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Von Schuldenregeln und Schuldenbremsen | Infrastruktur | bpb.de

Infrastruktur Editorial Warum es der Politik schwerfällt, für gute Infrastruktur zu sorgen Hohe Nachhol- und Zusatzbedarfe. Von Investitionslücken, regionalen Unterschieden und statistischen Tücken Nie geradlinig. Infrastrukturgeschichte vom 19. bis zum 21. Jahrhundert Innovation und Investition statt Lockerung der Schuldenbremse Von Schuldenregeln und Schuldenbremsen. Wie Deutschland seine Zukunft aufs Spiel setzt Gebraucht, aber gehasst. Infrastrukturen der industriellen Transformation "Wir sind nur Menschen zweiter Klasse". Vom Abbau der Daseinsvorsorge und Aufstieg des Rechtspopulismus

Von Schuldenregeln und Schuldenbremsen Wie Deutschland seine Zukunft aufs Spiel setzt

Maurice Höfgen

/ 11 Minuten zu lesen

Führende Wirtschaftsinstitute bescheinigen Deutschland einen erheblichen Investitionsstau. Dieser gefährdet den Wohlstand unserer alternden Gesellschaft. Für mehr Investitionen müssen die Schuldenregeln reformiert werden – sowohl für den Bund als auch für die Kommunen.

Die Bahn ist unpünktlich, die Brücke gesperrt, die Autobahn nur einspurig befahrbar, ins Schulgebäude tröpfelt der Regen, die Fenster im Klassenraum sind undicht, die Geräte in der Turnhalte defekt, die Schaukel auf dem Spielplatz ist kaputt, das öffentliche Bad geschlossen, das Amtsgebäude veraltet, die Funklöcher lassen Gespräche abreißen, die Stromnetze können die Windkraft nicht transportieren, die Abwasserkanäle sind zu klein, Kitaplätze fehlen ebenso wie bezahlbarer Wohnraum. So begegnet einem der Investitionsstau in Deutschland. Er hat viele Facetten. Und bitter ist: Die Aufzählung hätte noch weiter gehen können.

Der Stau trifft Bund, Länder und Kommunen, Stadt wie Land, West wie Ost, Schüler wie Rentner, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer – kurzum: uns alle. Und er kostet uns Wohlstand. Weil das Land an der Haltestelle, im Stau, in Funklöchern, in alten Gebäuden und mit veralteter Technik Zeit und Energie verschwendet. Dabei haben wir gar nichts zu verschenken. Im Gegenteil. Deutschland steht vor einer nie dagewesenen Herausforderung: In den nächsten zwei Jahrzehnten muss mit einer alternden Gesellschaft die Wirtschaft so transformiert werden, dass die Erderwärmung gebremst und die Produktion nachhaltig wird. Mit weniger Erwerbstätigen müssen Infrastruktur und Wirtschaft von fossil und ineffizient auf erneuerbar und effizient umgestellt – und dabei noch deutlich mehr Rentner finanziert werden. Obendrauf kommen noch die geopolitischen Spannungen durch den Krieg in der Ukraine, die Konflikte im Nahen Osten sowie eine neue politische Konstellation durch die zweite Amtszeit von US-Präsident Donald Trump.

Allein das zeigt, wie wichtig und dringlich es ist, sich mit den Versäumnissen der Vergangenheit im Bereich der öffentlichen Infrastruktur auseinanderzusetzen. Also: mit dem Investitionsstau. Wie groß ist er, woher kommt er, welche Auswirkungen hat er – und wie kann er gelöst werden?

Größenordnung

Über viele wirtschaftliche Fragen wird in Talkshows, in Zeitungen und im Bundestag kontrovers gestritten. Für und gegen Subventionen, für und gegen eine Reform der Schuldenbremse, für und gegen Steuersenkungen und so weiter. Worüber aber fast gar nicht gestritten wird: dass in der Vergangenheit zu wenig in die öffentliche Infrastruktur investiert wurde, dass Deutschland einen Investitionsstau hat. Das ist Konsens – auch abseits aller Statistiken, die das belegen, und aller Zahlen, die die Dimension des Investitionsstaus beschreiben. Das ist eine gute Nachricht. Schließlich geht jeder Problemlösung erst einmal eine Diagnose voraus. Und über diese Diagnose ist sich das Land weitgehend einig.

Das Marktforschungsunternehmen Ipsos führt jährlich Umfragen in verschiedenen Ländern durch, wie die Bevölkerung die Infrastruktur wahrnimmt, und erstellt daraus den sogenannten Global Infrastructure Index. Für Deutschland zeigen die Ergebnisse einen deutlichen Abwärtstrend. Während 2016 noch 54 Prozent der Befragten die Qualität der Infrastruktur als gut oder relativ gut einschätzten, waren es 2019 nur noch 43 Prozent und 2024 nur noch 35 Prozent.

600 Milliarden Euro müsse der deutsche Staat in den nächsten Jahren zusätzlich investieren, um die Infrastruktur zukunftsfähig zu machen. Sprich: 60 Milliarden Euro pro Jahr. Zu diesem Ergebnis kommen das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer gemeinsamen Studie.

„Insgesamt ist die öffentliche Investitionstätigkeit in den letzten zwanzig Jahren im Schnitt zu niedrig ausgefallen“, befindet auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und schätzt, dass in den Haushaltsplanungen der öffentlichen Hand über die kommenden zehn Jahre rund 400 Milliarden Euro für Investitionen und Förderprogramme fehlen.

Noch größer schätzt der Thinktank Dezernat Zukunft die erforderlichen Investitionen in einer Studie ein. Demnach ergebe sich allein für den Zeitraum von 2025 bis 2030 ein zusätzlicher Investitionsbedarf von 782 Milliarden Euro über alle föderalen Ebenen hinweg. Das entspräche pro Jahr durchschnittlich circa drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Die Unterschiede in den drei genannten Studien ergeben sich aus unterschiedlichen Abgrenzungen. Das Dezernat Zukunft hat im Gegensatz zu IMK/IW und BDI noch die Bereiche Digitalisierung, Forschung, Gesundheit, innere Sicherheit und Verteidigung berücksichtigt. Damit erklärt sich auch der größere Investitionsbedarf. Betrachtet man hingegen nur die Schnittmengen der drei Studien, sind die Unterschiede gering. In den Bereichen, die sowohl das Dezernat Zukunft als auch IMK/IW abdecken, kommt das Dezernat Zukunft auf einen Gesamtbedarf von 569 Milliarden Euro und IMK/IW auf 525 Milliarden Euro.

Was alle drei Studien eint: Die größten Investitionen erfordern die Bereiche Verkehr, Bildung und Dekarbonisierung der Wirtschaft. Beim Verkehr benötigt es laut der Institute zwischen 158 und 169 Milliarden Euro, bei der Bildung 101 bis 127 Milliarden Euro und bei der Dekarbonisierung 65 bis 200 Milliarden Euro. Die größten Einzelposten sind die Schulgebäude im Bildungsbereich, die Bahninfrastruktur im Verkehrsbereich und die Gebäudesanierung und der Heizwechsel bei der Dekarbonisierung.

Kein Wertgewinn

Aufschlussreich ist auch ein Blick in die Vergangenheit. Der Investitionsstau von heute kommt von unterlassenen Investitionen von gestern – oder genauer gesagt: den vergangenen drei Jahrzehnten. Seit Mitte der 1990er Jahre schwanken die öffentlichen Nettoinvestitionen um den Nullpunkt, zwischen plus und minus 0,3 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Nettoinvestitionen messen, wie sich der Wert der Infrastruktur verändert. Errechnet werden sie, indem man von den Bruttoinvestitionen die Abschreibungen abzieht, also den kalkulatorischen Wertverfall der Infrastruktur. Seit drei Jahrzehnten hat die öffentliche Infrastruktur also nicht an Wert gewonnen, obwohl die Anforderungen an sie gestiegen sind: mehr Verkehr, mehr Einwohner, mehr Wirtschaftsleistung und so weiter (Abbildung).

Zeitlich korreliert der Beginn der Investitionsschwäche übrigens mit der Einführung der europäischen Schuldenregeln. Diese wurden Ende der 1990er Jahre eingeführt und haben die deutsche Finanzpolitik schon weit vor der Einführung der Schuldenbremse 2009 eingeschränkt.

Betrachtet man das Bild etwas genauer, so zeigt sich, dass vor allem die Nettoinvestitionen in den Kommunen rückläufig waren. Seit Anfang der 2000er Jahre sind sie fast durchgehend negativ. Die kommunale Infrastruktur hat also an Wert verloren. Dazu passt der Befund aus dem Kommunalpanel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW): Der wahrgenommene Investitionsrückstand in den Kommunen ist 2023 um zwölf Prozent angestiegen, auf nun mehr 186 Milliarden Euro. Davon entfallen 55 Milliarden Euro auf Schulen, 48 Milliarden Euro auf Straßen, 19 Milliarden Euro auf Verwaltungsgebäude, 16 Milliarden Euro auf die Feuerwehr und 13 Milliarden Euro auf Kitas.

Ein interessantes Detail aus dem Kommunalpanel der KfW: 73 Prozent der Kommunen geben an, dass die Verwaltungsgebäude einen nennenswerten Rückstand beim energetischen Zustand haben, 69 Prozent bei der Haustechnik (inklusive Photovoltaik und Batteriespeicher), 51 Prozent bei Fenstern und Türen und 38 Prozent bei der IT-Anlage und der Digitaltechnik. Also gerade in den zukunftsrelevanten Bereichen sind die Kommunen selbst bei ihren eigenen Gebäuden im Rückstand: Energie und Digitalisierung. Unter den finanzschwachen Kommunen ist der Anteil derer, die in diesen Bereichen erhebliche Rückstände aufweisen, noch größer.

Der Blick in die Vergangenheit zeigt aber auch: Die öffentlichen Investitionen waren nicht immer schwach. In den 1970er Jahren lagen die Nettoinvestitionen noch bei drei Prozent der Wirtschaftsleistung, zu Beginn der 1980er Jahre immerhin noch bei zwei Prozent. Zum Vergleich: Nettoinvestitionen von drei Prozent der Wirtschaftsleistung bedeuteten auf heute gemünzt, dass der Wert der Infrastruktur um grob 120 Milliarden Euro wächst. Und zwar in nur einem Jahr. Man stelle sich vor, wie die deutsche Infrastruktur aussähe, hätte es in den vergangenen drei Jahrzehnten jedes Jahr solche Wertzuwächse gegeben.

Fatale Auswirkungen

Eine marode Infrastruktur betrifft alle. Sie verschärft Armut und soziale Probleme, wenn bezahlbarer Wohnraum fehlt, der ÖPNV nicht günstig und verlässlich ist, Ämter unterbesetzt sind oder das öffentliche Leben in Jugendzentren und öffentlichen Bädern nicht stattfinden kann. Sie wird zum Risiko, wenn Brücken einstürzen wie in Dresden, Krankenhäuser am Belastungslimit sind wie während der Coronakrise oder Starkwetterereignisse infolge des Klimawandels auf zu kleine Kanäle, versiegelte Flächen und fehlende Dämme treffen. Und sie kostet Wohlstand, wenn Transporter und Arbeitnehmer im Stau stehen, das Kommunikationsnetz nicht den Anforderungen entspricht oder Energie zu teuer ist.

Das IW befragt Unternehmen regelmäßig nach ihren Beeinträchtigungen durch Infrastrukturprobleme. In der jüngsten Befragung aus dem Jahr 2022 klagten 27 Prozent der Unternehmen über deutliche Beeinträchtigungen und 52 Prozent über geringe Beeinträchtigungen. Zum Vergleich: 2013 gaben nur elf Prozent deutliche und 48 Prozent geringe Beeinträchtigungen an. Der Anteil der Unternehmen, die gar keine Beeinträchtigungen angeben, hat sich seit 2013 von 41 auf 21 Prozent halbiert.

Zeit drängt

Der Umstand, dass Deutschland eine alternde Wissensgesellschaft ist, verschlimmert die Diagnose wesentlich. Die deutsche Wirtschaft lebt von klugen Köpfen, nicht von bestimmten Rohstoffen. Und das Land altert rasant. Nach Prognosen des Statistischen Bundesamts wird 2040 ein Viertel der Bevölkerung älter als 67 Jahre sein, heute ist es noch ein Fünftel, 2000 war es noch ungefähr ein Siebtel. Und auch im internationalen Vergleich ist Deutschland eine Altenrepublik. Unter den großen Industrieländern hat nur Japan (49 Jahre) einen größeren Altersmedian als Deutschland (45 Jahre). Das mittlere Alter in Frankreich liegt beispielsweise bei 42 Jahren, das in den USA bei 38 Jahren.

Für den Arbeitsmarkt hat das gravierende Auswirkungen: Bis 2036 werden 19,5 Millionen Babyboomer den Arbeitsmarkt verlassen und in Rente gehen, aber nur 12,5 Millionen neue Arbeitskräfte nachrücken. Dies entspricht einer Lücke von sieben Millionen Erwerbstätigen im Jahr 2036. Das heißt: 2036 müssen weniger Erwerbstätige nicht nur die unterlassenen Investitionen der Vergangenheit nachholen, sondern auch die Jahrhundertaufgabe Klimaschutz bewältigen – und mehr Rentner finanzieren. Das Timing für einen solchen Investitionsstau könnte also nicht schlechter sein.

Um diese Arbeitskräftelücke zu kompensieren, braucht es entweder deutlich mehr Zuwanderung oder Produktivitätszuwächse. Beides wiederum erfordert eine Investitionsoffensive, vor allem in das Bildungssystem.

Eigentlich eine Binsenweisheit: Jeder Euro für die Bildung von Kindern und Jugendlichen ist ein gut investierter Euro. Das lässt sich sogar durchrechnen. Je besser die Bildung, desto produktiver die Volkswirtschaft, desto höher der Wohlstand, die Löhne, die Gewinne – und am Ende auch die Steuereinnahmen. Eine Win-Win-Win-Situation für Bürger, Unternehmen und den Staat, wenn man so will.

Andere Schuldenregel

Nun zur Lösung. Gegen zu wenig Geld hilft natürlich: mehr Geld. Die gute Nachricht: Das kann sich Deutschland leisten. Im internationalen Vergleich ist der Schuldenstand mit knapp über 60 Prozent auffällig niedrig. Alle anderen G7-Staaten liegen über der 100 Prozent Marke. Außerdem sind deutsche Staatsanleihen an den Finanzmärkten eine beliebte, weil sehr sichere Anlage – und die Zinsaufschläge entsprechend niedrig. Besonders fahrlässig erscheint in dem Zusammenhang, dass die Jahre vor der Coronakrise, als die Zinsen für deutsche Anleihen sogar nahe null und teilweise sogar negativ waren, nicht für großangelegte Investitionen genutzt wurden.

Die größten Hemmschuhe für mehr Investitionen sind klamme Kassen in den Kommunen, die europäischen Schuldenregeln und die Schuldenbremse in Bund und Ländern. Was häufig unterschätzt wird: Innerhalb des Staates stemmen die Kommunen mit 41 Prozent den größten Anteil der öffentlichen Investitionen; bei den öffentlichen Bauten allein ist es mit 59 Prozent sogar die Mehrheit.

Einige Kommunen sind überschuldet und müssen zum Teil schon Personalausgaben aus teuren Kassenkrediten stemmen. Besonders betroffen sind jene Kommunen, die mit dem Strukturwandel zu kämpfen haben: etwa in Nordrhein-Westfalen, im Saarland und in Brandenburg. Die Ampel-Regierung hatte sich eine Altschuldenlösung für überforderte Kommunen vorgenommen und in den Koalitionsvertrag geschrieben. Weil aber die Verhandlungen mit den Ländern platzten, die die Hälfte der Altschulden übernehmen sollten, kam es nicht zu einer solchen Reform.

Noch dramatischer ist jedoch das Grundproblem der Kommunen. Einnahmen und Ausgaben passen nämlich nicht zusammen. Die größte Einnahmequelle sind Steuern, am zweitwichtigsten sind Zuweisungen von Bund und Ländern. Zu den wichtigsten Steuern für die Kommunen zählen die Einkommensteuer, die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer. Die Krux: Die Einnahmen sprudeln, wenn die Wirtschaft boomt – und brechen umgekehrt in Krisenzeiten ein. Die Ausgaben wiederum sind entweder unabhängig von der Konjunktur – etwa Ausgaben für Busfahrer, Kitas, Jugendzentren oder die Aufnahme von Geflüchteten – oder sogar antizyklisch, steigen also, wenn die Wirtschaft kriselt. Bestes Beispiel: die Sozialausgaben. Wenn es der Wirtschaft schlecht geht, gibt es mehr Arbeitslose und entsprechend höhere Sozialausgaben. Das Ergebnis: Kriselt die Wirtschaft, fallen die Einnahmen, während die Ausgaben teilweise steigen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Länder den Kommunen in den vergangenen zwei Jahrzehnten zusätzliche Aufgaben übertragen haben, ohne sie dafür finanziell adäquat auszustatten.

Neben einer Altschuldenlösung benötigen die Kommunen also dauerhaft mehr Geld. So fordern etwa die führenden Wirtschaftsinstitute, „die Einnahmen der Kommunen weniger konjunkturreagibel zu gestalten, etwa durch einen Hebesatz auf die Einkommensteuer anstelle der Gewerbesteuer.“ Alternativ könnten auch die Anteile der Umsatzsteuer, die den Kommunen zustehen, erhöht, die Gewerbesteuerumlage abgeschafft oder die Schlüsselzuweisungen aus den Bundesländern angehoben werden.

Und dann ist da noch die Schuldenbremse. Besser gesagt: die Schuldenbremsen. Denn seit 2020 haben auch die Länder eine Schuldenbremse. Die ist sogar strenger als die des Bundes, verbietet nämlich bis auf wenige Ausnahmen neue Schulden. Der Bund darf 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung mehr ausgeben, als er einnimmt (plus ein bisschen mehr, wenn die Wirtschaft schlecht läuft), die Länder aber müssen ihre Haushalte strikt ausgleichen (0,0 Prozent). Diese Grenzen könnte man anheben. Der ehemalige Wirtschaftsweise und Ökonom Peter Bofinger hat ebenso wie IW-Direktor Michael Hüther vorgerechnet, dass die Grenze der Neuverschuldung auf 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung angehoben werden könnte, ohne die EU-Regeln zu brechen oder die Schuldenquote zu erhöhen. Damit ergäben sich jährlich fast 50 Milliarden Euro mehr Spielraum für Investitionen. Zusätzlich sieht die Schuldenbremse schon heute gewisse Ausnahmen vor, über die sich Milliardeninvestitionen abwickeln ließen. Etwa Sondervermögen wie bei der Bundeswehr oder Eigenkapitalerhöhungen und öffentliche Darlehen wie für die Bahn oder die Stiftung Generationenkapital. Letztere gelten als finanzielle Transaktionen, und diese werden von der Berechnung der Schuldenbremse ausgeklammert.

Zahlreiche namhafte Institute haben ähnliche Reformen vorgeschlagen: von der Bundesbank bis zum Internationalen Währungsfonds. Jetzt kommt es darauf an, welche Reform politische Mehrheiten findet. Dass es aber eine Reform braucht, macht der Investitionsstau deutlich. Auch dass es diese Reform dringend braucht. Es geht schließlich um nicht weniger als den Wohlstand und die Sicherheit in unserer alternden Gesellschaft.

ist Ökonom, freier Publizist und Youtuber ("Geld für die Welt").