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Gebraucht, aber gehasst | Infrastruktur | bpb.de

Infrastruktur Editorial Warum es der Politik schwerfällt, für gute Infrastruktur zu sorgen Hohe Nachhol- und Zusatzbedarfe. Von Investitionslücken, regionalen Unterschieden und statistischen Tücken Nie geradlinig. Infrastrukturgeschichte vom 19. bis zum 21. Jahrhundert Innovation und Investition statt Lockerung der Schuldenbremse Von Schuldenregeln und Schuldenbremsen. Wie Deutschland seine Zukunft aufs Spiel setzt Gebraucht, aber gehasst. Infrastrukturen der industriellen Transformation "Wir sind nur Menschen zweiter Klasse". Vom Abbau der Daseinsvorsorge und Aufstieg des Rechtspopulismus

Gebraucht, aber gehasst Infrastrukturen der industriellen Transformation

Matthias Diermeier Armin Mertens

/ 13 Minuten zu lesen

Für eine erfolgreiche industrielle Dekarbonisierung sind enorme infrastrukturelle Veränderungen notwendig. Wie groß ist der Widerstand der Bevölkerung – vor allem dann, wenn die Dekarbonisierungsmaßnahmen in der unmittelbaren Nachbarschaft stattfinden sollen?

„Das Antlitz des Landes wird sich verändern“. Mit dieser Ankündigung war Wirtschaftsminister Robert Habeck 2021 in sein Amt gestartet. Der Blick auf die industrielle Transformation zeigt heute: Die noch notwendigen Veränderungen übertreffen bei Weitem die bereits bewältigten Umbrüche. Darüber hinaus steht Deutschland vor einem Strukturwandel mit Frist: Bis 2045, so wurde es im Bundes-Klimaschutzgesetz bindend festgeschrieben, sollen Wirtschaft und Gesellschaft hierzulande netto keine Treibhausgas-Emissionen mehr ausstoßen.

2023 entfielen über die Hälfte der gesamtdeutschen CO2-Emissionen auf die Industrie (23 Prozent) und die Energiewirtschaft (30,5 Prozent). Die Dekarbonisierung dieser beiden Sektoren – bei gleichzeitiger Vermeidung einer Deindustrialisierung – ist eine der zentralen Herausforderungen der Klimapolitik. An den Industriestandorten müssen Produktionsprozesse auf bislang kaum etablierte Technologien umgestellt werden. Für die Stahlproduktion bedeutet dies das Ende des CO2-intensiven Hochofens mit Koks und die Umstellung auf die Direktreduktion von Eisenerz mit Erdgas und langfristig mit Wasserstoff. In der Grundstoffchemie steht die Elektrifizierung der Prozesswärmeerzeugung in sogenannten Steamcrackern auf der Agenda. Und in der Glasindustrie muss Erdgas durch Strom und grüne Gase ersetzt werden. Nicht zuletzt werden wasserstoffbetriebene Gaskraftwerke als flexible Back-up-Kapazität im klimaneutralen Energiesystem der Zukunft gebraucht.

Damit die Umstellung auf Strom und Wasserstoff den Ausstoß von Treibhausgasen hinreichend reduziert, müssen diese vollständig aus erneuerbaren Energien produziert werden. Auch aufgrund der wachsenden Nachfrage sind ab 2025 bis zum Jahr 2030 jährlich weitere Windanlagen mit 10 Gigawatt Leistung die Zielmarke. Betrug die Leistung aller installierten Solaranlagen im Oktober 2024 knapp 95 Gigawatt, sollen bis 2030 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 215 Gigawatt auf Freiflächen und Dächern installiert sein. Diese Ziele verdeutlichen die Ambition des Ausbaus mit dem Zwischenziel einer Deckung von mindestens 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien bis 2030.

Damit Industrieunternehmen schrittweise auf Wasserstoff umsteigen können, braucht es zudem einen stringenten Ausbau der entsprechenden Leitungsinfrastruktur. Das zu diesem Zweck von der Bundesregierung geplante sogenannte Wasserstoffkernnetz umfasst mehr als 9.000 Kilometer an Leitungen. Nicht berücksichtigt sind dabei die notwendigen Anschlüsse vom Kernnetz an die jeweiligen Fabriken. Knapp die Hälfte der Kernnetz-Leitungen sollen nach derzeitigem Stand neu gebaut werden, ein etwas größerer Teil entfällt auf umgestellte Erdgasleitungen. Als Fertigstellungstermin des neuen Netzes wird das Jahr 2032 avisiert.

Einen hohen Ausbaubedarf gibt es auch bei Stromnetzen, die den steigenden Anteil der Erneuerbaren bewältigen müssen. Die in den kommenden zwei Jahrzehnten geplanten 18.000 Kilometer an Übertragungsnetzen sollen insbesondere aus erneuerbaren Energien produzierten Strom aus Nord- und Ostdeutschland in die süd- und westdeutschen Industrieregionen transportieren. Auch die Verteilnetze werden in den kommenden Jahren ausgebaut und modernisiert werden müssen, um den wachsenden Anforderungen einer steigenden Anzahl von Solaranlagen, E-Autos und Wärmepumpen gerecht zu werden.

Mit dem Ausbau der Erneuerbaren sowie der Wasserstoffnutzung könnte ein Großteil der industriellen Treibhausgasemissionen vermieden werden. Langfristig kaum vermeidbar sind jedoch die CO2-Emissionen zum Beispiel in der Zementindustrie, wo CO2 zu etwa zwei Dritteln prozessbedingt entsteht – vor allem bei der sogenannten Kalzinierung des Kalksteins. Soll die Zementproduktion aber weiterhin in Deutschland stattfinden, muss das anfallende CO2 abgespalten und abgeleitet werden. Auch für dieses Unterfangen bedarf es einer Leitungsinfrastruktur. Der Entwurf einer Carbon-Management-Strategie der Bundesregierung sieht derzeit 4500 Kilometer solcher Leitungen vor, um CO2 bestimmten Speichern oder einer neuen Verwendung zuzuführen.

Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, inwieweit dieser massive Ausbau der industriellen Transformationsinfrastruktur auf Widerstand in der Bevölkerung stoßen könnte. Ein besonderes Augenmerk wird darauf gerichtet, inwiefern Menschen die Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Industrie grundsätzlich befürworten, in ihrem unmittelbaren Umfeld aber ablehnen.

Akzeptanzrisiken

Grundsätzlich lässt sich im politischen und gesellschaftlichen Ringen um die Klimapolitik feststellen, dass sich die Fronten in jüngster Zeit verhärtet haben. Zur Gruppe, die Maßnahmen zum Schutz des Klimas ablehnt, zählen diejenigen, die den anthropogenen Klimawandel leugnen (climate denialism), aber auch diejenigen, die Maßnahmen vorsätzlich blockieren oder verzögern (climate obstructionism). In Deutschland ließ sich anhand des Gebäudeenergiegesetzes („Heizungsgesetz“) beobachten, dass selbst die eigentlich technische Frage um den Einbau von Wärmepumpen als Kulturkampf ausgetragen werden kann, der mitunter verschiedene „Triggerpunkte“ berührt.

Akzeptanzfragen rund um die industrielle Dekarbonisierung finden im Vergleich eine deutlich geringere öffentliche Beachtung. Dabei sind massive Umbauten der derzeitigen Fabrikanlagen Grundbedingungen für das Herunterfahren von Treibhausgasemissionen. Hochöfen weichen den Direktinduktionsanlagen, Steamcracker werden elektrifiziert, und vielerorts muss die Umstellung auf Wasserstoff als Energieträger sowie das Abscheiden und Ableiten von prozessbedingt angefallenem CO2 erfolgen. Für das Wohnumfeld bedeutet das auf der einen Seite stärkere Infrastruktur- und Lärmbelastungen während der Umbauarbeiten. Auf der anderen Seite können Vorbehalte gegenüber neuen, bislang weithin unbekannten technologischen Anwendungsfeldern bestehen. Beispielsweise können Sicherheitsbedenken beim Transport von potenziell explosiven oder gefährlichen Gasen auftreten. Davon betroffen sind vor allem die Industrieregionen. Dies gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen, wo Siedlungsstrukturen häufig um industrielle Kerne herum gewachsen sind.

Mit der Anerkennung der Notwendigkeit, dem wahrgenommenen persönlichen Nutzen, der erlebten Selbstwirksamkeit und der emotionalen Identifikation wurden in der Literatur vier Faktoren identifiziert, die konkret auf die Akzeptanz von Infrastrukturen wirken. Unterschieden werden zudem die generelle soziopolitische Akzeptanz und die lokale Akzeptanz. Wohingegen sich erstere auf die allgemeinen Ziele der Klimapolitik oder eines Infrastrukturausbaus bezieht, betrifft letztere die Verfahren und Prozesse vor Ort sowie die Abwägung einer unmittelbaren Betroffenheit. Die beiden Akzeptanzebenen fallen dann auseinander, wenn eine hohe Anerkennung der Notwendigkeit des Windenergieausbaus nicht mit der Billigung einhergeht, dass Windkraftanlagen im eigenen Wohnumfeld entstehen. So geartete Präferenzen werden unter dem Label „not in my backyard“ (NIMBY) kritisch diskutiert. Die Akzeptanz kann durch Partizipation und Selbstwirksamkeitserfahrungen gestärkt oder durch eine emotionale Aufladung beispielsweise der Veränderung des Landschaftsbildes geschwächt werden.

Im Falle der hier betrachteten Infrastrukturen treten Konflikte auch deshalb auf, weil es sich bei den betroffenen Regionen nicht nur um Industrieanrainer handelt, bei denen der Nutzen beispielsweise für die lokale Wertschöpfung als akzeptanzfördernd angenommen wird. Der Ausbau erneuerbarer Energien in Nord- und Ostdeutschland betrifft besonders Regionen, die selbst über eine weniger starke industrielle Basis verfügen. Vor allem aber im ländlichen Ostdeutschland wird der Ausbau von Windkraftanlagen kritisch gesehen. Das ist auch deshalb von großer Bedeutung, da die Energiewende ohne eine intensive Beteiligung der dünner besiedelten Regionen, in denen schon heute mehr als ein Drittel aller Windräder stehen, nicht gelingen kann. Politische Akteure an den Rändern des Parteiensystems haben es sich zur Strategie gemacht, den Widerstand gegen Klimapolitik und insbesondere gegen Windkraftanlagen emotional zu aktivieren und so Sand ins Getriebe der klimapolitischen Anstrengungen zu streuen: Hinsichtlich des Ausbaus der Windenergie rief beispielsweise die AfD-Co-Chefin Alice Weidel auf ihrem Nominierungsparteitag zur Kanzlerkandidatin bei der Bundestagswahl 2025 in die Mikrofone: „Wir reißen alle Windräder nieder! Nieder mit diesen Windmühlen der Schande“. Die kritische Stimmung in Teilen der Bevölkerung hat aber inzwischen auch die politische Rhetorik der Mitte erreicht. Nicht zuletzt der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz stellte in Aussicht, man könne Windräder irgendwann wieder abbauen, da diese „hässlich“ seien und nicht in die Landschaft passten.

Ähnliche Vorbehalte wird es auch für den notwendigen Ausbau der Leitungsinfrastruktur geben. Sicherheitsbedenken sowie die Veränderung des Landschaftsbildes könnten dabei die Akzeptanz gefährden. Um sogenannte Monstertrassen bei den Übertragungsnetzen zu vermeiden, hatte man sich deshalb politisch auf einen teuren Erdkabelvorrang geeinigt. In Nordrhein-Westfalen kam es trotzdem zu Widerstand – von Landwirten, die eine Minderung ihrer Bodenqualität aufgrund erdverkabelter Trassen befürchteten.

Soziopolitische Akzeptanz

Um die zentralen infrastrukturellen Akzeptanzfragen, die sich aus der industriellen Transformation ergeben, empirisch zu beleuchten, wird auf eine Personenbefragung zurückgegriffen, die das Institut der deutschen Wirtschaft im Rahmen des vom Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie NRW geförderten Projektes SCI4climate.NRW beauftragt hat.

Ein erster Blick auf die soziopolitische Akzeptanz der industriellen Transformation zeigt einen mehrheitlichen Rückhalt in der deutschen Bevölkerung. 51 Prozent der Deutschen stimmen dem Umbau der Industrie zur CO2-Neutralität grundsätzlich zu, und nur 12 Prozent lehnen ihn ab (Abbildung 1). Damit ordnet sich die Zustimmung zur Dekarbonisierung der Industrie in die große abstrakte Befürwortung von klimapolitischen Maßnahmen oder „der Energiewende“ ein. Wie bei der allgemeinen Politikpräferenz für die Erreichung der deutschen Klimaziele bestehen hingegen signifikante Unterschiede hinsichtlich der einzelnen Maßnahmen.

Bezüglich der notwendigen infrastrukturellen Veränderungen fällt die soziopolitische Akzeptanz mit Blick auf Solarparks besonders hoch aus (66 Prozent Zustimmung; 11 Prozent Ablehnung). Ein ambivalentes Verhältnis lässt sich hinsichtlich der Stromtrassen feststellen: So finden oberirdisch verlegte Übertragungsnetze im Vergleich zu allen anderen relevanten Infrastrukturen die wenigsten Befürworter (30 Prozent Zustimmung; 29 Prozent Ablehnung), unterirdisch verlegte Stromnetze haben deutlich geringere Akzeptanzprobleme (58 Prozent Zustimmung; 10 Prozent Ablehnung). Die unterschiedlichen Zustimmungswerte für ober- beziehungsweise unterirdische Trassen lassen erahnen, warum um die Aufweichung des Erdkabelvorrangs politisch so emotional gerungen wird.

Die soziopolitische Akzeptanz beziehungsweise die Ablehnung der Umstellung auf bislang kaum etablierte Technologien fällt weniger eindeutig aus. Zum einen bestätigt sich, dass die Akzeptanz für die Nutzung und Transportinfrastruktur von Wasserstoff höher ist (rund 51 Prozent Zustimmung) als für CO2-bezogene Transformationsvorhaben (rund 43 Prozent Zustimmung). Zum anderen werden die Umrüstungen in den Fabriken, die zur Nutzung von Wasserstoff sowie zum Abscheiden von CO2 notwendig sind, ähnlich bewertet wie der Ausbau der jeweiligen Leitungsinfrastrukturen. Markant ist, dass die Gegnerschaft des (unterirdischen) Leitungsinfrastrukturausbaus mit 16 Prozent (Wasserstoff) beziehungsweise 18 Prozent (CO2) zwar in der Minderheit bleibt, aber deutlich größer ausfällt als bei erdverkabelten Stromtrassen.

Die Akzeptanz scheint sich also weniger am unterirdischen Trassenbau an sich zu orientieren, sondern an der Technologie. Als Erklärung für die stärkere Ablehnung kaum sichtbarer, unterirdischer Leitungsinfrastrukturen liegt es nahe, den Blick auf empfundene Sicherheitsrisiken zu richten. Tatsächlich gibt rund jede vierte befragte Person an, sowohl hinsichtlich der Nutzung von Wasserstoff als auch beim Abspalten und Ableiten von CO2 ein Sicherheitsrisiko zu sehen. Die Überlappung mit denjenigen, die einen Leitungsausbau nicht befürworten, ist groß.

Die empfundene Unsicherheit hinsichtlich der Gefahr, die von diesen Technologien ausgehen könnte, wird wiederum von einzelnen politischen Akteuren aufgegriffen. Symptomatisch dafür war etwa die Bezeichnung von Wasserstoff als „tickende Zeitbombe“ durch den AfD-Abgeordneten Marc Bernhard. Er sprach insbesondere Sicherheitsrisiken in Wohngebieten an, in denen Wasserstoff gespeichert werden solle, und verwies auf die Explosion des Zeppelins „Hindenburg“ im Jahr 1937. Solche Versuche können auch deshalb erfolgversprechend sein, weil eine erkennbar große Gruppe sich noch keine Bewertung der neuen Technologien zutraut und daher für entsprechende Argumente und Narrative leichter zugänglich ist.

Betrachtet man darüber hinaus die ökonomischen Risikoeinschätzungen im Kontext der industriellen Transformation, fällt auf, dass die individuellen Konsequenzen die Menschen in besonderem Maße umtreiben: Mehr als die Hälfte der Befragten sieht in den Implikationen der industriellen Transformation auf die Energiepreise ein Risiko; 43 Prozent sehen etwaige Auswirkungen auf die eigenen Finanzen kritisch. Interessanterweise ist die Risikoeinschätzung für den Industriestandort, die Anzahl an Arbeitsplätzen oder das Landschaftsbild teils deutlich geringer. Die hohe individuelle finanzielle Risikoeinschätzung steht in einem Spannungsfeld zu den monetären Belastungen durch die explizit gewünschte Erdverkabelung von Stromtrassen, die sich in höheren Strompreisen niederschlagen. Kurz: Die mangelnde Akzeptanz von Freileitungen führt zu steigenden Energiepreisen.

Lokale Akzeptanz

Die Sorge vor individueller Betroffenheit durch die industrielle Transformation ist größer als die vor möglichen gesamtwirtschaftlichen Effekten. Dies führt zur Frage, inwiefern die teilweise hohen soziopolitischen Akzeptanzwerte auch dann noch Bestand haben, wenn entsprechende Vorhaben im unmittelbaren Wohnumfeld umgesetzt werden. Abbildung 2 beleuchtet die lokale Akzeptanz anhand der Abstandsangaben, die zum jeweiligen Wohnort eingehalten werden müssten, damit eine Infrastruktur als akzeptabel angesehen wird.

Die steigenden kumulierten Akzeptanzraten zeigen, dass alle abgefragten Infrastrukturen mit zunehmender Distanz zum eigenen Wohnort besser angenommen werden. Unmittelbar vor der Haustüre sind die Infrastrukturvorhaben allesamt unbeliebt. In einem Abstand von fünf Kilometern ist eine breite Mehrheit hingegen bereit, auch die soziopolitisch unpopulären Industrie- und Windkraftanlagen zu akzeptieren. Mehrheitliche Akzeptanz besteht bei unterirdischen Leitungen und Solarparks in einem Abstand von ein bis zwei Kilometern zum Wohnort; bei oberirdischen Stromtrassen und Windkraftanlagen liegt der mehrheitlich gewünschte Abstand bei mindestens zwei bis drei Kilometern, bei den Industrieanlagen bei drei bis vier Kilometern. Den Anteil derjenigen, die Veränderungen selbst im Abstand von fünf Kilometern nicht akzeptieren würden, bildet die bis zu 15 Prozentpunkte große Restgröße. In der Gesamtschau zeigt sich damit ein ausgeprägter technologieunabhängiger NIMBY-Effekt. Im Umkreis von 500 Metern fällt die Zustimmung signifikant geringer aus als die soziopolitische Akzeptanz (Abbildung 1). Unmittelbar am eigenen Wohnort findet es gerade einmal jede vierte Person akzeptabel, dass auch nur unterirdische Stromtrassen verlegt werden. Schon bei ebenfalls unterirdischen CO2- oder Wasserstoffleitungen schrumpft die Gruppe der Befürworter auf weniger als jede fünfte Person.

Bemerkenswert ist, dass die soziopolitische Akzeptanz von Windkraftanlagen mit über 50 Prozent höher ist als die von Wasserstoff- oder CO2-bezogenen Infrastrukturen oder Freileitungen, dass aber Windräder in der unmittelbaren Umgebung in diesem Vergleich die geringste Zustimmung erhalten. Eine größere Gruppe ist demnach eher von der grundsätzlichen Notwendigkeit des Ausbaus von Windkraftanlagen als von Leitungsinfrastrukturen überzeugt, würde aber in ihrem Wohnumfeld eher eine Leitung als ein Windrad akzeptieren. Auch dieser Befund kann mit dem NIMBY-Effekt erklärt werden. Ähnliches gilt für die hohe soziopolitische Akzeptanz des Umbaus von Fabriken für die Nutzung von Wasserstoff oder das Abscheiden und Ableiten von CO2. Die Akzeptanz fällt gerade im Vergleich mit den Leitungsinfrastrukturen empfindlich niedriger aus, wenn Umbauten in der eigenen Wohnumgebung umgesetzt werden sollen. Auch die mehrheitliche Akzeptanz von Industrieanlagen mit einem Mindestabstand von nur tausend Metern, in denen Strom zu Gas umgewandelt wird, haben vergangene Forschungsarbeiten als deutlich weniger kritisch identifiziert.

Die Fundamentalopposition gegen Projekte der industriellen Transformation hat eine politische Komponente: Bislang haben sich besonders die politischen Randparteien stark gegen einen infrastrukturellen Ausbau positioniert. Abbildung 3 zeigt, dass solche Positionen vor allem bei der AfD-Anhängerschaft – und mit einigem Abstand auch bei der BSW-Anhängerschaft – mit Blick auf das eigene Wohnumfeld zu finden sind. Ein Drittel der AfD-Anhänger hält die Errichtung von Windkraftanlagen auch in einer Entfernung von mehr als fünf Kilometern vom eigenen Wohnort für inakzeptabel; jeder Vierte geht in die Fundamentalopposition, wenn eine Fabrik im gleichen Radius auf das Abspalten und Abtransportieren von CO2 umgerüstet wird. Und auch bei den weiteren Infrastrukturvorhaben der industriellen Transformation zeichnet sich eine relevante Gruppe in AfD und BSW durch das völlige Fehlen lokaler Akzeptanz aus.

Im Gegensatz dazu ist bei den anderen Parteien die Totalverweigerung der industriellen Infrastrukturen im weiteren Abstand zum Wohnumfeld selten. Unter den Sympathisanten von FDP und Union lässt sich bei den meisten Infrastrukturkategorien nur knapp jeder Zwanzigste der Fundamentalopposition zuordnen. Bei den Anhängern der Grünen sind solche Einstellungsmuster kaum zu finden.

Fazit

Auch im Kontext der industriellen Transformation bleibt der Ausbau von Windkraftanlagen eine der lokal am stärksten umkämpften Konfliktlinien, bei der eine hohe Mobilisierung zu erwarten ist. Aktuell wird vor Ort versucht, die Akzeptanz über intensive Beteiligungsformate zu erhöhen. Verhandelt wird insbesondere die Möglichkeit für ansässige Haushalte, Anteile zu erwerben oder von vergünstigten Stromtarifen und pauschalen Zahlungen zu profitieren. Viele Bundesländer wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen verfügen mittlerweile entsprechende Bürgerbeteiligungsgesetze.

Nach aktuellem Kenntnisstand ist der Aus- beziehungsweise Aufbau der (unterirdischen) Strom-, Wasserstoff- und CO2-Netzinfrastruktur weniger kontrovers und wird im Abstand von wenigen Kilometern vom Wohnort mehrheitlich akzeptiert. Unmittelbar vor der Haustür möchten solche Infrastrukturen jedoch die wenigsten Menschen verlegt bekommen, sodass auch hier Konflikte vorprogrammiert sind – insbesondere hinsichtlich der teilweise wahrgenommenen und besonders virulenten Sicherheitsfragen rund um den Transport von Wasserstoff und CO2. Bei ihrem Werben für lokale Akzeptanz halten die Netzbetreiber zudem die finanziellen Verhandlungsinstrumente nicht in der Hand. Finanzielle Beteiligungen von betroffenen Kommunen sind bisher nicht geplant. Hinzu kommt die höhere Bedeutung lokaler Fundamentalopposition. Schaffen es Akteure und Initiativen vor Ort, den Bau einer Leitung an einem bestimmten Standort zu verzögern oder gar zu verhindern, hat dies viel weitreichendere Effekte als bei einzelnen Windkraftprojekten. Schließlich kann eine Leitung erst dann in Betrieb genommen werden, wenn sie vollständig fertiggestellt ist.

Eine besondere Bedeutung kommt dem Aufklären der (lokalen) Öffentlichkeit über die hohen Sicherheitsstandards zu. Eine wichtige Rolle wird dabei die intensive Einbindung der Zivilgesellschaft spielen – auch um den bereits sichtbar erfolgreichen Polarisierungsversuchen der politischen Ränder entgegenzuwirken. Klar muss aber auch sein: Das abstrakte Werben für das Gelingen der industriellen Transformation wird angesichts der realen Belastungen nicht bei allen Kritikern verfangen. Lokale Konflikte werden aufbrechen und könnten insbesondere von der AfD als selbsternannte Verteidigerin des ländlichen Raums und einer „ideologiefreien“ Klimapolitik vereinnahmt werden. Schlussendlich liegt es dann in der politischen Verantwortung, die Infrastrukturprojekte im zeitlichen Rahmen, aber unter Wahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts umzusetzen, sodass die Klimaziele in Industrie und Energiewirtschaft langfristig realisierbar bleiben.

ist Leiter des Clusters Demokratie, Gesellschaft, Marktwirtschaft am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

ist Leiter des Clusters Big Data Analytics am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.