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"Ich finde, man sollte eine Lösung für alle finden, nicht nur für die Mehrheit". | Kinder und Politik | bpb.de

Kinder und Politik Editorial "Ich finde, man sollte eine Lösung für alle finden, nicht nur für die Mehrheit". Ein Gespräch Globale Kinderpolitik "Angemessen" oder "vorrangig"? Zur Diskussion um "Kinderrechte ins Grundgesetz" aus kinderrechtlicher Perspektive Demokratie mit Kindern in der Kita Kinderpolitik(wissenschaft) – eine Einführung Wie geht es den Kindern in Zeiten von Corona? Leitbilder "guter Kindheit" "Ein bisschen Licht in diese Dunkelheit". Gesellschaftliche Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder in Erziehungsverhältnissen

"Ich finde, man sollte eine Lösung für alle finden, nicht nur für die Mehrheit". Ein Gespräch über Demokratie und Mitbestimmung mit Frieda (12), Erik (11), Malou (11) und Lumina (10)

/ 9 Minuten zu lesen

Was ist Mitbestimmung? Was ist Demokratie? Wird die Meinung von Kindern gehört, und was würde sich ändern, wenn Kinder mehr mitbestimmen dürften? Und wie könnte das organisiert werden? Ein Gespräch mit vier Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren.

In Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention steht, dass jedes Kind seine Meinung frei äußern darf und diese Meinung auch gehört werden muss. Was sind eure Gedanken dazu?

Frieda – Ich find gut, dass jedes Kind seine Meinung frei sagen darf und dass sie auch respektiert werden muss.

Erik – Ich find das auch gut, dass Kinder mitentscheiden können, weil Kinder auch ein Recht haben, gehört zu werden.

Malou – Find ich auch. Nur weil Kinder jünger sind und weniger Erfahrung haben, darf ihnen ja nicht das Recht genommen werden mitzuentscheiden. Bei Erziehungssachen natürlich schon manchmal. Aber bei ihren Rechten, also wie sie behandelt werden, sollten sie mitreden dürfen.

Lumina – Ich finde auch, dass die Meinung und die Ideen von den Kindern berücksichtigt werden sollten. Kinder haben ja oft eine ganz andere Meinung als die Erwachsenen. Und Kinder haben manchmal auch gute Ideen. Auch wenn nicht immer alle Ideen supergut sind, muss man gucken, was davon gut ist und was nicht so gut ist. Erwachsene denken manchmal, dass sie das besser beurteilen können.

Warum sollten überhaupt alle mitbestimmen dürfen, auch wenn eine Gruppe in der Minderheit ist? Warum kann nicht einfach die Mehrheit entscheiden?

Malou – Nur weil eine Gruppe von Menschen kleiner ist als eine andere, haben sie ja trotzdem eine Meinung, vielleicht auch eine andere Meinung. Das ist ja egal, ob es nur ein Mensch ist oder tausend Menschen. Es sollte einfach jeder mitbestimmen dürfen.

Frieda – Wenn die Menschen in der Unterzahl nicht so doll gehört werden, dann ist das für mich keine Demokratie.

Was ist denn Demokratie?

Erik – Demokratie bedeutet für mich, dass jeder mitbestimmen darf und seine Meinung frei sagen darf.

Frieda – Für mich bedeutet Demokratie, dass alle Menschen und ihre Meinungen gerecht behandelt werden. Und dass alle mitentscheiden dürfen, egal, welche Hautfarbe sie haben oder ob sie Männer oder Frauen sind.

Malou – Ist Demokratie nicht wie eine Abstimmung? Es gibt ja verschiedene Parteien mit verschiedenen Meinungen, und die Leute schließen sich einer Meinung an. Dann wird gewählt und die Mehrheit gewinnt. Das ist doch, damit die Mehrheit glücklich ist, oder?

Erik – Es bestimmt aber nicht nur ein einziger Politiker die Gesetze, auch wenn er von mehr Leuten gewählt wurde. Wenn eine andere Politikerin mit weniger Stimmen gewählt wurde, dann darf die Politikerin trotzdem noch ein bisschen mitbestimmen, denn sie kommt ja zumindest in den Bundestag.

Frieda – Ich finde, man sollte eine Lösung für alle finden, nicht nur für die Mehrheit.

Malou – Das ist aber ziemlich schwer, glaube ich. Hättest du eine Idee, wie man das machen könnte?

Frieda – Ich glaube, für jeden einzelnen das richtige zu finden, ist schwierig. Aber vielleicht für Gruppen von Menschen, zum Beispiel für Menschen mit Behinderungen oder Menschen mit verschiedener Hautfarbe? Und man muss vielleicht auch unterscheiden, wie wichtig etwas ist. Wenn eine Gruppe zum Beispiel für mehr Eisläden in der Stadt ist und die andere für mehr Schuhgeschäfte und wieder andere wollen Friseure haben, dann muss man vielleicht entscheiden, okay, der Eisladen ist vielleicht nicht so wichtig. Also dass man auch zwischen sehr, sehr wichtig und nicht so wichtig unterscheidet.

Was für Situationen fallen euch ein, wo ihr mitbestimmen dürft?

Erik – In der Schule gibt es ja Schulsprecher- und Klassensprecherwahlen. Da dürfen wir eigentlich auch sehr viel mitentscheiden. Aber wir können natürlich in der Schule nicht sagen: Können wir jetzt bitte eine Stunde frei haben? Unsere Schulsprecher haben so einen Kasten, wo wir unsere Ideen reinwerfen können. Zum Beispiel gab es mal die Idee von einem Schüler, dass es Mützen mit unserem Schullogo drauf gibt, die dann verkauft werden.

Malou – Unsere Schulsprecher haben uns iPads für die Klassen besorgt, damit wir im Projektunterricht recherchieren können. Das ist tatsächlich so ein bisschen wie in der Politik: Es gibt verschiedene Gruppen und die eine Gruppe ist für dies und die andere Gruppe ist für was anderes und dann werden die gewählt. Aber ich würde mir wünschen, dass man mehr von denen hört, was die so vorhaben.

Gibt es manchmal Situationen, wo ihr euch als Kinder ungerecht behandelt fühlt oder nicht gehört werdet?

Erik – Nee, eigentlich nicht, ich finde das in Deutschland schon ziemlich gut.

Malou – Ich finde auch, dass wir im Gegensatz zu anderen Ländern schon sehr weit sind, aber noch nicht weit genug. Ich würde gerne in der Schule viel mehr über das Thema Demokratie sprechen und auch darüber, was in unserer Gesellschaft passiert, über Rassismus, Menschen mit Behinderung und so weiter. Damit wir uns eine Meinung bilden können und mit 18 auch wissen, was wir wählen wollen. Ich finde wählen sehr wichtig! Wenn man sich damit richtig gut auskennt, dann könnte man auch schon ab 15 oder so wählen. Das fände ich schon cool.

Erik – Bei uns in der Schule wird da auch nicht so viel drüber geredet. Wir hatten das auch nicht so richtig als Thema.

Warum findest du das wichtig, dass man schon mit 15 wählen kann?

Malou – Ich finde das vor allem wegen dem Klimawandel wichtig und einfach, dass die jungen Menschen mal zeigen: Hey, so geht’s nicht weiter, wir müssen was ändern! Aber auch bei anderen Themen, da gibt’s ja genug.

Erik – Ich würde es auch gut finden, wenn man mit 15 oder 16 wählen könnte.

Frieda – Ich weiß nicht, ob jeder mit 15 oder 16 Jahren schon so viel Verantwortung übernehmen kann und wirklich die Partei wählt, die seine eigene Meinung vertritt oder …

Erik – … die von den Eltern …

Malou – Das finde ich aber auch schwierig an der Demokratie, dass man wirklich für sich ganz allein überlegen muss: Was finde ich richtig und was möchte ich gerne machen. Manchmal lässt man sich auch von anderen Meinungen mitziehen. Ich kenn das voll oft, dass ich Angst hab, dass eine Freundin sauer oder traurig ist, weil ich eine andere Meinung habe.

Was könnten Erwachsene tun, um für mehr Gleichheit unter den Kindern zu sorgen?

Erik – An unserer Schule gab’s mal einen richtigen Streit. Wir wollten Fußball spielen, und da war ein Junge aus unserer Klasse dabei, der ein bisschen dunkelhäutig ist. Auf dem Platz gab es dann Streit um den Ball, und dann fing das an: "Du bist so braun wie Nutella" oder solche Sprüche. Ich finde, das geht nicht. Das wurde ein paar Tage später auch mit der Schulleitung geklärt, und am Ende war eigentlich alles wieder gut. Aber dann haben die anderen uns vorgeworfen, dass wir sie Nazis genannt hätten. Das stimmte aber gar nicht.

Malou – Vor allem könnten Lehrerinnen und Lehrer diese Themen viel mehr mit uns besprechen: Was ist Rassismus? Was kann daraus passieren? Wieso gibt’s das? Ich glaube, viele aus der Klasse wissen gar nicht, was solche Sprüche mit einem Menschen machen können. Wenn man sich mehr damit auseinandersetzt, kann man sich auch eine Meinung bilden.

Frieda – Bei uns in der Klasse gibt es ein Kind, das eine Lese-Rechtschreibschwäche hat und ein bisschen langsamer liest. Da gibt es nur wenige Lehrer, die dem Kind helfen, weil sie oft ein bisschen ungeduldig sind. Das sollte mehr respektiert werden, finde ich. Denn die Kinder, die so etwas haben, können ja nichts dafür. Und die Lehrer sollten auch mehr zeigen, dass das gar nicht schlimm ist.

Was wäre in Deutschland anders, wenn mehr Kinder und Jugendliche die Politik bestimmen dürften?

Lumina – Das kommt auch darauf an, was für Kinder das sind. Kleinkinder wollen wahrscheinlich eher Spielplätze haben und die älteren Kinder wollen eher mehr Handys und iPads und so.

Frieda – Ich glaube, die Politiker würden sich viel mehr um die Umwelt kümmern. Viele Jugendliche wissen, dass sie das irgendwann ziemlich doll betreffen wird.

Malou – Für mich wäre ein richtig wichtiges Thema auch das Essen. Woher kommt das Essen und wer macht das für uns? Sitzen da in anderen Ländern Kinder für uns, die das Essen spritzen müssen und davon sehr krank werden? Oder sind das Leute, die gut bezahlt und fair behandelt werden? Ob es bio ist oder nicht und wie die Tiere gehalten werden. Es werden ja sehr, sehr viele Tiere in Deutschland geschlachtet, und ich finde es wichtig, dass nicht so viel in den Müll geschmissen wird. Es gibt ja auch in Deutschland Kinder, denen es nicht gut geht, oder Obdachlose, die kein Essen haben. Und am Ende kommt sehr viel von dem Fleisch in den Müll anstatt zu den Leuten, die das brauchen.

Erik – Ich glaube, viele Kinder und Jugendliche sind Vegetarier oder vegan. Vor allem geht’s den Tieren auch nicht so gut, weil sie sehr eng nebeneinander gehalten werden. Also wenn ich ein Tier wäre, dann würde ich lieber ein großes Grundstück haben, anstatt so eng mit anderen zusammengepresst zu werden.

Malou – Für die Kinder ist Naturschutz natürlich wichtig, weil sie noch ein langes Leben vor sich haben. Und wenn wir die Natur weiter zerstören, wird es nicht mehr lange dauern, bis alles kaputt ist. Ich glaube, es gäbe auch mehr Mülleimer und vielleicht auch mehr Aufräumaktionen oder solche Pfandsammelstellen an Straßenlaternen. Also ganz viele Sachen, die die Menschen dazu anregen, ihren Müll nicht überall hinzuschmeißen.

Lumina – Es wäre auch grüner in der Stadt. Und die Autowege und die Fahrradwege müsste man austauschen!

Malou – Ich glaube, es würde auch viel mehr Angebote geben für Menschen, die nicht so viel Geld haben und viel mehr Hilfsstationen für Obdachlose und mehr Wohnungen für Leute, die nicht so reich sind. Und es würden auch mehr Bäume gepflanzt werden.

Lumina – Aber wenn Kinder das Essen aussuchen dürften, dann würde es viel mehr Süßes geben. Und das ist wahrscheinlich nicht ganz so gut, weil man ja auch mal was Gesundes essen muss. Also bei manchen Themen sind wir noch nicht ganz ausgereift.

Erik – Ja, Erwachsene haben natürlich mehr Erfahrung als Kinder. Politiker sind ja meist auch so 40 oder 50 Jahre alt. Da hat man bestimmt schon eine Menge gesehen. Wir sind ja erst 11, 12 oder 13 Jahre alt und haben noch nicht so viel gesehen.

Glaubt ihr, dass Kinder und Jugendliche mehr Mitgefühl haben und mehr an andere denken als Erwachsene?

Malou – Erwachsene haben halt eine ganz andere Blickweise. Ich glaube, dass viele Leute, die zum Beispiel Firmen aufbauen wollen, eher darüber nachdenken, wie sie selber Geld verdienen können und nicht darüber, was für alle gut ist. "Wie werde ich reich und wie verdiene ich mein Geld!" Und Kinder verdienen halt noch kein Geld und haben diese Blickweise deshalb nicht.

Frieda – Ich glaube, dass viele Erwachsene ihre Kindheit auch ein bisschen vergessen haben oder nur gute Dinge behalten haben. Sie erinnern sich nicht mehr an die Dinge, die sie gerne anders gehabt hätten als Kind. Das versuche ich mir zum Beispiel ganz, ganz doll zu merken, was ich dann besser machen würde, wenn ich auch mal jemanden erziehen werde. Ich würde zum Beispiel gern solche Familienkonferenzen haben, in denen wir besprechen, wie oft wir uns streiten und ob diese Streite wirklich wichtig sind und wie man das ändern kann.

Wie könnte man das organisieren, dass Kinder und Jugendliche mehr mitbestimmen dürfen?

Malou – Bei manchen Entscheidungen, für die Kinder noch zu klein sind, wären eigentlich Leute gut, die schon erwachsen sind, aber noch nicht ganz so alt. Die sich gern mit Kindern beschäftigen und ihnen eine Chance geben, ihre Meinung zu sagen. Eigentlich wäre so eine Art Jugendrat gut, der sich bespricht: Was wollen wir? Was sind wichtige Themen? Und da könnten dann Freiwillige mitmachen. Also so wie in der Politik, nur in klein. Da würde man auch wählen und so, und die Entscheidungen werden dann weitergegeben an die Politikerinnen und Politiker – das fände ich cool!

Lumina – Ja! Und bei den richtigen Wahlen dürfen ja nur alle ab 18 Jahren wählen, aber in so einem Jugendrat, da dürfen dann nur alle bis 18 wählen.

Malou – Ich finde, ab der fünften Klasse oder vielleicht so ab zehn Jahren könnte man da mitmachen. Und so bis 20, 25 Jahre.

Lumina – Oder ab Ende neun Jahre, das würde auch noch gehen.

Malou – Bist du neun?

Lumina – Nein, ich bin fast elf!

Das Gespräch führte die Journalistin Andrea Sievers am 11. Februar 2022 in Hamburg.