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Deutsche Kriegsverbrechen in Italien | Italien | bpb.de

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Deutsche Kriegsverbrechen in Italien Erinnerung und Aufarbeitung

Carlo Gentile

/ 15 Minuten zu lesen

Die deutschen Kriegsverbrechen in Italien im Zweiten Weltkrieg bleiben ein schmerzhaftes Kapitel der europäischen Geschichte. Trotz zahlreicher Bemühungen in beiden Ländern, die Verbrechen aufzuarbeiten, blieb die juristische Aufklärung unzureichend und oft symbolisch.

Zwischen Sommer 1943 und Kriegsende 1945 starben schätzungsweise 70000 Italienerinnen und Italiener infolge der deutschen Besatzung. Diese Todesopfer waren das Resultat von Verfolgung, Deportation und dem Kampf gegen die Partisanen. Diese Zahl entspricht etwa einem Drittel der Kriegsverluste Italiens nach dem Zusammenbruch des Faschismus. Über 10000 Zivilisten, darunter Frauen, Kinder und ältere Menschen, wurden durch deutsche Soldaten getötet, häufig im Rahmen der Partisanenbekämpfung. Orte wie Monte Sole bei Marzabotto, Sant’Anna di Stazzema, Civitella in Val di Chiana und die Ardeatinischen Höhlen (Fosse Ardeatine) in Rom sind heute international bekannte Gedenkstätten. Sie erinnern an die nationalsozialistische Herrschaft und werden regelmäßig von wichtigen Repräsentanten Italiens und Deutschlands besucht.

Die 20 Monate andauernde Besatzung von September 1943 bis April 1945 bezeichnete der Historiker Jens Petersen 1989 als „das dunkelste und in vielen Punkten bis heute noch nicht erforschte Kapitel der beiderseitigen Beziehungen“. Seither hat sich jedoch einiges getan: Historiker haben zahlreiche Aspekte dieses schwierigen Erbes untersucht, insbesondere die faschistische und nationalsozialistische Gewalt in all ihren Formen. Massaker an Zivilisten, die Verfolgung jüdischer Menschen sowie die Verschleppung und Internierung entwaffneter Soldaten erhielten dabei aus verständlichen Gründen besondere Aufmerksamkeit.

Im Folgenden wird der Umgang der deutschen und italienischen Gesellschaft sowie der Justiz mit den Untaten der Besatzung in der Nachkriegszeit beleuchtet. Dies tue ich als Historiker und zugleich als Zeitzeuge, denn zwischen Ende der 1990er Jahre und 2009 habe ich als Sachverständiger und Gerichtsgutachter an den späten Verfahren zur Ahndung nationalsozialistischer Verbrechen in Italien mitgewirkt.

Viele Verbrechen, wenige Prozesse

Noch mitten im Krieg entdeckten die vorrückenden Alliierten Spuren massiver Gewalt gegen die italienische Zivilbevölkerung durch deutsche Truppen. In der Anfangsphase oblag die Beweissicherung dem sogenannten Psychological Warfare Branch, mit dem Ziel, die Erkenntnisse propagandistisch zu verwenden. Mit Übertragung der strafrechtlichen Ahndung der Kriegsverbrechen der Achsenmächte an die United Nations War Crimes Commission begann eine systematische Sicherung von Beweismitteln durch die alliierte und italienische Militärjustiz, die sich insbesondere auf die Aufklärung der größeren Massaker in Mittelitalien konzentrierte. Noch vor Ende der Kampfhandlungen gelang es, mehrere Massaker zu dokumentieren und erste Schritte zur strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen einzuleiten.

Zwischen 1946 und 1951 standen mehrere deutsche Offiziere in Italien vor Gericht, darunter auch der Oberbefehlshaber der Wehrmacht in Italien, Feldmarschall Albert Kesselring. Bis 1947 wurden er und zehn weitere führende deutsche Militärs vor britische Militärgerichte gestellt. Die Anklage gegen Kesselring bezog sich auf die Erschießung von 335 Männern in den Ardeatinischen Höhlen am 24. März 1944 sowie die Eskalation der Partisanenbekämpfung im Sommer 1944. Ihm wurde vorgeworfen, durch seine Befehle die Exzesse seiner Truppen verursacht und die Ermordung Tausender unschuldiger Zivilpersonen in Kauf genommen zu haben. Nach 57 Verhandlungstagen und der Befragung zahlreicher Zeugen endete der Prozess am 6. Mai 1947 mit einem Todesurteil, das jedoch nie vollstreckt wurde. Kurz nach der Verkündung wurde das Urteil in lebenslange Haft umgewandelt. Ähnlich erging es auch anderen Offizieren vor britischen Militärgerichten, beispielsweise SS-General Max Simon, dessen 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer-SS“ für einige der schlimmsten Massaker verantwortlich war.

Italienische Militärgerichte führten etwa ein Dutzend Verfahren gegen Deutsche. Der justizielle Umgang Italiens mit den Verbrechen war jedoch ambivalent: Obwohl die italienische Regierung dazu angehalten war, Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen, versuchte sie, dieser Pflicht zu entkommen. Sie betrachtete den Tod Mussolinis und die inneritalienischen Säuberungen als ausreichend und wollte die Auslieferung italienischer Kriegsverbrecher an ausländische Gerichte, insbesondere nach Jugoslawien, verhindern. Daher wurden die Ermittlungsverfahren gegen Italiener absichtlich verzögert. Gleichzeitig zeigte die Regierung auch gegenüber den deutschen Kriegsverbrechern Milde, besonders nach der Annäherung zwischen Italien und der 1949 gegründeten Bundesrepublik.

Nur zwei in Italien zu lebenslanger Haft verurteilte Kriegsverbrecher, die ehemaligen SS-Führer Herbert Kappler und Walter Reder, wurden nicht begnadigt und verbrachten Jahrzehnte im Gefängnis. Kappler wurde 1948 als ehemaliger Leiter des SS-Kommandos in Rom für das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen verurteilt. Reder erhielt 1951 in Bologna seine Strafe für mehrere Massaker an der Zivilbevölkerung im Apennin, an denen die von ihm geführte SS-Panzer-Aufklärungsabteilung maßgeblich beteiligt war. Warum wurden die beiden nicht wie viele andere freigelassen? Ihre Taten hatten aufgrund ihrer Dimensionen und Grausamkeit die Öffentlichkeit besonders empört. Nach der Einstellung der meisten Prozesse und der Freilassung vieler inhaftierter Offiziere wurden Kappler und Reder zum Symbol der Besatzungszeit und ihrer Verbrechen. Es entstand ein erheblicher öffentlicher Druck seitens der Opferverbände sowie der Resistenza-Verbände, unterstützt von linken Parteien.

Verzögerte Erinnerung

In der frühen Nachkriegszeit bis zum Ende der 1970er Jahre dominierte in Deutschland eine zweigeteilte Sichtweise auf die nationalsozialistische Vergangenheit: Während Hitler und sein engstes Umfeld dämonisiert und für die Verbrechen verantwortlich gemacht wurden, galten Soldaten der Wehrmacht als Mitläufer und „einfache“ Nationalsozialisten, die von Hitler verführt worden seien und sich außer ihrer eigenen Naivität kaum etwas vorzuwerfen hätten. Zu solchen Vorstellungen trugen unter anderem die idealisierten Figuren des Frontsoldaten und des Landsers (ein veralteter Begriff für Infanterist) bei.

Das Bewusstsein für die Untaten der NS-Zeit beschränkte sich weitgehend auf die Verbrechen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Über die Massaker der Einsatzgruppen war weitaus weniger bekannt, obwohl man wusste, dass sie tief im Hinterland der Fronten stattgefunden hatten – fernab von den Frontsoldaten, die zu sehr mit der „wahren“ Kriegführung beschäftigt gewesen seien, um die Gräuel eines kleinen Kreises fanatischer und brutaler SS-Einheiten hinter ihren Linien wahrzunehmen. Medien, Literatur und Filme verstärkten diese Darstellung, indem sie die Soldaten als heldenhaft und mit einem hohen moralischen Selbstanspruch präsentierten, während die Gewalttaten im Krieg entweder ignoriert oder verharmlost wurden. Kritische Stimmen hörte man selten. Berichte über Exzesse der eigenen Truppen wiesen die meisten als Übertreibung oder Propaganda zurück.

Zu den Hauptakteuren bei der Konstruktion dieser Form der Erinnerung an den Krieg zählten die Veteranenverbände und Soldatenorganisationen. Diese entstanden oft auf Basis persönlicher Initiativen und entwickelten sich aus Netzwerken von Offizieren und Soldaten, die nach der Kapitulation Kontakt untereinander gehalten hatten. Ihre Treffen wurden häufig in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz organisiert und dienten dem erklärten Zweck, Informationen über Vermisste zu sammeln. Darüber hinaus wohnte ihnen eine soziale Dimension inne, indem sich die Familien der Veteranen trafen, sie gemeinsam feierten und Informationen austauschten – nicht selten auch über laufende Ermittlungen und Prozesse, wobei man sich darauf verständigte, welche Hinweise den Richtern mitgeteilt und welche ihnen vorenthalten werden sollten.

Die Fälle Kappler und Reder

Dieses frühe Erinnerungsmuster vertrug sich nicht mit der Vorstellung von Kriegsverbrechen der Wehrmacht. Es war undenkbar, einen Frontsoldaten als Kriegsverbrecher zu betrachten. Ein anschauliches Beispiel für diese Sichtweise ist die Mobilisierung der öffentlichen Meinung in Deutschland und Österreich zugunsten von Herbert Kappler und Walter Reder. In Italien galten die beiden in der Festung Gaeta Inhaftierten als Symbol der Besatzung und ihrer Verbrechen. Die italienische Regierung konnte deshalb einer Freilassung nicht zustimmen. Dieser Umstand führte über Jahrzehnte zu emotionalen Reaktionen in Deutschland und Österreich.

In beiden Ländern kam es zur Gründung zahlreicher Initiativen, darunter die Organisation „Gaeta-Hilfe“, die in den 1950er Jahren unter der Schirmherrschaft ehemaliger hoher Wehrmachts- und SS-Führer ins Leben gerufen wurde. Diese sammelte Gelder und organisierte Kampagnen zur Freilassung der beiden Inhaftierten. Die Berichterstattung blieb nicht mehr auf Veteranenpublikationen beschränkt, sondern umfasste auch liberalkonservative Zeitungen wie „Die Welt“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sowie selten sogar linksliberale Medien wie „Die Zeit“ oder Massenzeitschriften wie „Der Stern“. In diesen Kampagnen wurden Kappler und Reder zu Helden, Märtyrern wie auch „Geiseln der italienischen Kommunisten“ stilisiert. Dabei wurde ihre Zugehörigkeit zur SS häufig verschwiegen, ebenso wie Reders Tätigkeit im Konzentrationslager Dachau. Im Laufe der Zeit wurde die Inhaftierung von Kappler und Reder daher von vielen als anachronistisch und ungerecht empfunden. Ihre Unterstützer appellierten an den menschlichen Anstand und forderten ihre Freilassung im Namen der Menschenwürde. Neben den Veteranenverbänden engagierten sich auch staatliche Institutionen, die Zivilgesellschaft, Kirchen, Gewerkschaften, demokratische Parteien und sogar ehemalige NS-Opfer.

Nach der spektakulären Flucht des schwer krebskranken Herbert Kappler im August 1977 intensivierten sich die Bemühungen um Walter Reder. Die Angehörigen seiner Opfer lehnten seine Freilassung ab, obwohl er auf Anraten seiner Anwälte um Vergebung bat. Viele empfanden dies als grausame Härte. Nach langwierigen Verhandlungen wurde Reder im Januar 1985 durch den italienischen Premierminister Bettino Craxi begnadigt und nach Österreich überführt.

Juristische Aufarbeitung in Deutschland

Nur gelegentlich rückten linksliberale Medien wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ die Vergangenheit noch lebender Kriegsverbrecher in die Öffentlichkeit, und selbst diese Berichterstattung beschränkte sich in der Regel auf spektakuläre oder im innenpolitischen Diskurs der Bonner Republik besonders schlagzeilenträchtige Fälle. Ein Beispiel hierfür ist der Fall des ehemaligen SS-Führers Theodor Saevecke, der 1962 als Kriminalrat beim Bundeskriminalamt und stellvertretender Leiter der Sicherungsgruppe Bonn an der Durchsuchungsaffäre gegen den „Spiegel“ beteiligt war. Trotz dieser Berichterstattung blieben bagatellisierende Deutungen in der westdeutschen Öffentlichkeit hartnäckig, und die Anzahl der Verfahren blieb gering.

Mitte der 1960er Jahre begann in der Bundesrepublik die erste Welle der sogenannten Italienverfahren, die bis Anfang der 1970er Jahre andauerte. Diese Phase markierte den Versuch einer juristischen Aufarbeitung, beginnend 1964 in Dortmund mit einem Verfahren zur Deportation italienischer Juden. Vor Gericht stand der Rechtsanwalt Fritz Bosshammer, der Vertreter des zentralen Holocaust-Organisators Adolf Eichmann in Italien, der zwei Jahre zuvor in Israel zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war. Bosshammer starb jedoch vor Beginn der Hauptverhandlung. Angesichts der drohenden Verjährung der NS-Verbrechen richtete die Bundesregierung am 20. November 1964 einen „Aufruf zur Bekanntgabe nationalsozialistischer Gewalttaten“ an das Ausland. Infolge dieses Aufrufs übermittelte Italien im Mai 1965 etwa 40 Fälle an die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen.

1968 wurde in Osnabrück ein Prozess wegen des Massakers am Lago Maggiore 1943 eröffnet. Angeklagt waren ehemalige SS-Führer der Division „Leibstandarte Adolf Hitler“. Obwohl das Landgericht drei lebenslange Haftstrafen verhängte, hob der Bundesgerichtshof die Urteile zwei Jahre darauf wegen Verjährung auf. In der Folge stellten Staatsanwaltschaften ähnliche Verfahren ein. Nach diesen Rückschlägen gab es in Deutschland kaum noch Verfahren zu NS-Verbrechen mit Bezug zu Italien, und die wenigen von Italien angestoßenen Ermittlungen wurden eingestellt. Die anhaltende juristische Praxis – Abwesenheitsprozesse in Italien und systematische Verfahrenseinstellungen in Deutschland – gewährleistete über Jahrzehnte hinweg den Täterschutz und schuf zugleich ein Klima der allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber diesem Thema, das tief in die deutsche Gesellschaft eindrang und sogar die Justiz erfasste.

Nach 1989

Die Gleichgültigkeit gegenüber der Verfolgung von NS-Tätern wuchs in den 1970er und 1980er Jahren noch an. Auch in Italien geriet das Thema durch gesellschaftliche und politische Umbrüche zunehmend in den Hintergrund. In den 1980er Jahren strebte Bettino Craxi eine Modernisierung Italiens an, während die Verbrechen der Besatzung weiter in Vergessenheit gerieten. In den frühen 1990er Jahren wurde Italien von einem Skandal um Korruption und illegale Parteifinanzierung erschüttert, der als mani pulite („saubere Hände“ im Sinne von „weißer Weste“) bekannt wurde und eine radikale politische Neuausrichtung einleitete.

In Deutschland kam es in diesen Jahren zu intensiven Debatten über die nationalsozialistische Vergangenheit. Die sogenannte Bitburg-Kontroverse um die Kranzniederlegung von Bundeskanzler Helmut Kohl mit US-Präsident Ronald Reagan auf einem Soldatenfriedhof mit Gräbern von SS-Angehörigen sowie die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum Gedenken an das Kriegsende, in der er ausdrücklich von einer Befreiung sprach, lösten 1985 eine breite öffentliche Auseinandersetzung aus. Diese fand ihren Höhepunkt schließlich im sogenannten Historikerstreit, bei dem es um die Singularität des Holocausts und die Gefahr einer revisionistischen Umdeutung der Geschichte ging. Die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung in den 1990er Jahren markierte einen Wendepunkt in der Wahrnehmung der Kriegsverbrechen und zwang die deutsche Gesellschaft, sich intensiver mit der Verantwortung der Wehrmacht auseinanderzusetzen. Der Widerstand vor allem konservativer Kreise zeigte, wie tief die gesellschaftlichen Gräben in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit auch Jahrzehnte nach dem Krieg noch waren.

Während die Ausstellung hauptsächlich die Geschehnisse an der Ostfront beleuchtete, rückten allmählich auch die NS-Verbrechen in Italien in den Fokus. Frühe Studien der Historiker Gerhard Schreiber, Friedrich Andrae und Lutz Klinkhammer zeichneten in Deutschland ein neues, kritischeres Bild der deutschen Besatzung. In Italien markierte die internationale Konferenz „In Memory“ in Arezzo im Juni 1994 den Beginn einer äußerst fruchtbaren Phase der historischen Forschung, aus der Arbeiten von Paolo Pezzino und vielen anderen Historikern hervorgingen.

Parallel zu diesen Entwicklungen, aber mit größerer öffentlicher und medialer Resonanz, enttarnten Journalisten den ehemaligen SS-Führer Erich Priebke in Argentinien. Priebke hatte 1944 als Angehöriger der Gestapo und Mitarbeiter von Herbert Kappler das Massaker in den Fosse Ardeatine mitorganisiert. Er wurde nach Italien ausgeliefert und stand 1995 in Rom vor Gericht, wo er ein Jahr später zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde.

Zur gleichen Zeit kam darüber hinaus ans Licht, dass Hunderte unbearbeitete Ermittlungsakten zu Verfahren, die die Justiz 1960 vorläufig eingestellt hatte, in einem Aktendepot (bekannt als „Schrank der Schande“) der Generalmilitärstaatsanwaltschaft in Rom lagerten. Diese Dokumente erfuhren durch ihren spektakulären Fund große mediale Aufmerksamkeit und lösten schließlich eine tiefgreifende Veränderung in der Wahrnehmung der deutschen Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs aus und legten den Grundstein für einen Neuanfang.

Späte Aufklärung

Die Entdeckung der im „Schrank der Schande“ aufbewahrten Dokumente 1995 führte zu neuen Ermittlungen, die sich jedoch als schwierig erwiesen. Die italienischen Militärstaatsanwaltschaften waren von der Flut an Dokumenten überfordert. Ab 1996 strömten zahlreiche Anfragen nach Deutschland, wo die Behörden ebenfalls unvorbereitet waren. Zahlreiche Anfragen aus Italien waren unvollständig oder fehlerhaft, und die Ermittlungen stockten. Viele Verfahren mussten in Italien eingestellt werden, da keine Rückmeldungen aus Deutschland kamen oder man annahm, die gesuchten Personen seien unauffindbar oder verstorben. Die Zusammenarbeit der Behörden war formal korrekt, aber träge und unflexibel, was den Eindruck erweckte, dass in Deutschland die Ermittlungen verzögert wurden.

Angesichts dieser unbefriedigenden behördlichen Situation traten andere Akteure auf den Plan, zum Beispiel Journalisten. Ende Oktober 1999 brachte Christiane Kohl, die damalige Rom-Korrespondentin der „Süddeutschen Zeitung“, mit einem Artikel über das Massaker von Sant’Anna di Stazzema neue Erkenntnisse in die öffentliche Debatte ein, indem sie einige der Mittäter ausfindig machte und mit ihnen Interviews führte.

In den frühen 2000er Jahren erregten zudem mehrere Beiträge der Fernsehjournalisten René Althammer und Udo Gümpel für das ARD-Magazin „Kontraste“ große Aufmerksamkeit. Sie zeigten, dass NS-Täter selbst nach einer rechtskräftigen Verurteilung in Italien in der Bundesrepublik weiterhin unbehelligt von der Justiz blieben, zum Beispiel der ehemalige SS-Obersturmbannführer und Leiter des „Außenkommandos der Sicherheitspolizei und des SD“ in Genua, Friedrich Engel. Im April 2002 strahlte „Kontraste“ Interviews der beiden Investigativjournalisten mit mehreren ehemaligen SS-Mitgliedern aus, um deren Identifizierung sich die italienische Militärjustiz im Rahmen ihrer Ermittlungen zum Massaker von Monte Sole bei Marzabotto erfolglos in Deutschland bemüht hatte. Die Enthüllung lag nur wenige Tage vor einem Staatsbesuch des Bundespräsidenten Johannes Rau bei einer Gedenkveranstaltung in der Gedenkstätte in Marzabotto am Monte Sole – der erste Besuch eines so hohen Vertreters der Bundesrepublik an den Orten des Massakers. Vor den Angehörigen der Opfer drückte Rau „Trauer und Scham“ aus.

Diese Ereignisse gaben der Justiz neue Impulse. Am Militärgericht von La Spezia, wo die meisten Verfahren angesiedelt waren, übernahm mit Marco De Paolis ein energischer jüngerer Beamter das Amt des Militärstaatsanwalts. Er stellte ein effizientes Team zweisprachiger Polizeibeamter, Carabinieri und Beamter der Zollfahndung zusammen. Auch dank der fachlichen Beratung von Historikern wie Paolo Pezzino wurde der Grundstein für neue Ermittlungen und Prozesse gelegt, woran auch ich beteiligt war. Zwischen 2003 und 2013 führte Italien, hauptsächlich in La Spezia, 18 Prozesse wegen Kriegsverbrechen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gegen mehr als 60 Personen. In mindestens 29 dieser Fälle wurden die Angeklagten zu lebenslanger Haft verurteilt. Es kam jedoch auch zu mehreren Freisprüchen, und in einigen Fällen konnte keine Anklage erhoben werden, da die Beschuldigten inzwischen verstorben waren.

In Deutschland setzte sich die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen systematisch mit den Vorwürfen auseinander und leitete zahlreiche Vorermittlungsverfahren ein. Anklagen wurden jedoch nur in zwei Fällen erhoben: in Stuttgart gegen einen pensionierten Bundeswehroffizier, der am Massaker in Civitella beteiligt gewesen sein soll, und in München gegen Josef Scheungraber, der für das Massaker in Falzano di Cortona verantwortlich gemacht wurde. Während das Verfahren in Stuttgart aufgrund des Todes des Angeklagten scheiterte, wurde Scheungraber 2009 zu lebenslanger Haft verurteilt. Dies war die einzige rechtskräftige Verurteilung in Deutschland für ein in Italien begangenes Kriegsverbrechen.

Alle anderen Verfahren wurden nach zehn bis fünfzehn Jahren eingestellt. Scharfe Kritik gab es an den Ermittlungen des Stuttgarter Staatsanwalts Bernhard Häußler zum Massaker in Sant’Anna di Stazzema, die 2012 ohne Anklage eingestellt wurden. Enrico Pieri, ein Überlebender und Präsident der Associazione Martiri di Sant’Anna di Stazzema, klagte dagegen und hatte 2014 Erfolg. Das Verfahren gegen den letzten Angeklagten, Gerhard Sommer, wurde an die Staatsanwaltschaft Hamburg übergeben, aber 2015 wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt. Sommer starb 2017.

Die Ergebnisse dieser neuen und zugleich letzten Welle von Strafverfahren waren für große Teile der Öffentlichkeit, und vor allem für viele Betroffene in Italien, enttäuschend. Die bereits skizzierte juristische Praxis – Abwesenheitsprozesse in Italien und systematische Verfahrenseinstellungen in Deutschland – blieb trotz neuer Impulse nach der Jahrtausendwende bestehen. Die in Italien in Abwesenheit der Angeklagten verhängten Strafen blieben symbolisch, da sie in Deutschland nicht vollstreckt werden konnten.

In den vergangenen Jahren entbrannte erneut eine Auseinandersetzung über Entschädigungsforderungen für italienische Militärinternierte und Opfer von NS-Massakern, die das deutsch-italienische Verhältnis durchaus belasten. Dieser Rechtsstreit zog sich ebenfalls bereits über viele Jahre hin und wurde 2021 sogar vor dem Internationalen Gerichtshof verhandelt. Die deutsche Seite lehnt die Entschädigungsansprüche unter Berufung auf das Prinzip der Staatenimmunität ab, was wiederum zu einer Reihe von Gerichtsentscheidungen in Italien geführt hat, die die Position Deutschlands infrage stellen.

Wo stehen wir heute?

Auch heute bleibt die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und den Erinnerungskulturen in Deutschland und Italien komplex und vielschichtig. Doch inzwischen hat sich ein neues Kapitel der Zusammenarbeit und Aufarbeitung aufgetan. 2009 wurde die deutsch-italienische Historikerkommission ins Leben gerufen, die bis 2012 tätig war. Ihr Ziel war es, die historischen Verstrickungen der beiden Länder zu untersuchen, die juristischen und moralischen Herausforderungen zu analysieren und eine gemeinsame Erinnerungskultur zu entwickeln, um die bilateralen Beziehungen zu stabilisieren.

Seit Abschluss der Arbeiten der Historikerkommission treiben verschiedene Initiativen die gemeinsame Beschäftigung mit der Geschichte der deutschen Besatzung in Italien voran. Ihre Bemühungen werden unter anderem unterstützt vom deutsch-italienischen Zukunftsfonds, dessen Einrichtung die Kommission empfohlen hatte, um gemeinsame Erinnerungsprojekte zu finanzieren. Zu den unterstützten Projekten zählen etwa die Schaffung und der Ausbau von Gedenkorten für die verschleppten Militärinternierten, die Erfassung aller Massaker und Mordakte deutscher und italienisch-faschistischer Truppen im besetzten Italien und jüngst das Projekt „Die Massaker im besetzten Italien in der Erinnerung der Täter“. Ein weiteres bedeutendes Projekt an der Universität Padua steht unter der Leitung des Zeithistorikers Filippo Focardi: „Le vittime italiane del Nazionalsocialismo: le memorie dei sopravvissuti“ („Die italienischen Opfer des Nationalsozialismus: die Erinnerungen der Überlebenden“). Im Rahmen des Projekts wurden über hundert Interviews mit Überlebenden der Besatzung geführt – den buchstäblich letzten Zeitzeugen.

Das Ende der Zeitzeugenschaft gilt zunehmend auch für Italien. Gleichzeitig entstehen neue Initiativen, die sich an die nachfolgenden Generationen richten, wie das innovative Oral-History-Projekt der Literaturwissenschaftler Patrizia Piredda und Gianluca Cinelli: „MemoGen. The Legacy of the Second World War in the Memory of the Third Generation“ („Das Erbe des Zweiten Weltkriegs in der Erinnerung der dritten Generation“). Das Projekt spricht gezielt Angehörige der Nachkriegsgenerationen an, die zwischen den 1960er und 1980er Jahren geboren wurden, und fordert sie auf, ihre persönlichen, indirekten Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg zu teilen. Ziel ist es, zu untersuchen, wie der Krieg das Leben der Italiener Jahrzehnte nach 1945 beeinflusst und ihre Ideen, Perspektiven, Sprache und Gewohnheiten geprägt hat.

Das Thema der deutschen Kriegsverbrechen in Italien bleibt ein komplexes und schmerzhaftes Kapitel der europäischen Geschichte. Trotz zahlreicher Bemühungen in beiden Ländern, diese Verbrechen aufzuarbeiten, blieb die juristische Aufklärung lange Zeit unzureichend und oft symbolisch. Erst spät haben historische Forschungen und neue Initiativen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit den Verbrechen und ihrer Erinnerung geführt. Gemeinsame deutsch-italienische Projekte zur Erinnerung und Aufarbeitung haben bedeutende Fortschritte gebracht, doch die Verarbeitung bleibt eine fortlaufende Aufgabe für beide Nationen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Jens Petersen, Deutschland und Italien, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Der Zweite Weltkrieg. Analysen, Grundzüge, Forschungsbilanz, München–Zürich 1989, S. 108–119, hier S. 115.

  2. Zum gesamten Kapitel vgl. Lutz Klinkhammer, Der „Schrank der Schande“ und das „Vergessen“ eines Bürgerkriegs. Der Untersuchungsausschuss des italienischen Parlaments zur Aufdeckung der Nichtverfolgung von nationalsozialistisch-faschistischen Gewaltverbrechen, in: Christoph Cornelißen/Paolo Pezzino (Hrsg.), Historikerkommissionen und historische Konfliktbewältigung, Berlin–Boston 2018, S. 153–176.

  3. Vgl. Kerstin von Lingen, Kesselrings letzte Schlacht. Kriegsverbrecherprozesse, Vergangenheitspolitik und Wiederbewaffnung: Der Fall Kesselring, Paderborn 2004.

  4. Vgl. Klinkhammer (Anm. 2), S. 168f.

  5. Vgl. Joachim Staron, Fosse Ardeatine und Marzabotto: Deutsche Kriegsverbrechen und Resistenza. Geschichte und nationale Mythenbildung in Deutschland und Italien (1944–1999), Paderborn 2002.

  6. Vgl. Felix Bohr, Flucht aus Rom. Das spektakuläre Ende des „Falles Kappler“ im August 1977, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1/2012, S. 111–141.

  7. Vgl. Barbara Tóth, Der Handschlag. Die Affäre Frischenschlager-Reder, Innsbruck 2017.

  8. Vgl. Kerstin Freudiger, Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen, Tübingen 2002.

  9. Vgl. Gerhard Schreiber, Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung, München 1996; Friedrich Andrae, Auch gegen Frauen und Kinder. Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943–1945, München–Zürich 1995; Lutz Klinkhammer, Zwischen Bündnis und Besatzung. Das nationalsozialistische Deutschland und die Republik von Salò 1943–1945, Tübingen 1993.

  10. Vgl. Marco De Paolis/Paolo Pezzino, La difficile giustizia. I processi per crimini di guerra tedeschi in Italia 1943–2013, Rom 2016.

  11. Vgl. dazu die Beiträge in Cornelißen/Pezzino (Anm. 2).

  12. Siehe die Online-Datenbank Atlante delle stragi naziste e fasciste in Italia, Externer Link: http://www.straginazifasciste.it.

  13. Siehe Externer Link: http://www.ns-taeter-italien.org/de.

  14. Siehe Externer Link: https://memoriavittimenazismofascismo.it.

  15. Siehe Externer Link: https://memogenenglish.wordpress.com.

Lizenz

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ist promovierter Neuzeithistoriker und lehrt und forscht am Martin-Buber-Institut für Judaistik der Universität zu Köln.