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Hohe Nachhol- und Zusatzbedarfe | Infrastruktur | bpb.de

Infrastruktur Editorial Warum es der Politik schwerfällt, für gute Infrastruktur zu sorgen Hohe Nachhol- und Zusatzbedarfe. Von Investitionslücken, regionalen Unterschieden und statistischen Tücken Nie geradlinig. Infrastrukturgeschichte vom 19. bis zum 21. Jahrhundert Innovation und Investition statt Lockerung der Schuldenbremse Von Schuldenregeln und Schuldenbremsen. Wie Deutschland seine Zukunft aufs Spiel setzt Gebraucht, aber gehasst. Infrastrukturen der industriellen Transformation "Wir sind nur Menschen zweiter Klasse". Vom Abbau der Daseinsvorsorge und Aufstieg des Rechtspopulismus

Hohe Nachhol- und Zusatzbedarfe Von Investitionslücken, regionalen Unterschieden und statistischen Tücken

Katja Rietzler

/ 14 Minuten zu lesen

Auch der europäische Vergleich zeigt: In Deutschland wurde zu lange zu wenig investiert. Besonders groß ist der Investitionsstau im Baubereich und hier vor allem auf kommunaler Ebene, wobei nach wie vor erhebliche regionale Disparitäten bestehen.

Beim Thema Infrastruktur und Investitionsstau wird in der öffentlichen Debatte vieles durcheinandergebracht. Bevor wir mit der Analyse beginnen, ist es deshalb sinnvoll, den Untersuchungsgegenstand eindeutig abzugrenzen. Gegenstand der Betrachtung ist im Folgenden der Teil der öffentlichen Infrastruktur, der nach der Definition der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) Teil des Sektors „Staat“ ist. Vieles, was in der Diskussion zur öffentlichen Infrastruktur gezählt wird, ist hingegen nicht dem Sektor „Staat“ zuzuordnen – zum Beispiel Stromleitungen oder Kraftwerke. Relevant dabei ist, ob die Finanzierung durch Markteinnahmen oder durch Zwangsabgaben wie Steuern erfolgt. Bereiche, die überwiegend marktwirtschaftlich durch Nutzer finanziert werden, werden nicht dem Staat zugeordnet, auch wenn sie sich zu 100 Prozent im staatlichen Eigentum befinden, sondern in der Regel dem Sektor „nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften“. Dies ist bei internationalen Vergleichen zu berücksichtigen.

So werden die Kosten des Baus und der Instandhaltung von Autobahnen in Österreich hauptsächlich durch Mauteinnahmen gedeckt. Die staatliche österreichische Autobahngesellschaft ASFINAG (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft) gehört daher nicht zum Sektor Staat, sondern zu den nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften. Hierzulande werden viele Stadtwerke, obwohl sie im Gemeindeeigentum sind, dem Sektor nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften zugerechnet, weil sie ganz überwiegend durch Entgelte der Nutzer auf einem Wettbewerbsmarkt finanziert werden. Dasselbe gilt beispielsweise auch für die bundeseigene DB Fernverkehr AG.

Lange wurden auch zahlreiche ÖPNV-Unternehmen und die Infrastrukturgesellschaft der Bahn dem Sektor nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften zugeordnet. Aufgrund einer Empfehlung („Advice“) des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) von 2022 dürfen jedoch pauschale Zahlungen der öffentlichen Hand zur Kostendeckung im ÖPNV und zur Finanzierung der Infrastruktur nicht mehr als Umsatzerlöse der Verkehrsunternehmen gebucht werden. Damit änderte sich der sogenannte Markt-/Nichtmarkttest und führte im Rahmen der jüngsten Generalrevision der VGR vom August 2024 zu einer rückwirkenden statistischen Zuordnung dieser Einheiten zum Sektor Staat. ÖPNV-Unternehmen, die überwiegend aus staatlichen Mitteln finanziert werden, werden ab dem Jahr 1991 dem Sektor Staat zugerechnet. Für Teile der Bahn ist eine getrennte Sektorprüfung erst für die Zeit ab der Bahnreform 1999 möglich. Bis dahin zählt die Bahn in ihrer Gesamtheit zum Sektor nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften. Die neue Vorgehensweise führt zu Brüchen in den Zeitreihen der Ausrüstungen und Bauten des Staates insgesamt sowie des Bundes, was die zeitliche Vergleichbarkeit mit dem Zeitraum vor 1999 einschränkt.

Trotz dieses Zeitreihenbruchs und regelmäßiger, teilweise erheblicher Revisionen bilden die VGR die wesentliche Datengrundlage für diesen Beitrag. Sie liefern eine kohärente Statistik und sind dank einheitlicher Konzepte auch international vergleichbar. Eine Schwäche ist der begrenzte Detailgrad und die – auch im Rahmen der VGR der Länder – nur eingeschränkte Verfügbarkeit von regionalen Daten. So werden die Investitionen für die einzelnen Bundesländer nicht getrennt nach Sektoren, sondern nur nach Wirtschaftsbereichen ausgewiesen. Hier muss teilweise auf andere Datenquellen und Erhebungen zurückgegriffen werden. Auch auf kommunaler Ebene sind regionale Vergleiche schwierig, da Daten für einzelne Kommunen nicht leicht zugänglich sind und in der Regel nur für die Kernhaushalte ausgewiesen werden.

Auf der gesamtstaatlichen Ebene sowie für die staatlichen Teilsektoren weisen die VGR wesentliche Teile der deutschen Infrastruktur aus. Zu den staatlichen Bauten zählen neben der öffentlichen Straßen- und Schieneninfrastruktur insbesondere öffentliche Gebäude wie zum Beispiel Schulen. Seit der Generalrevision 2014 gehören zu den staatlichen Ausrüstungen neben Fahrzeugen und anderen Geräten auch militärische Waffensysteme. Eine weitere wichtige Neuerung der Revision von 2014 war die Erfassung der Schaffung geistigen Eigentums als Investitionen (statt wie zuvor als Vorleistung). Dadurch fallen für den gesamten Zeitraum ab 1991 insbesondere die Investitionen des Bundes und der Länder entsprechend höher aus, weil dort Forschungsinstitutionen beziehungsweise Universitäten zugeordnet werden.

Mit 14 Prozent war der Anteil des Sektors Staat am gesamtwirtschaftlichen Anlagevermögen im Jahr 2023 vergleichsweise gering – um die Jahrtausendwende waren es noch knapp 17 Prozent. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass private Wohngebäude rund die Hälfte des gesamtwirtschaftlichen Anlagevermögens ausmachen. Bei den Nichtwohnbauten ist der staatliche Anteil mit gut einem Drittel schon deutlich höher – und bei den Tiefbauten, wozu Straßen, Schienen und Brücken zählen, liegt er bei mehr als der Hälfte. Neben den staatlichen Investitionen spielen Investitionszuschüsse an andere Sektoren – beispielsweise für die energetische Gebäudesanierung – eine wichtige Rolle. Seit 2019 sind sie steil angestiegen.

Europäischer Vergleich

Bei internationalen Vergleichen reicht die alleinige Betrachtung öffentlicher Investitionen nicht aus, da die Sektorzuordnung einzelner Bereiche aufgrund unterschiedlicher Finanzierungsmodelle (nutzerfinanziert versus steuerfinanziert) von Land zu Land variieren kann. Ein erster Blick gilt daher der gesamtwirtschaftlichen Investitionsquote. 2023 lag Deutschland im Vergleich der EU-Länder und ausgewählter europäischer Nicht-EU-Länder im unteren Mittelfeld, leicht unter dem Durchschnitt der EU beziehungsweise des Euroraums (Abbildung 1).

Vor der Finanzkrise 2007 belegte Deutschland bei der gesamtwirtschaftlichen Investitionsquote den drittletzten Platz der betrachteten Länder. Allerdings waren damals die Investitionsquoten einiger Länder, wie zum Beispiel Irland und Spanien, durch Blasen an den Immobilienmärkten mit einer entsprechend überhöhten Bauaktivität gekennzeichnet. Die relative Verbesserung Deutschlands geht unter anderem auch darauf zurück, dass die Investitionstätigkeit in den besonders von der Eurokrise betroffenen Ländern Spanien, Portugal und Griechenland sehr stark zurückgegangen ist. Während die Investitionstätigkeit in Deutschland im Vergleich zum Jahr 2007 spürbar zugenommen hat, sind die Investitionsquoten in den meisten osteuropäischen EU-Ländern im Vergleich zu 2007 zurückgegangen, auch weil Nachholbedarfe im Zuge des EU-Beitritts mittlerweile gedeckt worden sind. Die Mehrheit der osteuropäischen EU-Länder investiert aber immer noch überdurchschnittlich.

Auffallend schwach ist Deutschland bei den öffentlichen Investitionen. Trotz eines deutlichen Anstiegs der Investitionsquote gegenüber 2007 gehört Deutschland immer noch zu den drei Ländern mit der geringsten öffentlichen Investitionstätigkeit. Angesichts der Tatsache, dass hierzulande – anders als in einigen anderen europäischen Ländern – der allergrößte Teil der Verkehrsinfrastruktur dem Staat zugerechnet wird, ist dies bemerkenswert und ein erster Hinweis auf eine unzureichende öffentliche Investitionstätigkeit.

Eine zu schwache öffentliche Investitionstätigkeit in Deutschland wird seit Jahren auch von internationalen Institutionen kritisiert. So bemängelten die länderspezifischen Empfehlungen des Europäischen Rats vom Oktober 2024 erneut unzureichende Infrastrukturinvestitionen und forderten Deutschland auf, die öffentlichen Investitionen zu stärken. Der Internationale Währungsfonds ging noch weiter: Er mahnte zu höheren öffentlichen Investitionen und regte gleichzeitig eine Lockerung der Schuldenbremse an, da diese in ihrer aktuellen Ausgestaltung zu einem unnötig schnellen Schuldenabbau führe.

Anlagearten

Die Investitionstätigkeit des Staates ist nach einem Anstieg infolge der deutschen Wiedervereinigung im Laufe der 1990er Jahre wieder deutlich zurückgegangen (Abbildung 2). Die staatliche Investitionsquote ist von 1992 bis 2004 von 3,4 Prozent auf 2,2 Prozent zurückgegangen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Quote für den Zeitraum ab 1999 durch die Reklassifizierung von Teilen der Deutschen Bahn AG um rund 0,3 Prozentpunkte höher ausfällt. In der Abbildung zeigt sich dies in einem entsprechenden Sprung beim Staat insgesamt wie auch bei den Nichtwohnbauten, wozu auch die Schieneninfrastruktur gehört, und – in geringerem Maße – bei den Ausrüstungen, die auch Fahrzeuge enthalten.

Die starke Verlangsamung der öffentlichen Investitionstätigkeit bis in die frühen 2000er Jahre ist vor allem auf die staatlichen Bauinvestitionen zurückzuführen, die deutlich mehr als die Hälfte der öffentlichen Investitionen ausmachen. Dies gilt neben den Nichtwohnbauten auch für die Wohnbauten, die aber quantitativ vernachlässigbar sind, auch weil viele Wohnungsbaugesellschaften im staatlichen Eigentum sich überwiegend durch Mieteinnahmen (Markteinkommen) finanzieren und daher nicht dem Sektor Staat zugerechnet werden und weil der Staat den (sozialen) Wohnungsbau auch auf andere Weise als durch eigene Bautätigkeit fördert. Nach dem Tiefpunkt 2005 haben sich die öffentlichen Bauinvestitionen zunächst wieder deutlich nach oben entwickelt. Zwischen 2009 und 2011 wurden sie auch durch das Konjunkturpaket I der Bundesregierung gestützt, mit dessen Auslaufen die öffentlichen Bauinvestitionen wieder deutlich zurückgingen – relativ zur Wirtschaftsleistung, aber ebenso in realer Rechnung. Erst ab 2015 setzte wieder eine Trendwende bei den öffentlichen Bauinvestitionen ein, die primär von den öffentlichen Tiefbauten bestimmt wurde – also unter anderem durch Investitionen in Straßen, Brücken, Tunnel und Gleisanlagen. Demgegenüber verlief die Entwicklung im Hochbau, abgesehen von einem sprunghaften Anstieg im Jahr 2020, weniger dynamisch.

Die Ausrüstungsinvestitionen und die Investitionen in sonstige Anlagen entwickelten sich wesentlich stetiger als die Bauinvestitionen des Staates. Wenngleich es auch hier in den 1990er Jahren einen leichten Rückgang der Investitionsquote gab, nahmen insbesondere die Investitionen in sonstige Anlagen, worunter im Wesentlichen geistiges Eigentum fällt, bis 2021 deutlich rascher zu als die Wirtschaftsleistung. Für den Zeitraum von 2014 bis 2020 gilt dies tendenziell auch für die Ausrüstungen. Seit dem Höhepunkt 2020 beziehungsweise 2021 haben die Investitionen in Ausrüstungen und in sonstige Anlagen etwas nachgelassen. Die staatlichen Bauinvestitionen entwickelten sich hingegen ähnlich wie das Produktionspotenzial. Insgesamt kam damit der Aufholprozess bei den staatlichen Bruttoanlageinvestitionen ab 2020 zum Erliegen.

Dass der Rückstand bei der Infrastruktur bei den Bauten am stärksten ausgeprägt ist, zeigt sich auch am sogenannten Modernitätsgrad des Kapitalstocks. Dieser wird als Verhältnis des Nettokapitalstocks zum Bruttokapitalstock berechnet. Je älter der Kapitalstock, umso mehr wurde bereits abgeschrieben und umso niedriger ist der Modernitätsgrad. Während der Modernitätsgrad von Ausrüstungen und geistigem Eigentum seit der Jahrtausendwende zugenommen hat, ist der Modernitätsgrad der Bauten um rund zehn Prozentpunkte gesunken. Etwas geringer war der Rückgang beim gesamten Tiefbau und bei den Straßen, während der Modernitätsgrad der Bundesautobahnen von einem höheren Niveau aus ebenfalls um rund zehn Prozentpunkte zurückging.

Staatliche Teilsektoren

Im Folgenden wird die Entwicklung der staatlichen Investitionsquote aus der Perspektive der staatlichen Teilsektoren – Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherung – betrachtet, wobei die Investitionen der Sozialversicherungen vernachlässigbar gering sind (Abbildung 3). In den frühen 1990er Jahren tätigten die Kommunen noch mehr als die Hälfte der staatlichen Bruttoanlageinvestitionen. Aufgrund der bis Anfang der 2000er Jahre stark rückläufigen kommunalen Investitionstätigkeit ist dieser Anteil bis 2024 auf 35 Prozent gesunken. Es ist kein Zufall, dass die Entwicklung der kommunalen Investitionen ähnlich verläuft wie die Dynamik der Bauinvestitionen in Abbildung 2, denn über 80 Prozent der kommunalen Investitionen sind Bauinvestitionen. Nach dem starken Rückgang in den 1990er Jahren und den frühen 2000er Jahren verharrte die kommunale Investitionsquote viele Jahre auf einem niedrigen Niveau. Ein dynamischer Aufholprozess setzte erst ab 2017 ein, gestützt durch stark erhöhte Investitionszuschüsse von Bund und Ländern sowie durch eine günstige Einnahmenentwicklung infolge des langen Aufschwungs. Selbst im Corona-Jahr 2020 investierten die Kommunen noch kräftig, auch weil Bund und Länder die Kommunen in der Krise massiv stützten. Seither hat sich die Investitionstätigkeit der Kommunen aber wieder deutlich abgeschwächt.

Die Entwicklung auf der Bundesebene ist – wie beim Staat insgesamt – durch die Reklassifizierung von Teilen der Bahn ab 1999 verzerrt. Nachdem die Investitionstätigkeit in den 1990er Jahren hinter der Wirtschaftsentwicklung zurückblieb und die Investitionsquote deutlich rückläufig war, nahmen die Bundesinvestitionen im Trend etwas schneller zu als die Wirtschaftsleistung, und die Investitionsquote stieg allmählich, wobei die Ausrüstungen und die Investitionen in geistiges Eigentum besonders kräftig zunahmen. Die Bauinvestitionen nahmen in preisbereinigter Rechnung kaum zu.

Nach dem Wiedervereinigungsboom der frühen 1990er Jahre ließ die Investitionstätigkeit der Länder deutlich nach. In den frühen 2000er Jahren brach sie dann regelrecht ein, auch weil die Länder sich durch Mindereinnahmen infolge der Steuersenkungen der rot-grünen Bundesregierung zu Ausgabenkürzungen gezwungen sahen. Besonders betroffen waren die Bauinvestitionen, aber auch die Investitionen in Ausrüstungen und geistiges Eigentum schwächelten. Erst ab 2007 stellte sich eine breite Aufwärtstendenz ein, die bis 2020 anhielt. Seither bleibt die Entwicklung der öffentlichen Investitionen auf der Landesebene aber hinter der Wirtschaftsleistung zurück.

Der Nachholbedarf auf der kommunalen Ebene zeigt sich darüber hinaus auch bei der Analyse des Kapitalstocks. Der Modernitätsgrad bei der kommunalen Infrastruktur ist im Vergleich zum Bund und zu den Ländern deutlich stärker zurückgegangen – von 58,8 Prozent im Jahr 2000 auf 48,3 Prozent im Jahr 2023 verglichen mit einem Rückgang von 57,4 Prozent auf 53,1 Prozent beim Bund und von 57,3 Prozent auf 51,3 Prozent bei den Ländern. Nur bei den quantitativ wenig bedeutsamen Sozialversicherungen war die Abnahme des Modernitätsgrads mit fast 20 Prozentpunkten noch drastischer als bei den Kommunen. Während Bund und Länder in den meisten Jahren Zuwächse ihres realen Kapitalstocks verzeichneten, schrumpfte das preisbereinigte Anlagevermögen der Kommunen seit 2012 in allen Jahren mit Ausnahme des Jahres 2020. Dabei ist zu beachten, dass die Bevölkerung im gleichen Zeitraum deutlich gewachsen ist.

Regionale Disparitäten

Hinter der insgesamt unzureichenden Investitionstätigkeit der kommunalen Ebene verbergen sich regional deutlich unterschiedliche Entwicklungen. Abbildung 4 zeigt die staatlichen Sachinvestitionen je Einwohner in Euro für die Flächenländer in der Abgrenzung der Finanzstatistik im Jahr 2023. Dabei zeigt sich eine sehr große Streuung der Investitionstätigkeit in den einzelnen Bundesländern. So haben Land und Kommunen in Bayern 2023 mehr als doppelt so viel in Sachanlagen investiert wie das Saarland. Die Abweichungen wären kein Problem, wenn sie sich im Zeitablauf ausgleichen würden, wenn also in einem Jahr Bayern hohe Investitionen aufweisen würde und im anderen Jahr Nordrhein-Westfalen. Das ist aber nicht der Fall. Seit 2011 – dem Beginn der Veröffentlichung von regionalen finanzstatistischen Daten für den gesamten Sektor Staat – waren regelmäßig dieselben Bundesländer durch eine starke beziehungsweise schwache Investitionstätigkeit gekennzeichnet. Am oberen Ende fanden sich regelmäßig Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg. Die rote Laterne trugen abwechselnd das Saarland und Nordrhein-Westfalen. Zwar haben alle Regionen im Zeitablauf deutlich zugelegt, die regionalen Disparitäten wurden dabei aber eher verstärkt als verringert, weil regelmäßig in denselben Regionen überdurchschnittlich und unterdurchschnittlich investiert wurde.

Die regional unterschiedliche Investitionstätigkeit lässt sich nicht in erster Linie durch unterschiedliche Präferenzen und Prioritäten erklären. Es spielen insbesondere die Folgen des Strukturwandels eine wichtige Rolle. Eine Analyse des Wirtschaftswissenschaftlers Achim Truger zeigt für die NRW-Kommunen, dass vor allem „Globalisierungsverlierer“, die in NRW, aber auch im Saarland einen überdurchschnittlich hohen Anteil der Kommunen ausmachen, im Zuge von Konsolidierungsbemühungen die Ausgaben unter anderem für Schulen und Verkehrsinfrastruktur stark einschränken mussten. Ökonometrische Schätzungen zeigen einen starken negativen Zusammenhang zwischen der Belastung von Kommunen durch Sozialausgaben und der Investitionstätigkeit. Bei den rechtlich verpflichtenden Sozialausgaben besteht wenig Spielraum, sodass Anpassungen bei der Investitionstätigkeit erfolgen.

Die regional sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen führen beim Umgang mit den Investitionsbedarfen zu unterschiedlichen Strategien. Das zeigt sich am Beispiel der Ausgaben für Schulbauten. Während in Bayern regelmäßig hohe Investitionen je Schüler getätigt werden, wenden die finanzschwächeren saarländischen Kommunen anteilig die höchsten Mittel für die Instandhaltung von Schulgebäuden auf. Gerade durch regelmäßige Instandhaltung kann die Infrastruktur trotz niedriger Investitionen in einem guten Zustand bleiben. In NRW wiederum ist die Ausgliederung aus dem Kernhaushalt eine Strategie, die sich entsprechend in hohen Ausgaben für Mieten und Pachten niederschlägt. Soweit die ausgegliederten Einheiten nicht dem Sektor Staat zugerechnet werden, sind die entsprechenden Investitionen nicht in Abbildung 4 enthalten. Der reine Blick auf die Investitionen stößt hier an Grenzen.

Hohe Investitionsbedarfe

Diese Analyse zeigt, dass Deutschland im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich investiert, die Investitionen insbesondere beim Sektor Staat auffällig niedrig ausfallen und dass dies bei erheblichen regionalen Divergenzen ganz besonders für den Bereich der Bauten und die kommunale Infrastruktur gilt. Damit wissen wir aber noch nicht, wie groß der zusätzliche Investitionsbedarf ist und wo er im Einzelnen besteht. Es ist vielmehr sinnvoll, zu diesem Zweck detailliertere Studien zu Teilbereichen und zusätzliche Daten – etwa aus dem Bundeshaushalt – heranzuziehen.

Mit dieser Herangehensweise hat ein Team des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) bereits 2019 geschätzt, welche zusätzlichen investiven Ausgaben der Staat in einem Zeitraum von zehn Jahren tätigen muss, und ermittelte dabei einen Bedarf von 457 Milliarden Euro für kommunale Infrastruktur, Bildung, überregionale Verkehrsinfrastruktur, Wohnungsbau und Dekarbonisierung. Aufgrund gestiegener Preise und verschärfter Klimaziele, aber auch zwischenzeitlich erfolgter Investitionen, wurde die Schätzung im vergangenen Jahr aktualisiert. Dabei wurden die Bedarfe auf Investitionen und Investitionszuschüsse beschränkt, während die Schätzung von 2019 bei den Investitionsbedarfen für Bildung auch Betriebs- und Personalkosten berücksichtigte. Diese Kosten fallen nach wie vor an und bilden einen gesonderten Bedarf. Auch wurden wie schon 2019 Investitionen in die Verteidigung und im Gesundheitswesen ausgeklammert. Bereits mit dieser engen Abgrenzung wurde ein zusätzlicher Investitionsbedarf von fast 600 Milliarden Euro im Laufe von zehn Jahren ermittelt (Tabelle).

Etwa die Hälfte des zusätzlichen Bedarfs entfällt auf transformative Zwecke wie die Dekarbonisierung der Volkswirtschaft, kommunale Klimaanpassung und den Ausbau des öffentlichen Schienen- und Nahverkehrs. Gleichzeitig handelt es sich bei deutlich über der Hälfte der Bedarfe um Maßnahmen zur Modernisierung der Infrastruktur. Darunter fällt auch die Förderung des Stromnetzausbaus als ein Teilbereich der Förderung der Dekarbonisierung.

2024 wurden zwei weitere Investitionsbedarfsschätzungen für Deutschland veröffentlicht. Der Bundesverband der deutschen Industrie bezifferte die Investitionsbedarfe auf rund 400 Milliarden Euro, wobei erhebliche Teile der kommunalen Infrastruktur jenseits der Bildungsinfrastruktur unberücksichtigt blieben und der Schätzansatz für die Dekarbonisierung vergleichsweise gering ausfiel. Mit fast 800 Milliarden Euro ermittelt das Dezernat Zukunft den höchsten zusätzlichen Bedarf. Die ermittelten Werte liegen zum Teil nahe bei denen des IMK/IW-Teams. Große Unterschiede ergeben sich durch die teilweise Berücksichtigung von Personalkosten sowie durch die Erfassung der Ausgaben für das Gesundheits- und Verteidigungswesen.

Mit 600 Milliarden Euro erfasst die IMK/IW-Studie die wesentlichen investiven Bedarfe zur Modernisierung des Produktionsstandorts Deutschland. Darüber hinaus ist nicht zu verleugnen, dass auch zusätzliche Personalbedarfe – etwa in der Kinderbetreuung – zu decken sind und die Verteidigungsausgaben dauerhaft erhöht werden müssen. Ein solcher Kraftakt ist auch bei einer Neuordnung der Prioritäten nicht aus dem laufenden Haushalt zu bewältigen. Möglicherweise kann ein Teil der Mittel aufgebracht werden, indem an anderer Stelle nicht mehr vorrangige Ausgaben umgeschichtet und Steuervergünstigungen zur Förderung der Transformation neu ausgerichtet werden. Zu einem nennenswerten Teil sollten zusätzliche Investitionen aber durch Kredite finanziert werden. Dies ist angesichts einer im internationalen Vergleich niedrigen Schuldenstandsquote und einer historisch niedrigen Zins-Steuer-Quote nicht nur problemlos möglich, sondern für eine ausgewogene Lastenteilung zwischen den Generationen auch geboten. Im Sinne einer goldenen Regel der Investitionen sollten auch zukünftige Steuerzahlende an der Finanzierung heutiger Investitionen, die auch ihnen zugutekommen, beteiligt werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen sind ein gesamtwirtschaftliches und international vergleichbares konsistentes Rechenwerk, das die wirtschaftliche Aktivität abbildet und aus verschiedenen Teilrechnungen und statistischen Satellitensystemen besteht.

  2. Für das komplette Schema der Sektorzuordnung siehe Eurostat, Manual on Government Deficit and Debt – Implementation of ESA 2010, 2022 Edition, Luxemburg 2023, S. 11ff.

  3. Vgl. Michael Kuhn et al., Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 1991 bis 2023, in: WISTA Wirtschaft und Statistik 5/2024, S. 15–27.

  4. Vgl. Norbert Räth/Albert Braakmann, Generalrevision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 2014 für den Zeitraum 1991 bis 2014, in: WISTA Wirtschaft und Statistik 9/2014, S. 502–543.

  5. Nominale Bruttoanlageinvestitionen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

  6. Vgl. Council of the European Union, Council Recommendation of 21 October 2024 on Economic, Budgetary, Employment and Structural Policies of Germany, 29.11.2024, Externer Link: https://eur-lex.europa.eu/eli/C/2024/6812/oj/eng.

  7. Vgl. Galen Sher, Options for Creating Fiscal Room for Investment and Other Spending Needs: Germany, International Monetary Fund, IMF Selected Issues Paper 34/2024.

  8. Anstelle des nominalen Bruttoinlandsprodukts wird hier für die Betrachtung der Investitionsquoten (Investitionen relativ zur Wirtschaftsleistung) das nominale Produktionspotenzial verwendet, wie es von der Bundesregierung im Oktober 2024 geschätzt wurde. Durch die Verwendung dieser geglätteten Größe wird ein Anstieg infolge eines sinkenden nominalen Bruttoinlandsprodukts in den Krisenjahren 2009 und 2020 vermieden.

  9. Zum Modernitätsgrad des Kapitalstocks siehe auch Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren, Jahresgutachten 2024/25, Wiesbaden 2024, S. 95f.

  10. Wegen unterschiedlicher Aufgabenteilungen zwischen Land und Gemeinden („Kommunalisierungsgrad“) je nach Bundesland empfiehlt sich eine gemeinsame Betrachtung der Landes- und Gemeindeebene.

  11. Vgl. Achim Truger, Anhaltende Krise der Kommunalfinanzen in NRW – lokale Verantwortung für negative Globalisierungsfolgen?, in: Jahrbuch für öffentliche Finanzen 1/2018, S. 451–468.

  12. Vgl. Martin Beznoska/Björn Kauder, Verschuldung und Investitionsschwäche der Kommunen: Dynamik der Kommunalfinanzen am Beispiel Nordrhein-Westfalens, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4/2020, S. 403–421; Björn Bremer/Donato Di Carlo/Leon Wansleben, The Constrained Politics of Local Public Investment Under Cooperative Federalism, in: Socio-Economic Review 2/2023, S. 1007–1034.

  13. Vgl. Kai Eickerwolf/Katja Rietzler, Regionale Disparitäten bei Schulbauinvestitionen: Zur Bedeutung von Ausgliederungen am Beispiel Hessen, in: Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2/2020, S. 279–295.

  14. Vgl. Hubertus Bardt et al., Für eine solide Finanzpolitik – Investitionen ermöglichen!, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, IMK Report 152/2019.

  15. Vgl. Sebastian Dullien et al., Herausforderungen für die Schuldenbremse. Investitionsbedarfe in der Infrastruktur und für die Transformation, IMK Policy Brief 168/2024.

  16. Vgl. Bundesverband der Industrie, Standort D mit Investitionen stärken. Programm für Infrastruktur, Transformation und Resilienz erforderlich, Berlin 2024.

  17. Vgl. Felix Heilmann et al., Was kostet eine sichere, lebenswerte und nachhaltige Zukunft? Öffentliche Finanzbedarfe für die Modernisierung Deutschlands, Dezernat Zukunft, Berlin 2024.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Katja Rietzler für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist promovierte Ökonomin und Leiterin des Referats Steuer- und Finanzpolitik am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf.