„Infrastruktur“ ist in den vergangenen Jahrzehnten von einem Fachausdruck zu einem Alltagsbegriff mutiert. Alles Mögliche, was Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik lieb und teuer ist, wird inzwischen mit dem Begriff bedacht. Er ist ein Label der Bedeutsamkeit von Einrichtungen geworden und charakterisiert Vorleistungen aller Art, für deren Bereitstellung man sich selbst nicht verantwortlich fühlt. Infrastrukturen sind aber nicht die überzeitlichen, gleichsam für eine „zweite Natur“ stehenden Vorkehrungen, als die sie von vielen empfunden werden. Sie tragen Geschichte in sich und unterliegen selbst Lebenszyklen. Sie sollten als Teil des Gemeinwohls definiert werden, für das alle Verantwortung tragen.
Der Begriff „Infrastruktur“ hat sich seit seiner Übernahme aus der militärisch-technischen Terminologie Ende der 1940er Jahre in seiner Bedeutung ständig erweitert. Er bezeichnete fortan notwendige Voraussetzungen des wirtschaftlichen und des gesellschaftlichen Lebens. Als solcher war er eng mit der Vorstellung eines Wohlfahrtsstaates verknüpft. Am Vorhandensein von Infrastrukturen ließ sich die zunehmende Komplexität und letztlich auch Modernität einer Gesellschaft ablesen.
Lange Zeit über schienen sich alle politischen Parteien in diesem einen Punkt einig zu sein: dass es mehr Infrastruktur geben solle. Dabei wurde nicht spezifiziert, ob es sich dabei um Autobahnen oder Glasfasernetze, vielleicht sogar um „grüne“ Infrastruktur handeln soll. Die Forderung schien gleichbedeutend zu sein mit der Erwartung, dass der Staat bestimmte Vorleistungen erbringt, damit es allen besser geht. Solche Investitionen in die Zukunft signalisierten Zuversicht und eine Fortführung gewohnter Wachstumspfade. Denn weil es wirtschaftliche Mehrwerte zu verteilen gab, konnte in den vergangenen Jahrzehnten auch der soziale Frieden garantiert und die Problematik einer ungleichen Verteilung des Wohlstands abgefedert werden.
Seit einiger Zeit befindet sich dieser enge Zusammenhang jedoch im Wandel. Wenn heute von Infrastruktur die Rede ist, hat dies zunehmend etwas Beschwörendes, manchmal sogar etwas Alarmierendes. Immer wieder ist von mangelnden Investitionen in die Infrastruktur die Rede. Schätzungen gehen von einem Investitionsbedarf von bis zu 600 Milliarden Euro aus.
Die Perspektive auf Infrastrukturen scheint sich unwiderruflich auf Versäumnisse der Vergangenheit verschoben zu haben. Damit erhalten auch Verteilungsfragen eine neue Brisanz und wird verstärkt nach den Ursachen sozialer Ungleichheit geforscht, die sich auch in der ungleichen Verteilung von Infrastrukturen niederschlägt. Diese waren bislang oft von solchen Diskussionen ausgenommen. Denn sie standen für das, was allen gehört, für den Ausbaustand des sorgenden Staates und für das Gemeinwohl.
Gründungsphase
Es lohnt ein historischer Rückblick auf die vergangenen zweihundertfünfzig Jahre infrastruktureller Entwicklung, um bestimmende Faktoren und Pfadabhängigkeiten zu erkennen.
Der Straßen- und Kanalbau war im 18. Jahrhundert der Vorläufer einer gezielten Infrastrukturpolitik. Sie wurde von den Territorialstaaten betrieben, um im Rahmen von Nationen einheitliche politische und wirtschaftliche Räume zu schaffen. Im 19. Jahrhundert kamen Eisenbahnen hinzu, die zusammen mit Post- und Fernmeldeeinrichtungen zur Voraussetzung einer kohärenten Verwaltung und eines ökonomischen, politischen, sozialen, aber auch kulturellen Austausches der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger wurden.
Der Aufbau von Hygiene- und Gesundheitseinrichtungen ging dagegen eher von den Städten aus. Durch die rasche Vermehrung der jeweiligen Bevölkerung ballten sich hier im 19. Jahrhundert die Probleme. Es musste für sauberes Wasser gesorgt werden, für den Abtransport des Mülls und der Abwässer. Die Städte wurden umstrukturiert und mit einem Netz von Kanälen untertunnelt, um sie zu möglichst gut funktionierenden Fließräumen zu machen. Zur Urbanität der Kommunen gehörten dann auch moderne Nahverkehrssysteme wie Busse, Straßenbahnen oder U-Bahnen. Es folgten Parks und Naherholungsmöglichkeiten, später auch Schwimmbäder und Kultureinrichtungen.
Die Entwicklung fast all dieser Einrichtungen, zu denen auch die Gas- und Stromversorgung zu zählen ist, erfolgte nicht auf der Grundlage einer kohärenten Planung. Vielmehr gingen sie von lokalen, regionalen und nationalen Initiativen aus, um dann mühsam aufeinander abgestimmt zu werden. Manchmal waren es dramatische Zustände, etwa im Bereich der Hygiene, die die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung veranlassten, die Initiative zu ergreifen. Bisweilen waren es auch einzelne Unternehmen, wenn sich damit Gewinne erzielen ließen.
Jedes Land hat dabei seine eigene nationale Kultur ausgebildet: In den Vereinigten Staaten verlief der Prozess der „Infrastrukturisierung“ stärker privatwirtschaftlich, in Frankreich stärker zentralstaatlich. In Deutschland, das spät geeint wurde und bis heute föderal strukturiert ist, gab es schon immer eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure. Dazu gehörten nicht zuletzt die Nutzerinnen und Nutzer der Einrichtungen selbst. Denn sie haben immer darauf gedrängt, möglichst rasch und umfassend an die entstehenden Netze der Versorgung und Entsorgung, der Kommunikation und des Verkehrs angeschlossen zu werden. Dieser Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit ist bis heute von enormer Bedeutung.
Um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert drängten in vielen Staaten die lokalen oder nationalen Verwaltungen darauf, die „öffentlichen Einrichtungen“ unter ihre Kontrolle zu bringen. Denn mit dem Betrieb von Infrastrukturen lassen sich nicht nur gewaltige Einnahmen erzielen. Mit ihrer Bereitstellung lassen sich auch Räume gestalten und ökonomische wie soziale Strukturen beeinflussen. Hierfür entstanden sogenannte „Stadtwerke“ oder große Regionalversorger. Diese mussten nicht zwangsläufig staatlich sein. Sie hatten aber die Aufgabe, eine bestimmte Region möglichst gleichmäßig, zuverlässig und zu fairen Preisen zu versorgen. Dies wurde zunehmend als „Daseinsvorsorge“ des Staates verstanden. Denn die Abhängigkeit der Bevölkerung von diesen Einrichtungen stieg immer stärker.
Was das auch bedeutet, haben die beiden Weltkriege gezeigt: In Zeiten der Krise oder des militärischen Konflikts wird seitdem vor allem die gegnerische Infrastruktur ins Visier genommen. Sie wird entweder lahmgelegt oder soll in die eigene Verfügungsgewalt gebracht werden. Damit soll der Gegner möglichst empfindlich getroffen werden. Nicht zufällig wurden Infrastrukturen in der Sprache des 19. und frühen 20. Jahrhunderts häufig mit organischen Metaphern versinnbildlicht, war von „Venen“, „Arterien“ und „Nervenbahnen“, aber auch von „Achillesfersen“ die Rede.
Daneben sind es heute vor allem terroristische Angriffe und deren Folgewirkungen in den weit verzweigten Netzen der Kritischen Infrastruktur, die Sicherheitsexperten beunruhigen.
Der Ausbau vieler Infrastrukturen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus dokumentiert einige weitere Ambivalenzen, die in Infrastrukturen stecken können, vor allem solche des Anschlusses und des Ausschlusses. So versprach der bereits in der Weimarer Republik begonnene Autobahnausbau einerseits Arbeit. Zum anderen wurde den „Volksgenossen“ individuelle Mobilität in Aussicht gestellt, etwa mit dem „Volkswagen“. Die Autobahnen fügten sich harmonisch in die Landschaft ein und waren insgesamt ein PR-Coup ersten Ranges. Zugleich wurden rassistisch ausgegrenzte Gruppen und „Gemeinschaftsfremde“ explizit von der Nutzung bestimmter Infrastrukturen ausgeschlossen, so mutierten Integrationssysteme zu Verfolgungssystemen.
Goldene Jahrzehnte
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine Phase des Wiederaufbaus der zerstörten Infrastruktur ein. Zugleich wurde der Ausbau neuer Verkehrsanlagen mit ungewöhnlicher Intensität vorangetrieben. Der „verkehrsgerechte“ Umbau urbaner und ländlicher Regionen mit dem Ziel einer guten Erreichbarkeit führte nicht nur zu massiven Eingriffen in Landschaften und menschliche Umwelten. Er weckte auch neue Erwartungen und schuf einen logistisch durchgestalteten Alltag.
Die drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg waren wohl die wichtigste Phase für den heutigen Zustand vieler Infrastrukturen. Sowohl in West- als auch in Ostdeutschland wurde der Infrastrukturausbau intensiv vorangetrieben. Dabei wirkten sich unterschiedliche Raum- und Gesellschaftsbilder sowie unterschiedliche Rahmenbedingungen aus. Westdeutschland profitierte von den Mitteln des Marshallplans, der entstehenden europäischen Gemeinschaft und vom „Wirtschaftswunder“. Das Land orientierte sich mit seiner Infrastruktur an der westlichen Welt.
Ostdeutschland war zunächst durch Reparationsleistungen an die Sowjetunion für Schienen und Produktionsanlagen in seinen Möglichkeiten stark eingeschränkt. Später wirkte sich auch die Arbeitsteilung im „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ aus, die unter anderem zum Ende der ostdeutschen Flugzeugindustrie führte. Die individuelle Motorisierung und der Straßenbau in der DDR blieben weit hinter dem westdeutschen Niveau zurück, das zeitgleich rasant anstieg.
Stattdessen flossen enorme finanzielle Mittel in den Bau der innerdeutschen Grenzsicherungsanlagen. Ab den 1970er Jahren riss der forcierte Wohnungsbau Löcher in den ostdeutschen Staatshaushalt. Dennoch galt die DDR noch in den 1980er Jahren innerhalb des Ostblocks als ein infrastrukturell relativ modern aufgestelltes Land. Viele ostdeutsche Bürgerinnen und Bürger sahen das aus eigener Erfahrung anders. Gerade auf dieser Ebene verglichen sie die Zustände eher mit dem Westen als mit dem Osten Europas.
In der Bundesrepublik kam ab den 1970er Jahren ein Prozess des Umdenkens im Bereich der Infrastrukturorganisation in Gang. Die optimistische Planungseuphorie erlahmte, nicht zuletzt wegen steigender Sozialausgaben und wachsender Arbeitslosigkeit. Stadtwerke und Staatsbetriebe wie die Deutsche Bundespost und die Deutsche Bundesbahn schienen nicht so effizient zu arbeiten, wie viele Beobachter glaubten. (Neo)liberale Ökonomen kritisierten seit langem den „Staat als Unternehmer“, „Zwangsmonopole“ und zu hohe Steuern. Ein Prozess der Deregulierung setzte ein, der kommunale und staatliche Einrichtungen einer Prüfung unterzog, ob sie nicht nach den Prinzipien von Markt und Wettbewerb wesentlich effizienter geführt werden könnten.
In der Konsequenz wurden in aller Regel die wettbewerbsfähigen und lukrativen Teile der bestehenden Infrastruktur privatisiert, während die defizitären Teile häufig in öffentlicher Hand verblieben.
Eine puristische Privatisierung wurde selten angestrebt. Vielmehr bildeten sich oft Mischformen wie Public-Private-Partnerships heraus, die öffentliche und private Interessen miteinander synchronisierten, etwa bei Autobahnen oder dem Bau von öffentlichen Gebäuden.
Nicht immer war diese Deregulierung erfolgreich – bei jeder Einrichtung fiel die Bilanz unterschiedlich aus.
Langfristige Folgen zeigten sich vor allem im Bereich des Wohnungsbaus. Durch den Verkauf kommunaler Flächen und Wohnkomplexe geriet der soziale Wohnungsbau stark unter Druck. Auch in anderen Bereichen hatten viele Kommunen ihr infrastrukturelles Tafelsilber an in- und ausländische Investoren verkauft, um ihre Finanzen zu stabilisieren. Im Extremfall mussten sie die Leistungen dann aber in komplizierten Konzessions- und Leasingmodellen zurückkaufen.
Nach der Deutschen Einheit
Das Ende des Kalten Krieges brachte zusätzliche Umschichtungen im Feld der Infrastruktur mit sich. Militärische Schutzvorkehrungen, die für den Fall des Umschlags in einen heißen Krieg errichtet worden waren, wurden zu einem Großteil zurückgebaut. Kasernen und Bunkerbauten wurden umgenutzt, Warnvorrichtungen für den Krisenfall überwiegend entfernt. Der militärische und zivile Schutz schien unzeitgemäß und zu einem willkommenen Reservoir an Finanzmitteln zu werden, die man anderweitig einsetzen konnte. Auch das größte „Infrastrukturprojekt“ der DDR, die Grenzsicherung Richtung Westen, die nicht unwesentlich zur finanziellen Auszehrung des Landes beigetragen hatte, wurde nun als Grünes Band zu einem Naturschutzprojekt umgewidmet.
Die freigewordenen Mittel flossen vor allem in den sogenannten Aufbau Ost. Die unterschiedlichen Niveaus der Infrastrukturausstattung waren nach dem Mauerfall auch für Westdeutsche verstärkt erfahrbar. Sie vermittelten den Eindruck einer Zeitreise, bisweilen um einige Jahrzehnte zurück. Umso naheliegender erschien es, diese Zustände so schnell wie möglich anzugleichen. Ausgehend von den geöffneten Grenzübergangsstellen wurden die im Kalten Krieg unterbrochenen Straßen und Schienenwege zwischen West und Ost wieder verbunden. Kommunikationsnetze wurden miteinander verknüpft und bald auch erneuert.
Zusammen mit dem Solidarpakt waren Projekte wie das Lückenschlussprogramm oder die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit zu finanzieren. Dabei mussten Erwägungen einer gesamteuropäischen Infrastruktur- und Raumordnung mit einbezogen werden.
Diese Prognose ruhte auch auf der optimistischen Vorstellung eines funktionierenden Marktsystems, das hier wie in einem Experimentierraum zur Anwendung kam.
So ist seit den 1990er Jahren eine optimale Balance zwischen ökonomischer Effizienz und sozialer Gerechtigkeit, zwischen Anbindung und Ausgrenzung nicht immer gelungen. Es entstanden neue Zentren und neue Peripherien, einzelne Regionen wurden nach dem subjektiven Empfinden ihrer Bewohner „abgehängt“. Es entstanden aber auch Freiräume für neue Entwicklungen, etwa für eine touristische Neuorientierung.
Neue Herausforderungen
Dennoch erscheinen die ostdeutschen Orte und Regionen nach dreieinhalb Jahrzehnten des Aufbaus im Durchschnitt in einem deutlich besseren Zustand als die westdeutschen. Hier machen sich unterschiedliche Zeitschichten von Infrastruktureinrichtungen bemerkbar, die sich aus den Zyklen ihrer Entstehung erklären lassen. Denn Infrastrukturen sind technische Bauwerke oder großtechnische Systeme, deren Materialität in der Regel kaum ins Bewusstsein dringt. Erst wenn sie brüchig werden und Dysfunktionalitäten auftreten, werden sie von den routinierten Nutzerinnen und Nutzern wahrgenommen. Dann werden sie vorübergehend vom Netz getrennt, Baustellen und Umwege müssen in Kauf genommen werden.
Idealtypisch können im Feld der Infrastrukturen, die uns umgeben, drei unterschiedliche Zeitregime voneinander unterschieden werden: erstens klassische Infrastrukturen des Bauens mit Materialien wie Beton, Stahl, Asphalt oder Röhren, also zum Beispiel Eisenbahnen, Tunnel, Brücken, Straßen und Staudämme, die oft vergraben sind oder starke Eingriffe in die Landschaft bedingt haben.
Zweitens soziale und kulturelle Infrastrukturen, einschließlich des ÖPNV: Diese sind zwar ebenfalls auf lange Zeit kalkuliert und häufig mit hohen Investitionskosten verbunden, so etwa Theater, Stadtbibliotheken, Straßenbahn oder Oberleitungen. Sie stehen aber fast immer unter einer fiskalpolitischen Beobachtung und sind damit der Frage ausgesetzt, ob eine Kommune, ein Land, ein Staat sich dieses oder jenes noch leisten kann. Solche Infrastrukturen werden immer wieder in ihrer Existenz bedroht, wenn Wahlen anstehen.
Und drittens die Kommunikationsinfrastrukturen, auf die das zuvor Gesagte zwar auch zutrifft, die aber gleichzeitig sehr viel stärker technischen Innovationszyklen unterworfen sind: Postverkehr, Telegrafie, Telefon, Fax, Funk und das Internet wurden immer wieder von neuen Technologien begleitet, von Reichweiten- und Geschwindigkeitssteigerungen sowie wachsenden Datenraten. Hinzu kommen kurzfristige Hypes um die neuesten Endgeräte, die zeigen, dass in diesem Segment der Versorgung kommerzielle Interessen eine entscheidende Rolle spielen.
Nach wie vor gilt Infrastruktur, so unterschiedlich sie heute verstanden und gehandhabt wird, als das, was man früher „Staatsaufgabe“ nannte. Immer wieder wird diskutiert, ob Ausbau und Erhalt der Infrastruktur nicht sogar im Grundgesetz verankert werden sollten.
Schluss
Die Geschichte ist für das Verständnis von Infrastrukturen, ihrer Dynamik und ihrer Lebenszyklen unerlässlich. Die Entwicklung von Infrastrukturen verlief nie geradlinig. Was im Rückblick als kontinuierlicher Ausbau oder Innovation erscheint, war in Wirklichkeit von zahllosen Konflikten begleitet. In die heute bestehenden Netzwerke der Versorgung und Entsorgung, der Kommunikation und des Verkehrs sind frühere Zukunftsvorstellungen eingeschrieben, die ihre Maßstäbe aus einem westlichen Wohlstandsmodell bezogen.
Die mit der Infrastruktur verknüpfte Mentalität beruhte auf der Nutzbarmachung der natürlichen Ressourcen, auf wirtschaftlichem Wachstum und einer ständigen Zirkulation von Menschen, Gütern, Energie und Ideen. Dies erzeugte eine kreative und produktive Unruhe, führte aber auch zu Überforderungen. Zudem war sie in der Regel weder ökologisch noch klimaneutral. Die Versprechen von Teilhabe und Bequemlichkeit, die in Infrastrukturen stecken, haben eine enorme Suggestivkraft. Deshalb sind die Versorgungsnetze, die uns heute umgeben, meist nicht top down, sondern bottom up entstanden, also im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage.
Warum sind Infrastrukturen bis heute so beliebt? Weil die Industriegesellschaften in eine Art Infrastrukturfalle geraten sind. Das spezifische Momentum der Wachstumsökonomien mit ihrem Versprechen, die Wertschöpfung zum Wohle aller umzuverteilen, hat immer mehr Menschen abhängig gemacht von der verlässlichen Versorgung mit Energie und Ressourcen und der Entsorgung von Abfällen. Die heutige Lebensqualität mit all ihren Möglichkeiten beruht darauf. Auch wenn seit Jahrzehnten eine schrittweise Rückbesinnung auf komplexere ökologische Denkstrukturen stattfindet: Die entstandenen Strukturen sind insgesamt enorm pfadabhängig und schwer zu verändern.
Es wäre an der Zeit, Infrastrukturen als Teil eines Dritten Sektors – weder Staat noch Markt – zu definieren, der den Aspekt des Gemeinsinns wieder stärker in den Vordergrund rückt. In jüngster Zeit wird vermehrt von Infrastrukturgenossenschaften gesprochen, von treuhänderischem oder Verantwortungseigentum, bei dem nicht der finanzielle Gewinn im Vordergrund steht.
Es würde die Resilienz und die ökologische Qualität vieler Infrastrukturen erhöhen, wenn wir sie als langlebiges Erbe früherer Generationen, aber auch als gemeinsame Herausforderung für die Zukunft begreifen würden.