für die frühe Bildung als relevant. Gerade sie, die mit den Jüngsten, also mit Menschen ohne bereits festgelegte und organisierte politische Agenda zu tun hat, hat nicht vordergründig die Aufgabe, gegenzusteuern oder zu verhindern, sondern soll vielmehr einem positiven Narrativ folgen. Ihr geht es nicht um eine Verhinderungspädagogik, sondern um eine Gestaltungspädagogik.
Das bedeutet: Erst wenn grundlegende demokratische Werte und Umgangsformen fest im alltäglichen Gesellschaftsleben verwurzelt sind und dort erfahren werden, lässt sich, wie der US-amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey und die auf seinen Arbeiten aufbauende pragmatistische Demokratietheorie betonen, überhaupt von einer Demokratie sprechen. "Die Demokratie", so Dewey, "ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung".
Muster und Umgangsweise durch Erfahrungen verinnerlichen
Vor allem Selbstwirksamkeitserfahrungen spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Denn Kinder lernen in jungen Jahren insbesondere über körperliche und soziale Erfahrungen in ihrem alltäglichen Leben. Frühkindliche Demokratiebildung ist demnach als ein Prozess zu verstehen, bei dem sich das Subjekt in einer an demokratischen Werten geprägten Kultur ausbildet und durch Erfahrungslernen soziale und kulturelle Muster verinnerlicht.
Maßgeblich für diese Bildungs- und Kompetenzerwerbsprozesse sind die Erlebnisse, die junge Kinder in ihrer familiären und außerfamiliären Lebenswelt machen. In der Interaktion mit erwachsenen Bindungspersonen entwickeln sie Emotions- und Stressregulationskompetenzen, die Sicherheit bieten und Exploration, Lernen und Partizipation ermöglichen.
Demokratiebildung in der Frühpädagogik
Der Blick zurück in die Ideengeschichte der Frühpädagogik zeigt, dass die Auseinandersetzung um die Erziehung und Bildung von Kindern immer schon eingebettet in historisch-gesellschaftliche Bezüge geführt wurde.
Aktuell wird Demokratiebildung nicht nur konzeptionell, sondern auch über Initiativen, Netzwerke und Projekte, die sich mit der Umsetzung von Vorhaben rund um Demokratiebildung befassen, praktisch bearbeitet. Auffällig ist dabei, dass Bund, Länder und Kommunen mit initiierten Programmen und der finanziellen Förderung von Vorhaben zu wichtigen Akteuren der Weiterentwicklung dieses Themenfeldes geworden sind. Ohne die intensive Förderung von staatlicher Seite wären die Aktivitäten zur Demokratiebildung in der frühpädagogischen Landschaft vermutlich weniger agil. Aber auch Stiftungen und Netzwerke tragen zu einer vielfältigen Bearbeitung des Themas bei. Eine umfassende inhaltliche Analyse der Initiativen, Konzepte und Projekte sowie deren Wirkungen steht noch aus.
Demokratiebildung in der Praxis
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis? Demokratie kann in Kindertageseinrichtungen – anders als in der Schule oder der Erwachsenenbildung – nicht gelehrt werden, sondern muss im Alltag für alle Beteiligten durch die Erfahrung von Zugehörigkeit in Vielfalt und die Möglichkeit von kindgerechter Beteiligung an den Prozessen in ihrer Lebenswelt erfahrbar sein. Kinder müssen demokratische Werte wie Anerkennung, Wertschätzung und Beteiligung auf unterschiedliche Weise erleben und sich selbst darin erproben können. Das erfordert von Leitungen und pädagogischen Fachkräften ein Bewusstsein und eine Verständigung über die Ziele der pädagogischen Arbeit und die leitenden Werte und Normen, nach denen sie die pädagogischen Angebote, die Raumgestaltung in- und außerhalb der Kita sowie die zwischenmenschlichen Begegnungen richten. Dazu gehört auch die Verständigung, wo Grenzen der Beteiligung gesetzt und welche Entscheidungen von Fachkräften zum Wohle der Kinder getroffen werden.
In Anlehnung an demokratietheoretische und demokratiepädagogische Überlegungen können im Wesentlichen drei zentrale Ebenen für die pädagogische Arbeit im Kontext von frühkindlicher Demokratiebildung unterschieden werden:
Die alltagspartizipatorische Ebene wiederum richtet den Blick auf die Gestaltung der Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern im Alltag, die auf Wahrnehmung und Berücksichtigung von kindlichen Bedürfnissen abzielen, wie zum Beispiel beim Essen, Schlafen, der Auswahl von Spielorten oder Bildungsthemen. Wenn Kinder beispielsweise früh in die Gestaltung der Essenssituationen eingebunden werden, sei es über Verantwortlichkeiten bei Tischdiensten, das Selbstschöpfen des Essens oder das Recht, nicht alles essen zu müssen, was der Speiseplan anbietet, erfahren sie, dass ihre Bedürfnisse ernstgenommen werden und können sich in der Übernahme von Verantwortung für die Gemeinschaft üben. Herausfordernd dabei ist, eine angemessene Balance zwischen Beteiligung und Struktur zu geben. Denn einerseits ist das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern durch unterschiedliche Aspekte wie Alter, Lebenserfahrung, Kompetenzvorsprung oder physische Überlegenheit durch Asymmetrie gekennzeichnet. Pädagogische Fachkräfte tragen dadurch die Verantwortung, ihre eigene Gestaltungsmacht zu reflektieren und sicherzustellen, dass sie Kindern selbstbestimmte Erfahrungsräume ermöglichen. Andererseits müssen Fachkräfte dabei die individuellen Voraussetzungen und den Entwicklungsstand der Kinder mitberücksichtigen. Denn selbstverständlich dürfen Kinder durch Beteiligungsformen nicht überfordert werden.
Weiter ist querliegend die Wertebene bedeutend. Es muss in den Bildungseinrichtungen ein offener Diskurs geführt werden, welche Normen und Werte den Umgang miteinander und das professionelle Selbstverständnis der Leitungen und Fachkräfte leiten. Denn die Interaktionen im Team und mit den Kindern, die Interaktionen der Kinder untereinander ebenso wie die alltäglich wiederkehrenden Situationen und Rituale wie ein Morgenkreis, die Begrüßung oder Verabschiedung von Kindern und Familien transportieren bereits Werte und Normen. Dazu gehört auch, dass Fachkräfte dafür sensibel sind, wie die Kinder untereinander agieren und sie proaktiv Vorurteile der Kinder untereinander oder auch Ausgrenzungen thematisieren.
Eine Aufgabe für die gesamte Institution
Entscheidend ist auch, dass sich nicht nur die pädagogische Praxis, sondern die gesamte Institution an demokratischen Grundwerten orientiert. Denn auch in der Zusammenarbeit der Leitung mit dem Team, der Teamkolleginnen und -kollegen untereinander oder dem Träger mit der Einrichtungsleitung zeigt sich, ob das Miteinander demokratisch ausgerichtet ist. Wenn pädagogische Fachkräfte selbst wenig Gestaltungsspielraum in der Kita haben, wird es wiederum schwierig, Kindern diesen authentisch zu ermöglichen.
Aber wenn Kinder lernen sollen, ihr Handeln an demokratischen Grundwerten auszurichten, bleibt keine andere Alternative, als die Bedingungen hierfür in der gesamten Institution zu schaffen. Dafür ist eine entsprechende Unterstützung aus Fachpolitik und den Stützsystemen der Kinder- und Jugendhilfe notwendig. Kitas sind durch ihre strukturelle Verankerung in der Gesellschaft und ihr pädagogisches Potenzial prädestiniert dazu, einen bedeutsamen Beitrag zur Verfestigung und beständigen Erneuerung der Demokratie zu leisten. Die Verantwortung dafür, dass dies glückt, können sie allerdings nicht alleine tragen. Dies kann nur im Zusammenspiel mit anderen gesellschaftlichen Schlüsselakteuren gelingen.