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(Geschlechter-)Gerechtigkeit im Jazz | Jazz | bpb.de

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(Geschlechter-)Gerechtigkeit im Jazz Soundtrack der Szene oder Zukunftsmusik?

Linda Ann Davis Urs Johnen

/ 15 Minuten zu lesen

Wie sichtbar und gleichgestellt sind Frauen in der Arbeits- und Schaffenswelt des Jazz und gibt es Perspektiven für eine barriere- und diskriminierungsfreiere Jazzszene? Die Ergebnisse der jüngsten Jazzstudie 2022 geben diesem Themenfeld eine empirische Grundlage.

Geschlechtergerechtigkeit ist ein viel diskutiertes Thema. Schlagworte wie Gender, Diversity und die bedeutsame Rolle von Geschlecht als Identitätskategorie stehen unübersehbar im Rampenlicht und sind längst unüberhörbar im gesellschaftlichen Diskurs angekommen. Auch im Jazz ist etwas in Bewegung geraten: Gemächlich, aber unaufhaltsam dringen die Themen Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit in das Bewusstsein der Szene – teils mit breiter Unterstützung, teils Widerständen zum Trotz.

Wie kaum eine andere Musik oder Kunstform gilt Jazz gemeinhin als von "Offenheit, Toleranz und Integration geprägt". Nicht nur in seiner Frühform wurde und wird er häufig auch als kreative Reaktion auf strukturelle Unterdrückung und als künstlerisch-politische Auflehnung betrachtet. Jazz geht dabei über die Definition eines Musikgenres hinaus; er inkludiert ebenso eine spezifische Lebensweise und Musizierpraxis. Offenheit für Reflektions- und Integrationsprozesse gilt hier gleichermaßen als Gelingensvoraussetzung wie Eigenwilligkeit und Mut zur
Veränderung.

Diese dem Jazz und der Jazzimprovisation zugeschriebenen Charakteristika scheinen ideale Voraussetzungen zu sein für eine diverse, offene und gleichberechtigte Szene. Doch wie steht es heute tatsächlich um Geschlechtergerechtigkeit im Jazz? Welche Zugänge und Karrierechancen haben Mädchen und Frauen zum und im Jazz, und worin liegen geschlechtsspezifische Ungleichbehandlungen begründet?

Ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse einschlägiger Studiengänge, die Leitungsfunktionen der Jazzfestivals in Deutschland oder auf die Besetzungen der Big Bands des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zeigt: die Geschlechterverhältnisse sind alles andere als ausgeglichen, und Frauen sind dort eine eher seltene Erscheinung. Man erinnere sich: Im Jahr 2018 wurde erstmals eine Frau als Instrumentalprofessorin an eine deutsche Musikhochschule berufen, seitdem sind erst zwei weitere dazugekommen. In den vier Big Bands des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind derzeit nur zwei von insgesamt 66 Musiker*innen Frauen. Noch immer fehlt es also an angemessener Repräsentation und Sichtbarkeit von Frauen im Jazz.

Hier wird die Jazzszene trotz aller ihr (zu Recht oder zu Unrecht) zugeschriebenen Alleinstellungsmerkale zum Spiegel gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse. Denn die Frage, wer eigentlich sichtbar sein darf und in diesem Zusammenhang auch Gehör findet, spielt nicht nur im Bereich der Kultur, sondern auch in politischen Diskursen eine große Rolle.

Bestimmte Personengruppen sind einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit ausgesetzt, nicht gesehen zu werden, beispielweise aufgrund ihres Geschlechtes. Sichtbarkeit ist dabei kein neutraler oder unbeabsichtigter Prozess, sondern wird erst in einem Zusammenhang aus Macht und Wissen produziert und ist somit zutiefst politisch. Bestimmte Personen, Gruppen, aber auch Handlungspraktiken können aufgrund von bestehenden Normen, Vorstellungen, Stereotypen und Machtverhältnissen strukturell daran gehindert werden, sichtbar zu sein. Diese Dynamik zeigt sich auch in der Jazzszene: Die mangelnde Sichtbarkeit von Frauen ist kein Zufall oder gar von Frauen so gewollt, sondern ein Resultat gesamtgesellschaftlicher Strukturen und Machtverhältnisse.

Die grundsätzliche Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet: Können herrschende Machtverhältnisse und Normen innerhalb eines gesellschaftlichen Teilbereichs wie der Jazzszene angefochten und partiell verändert werden, obwohl die beschriebenen Mechanismen auf übergeordneter Ebene weiterhin wirken? Und wenn ja, wie? Der Wille zur Veränderung scheint zumindest bei vielen Akteur*innen vorhanden zu sein. Wie aber sieht es aus, wenn es ernst wird? Ist der Wille stark genug, sich für die Gleichstellung aller Geschlechter einzusetzen, dafür konkrete Maßnahmen umzusetzen und eigene Beiträge zu leisten?

Die Jazzstudie 2022 der Deutschen Jazzunion, die unter anderem Diversität in der Jazzszene untersucht und nach möglichen Diskriminierungen und Privilegierungen fragt, kann hier einige Antworten geben. Die empirischen Ergebnisse zeichnen ein Bild der aktuellen Situation und bilden das momentane Geschlechterverhältnis ab. Außerdem sucht die Studie nach Gründen für ungleiche Verteilungen und Ungleichbehandlungen, und sie bezieht das Erleben sowohl von Frauen als auch von Männern innerhalb der Jazzszene mit ein.

Zahlen und Fakten

Vor sechs Jahren erschien mit der Jazzstudie 2016 die erste umfassende empirische Untersuchung der Arbeits- und Lebenssituation von Jazzmusiker*innen in Deutschland. Auf Basis einer großflächig angelegten Onlinebefragung mit circa 2.000 teilnehmenden Jazzmusiker*innen wurden die zentralen sozioökonomischen und berufspraktischen Rahmenbedingungen für Jazz als Berufsfeld untersucht. Die sechs Jahre später erschienene Jazzstudie 2022, in der die Ergebnisse der vorangegangenen Studie aktualisiert, erweitert und ergänzt wurden, richtet den Fokus verstärkt auf geschlechtsspezifische Unterschiede.

Beide Studien belegen ein starkes Ungleichgewicht im Geschlechterverhältnis – es scheint jedoch ein Veränderungsprozess eingesetzt zu haben: Im Jahr 2016 lag der Anteil der Frauen unter den Befragten bei 20 Prozent, sechs Jahre später bereits bei 27 Prozent. In der Studie "Frauen in Kultur und Medien" ermittelte auch der Deutsche Kulturrat 2016 Daten zum Geschlechterverhältnis anhand der Auswertung von Angaben der Künstlersozialkasse (KSK) und kam dabei nur auf einen Frauenanteil von etwa 10 Prozent für die Gruppe "Jazz- und Rockmusiker*innen" und für die gesamte Sparte Musik von etwa 40 Prozent. Auch 2021 lag der Frauenanteil der KSK-Versicherten im Bereich Musik bei ungefähr 38 Prozent.

Stichproben zeigen, dass an Musikschulen insgesamt mehr Mädchen als Jungen Unterricht nehmen und Musikunterricht eher "ein feminines Image" hat. Gleichzeitig sinkt jedoch mit jedem steigenden Grad der Professionalisierung der Anteil der Frauen. Dies spiegelt eine für viele weitere Bereiche der Gesellschaft erkennbare Tendenz wider, sei es in der Politik, der Kultur oder der Wirtschaft – je höher der Grad der Professionalisierung, desto geringer der Frauenanteil. Dies gilt insbesondere für Führungspositionen.

Dieses Missverhältnis und die ungebrochene strukturelle Unterdrückung von Frauen sind ohne Zweifel tief in den patriarchalen, hegemonialen Strukturen unserer Gesellschaft verankert. Dass es dennoch sinnvoll ist, diese Tendenzen innerhalb der Jazzszene näher zu untersuchen und Verbesserungsansätze abseits gesamtgesellschaftlicher Problematiken zu formulieren, zeigen erste Erfolge diverser Projekte, Publikationen und Initiativen, die spezifische Faktoren der Ungleichverteilung im Jazz fokussieren.

Einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Datenlage stellt die geschlechtsspezifische Sekundärauswertung der Daten der Jazzstudie 2016 im Rahmen der Publikation "Gender. Macht. Musik" dar. Die Ergebnisse belegen neben der Männerdominanz in der Jazzszene einen signifikanten Unterschied in der Instrumentenverteilung: 51 Prozent der Frauen gaben 2016 Gesang als Hauptinstrument an und 49 Prozent ein anderes Instrument, wohingegen bei den Männern nur knapp 2 Prozent Gesang angaben. Auf Basis der jüngsten Datenerhebung im Rahmen der Jazzstudie 2022 zeichnet sich jedoch eine Entwicklung ab: Hier sind es nur noch 32 Prozent der Frauen, die Gesang als alleiniges Hauptinstrument angeben, während 54 Prozent ein anderes Instrument nennen. Zudem geben 14 Prozent der befragten Jazzmusikerinnen sowohl Gesang als auch ein anderes Instrument als Hauptinstrument an – eine Option, die 2016 nicht erhoben wurde.

Dass Frauen, die sich als professionelle Jazzmusikerinnen etablieren, nach wie vor sehr häufig Sängerinnen oder Pianistinnen sind, ist kein Zufall. Die historischen Hintergründe untersuchte die Musikwissenschaftlerin Freia Hoffmann bereits 1991. Mit ihrer Forschung lieferte sie eine wesentliche Grundlage für ein besseres Verständnis der unterschiedlichen Instrumentenwahl von Frauen und Männern. Laut Hoffmann galten bereits im 18. und 19. Jahrhundert nur solche Musikinstrumente als angemessen für Frauen, die eine adäquate Präsentation des "schönen Körpers" ermöglichten, während expressive Körperbewegungen als unschicklich angesehen wurden. Frauen wurde hauptsächlich erlaubt, zu singen und Klavier zu spielen.

Die Jazzstudie 2022 lässt vermuten, dass sich daran nicht viel geändert hat: Musikinstrumente wie Bassgitarre oder Schlagzeug, die mit expressiveren Körperbewegungen assoziiert werden, werden deutlich seltener von Frauen als von Männern gespielt. Die ungleiche Instrumentenverteilung im Jazz legt eine starke Stereotypisierung von bestimmten Instrumenten nahe. Stereotype sind immer Teil der bestehenden Machtverhältnisse und dienen dazu, diese aufrechtzuerhalten. Sie stabilisieren bestehende Normen und sind daher schwer zu
durchbrechen.

Anteilig sind mehr Frauen als Bandleader*innen aktiv als Männer. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Frauen sehr häufig Sängerinnen sind. Möglicherweise führt die Tätigkeit als Bandleaderin zwar zu einem etwas höheren Gagenniveau, das die Jazzstudie 2022 für Frauen ausweist. Vor allem aber verursacht diese Tätigkeit mehr unsichtbare, also vorbereitende und administrative Arbeit, die in den seltensten Fällen vergütet wird. Darüber hinaus zeigen die Daten der aktuellen Studie insgesamt einen deutlichen Unterschied: Das durchschnittliche Jahreseinkommen der hauptberuflichen Jazzmusikerinnen liegt etwa 25 Prozent unter dem der männlichen Kollegen. Auch das ermittelte Durchschnittseinkommen der KSK-Versicherten zeigt ein ähnliches Bild: 2021 verdienten Frauen im Bereich Musik fast 26 Prozent weniger als Männer. Zum Vergleich: Beide Erhebungen zeigen eine deutliche Überschreitung des durchschnittlichen gesamtdeutschen Gender-Pay-Gaps von 2021, nach dem Frauen pro Stunde 18 Prozent weniger verdienten als Männer.

Eine Unwucht gibt es unter professionellen Jazzmusiker*innen auch in puncto Kindererziehung: Während zwar etwas weniger Frauen als Männer für die Erziehung von Kindern zuständig sind, geben Frauen im Kunst- und Kulturbetrieb allgemein an, große Schwierigkeiten damit zu haben, Familie und Beruf zu vereinen. In der Folge machen sich auch die Auswirkungen der pandemiebedingten Kita- und Schulschließungen bei Frauen besonders deutlich bemerkbar, in Form von zusätzlicher zeitlicher und mentaler Belastung.

Grundlegende Verbesserungen der Familienfreundlichkeit innerhalb der Jazzszene sind überdies längst überfällig. Konzerte finden meist abends statt, privater Musikunterricht in der Regel nachmittags oder abends. Auf Tour zu gehen ist mit Kindern oft gar nicht möglich, was den Beruf der Jazzmusiker*in zu einem eher familienunfreundlichen Beruf macht. Dass in unserer Gesellschaft die Kindererziehung immer noch in erster Linie Frauen zugeschrieben wird, führt dazu, dass viele Frauen mit Kindern oder Kinderwunsch sich gegen diesen Berufsweg entscheiden. Doch es gibt auch positive Entwicklungen: Seit 2022 besteht bei den Förderprogrammen der "Initiative Musik" erstmals die Möglichkeit, Kosten für Kinderbetreuung bei der Beantragung von Projektmitteln anzugeben.

Stimmen aus der Szene

Die Zahlen der hier zitierten Jazzstudien sprechen eine deutliche Sprache und zeigen, dass es bei der Gleichstellung der Geschlechter in Deutschlands Jazzszene noch erheblichen Verbesserungsbedarf gibt. Doch wie nehmen die Akteur*innen der Szene ihre Situation selbst wahr? Welche Erfahrungen haben sie mit Diskriminierungen gemacht, und sehen sie überhaupt Handlungsbedarf?

Auch hierzu können die aktuellen Studien Auskunft geben. In einer Mitgliederbefragung auf Initiative der Arbeitsgruppe "Geschlechtergerechtigkeit im Jazz" nahm die Deutsche Jazzunion im Jahr 2018 die Situation der Frauen in den Blick. In Kombination mit Angaben zu Diskriminierungserfahrungen, die in der Jazzstudie 2022 unter Berücksichtigung der Empfehlungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes entlang der Kategorien des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes abgefragt wurden, werden strukturelle Probleme deutlich: Während Frauen deutlich häufiger als Männer angeben, Diskriminierungserfahrungen aufgrund ihres Geschlechts gemacht zu haben, zeigt sich ein erheblich geringeres Problembewusstsein bei den männlichen Befragten.

Dies überrascht grundsätzlich nicht: Männer sind in den meisten musikalischen Bereichen derzeit in der Mehrheit und erleben selten geschlechtsspezifische Diskriminierung. Unter den befragten Männern herrscht oftmals eine Abwehrhaltung gegenüber einer Auseinandersetzung mit diesem Thema, teils lässt sich sogar ein Abstreiten von existierender Geschlechterungleichheit erkennen. Dies gipfelt bisweilen in der Aussage, dass Frauen aufgrund "optischer Reize" eher bevorzugt würden, und offenbart deutliche sexistische
Denkmuster.

Frauen hingegen berichten von unterschiedlichen Formen der Benachteiligung und benennen ein breites Spektrum von Ungleichbehandlungen. Viele geben an, häufiger unterschätzt und kritischer beäugt zu werden. Sie berichten von sexistischen Witzen und Kommentaren bis hin zu sexuellen Übergriffen im beruflichen Kontext. Auch wenn diese Diskriminierungen häufig als eher subtil und indirekt beschrieben werden, haben viele Frauen eindeutig das Gefühl, dass die Jazzszene zum großen Teil eine Männerwelt ist, der sie sich häufig nicht zugehörig fühlen und zu der sie nur erschwerten oder gar keinen Zugang haben.

Anhand dieser Diskrepanz in der Wahrnehmung von Diskriminierung und Ungleichheiten zeigt sich deutlich, dass eine gezielte Aufklärungsarbeit, ein Sichtbarmachen von Diskriminierung sowie ein Austausch über Erfahrungen unbedingt notwendig ist, damit Gleichstellungsmaßnahmen überhaupt greifen können.

Wie aber lassen sich in einer Szene, die überwiegend männlich geprägt ist, politische Forderungen und Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit umsetzen? Was kann getan werden, um trotz der beschriebenen Abwehrreaktionen schrittweise mehr Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der Jazzszene zu erreichen?

Mögliche Maßnahmen

Wie in den meisten anderen Bereichen in unserer Gesellschaft ist es auch im Jazz noch ein weiter Weg zu einer geschlechtergerechten Verteilung von Sichtbarkeit, Verantwortung, Anerkennung und Teilhabe. Da sich insbesondere die jüngere Generation der Jazzmusiker*innen zunehmend für notwendige und zum Teil bereits eingeleitete Veränderungsprozesse öffnet, lässt dies einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft zu.

Die Deutsche Jazzunion ist in jüngerer Vergangenheit mit einer Reihe von Maßnahmen und Initiativen in Erscheinung getreten, die auch von benachbarten Kulturverbänden als politische Signale aufmerksam beobachtet und anerkannt wurden. Dazu zählt eine "Gemeinsame Erklärung zur Gleichstellung von Frauen im Jazz", die die Deutsche Jazzunion im Oktober 2018 zusammen mit vielen weiteren Akteur*innen veröffentlichte, und die im spartenübergreifenden berufs- und kulturpolitischen Diskurs für Aufsehen sorgte. Sie beinhaltet konkrete Forderungen und Maßnahmen, die zu einem ausgeglichenen Verhältnis aller Geschlechter im Jazz beitragen und dabei unterstützen sollen, die Repräsentation und Sichtbarkeit von Frauen vor allem auch in Führungsposition zu erhöhen und strukturelle Barrieren sowie Diskriminierung abzubauen.

Als wichtige Grundlage für Veränderung benennen die Autor*innen der Erklärung eine Sensibilisierung dafür, dass Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern überhaupt bestehen und dass strukturelle Diskriminierung in der Jazzszene Realität ist. Eine gesellschaftliche und politische Begleitung dieser Prozesse sowie ein Ausbau von Forschungs- und Weiterbildungsmaßnahmen werden dabei als grundlegende Voraussetzungen für Verbesserungen genannt. Notwendig hierfür wäre, bereits vorhandene Forschung auszubauen und in genreübergreifende, spartenvergleichende und internationale Betrachtungen zu überführen.

Durch eine Pädagogik der Vielfalt soll eine geschlechterneutrale Instrumentenwahl gefördert und Geschlechterstereotypen aktiv entgegengewirkt werden. Denkbar sind hier konkrete Angebote für Mädchen, verschiedene Instrumente auszuprobieren, und vor allem auch die Stärkung von weiblichen Vorbildern im Instrumentalbereich. Instrumentallehrerinnen fungieren für Mädchen als Vorbilder und spielen eine essenzielle Rolle bei der Entscheidung, eine professionelle Karriere im Jazz anzustreben. Musikschulen, die zu wenige weibliche Lehrkräfte haben, könnten eine Vorbildwirkung übergangsweise im Rahmen von Projekttagen mit externen Musikerinnen erreichen, müssten aber gleichzeitig stärker auf eine Geschlechterparität beim Lehrpersonal hinwirken. Beispielhafte Projekte sind "Jazz Girls Days" und "Jazz Girls Camps", die unter anderem in Deutschland, Dänemark und den USA bereits erfolgreich umgesetzt worden sind.

Die Implementierung von geschlechtergerechter Sprache soll dafür sorgen, dass sich alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen, und dadurch mehr Sichtbarkeit und mehr Identifikation für nicht-männliche Personen schaffen. Außerdem fördert sie "die gedankliche Überwindung von stereotypen Rollenbildern und kann dadurch einen Beitrag zur Veränderung bestehender Geschlechterverhältnisse leisten."

Wegen der generellen gesellschaftlichen Ungleichbehandlung sowie der häufig fehlenden Vorbilder sind gezielte und kontinuierlich finanzierte Förderprogramme für Frauen besonders wichtig. Coaching- und Mentoring-Programme, wie sie beispielsweise vom Deutschen Kulturrat erfolgreich durchgeführt werden, können auch im Jazzbereich dazu beitragen, mehr weibliche Vorbilder und Verantwortungsträgerinnen herauszubilden. Wie auch in anderen Branchen werden im Jazzbereich viele berufliche Kontakte über informelle Netzwerke etabliert, die auf diese Weise entstehen und ausgebaut werden können.

Zusätzlich müssen bestehende Förderinstrumente auf Geschlechterdiskriminierung hin untersucht und diese gegebenenfalls adressiert werden. Für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Jazzszene müssen entscheidungsrelevante Gremien wie Kommissionen oder Jurys gleichmäßig mit Frauen und Männern besetzt werden. In paritätisch besetzten Gremien werden Entscheidungen unabhängiger vom Geschlecht getroffen und es können mehr unterschiedliche Perspektiven eingebracht werden. Zudem müssen Frauen bei der Besetzung entscheidungsrelevanter Positionen und Führungspositionen, aber auch bei der Besetzung von Professuren, Lehraufträgen, Ensembles, der Vergabe von Preisen sowie der Auswahl von Kurator*innen für Festivals und Veranstaltungen mehr Berücksichtigung finden.

Nur wenn alle Geschlechter entscheidend mitgestalten und politische Macht gerechter verteilt ist, kann Chancengleichheit im Jazz erreicht werden. Ein wirkungsvolles Instrument für eine gerechte Verteilung von politischer Macht und Entscheidungsgewalt könnte in manchen Fällen auch eine Quotenregelung sein.

Um mehr Sichtbarkeit von Frauen sowie eine stärkere Sichtbarmachung von weiblichen Vorbildern im Jazz zu erreichen, ist schließlich auch eine "qualitativ ausgewogene, unvoreingenommene und stereotypfreie mediale Darstellung von Frauen und Männern im Jazz" wichtig. Dies gilt neben sozialen Medien, Reportagen oder Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln vor allem auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der diesem Anspruch noch besser gerecht werden sollte.

Intersektionaler Ausblick

Es gibt viele Forderungen, Empfehlungen und konkrete Handlungsansätze, deren Umsetzung teils bereits begonnen hat. Manche der Veränderungen sind schon im Gange, erste Verbesserungen hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit im Jazz erkennbar. Doch für einen umfassenden Wandel hin zu Chancengleichheit und Teilhabe jenseits von Privilegien, Zugangsbarrieren und Diskriminierungen in der Jazzszene ist es nicht ausreichend, lediglich die Kategorie Geschlecht zu betrachten. Geschlechtergerechtigkeit ist nur ein Baustein von vielen, um diesen Wandel zu vollziehen. Eine intersektionale Perspektive, die Überschneidungen und Wechselwirkungen verschiedener Diskriminierungsformen fokussiert, ist deshalb unverzichtbar und notwendig. Denn in der Realität sind viele soziale Kategorien wie zum Beispiel gender, race oder class miteinander verwoben, beeinflussen sich gegenseitig und können nicht getrennt voneinander betrachtet werden.

Eine solche intersektionale Perspektive ermöglicht es, die Wechselbeziehungen von sozialen Ungleichheiten und Machtverhältnissen besser in den Blick zu nehmen und zu analysieren. Sie kann dabei helfen, Diskriminierungen differenzierter zu betrachten und sie somit auch effektiver zu bekämpfen. Jazzmusiker*innen kommen oft aus einem gehobenen sozioökonomischen Umfeld mit hohem Bildungsniveau und haben zum Großteil an Hochschulen studiert. Das Thema Klassismus muss somit in weiteren Untersuchungen unbedingt mitgedacht werden, um ein umfassenderes Bild von Geschlechtergerechtigkeit im Jazz zu erhalten. Frauen dürfen in ihrer Unterschiedlichkeit nicht als eine homogene Gruppe gesehen werden, denn sie machen ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Blick auf (strukturelle) Diskriminierung. Fragen und Erfahrungen zu Rassismus, Ableismus, Queer- und Transfeindlichkeit müssen für eine zeitgemäß und zukunftsfähig aufgestellte Jazzszene ebenfalls Platz in der Diskussion finden und werden aktuell noch zu wenig thematisiert.

Beim Thema Geschlechtergerechtigkeit sollte zudem auch die Perspektive erweitert und der Fokus nicht allein auf Frauen, sondern auf alle FLINTA*-Personen als marginalisierte Gruppen gerichtet werden. Beispielsweise erfahren nicht-binäre Personen oder auch trans Männer ebenso häufig Diskriminierung aufgrund ihrer Geschlechtsidentität.

Die aktuellen Aktivitäten der Deutschen Jazzunion und anderer Akteur*innen in der Jazzszene zeigen, dass auch in dieser Hinsicht bereits ein Umdenken stattfindet: In Projekten wie der Digitalen Akademie "Insight Out" oder im Rahmen der Konferenz "Jazz Now! 2022" wird nicht nur über Frauen im Jazz diskutiert, sondern auch über Klassismus, Rassismus oder Behinderung im Jazz.

Eine (geschlechter-)gerechte Jazzszene in Deutschland ist nur im Schulterschluss aller Akteur*innen zu verwirklichen. Mit der "Gemeinsamen Erklärung zur Gleichstellung von Frauen im Jazz" wurde bereits ein wichtiger Schritt getan, um Kräfte und Ressourcen zu bündeln und das Problem sichtbar zu machen. Darüber hinaus wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe neuer, auch intersektionaler Initiativen von und für FLINTA*-Personen im Jazz gegründet. Mit Music Women* Germany entstand 2017 beispielsweise ein bundesweiter Dachverband für alle weiblichen und nicht-binären Musiker*innen sowie deren Netzwerke.

Ein weiteres richtungweisendes Beispiel ist das Peng Festival, das zum Ziel hat, einen Rahmen zu schaffen, der frei von Diskriminierung und Unterdrückung ist, und sich insbesondere die Förderung von Frauen zur Aufgabe gemacht hat. Auch das Online-Musikjournal "Melodiva" spielt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung und Sichtbarmachung von Veränderung. Es wird vom Frauen Musik Büro Frankfurt herausgegeben und bietet eine Plattform für Musikerinnen im Popularmusikbereich, um diese zu unterstützen, zu fördern und einer Unterrepräsentanz, besonders von Instrumentalistinnen und Komponistinnen, entgegenzuwirken.

All diese Akteur*innen und Projekte sind vielversprechende Hinweise darauf, dass die Veränderungsprozesse in der Jazz- und Musikszene in Deutschland Fahrt aufgenommen haben – und hoffentlich nicht mehr zu stoppen sind. Klar ist aber auch, dass nach wie vor großer Handlungsbedarf besteht und es weiterhin Forderungen, Maßnahmen, Forschung, Weiterdenken und Vernetzen braucht, um die Utopie einer Jazzszene zu realisieren, der sich alle Menschen gleichermaßen zugehörig fühlen können.

ist Kulturwissenschaftlerin mit Fokus auf Geschlecht und Diversität. Sie arbeitet als Projektmitarbeiterin bei der Deutschen Jazzunion e.V.
E-Mail Link: linda.davis@deutsche-jazzunion.de

ist Geschäftsführer der Deutschen Jazzunion e.V., freischaffender Musiker und psychodynamischer Supervisor und Coach.
E-Mail Link: urs.johnen@deutsche-jazzunion.de