Social-Media-Plattformen bieten ideale Voraussetzungen zur Verbreitung radikaler und extremistischer Botschaften. Propagandisten jeglicher Ausrichtung haben dies frühzeitig erkannt und sind auf nahezu allen Plattformen aktiv. Ihr variantenreiches Spektrum reicht von popkulturellen Influencer*innen über salafistische Prediger*innen und Speaker*innen bis hin zu ideologisch gefestigten islamistischen Propagandist*innen. Vereinzelt finden sich auch dschihadistische Akteure, die ihre wahren Hintergründe geschickt zu verschleiern verstehen. Für nahezu jeden Geschmack bietet das Social-Media-Milieu der Peripherie des religiös begründeten Extremismus (PrE) eine passende, verständliche Ansprache, die eine Radikalisierung fördern kann.
Es ist daher kein überraschendes Forschungsergebnis, dass Social-Media-Angebote zu den zentralen Faktoren in zahlreichen Radikalisierungsprozessen zählen.
Zentrale Akteur*innen und Strömungen
Wer im deutschsprachigen Raum allgemeine Informationen zum Islam auf Social Media sucht, der stößt unweigerlich und unmittelbar auf das umfangreiche Angebot islamistischer Propagandisten und salafistischer Missionare – ein Experiment, das jeder und jede mit ein paar gängigen Fragen oder Begriffen zum Islam selbst durchführen kann. Die Algorithmen von Plattformen wie Youtube, Tiktok oder Instagram unterstützen solche Suchen sehr effizient, sodass man bereits nach kurzer Zeit tief in eine radikale Informationsblase hineintauchen kann. Das Feld dieser Social-Media-Akteure ist heterogen, doch stechen drei Gruppen besonders heraus:
Zur ersten Gruppe gehören bekannte und seit Langem etablierte salafistische Akteure wie Pierre Vogel oder Abul Baraa, in den vergangenen Jahren starteten zudem jüngere Akteure wie Abdelhamid oder Ibrahim al-Azzazi eine steile Karriere. Neben diesem reichweitenstarken salafistischen Cluster finden sich hier auch zahlreiche salafistische Gruppierungen mit einem kleineren Kreis von Anhänger*innen und wesentlich geringerer Reichweite. Sie unterscheiden sich von den zuvor genannten durch unterschiedliche Auslegungen zentraler salafistischer Dogmen bis hin zur Befürwortung dschihadistischer Lehren. Ihnen gemeinsam ist, dass sie sich inhaltlich zumeist auf Mission und religiöse Belehrungen konzentrieren. Ihre führenden Akteure treten zwar als Prediger und Gelehrte mit autoritärem Sendungsbewusstsein auf, sie sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, jedoch Laien mit einer nur rudimentären theologischen Ausbildung. Von ihrem zumeist jugendlichen Publikum werden sie jedoch nahezu kritiklos als religiöse Autoritäten anerkannt.
Von diesem komplexen und heterogenen salafistischen Feld setzt sich eine zweite Gruppe ab, die homogener und plakativer in ihrer ideologischen Ausrichtung ist.
Die vier genannten HuT-nahen Akteure treten zwar medial getrennt auf, ergänzen sich jedoch in ihren unterschiedlichen Kommunikationsstrategien. Der reichweitenstärkste Youtube-Kanal "Botschaft des Islam" produziert zumeist einfache religiöse Belehrung in unterhaltsamen Geschichten. Besonders hohe Reichweiten erzielt das Interviewformat "Erzähl Mal!". Die weniger reichweitenstarken Kanäle "Realität Islam" und "Generation Islam" präsentieren dagegen in Frontalvorträgen zumeist Statements zu politischen und gesellschaftlichen Themen, wobei die Akteure von "Generation Islam" seit dem 7. Oktober 2023 auch auf zahlreichen Demonstrationen auftreten.
Die dritte Gruppe setzt sich aus individuell auftretenden Speaker*innen und Influencer*innen zusammen, die keiner der zuvor genannten Gruppierungen klar zugeordnet werden können. Ihr breit gefächertes Themenrepertoire ist sehr individuell geprägt, in ihren Inhalten sind jedoch immer wieder Versatzstücke unterschiedlicher ideologischer Richtungen zu erkennen. Insbesondere auf Tiktok ist die Reichweite einiger dieser Akteure deutlich höher als die der zuvor genannten Gruppen. Eine Besonderheit von Tiktok ist, dass dort zahlreiche junge Akteure im Alter zwischen 12 und 14 Jahren mit einem autoritären und belehrenden Sendungsbewusstsein auftreten, deren ideologische Agenda kaum klar identifizierbar ist. Hinter einigen der reichweitenstärksten Jung-Influencer*innen scheinen profitorientierte Akteure zu stehen – jedenfalls ist auffällig, dass sie sich in Konfliktfällen offenbar problemlos eine rechtsanwaltliche Vertretung leisten können.
Für alle drei genannten Gruppen gilt, dass nahezu ausschließlich männliche Akteure sichtbar und tonangebend sind; sie besitzen auch die Accounts mit den höchsten Reichweiten. Tiktok mit seinem vielfältigeren Feld an popkulturellen Influencer*innen, die Versatzstücke islamistischer und salafistischer Narrative transportieren, bildet hier eine Ausnahme. Über die Bedeutung weiblicher islamistischer Akteure auf Social Media wissen wir noch relativ wenig.
Erfolgsrezepte
Die Online-Erfolge dieser Akteure resultieren zum Teil aus banalen Regeln, wie man sie in jedem Handbuch für erfolgreiches Auftreten auf Social Media und entsprechender Literatur zu Propaganda und Populismus nachlesen kann. Ältere salafistische Akteure sind bereits frühzeitig auf Plattformen wie Youtube oder Instagram mit persönlichen Accounts aktiv gewesen, man könnte sie als salafistisches oder islamistisches Establishment bezeichnen. Zudem waren einige von ihnen Teil von Prediger-Netzwerken, etwa auf dem Kanal der 2024 verbotenen "Deutschsprachigen muslimischen Gemeinschaft e.V. (DMG e.V.)". Diese Strukturen helfen auch jüngeren Nachwuchsakteuren bei ihren "Karrieren". So erreichen die Nachwuchsstars der Szene, Abdelhamid und Ibrahim al-Azzazi, bislang beispiellose Aufrufzahlen. Neueinsteiger scheinen zudem ihre Communitys zunächst auf den derzeit populären Plattformen wie Tiktok aufzubauen.
Zu den grundlegenden Strategien dieses islamistischen Online-Milieus gehört auch der sukzessive Ausbau des Social-Media-Angebots auf weiteren relevanten Plattformen; man wandert gewissermaßen mit der primär jugendlichen Zielgruppe mit. So sind mittlerweile nahezu alle wichtigen Akteure auf Tiktok aktiv – und das, obwohl diese chinesische Plattform zunächst wegen der Verfolgung der Uiguren in China von vielen Muslim*innen abgelehnt wurde. Ein weites und noch wenig erforschtes Feld für den deutschsprachigen Raum sind zudem Aktivitäten auf Gaming-Servern und -Foren sowie auf kleineren, weniger bekannten Plattformen ("Fringe-Plattformen").
Formate, die persönliche Nähe vermitteln, sind ein weiteres Erfolgsrezept islamistischer Akteure. Dazu zählen Webtalks oder persönliche Chat-Runden, in denen vor allem Themen behandelt werden, die Jugendliche aus der Zielgruppe bewegen. In den vergangenen beiden Jahren ist dabei der Trend erkennbar, bekannte Influencer aus dem popkulturellen Milieu einzuladen, um die Reichweite dieser Videos zu steigern. Wiederkehrende Themen sind der persönliche Weg zum Glauben, Rassismus und Diskriminierung, die Abgrenzung zu anderen Glaubensrichtungen und Weltanschauungen sowie persönliche Probleme in Freundschaft oder Ehe. Je nach Akteur spielen auch gesellschaftliche und politische Ereignisse eine mehr oder weniger starke Rolle.
Ein wichtiger Faktor für die Reichweite ist die Streuung von Content über möglichst viele unterschiedliche Accounts. Das kann durch die Eröffnung von eigenen Zweit- oder Drittaccounts geschehen oder durch Fans, die Posts duplizieren und spiegeln oder Mitschnitte leicht abgewandelt auf ihren eigenen Accounts hochladen. Zusammen mit älteren Inhalten entsteht so ein beständig expandierendes Archiv aus einem kaum überschaubaren Schwarm von Accounts (swarmcast).
Themen, Narrative und Kommunikationsstrategien
Die Akteure der genannten drei Gruppen haben mittlerweile Erfahrungen damit gesammelt, welche inhaltlichen Spielräume die Moderationsteams und die Communityregeln der jeweiligen Plattformbetreiber zulassen. Da die Online-Präsenz zumeist ihre wichtigste Basis ist, um eine weitreichende Wirkung zu erzielen und den Kontakt zur eigenen Community zu pflegen, versuchen sie, Sperrungen möglichst zu vermeiden. Ihre Inhalte sind daher gezielt so ausgerichtet, dass sie selten die Grenzen der Meinungs- und Religionsfreiheit überschreiten oder in Konflikt mit Regeln des Jugendschutzes geraten.
Im Falle einer zeitweisen Sperrung und Revitalisierung des Kanals kommt es mitunter vor, dass die Akteure die Situation für sich zu instrumentalisieren versuchen, indem sie sich als Opfer von Zensur und Diskriminierung darstellen. Häufig steigerten sie nach der Revitalisierung ihrer Kanäle sogar deutlich ihre Reichweiten. In diesem Prozess überlassen die Moderationsteams aller Plattformbetreiber den betroffenen Akteur*innen fahrlässig häufig die Deutungshoheit. Dringend notwendig wäre es, an die Sperrung von Accounts oder das Löschen von Videos eine verpflichtende offensive Kommunikation mit der Community zu koppeln, in der den betroffenen User*innen die Gründe für den Eingriff transparent und nachhaltig vermittelt werden. Das bisherige Verfahren der Social-Media-Konzerne führt hingegen zu ungewollten Nebeneffekten, da es die verbreiteten Narrative von einer angeblich generellen Unterdrückung des Islam und von Zensur eher noch verstärkt.
Nahezu alle Akteure wenden bekannte Mittel der Propaganda und des Populismus an, wie sie auch im rechtspopulistischen und rechtsradikalen Spektrum reichlich nachweisbar sind.
Auch eine scharfe, abwertende Auseinandersetzung mit dem Christentum und schiitischen oder mystischen Strömungen des Islams gehört zum demagogischen Repertoire. In Konfrontation mit den auf Social Media ebenfalls besonders aktiven fundamentalistisch orientierten christlichen Akteuren entstehen dabei mitunter heftige Eskalationsspiralen, in denen die Beteiligten der jeweils anderen Seite den Glauben absprechen. In der Regel entstehen hier keine Situationen, in denen offen aufeinander zugegangen oder voneinander gelernt wird; die jeweils andere Sicht erst einmal zu verstehen und die eigenen Überzeugungen selbstkritisch zu überprüfen, ist nicht Teil dieses Aufeinandertreffens. Stattdessen scheinen die primären Motive zu sein, Recht zu behalten und die eigenen Überzeugungen bestätigt zu sehen.
Themen und Stil dieser Narrative sind in der Regel so konstruiert, dass sie stark dramatisieren und emotionalisieren. Skandalisierung, Empörung, Krisen- oder Untergangsszenarien dominieren das Angebot. Die Akteure wollen warnen, ermahnen, aufklären oder entlarven. Es geht immer ums Ganze. Bei religiösen Thematiken ist zudem eine Theologie der Angst prägend. Aussichten auf Trost und Hoffnung sind verknüpft mit der Androhung von schweren Strafen bis hin zur ewigen Verdammnis. Damit verbunden sind jährlich wiederkehrende Serien mit Krisenszenarien und Hinweisen auf die apokalyptische Endzeit ("Zeichen der Zeit"). In diesem dualistischen Weltbild steht der Westen für das "absolut Böse", häufig sind diese Videos auch mit antisemitischen Motiven durchsetzt.
Differenziertere Darstellungen finden sich nur selten, zumeist wird stark pauschalisiert. Die Komplexität mancher zu Recht kritisierten gesellschaftlichen Missstände und Probleme, wie beispielsweise Rassismus oder Diskriminierung, bleibt so außen vor. Bemühungen staatlicher Institutionen und zivilgesellschaftlicher Organisationen werden in diesen Narrativen meist völlig ausgeblendet oder sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Besonders deutlich wird diese Reduktion komplexer Zusammenhänge auf simple, pauschale Erklärungen in den vermittelten Geschichtsentwürfen: In der salafistischen Gruppe etwa findet man zumeist Vorstellungen, die auf Varianten einer islamischen Heilsgeschichte basieren. Betont werden eine glorreiche Zeit der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Überlegenheit in einer heroisch verklärten islamischen Frühzeit und aktuelle Krisen- und Untergangszenarien, die in naher Zukunft angeblich zur Apokalypse führen werden. In der islamistischen Gruppe findet man ebenfalls die Glorifizierung einer heroischen Frühzeit, jedoch mit besonderer Betonung des Kalifats als Wahrer der islamischen Identität und Überlegenheit. Historische Entwicklungen und aktuelle Ereignisse wie der Nahostkonflikt werden hier auf eine Auseinandersetzung zwischen einer vormals kolonialisierten und weiterhin unterdrückten Welt mit neoimperialistischen Mächten und deren Vasallen reduziert, gegen die sich Muslim*innen weltweit verteidigen müssten. Als Vasallen und Verräter gelten in diesem Narrativ die amtierenden Herrscher islamischer Staaten.
Handlungsempfehlungen
Das erschlossene Feld der Peripherie des religiös begründeten Extremismus erfasst Inhalte und Akteure, die zumeist Gewalt ablehnen, jedoch Schnittmengen mit dschihadistischen Akteuren aufweisen. Ihre Botschaften sind hoch emotionalisierend und polarisierend und können Radikalisierung erzeugen oder zumindest verstärken. Nahezu alle Personen, die in den vergangenen Jahren aus Deutschland ausgereist sind, um sich dschihadistischen Gruppen anzuschließen, stammten aus dem Umfeld der im Monitoring erfassten Akteure. Der dazugehörige Content gehört zu den reichweitenstärksten Informationen zum Thema Islam, die man im deutschsprachigen Raum auf Social Media unmittelbar angeboten bekommt. Will man präventiv tätig werden, scheint nur ein interdisziplinärer und koordinierter Ansatz, der unterschiedliche Institutionen und Unternehmen integriert, ein erfolgversprechender Ansatz zu sein.
Nachweislich fördern die Algorithmen der populären Plattformgiganten Google (Youtube), Meta (Instagram, Facebook, Whatsapp) und Bytedance (Tiktok) stark emotionalisierende und polarisierende Inhalte. Auch islamistischer Content ist auf diese Social-Media-Bedingungen zugeschnitten, die PrE erscheint dabei als eine extrem zugespitzte Form einer "Aufregungsökonomie".
Erste gesetzliche Regelungen sind auf Bundes- und EU-Ebene mit dem Digital Service Act (DSA) und der Verordnung über terroristische Online-Inhalte (TCO-VO) beschlossen worden.
Eine Option wäre beispielsweise eine freiwillige Selbstverpflichtung von Influencer*innen auf einen allgemeinen ethischen Codex.
Schulungen zu den Folgen von Desinformation, mangelhafter Recherche oder polarisierenden Wirkungen von populistischen Botschaften könnten zu einer kritischeren und differenzierteren Selbstkontrolle von Communitys im Netz führen. Allerdings stehen auch hier die Betreiber von digitalen Angeboten in der Verantwortung, denn es zeigt sich seit Jahren, dass schon die selbst aufgestellten Community-Regeln nur unzureichend zum Schutz der eigenen User*innen umgesetzt werden. Die Wellen von antisemitischem Hass, denen jüdische User*innen seit Jahren ausgesetzt sind, sind hier nur ein Beispiel.
Insbesondere das Bildungssystem steht angesichts der sich weiterhin schnell wandelnden digitalen Angebote vor großen Herausforderungen. Gefragt sind Medienkompetenz und die Fähigkeit, eine konstruktive Diskussionskultur aufrechtzuerhalten.