Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Italien und die Migration | Italien | bpb.de

Italien Editorial Wo ist die Politik in der Literatur? Dov'è la politica in letteratura? Rasender Stillstand. Italien im Herbst 2024 Autoritär reformiert? Zum geplanten Umbau des Staates in Italien Italien und die Migration. Der Weg der Externalisierung Stabil Fragil? Zur politökonomischen Situation Italiens nach der Europawahl Nachhaltig in die Zukunft? Italien und der Green Deal Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Erinnerung und Aufarbeitung Karte Italien

Italien und die Migration Der Weg der Externalisierung

Luca Barana

/ 13 Minuten zu lesen

Italien verschärft unter Giorgia Meloni seine Migrationspolitik: national durch strengere Aufnahmegesetze, international durch Abkommen mit Drittstaaten wie Tunesien oder Albanien. Zugleich wächst mit dem EU-Migrationspakt die Verantwortung Italiens.

Italien ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einem der wichtigsten Erstaufnahmeländer für sogenannte irreguläre Immigranten geworden, die auf der zentralen Mittelmeerroute nach Europa kommen. Die Migrationspolitik hatte und hat daher stets einen hohen Stellenwert für italienische Regierungen, so auch für die aktuelle Mitte-rechts-Regierung unter Giorgia Meloni.

Diese befasst sich sowohl innen- als auch außenpolitisch mit dem Thema: Auf nationaler Ebene hat sie durch eine Reihe von Verordnungen die Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende verschärft, auf internationaler Ebene hat sie mit den EU-Partnern das im Frühjahr 2024 verabschiedete neue Migrations- und Asylpaket („Migrationspakt“) ausgehandelt und mit weiteren Ländern außerhalb der Union Abkommen geschlossen. Die innen- und außenpolitischen Schritte sind eng miteinander verknüpft und Teil einer Gesamtstrategie, die darauf zielt, die Zahl der irregulären Einwanderer zu reduzieren, die Rückführung zu fördern und das Asylsystem von der wachsenden Zahl der Anträge auf internationalen Schutz zu entlasten.

Ändert sich Italiens Rolle?

Im Laufe des Jahres 2024 hat sich das Migrationsgeschehen auf der zentralen Mittelmeerroute stark verändert. Nachdem die Zahl der Bootsflüchtlinge, die an den Küsten Italiens anlanden, über Jahre konstant gestiegen war, hat sich die Tendenz jüngst umgekehrt: In den ersten sieben Monaten 2024 kamen rund 33000 Menschen übers Meer nach Italien, deutlich weniger als die 88000 im selben Zeitraum 2023 (Abbildung). Generell war 2023 mit 157000 irregulären Einreisen – dem höchsten Stand seit 2016 – ein besonders intensives Jahr. Die Zahl der Anlandungen hatte schon ab 2020 zugenommen, ging aber um die Zeit des Amtsantritts von Meloni im Herbst 2022 nochmals steil nach oben.

In den ersten Monaten der Regierung Meloni zeigten sich weitere Veränderungen. Zum einen trat Tunesien zeitweilig an die Stelle Libyens als Hauptabfahrtsland für die Seereise nach Italien. Während die Menschen bisher überwiegend von Libyen aus aufgebrochen waren, kamen 2023 mehr als 60 Prozent von Tunesien aus. Zum anderen stieg der Anteil von Einwanderern aus westafrikanischen Ländern wie der Republik Côte d’Ivoire und Guinea. Dank bilateraler Visaabkommen zwischen Tunis und ihren Heimatländern nutzten viele Migranten und Flüchtlinge aus den Ländern südlich der Sahara Tunesien als Transitland; oder sie waren bereits länger dort gewesen und flohen vor der diskriminierenden Politik des tunesischen Präsidenten Kais Saied. Ein Schwerpunkt der italienischen Migrationspolitik liegt deshalb auf Tunesien, nicht zuletzt, weil auch die Zahl der tunesischen Migranten hoch geblieben ist.

Mittlerweile hat sich die Lage erneut verändert. Libyen ist 2024 wieder zum Hauptabfahrtsland in Richtung Italien geworden. Bis Mitte Juli kamen 59 Prozent der in Italien angekommenen Migranten aus Libyen, 36 Prozent aus Tunesien. Ein Grund dafür ist, dass die tunesischen Behörden vermehrt Flüchtlingsboote aufgreifen: In den ersten fünf Monaten des Jahres wurden bereits 30000 Menschen an Land zurückgebracht – eine Zunahme von 40 Prozent gegenüber 2023. Ungeachtet von Vorwürfen gegen die tunesische Küstenwache, den Tod von Migranten auf See mitverursacht zu haben, hat das Land im Juni zudem eine eigene Seenotrettungszone eingerichtet, die derlei Aufgriffe erleichtert. Auch die Herkunft der Menschen, die Italien erreichen, hat sich erneut geändert: Die Hauptherkunftsländer sind jetzt Bangladesch und Syrien, gefolgt von Tunesien, Guinea und Ägypten.

In den vergangenen Jahren wurden darüber hinaus immer mehr Anträge auf internationalen Schutz gestellt. 2023 entfielen 12 Prozent der Asylanträge in der EU auf Italien. Die insgesamt 136000 Anträge sind zwar im Vergleich etwa zu Deutschland zu sehen, wo 334000 Anträge gestellt wurden, dennoch steht Italien in dieser Beziehung hinter Deutschland, Frankreich und Spanien an vierter Stelle in der EU.

Italien ist also nicht nur eines der Haupteinreiseländer für Migranten, die irregulär in der EU ankommen, sondern auch eines derjenigen, in denen die meisten Asylanträge gestellt werden. Die italienischen Behörden sind daher neben der Seenotrettung und Erstaufnahme in zunehmendem Maße auch mit der Verwaltung eines expandierenden Asylsystems befasst. Mit Inkrafttreten des neuen Migrations- und Asylpakets der EU wird diese Dynamik unweigerlich zunehmen. Diese Doppelbelastung erklärt auch, warum Fragen der irregulären Migration und des Asylsystems für die Regierung Meloni untrennbar zusammengehören und warum diese verstärkt auf Abschreckung setzt, um sowohl die Zahl der Ankömmlinge als auch die der Asylanträge zu reduzieren.

Wege der Abschreckung

Die Politik der Abschreckung zielt definitionsgemäß darauf, sogenannte irreguläre Migranten und insbesondere Flüchtlinge daran zu hindern, das Hoheitsgebiet des Ziellandes zu erreichen. Mit diesem Konzept beschreitet die Regierung Meloni keineswegs einen neuen Weg, sondern führt den ihrer Vorgänger fort. Die entsprechenden Maßnahmen sind indes häufig lediglich Sofortmaßnahmen in Zeiten erhöhten Migrationsdrucks und keine strukturellen Weichenstellungen.

Die Regierung hat zwei Arten von Maßnahmen in die Wege geleitet. Zunächst geht es ihr darum, Kosten und Risiken der Mittelmeerüberquerung zu erhöhen, um Migranten von selbiger abzuhalten. Hierunter fallen etwa Einschränkungen der Betätigungsmöglichkeiten für Nichtregierungsorganisationen, die sich in der Seenotrettung engagieren und vom Staat als Pull-Faktor angesehen werden. Auch die Verschärfung der Strafen für Menschenhändler und Schleuser, etwa in der umstrittenen „Cutro-Verordnung“ von März 2023, zielt in diese Richtung.

Ebenso zu dieser Kategorie zählt das Migrationsabkommen der EU mit Tunesien vom Juli 2023, auf das Italien sehr gedrängt hat. Die gemeinsame Absichtserklärung wurde als eine umfassende Vereinbarung über verschiedene Politikfelder präsentiert – von nachhaltiger Landwirtschaft bis zu Energiefragen. Am meisten aber wird zweifellos im Bereich der Migration investiert, um die Zusammenarbeit mit den tunesischen Behörden zu verbessern. Die EU hat dem nordafrikanischen Land hierfür 105 Millionen Euro zur Verfügung gestellt – was offensichtlich kurzfristig Wirkung zeigt, wie an der gestiegenen Zahl der aufgegriffenen Boote zu sehen ist.

Dennoch steht die Vereinbarung stark in der Kritik: Auf der einen Seite legitimiert sie die Regierung Saied, die sowohl gegen Flüchtlinge als auch gegen die eigene Bevölkerung immer autokratischer vorgeht und Menschen- und Freiheitsrechte missachtet. Auf der anderen Seite wird durch das Abkommen ein nicht unbedingt vertrauenswürdiger Drittstaat in die Lage versetzt, den Migrationsdruck – der im Gegenzug lediglich kurzzeitig verringert wird – gegen die EU instrumentalisieren zu können. Wie ähnliche Abmachungen zwischen Italien und Libyen von 2017 gezeigt haben, ist nämlich kaum anzunehmen, dass sich der Rückgang der Flüchtlingszahlen in den kommenden Jahren fortsetzen wird. Nachdem damals die Zahl der Ankommenden aus Libyen zunächst stark abgenommen hatte, nahm sie ab 2020 wieder an Fahrt auf, denn die Ursachen für die Migrationsbewegungen in der Region sind vielfältig und durch restriktive Maßnahmen allein kaum in den Griff zu bekommen.

Der zweite Weg, auf dem die italienische Regierung die irreguläre Einwanderung eindämmen möchte, zielt auf die Einschränkung der Leistungen, auf die Migranten in Italien hoffen können. Unter diese Kategorie fallen etwa Maßnahmen wie die weitgehende Abschaffung des humanitären Schutzes und die Verlängerung des Ausreisegewahrsams in Rückführungszentren.

Ein weiteres Beispiel für die Versuche der Regierung, Migranten abzuschrecken, indem sie – zumindest auf dem Papier – die Asylmöglichkeiten in Italien einschränkt, ist eine mit Albanien im November 2023 getroffene Vereinbarung. Demnach werden auf italienische Kosten zwei Aufnahmezentren auf albanischem Boden errichtet, in denen künftig die Asylanträge von monatlich rund 3000 Migranten abgewickelt werden sollen, die von Schiffen italienischer Behörden in internationalen Gewässern aus Seenot gerettet wurden. Die Entscheidungshoheit über die Gewährung von Asyl soll dabei jedoch zu jeder Zeit in italienischer Hand verbleiben.

Dieses Verfahren ist ein erster Schritt zur Externalisierung beziehungsweise zum Outsourcing von Asylverfahren in ein Nicht-EU-Land. Damit unterscheidet sich die Vereinbarung mit Albanien grundsätzlich vom Abkommen mit Tunesien, das keinerlei vergleichbare Mechanismen vorsieht. Doch gerade weil die Entscheidungsgewalt nicht an albanische Behörden übertragen wird, kann man wohl davon ausgehen, dass die italienische Regierung in erster Linie das Ziel verfolgt, potenzielle Migranten durch die schiere Existenz des Überstellungsmechanismus nach Albanien vom Aufbruch abzuhalten. Sie sollen davon ausgehen, dass ihr Asylverfahren nicht von einem EU-Land entschieden wird. Die Vermittlung dieses Eindrucks aber ist irreführend.

Ein für Italien unausgewogenes Abkommen

Die von der Regierung Meloni betriebene Abschreckungspolitik muss im europäischen Kontext gesehen werden, insbesondere im Rahmen des neuen Migrations- und Asylpakets, das aus zehn miteinander verbundenen Rechtsakten besteht, um das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) zu reformieren. Im Mittelpunkt der Verhandlungen – und der italienischen Position – stand das schwierig zu findende Gleichgewicht zwischen Verantwortung und Solidarität unter den Mitgliedstaaten. Da Rom bereits seit Langem einen verbindlichen Mechanismus für die Verteilung der Schutzsuchenden fordert, legte es dabei besonderes Augenmerk auf die Asylverfahrensverordnung, die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement sowie die Verordnung zur Bewältigung von Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt.

Die Regierung Meloni musste hier jedoch zurückstecken und stimmte dem Prinzip einer „verpflichtenden Solidarität“ zu, das den Mitgliedstaaten weiterhin großen Spielraum lässt, auf welche Art und Weise sie die Erstaufnahmeländer unterstützen wollen. Die Staaten können nämlich selbst entscheiden, ob sie Asylsuchende aufnehmen – und zwar mit einer EU-weiten festen Obergrenze von 30000 Menschen pro Jahr – oder ob sie stattdessen einen finanziellen Beitrag zur Unterstützung von Maßnahmen zur Migrationskontrolle leisten oder den besonders betroffenen Staaten operativ unter die Arme greifen.

Die Entscheidung der Regierung, eine der langjährigen italienischen Forderungen aufzugeben, hat sich letztlich nicht ausgezahlt, da die Verantwortung Italiens durch die Reform sogar noch zunimmt – etwa durch die verpflichtende Einführung von Grenzverfahren für bestimmte Kategorien von Migranten, die per definitionem in Erstaufnahmeländern durchzuführen sind. In dieselbe Richtung weist die Verlängerung der Verantwortlichkeit der Erstaufnahmeländer für die Asylanträge im Rahmen des Dublin-Systems, das keineswegs überwunden ist, wie die Regierung Meloni behauptet. Ganz im Gegenteil scheinen die neuen Normen vielmehr darauf zu zielen, Mitgliedstaaten wie Deutschland, Frankreich oder die Niederlande zu beruhigen, indem die Sekundärmigration – also die Weiterreise in ein anderes EU-Land – strenger kontrolliert wird.

Diese Absicht spiegelt sich auch deutlich im „Gemeinsamen Durchführungsplan für das Migrations- und Asylpaket“ wider, den die EU-Kommission im Juni 2024 vorgelegt hat. Zu den Maßnahmen zählt etwa die Einführung des großangelegten IT-Systems Eurodac zur Sammlung und zum Abgleich biometrischer Daten von Schutzsuchenden sowie von Screenings und weiteren Verfahren des Migrationsmanagements an den EU-Außengrenzen, die erkennbar vor allem der Eindämmung der Sekundärmigration dienen.

Der Umsetzungsplan bietet die erste Gelegenheit, die von der Kommission vorgesehenen Schritte zur Implementierung des Migrationspaktes zu analysieren und mit den italienischen Interessen abzugleichen. Dass es sich bei der Reform um ein integriertes Gesamtkonzept handelt, wird durch die Festlegung unterstrichen, dass die Mitgliedstaaten nicht zwischen der Anwendung verschiedener Gesetzespakete wählen können, sondern alle Mitgliedstaaten alle Bausteine des Plans umsetzen müssen. Dieser Aspekt entspricht der italienischen Sicht auf die Migrationspolitik als „europäische Frage“. Dennoch ist zu erwarten, dass die Mitgliedstaaten in der Umsetzungspraxis bei den Details unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Nicht zuletzt Italien selbst könnte bei heikleren Aufgaben zögern, beispielsweise bei der Einführung der verpflichtenden Grenzverfahren, falls seine Interessen in Fragen der Solidarität und bei Rückführungen von den anderen Mitgliedstaaten nicht angemessen berücksichtigt werden.

Der entscheidende Faktor für den Erfolg des Migrationspaktes ist das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten. Sollte es daran mangeln, könnte die Umsetzung nur teilweise und weniger vorhersehbar gelingen, was den Zweck der gesamten Reform infrage stellen würde. Von der Wirksamkeit und fristgerechten Umsetzung der Maßnahmen hängt auch die weitere Unterstützung seitens Italien ab, dessen Regierung augenscheinlich ein noch unausgewogenes System akzeptiert hat. Ein Grund für diese Entscheidung dürfte in der sogenannten externen Dimension der Migrationspolitik liegen.

Ist die Externalisierung neu?

Die Regierung Meloni reklamiert für sich, eine Richtungsänderung der europäischen Migrationspolitik bewirkt zu haben, wodurch nun die externe Dimension privilegiert werde, um die Zahl der irregulär Einwandernden zu verringern und die der Rückführungen zu erhöhen. Denn Italien hat den Kompromiss in Sachen Verantwortung und Solidarität im neuen EU-Pakt nur gegen eine Reihe von Zugeständnissen bei den Rückführungen akzeptiert. Der Pakt sieht etwa vor, dass die Kriterien dafür, ob ein Drittland als sicher eingestuft wird oder nicht, auf nationaler Ebene festgelegt werden. Dies wird von Italien begrüßt, denn die Mitgliedstaaten erhalten dadurch größere Flexibilität, Länder als sicher zu bestimmen, damit dorthin abgeschoben werden darf.

Darüber hinaus ist ganz allgemein ein Trend zur Externalisierung migrationspolitischer Maßnahmen zu erkennen. In den zurückliegenden anderthalb Jahren haben Italien und die Europäische Kommission bei ihren Bemühungen um Migrationsabkommen mit anderen Mittelmeeranrainern sehr effizient zusammengearbeitet. Der Vereinbarung mit Tunesien von 2023 folgte im Frühjahr 2024 ein Abkommen mit Ägypten, das sehr umfassend und ambitioniert ist, aber ebenfalls besonderes Gewicht auf das Thema Migration legt. Die EU weitet derweil das Feld der Partnerschaftsabkommen mit Nicht-EU-Ländern des Mittelmeerraums systematisch aus: Zu den Vereinbarungen mit Tunesien und Ägypten sowie dem bereits 2016 geschlossenen Abkommen mit der Türkei sind kürzlich Übereinkommen mit Mauretanien und dem Libanon hinzugekommen.

Darüber hinaus wird die italienische Vereinbarung mit Albanien in der EU als ein Modell betrachtet, das in anderen Kontexten nachgeahmt werden könnte. Im Programm der Europäischen Volkspartei (EVP) zur Europawahl 2024 wurde die Übertragung der Zuständigkeit in Asylfragen an Länder außerhalb der EU ausdrücklich unterstützt. Angesichts der Bestätigung der EVP-Kandidatin Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin ist dies ein wichtiger Wendepunkt. Zudem haben 15 Mitgliedsländer, darunter Italien, vor wenigen Monaten eine gemeinsame Erklärung vorgelegt, in der die EU aufgefordert wird, innovative Lösungen zum Outsourcing der Asylverfahren zu suchen. Ausdrücklich wird darin das Abkommen zwischen Italien und Albanien als Modell angeführt und die Wichtigkeit von Abschreckung betont.

Obwohl die EU, nicht zuletzt auch auf Druck Italiens, in den vergangenen Jahren die externe Dimension ihrer Migrationspolitik konsequenter vorantreibt, handelt es sich nicht um eine grundsätzliche Neuerung. Die EU bemüht sich bereits seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 um die Zusammenarbeit mit Drittländern, um die Migrationsbewegungen einzuschränken. Inzwischen verfolgt sie diese Strategie lediglich mit mehr Nachdruck und setzt alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ein – von der Handelspolitik bis zur Erleichterung von Visaerteilungen.

Hierbei riskiert sie allerdings, weitreichende Beziehungen mit Schlüsselländern in Afrika und dem Nahen Osten kurzfristigen migrationspolitischen Interessen unterzuordnen. Darüber setzt sich die EU zunehmend der Gefahr aus, dass Migrationsbewegungen durch andere Akteure im Mittelmeerraum gegen sie instrumentalisiert werden. Paradoxerweise geschieht dies genau in dem Augenblick, in dem die EU mit dem neuen Migrations- und Asylpaket Regelungen in die Wege geleitet hat, die dieses Risiko einschränken sollen. Auch Italien, das seine Politik gegenüber Libyen und Tunesien seit Jahren an den Bedürfnissen der Migrationspolitik ausrichtet, würde durch vermehrte Anlandungen rasch unter Druck geraten.

Die Kombination aus dem Migrationspakt und der Externalisierung der Migrationspolitik könnte zudem schwerwiegende Folgen für den Zugang zu Asyl haben. Obwohl in EU-Verordnungen immer wieder die Achtung der Grundrechte angemahnt wird, geht es Ländern wie Italien heute vorrangig darum, mit allen Mitteln zu verhindern, dass Menschen in Not nach Europa aufbrechen. Dies spiegeln auch die neuen Regelungen für die Definition sicherer Drittstaaten wider: Während ein Land früher die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 unterzeichnet haben musste, um als sicher anerkannt zu werden, hat die EU dieses Kriterium nun aufgeweicht – es muss lediglich ein „wirksamer Schutz“ gegeben sein, der nicht alle Rechte der Flüchtlingskonvention umfasst. Außerdem gibt die Reform den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ein Land als sicher einzustufen, wenn mit der EU ein Abkommen besteht, in dem die Unterzeichner die Achtung der Menschenrechte garantieren. Mit Blick auf Tunesien sind diese Regelungen offensichtlich im Sinne Italiens, denn Tunesien hat die Flüchtlingskonvention zwar unterschrieben, sie aber noch nicht in nationale Gesetzgebung überführt; das gemeinsame Abkommen von 2023 garantiert jedoch, dass Tunesien als sicherer Drittstaat eingestuft werden kann.

Schlussfolgerungen

Auch wenn das neue Migrations- und Asylpaket hauptsächlich die interne Dimension der europäischen Migrationspolitik betrifft und mit neuen Verpflichtungen für Italien einhergeht, werden seine Regelungen tiefgreifende Auswirkungen auch auf die Beziehungen zu Drittländern haben. In dieser Hinsicht herrscht zwischen Italien und seinen europäischen Partnern mittlerweile weitgehendes Einvernehmen – das bei der Umsetzung des Paktes allerdings auf die Probe gestellt werden dürfte.

Eine nur teilweise oder verspätete Anwendung der neuen Regelungen könnte zu einem Vertrauensverlust der Mitgliedstaaten in die Tragfähigkeit des gesamten Systems führen. Darüber hinaus könnte ein erneuter Anstieg der Ankunftszahlen die politische Unterstützung in Italien für die neuen Maßnahmen untergraben, da die Regierung zugesichert hat, dass durch die Reform ein geordnetes Migrationsmanagement gewährleistet sei. Das größte Risiko für Italien und die EU besteht also darin, eine „Lösung“ für ein „Problem“ wie die Migration versprochen zu haben, dessen Ursachen und Wurzeln jedoch viel tiefer liegen und wesentlich komplexer sind, als dieses Versprechen suggeriert.

Übersetzung aus dem Italienischen:
Friederike Hausmann, München.

ist Politikwissenschaftler und Senior Fellow am Istituto Affari Internazionali (IAI) in Rom, Italien. Er forscht unter anderem zur EU-Migrationspolitik und italienischen Außenpolitik.