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Aus Erfahrung klug? | Inflation | bpb.de

Inflation Editorial Herausforderungen für die Stabilisierungspolitik 2023 Geldpolitik und Finanzpolitik im Dilemma Unterschiedliche Inflationskrankheiten Notwendige Zielgenauigkeit Der Preis ist hoch. Inflation, Preisdeckel und Preisbremsen Wen trifft die Inflation besonders? Haushaltsspezifische Inflationsraten in Deutschland nach den Preisschocks Globaler Inflationsdruck. Ursachen und länderspezifische Unterschiede Die Hyperinflation 1923 im kollektiven Gedächtnis Eine Globalgeschichte der Inflation Aus Erfahrung klug? Zur Entstehung und Wirkung von Inflationserwartungen

Aus Erfahrung klug? Zur Entstehung und Wirkung von Inflationserwartungen

Ulrike Malmendier Karin Li

/ 16 Minuten zu lesen

Alltägliche Erfahrungen mit Preissteigerungen beeinflussen unsere Inflationserwartungen stark. Diese Erwartungen wiederum haben Folgen für ökonomische Entscheidungen von Haushalten und Firmen und spielen auch bei Prognosen von Experten eine Rolle.

Die Themen "Inflation" und "Inflationserwartungen" haben seit 2021 wieder Konjunktur. Ab 1995 war die Inflation in Deutschland auf einem niedrigen Niveau. Dementsprechend war "Inflation" für viele Deutsche der Post-1995er-Generationen eine eher theoretische Idee. Wirtschaftsstudenten wurde das Thema zwar weiterhin ausführlich in ihren Makroökonomie-Vorlesungen vorgestellt und in Formeln verdeutlicht – ein echtes Gefühl dafür, was Inflation ist, konnten sie hingegen nicht entwickeln. Seit Anfang 2021 jedoch stieg die Inflation stetig an, bis sie im Oktober 2022 mit 10,4 Prozent schließlich die Schallmauer der Zweistelligkeit durchbrach – und damit so hoch lag wie seit 70 Jahren nicht. Auf einmal konnten selbst Schüler, die noch nie eine Makroökonomie-Vorlesung besucht hatten, das Konzept "Inflation" gut verstehen, genauso wie die Implikationen, die mit einer aus dem Ruder laufenden Inflationslage einhergehen können. Die Inflationserwartungen in der "jungen Generation" begannen sich drastisch zu ändern – angetrieben von den Erfahrungen, die sie mit der Inflation machten und machen.

In der neueren Inflationsforschung wird dieses Phänomen intensiv untersucht. Es gibt inzwischen überzeugende wissenschaftliche Belege dafür, wie wichtig persönliche Inflationserfahrungen für Inflationserwartungen sowie für die damit verbundenen finanziellen Entscheidungen sind. Die Inflationserfahrungen, die man persönlich durch vergangene Inflationsperioden oder durch Phasen hoher Stabilität gesammelt hat, haben eine nachhaltige und starke Wirkung auf Inflationserwartungen. Unsere persönlichen Erfahrungen scheinen uns ständig zu begleiten: Wir neigen dazu, Ereignissen, die wir zu unseren Lebzeiten erlebt haben, mehr Gewicht beizumessen als (anderen) historischen Daten. Das führt auch dazu, dass unterschiedliche Generationen auf das gleiche Ereignis unterschiedlich reagieren. Mit 20 Jahren hat man lediglich das bewusst erlebt, was in wenigen Jahren zuvor passiert ist. In einem Alter von 60 Jahren jedoch gibt es Erinnerungen an die 1980er Jahre und an die Umstände, die damit einhergingen.

Weshalb Inflationserwartungen?

Um die Berücksichtigung von Inflationserwartungen kommt man in den Wirtschaftswissenschaften nicht herum, will man etwa das Haushalts-Konsumverhalten, das Lohnverhandlungsverhalten oder das Investitionsverhalten verstehen. Ein prominentes Beispiel ist die sogenannte neukeynesianische Phillips-Kurve, ein theoretisches Modell, das den Zusammenhang zwischen Preisniveauänderungen (Inflation) und Realvariablen beschreibt. Darin ist die Inflationserwartung eine Komponente, die entscheidend für die tatsächliche Inflation ist:

Inflation jetzt = ß Erwartung jetzt ( Inflation zukünftig) − κProduktionslücke jetzt + Schock jetzt

Die realisierte Inflation hängt also direkt von der erwarteten Inflation ab. Der Grund dafür ist, dass Erwartungen zukünftiger Preissteigerungen Menschen bereits in der unmittelbaren Gegenwart dazu bringen, ihr Verhalten zu ändern, die Preise ihrer Produkte zu erhöhen oder höhere Löhne zu verlangen. Um Erklärungen für die Inflation zu finden, ist es unabdingbar, Inflationserwartungen zu studieren und zu verstehen.

Dementsprechend versuchen Zentralbanken aus aller Welt, Inflationserwartungen aktiv zu managen. In Zeiten, in denen es keine Beschränkungen für die Geldpolitik gibt, nehmen viele Zentralbanken an, dass Inflationserwartungen fest verankert sind und dass Veränderungen im Nominalzins sich eins zu eins auf den wahrgenommenen Realzins übertragen. In Zeiten, in denen die Geldpolitik dadurch beschränkt ist, dass wir uns nahe der Null-Prozent-Grenze bewegen und ein effektiver unterer Grenzwert den Nominalzins in Schranken hält, ist das Management von Inflationserwartungen von besonderer Bedeutung. Diese sind dann das einzige Werkzeug, das den Zentralbanken bleibt, um wirksame Geldpolitik zu betreiben. Und obwohl Inflationserwartungen von zentraler Bedeutung sind, gibt es noch immer Lücken im Verständnis von deren Entstehungsprozess.

Wie anfangs ausgeführt, können sich persönliche Erfahrungen, die man im Laufe seines Lebens sammelt, signifikant auf das Verhalten auswirken. Aber welche Erfahrungen spielen wie genau in den Entwicklungsprozess von Inflationserwartungen hinein? Im Folgenden präsentieren wir einige Aspekte, die sich in der Forschung herauskristallisiert haben.

Einfluss alltäglicher Preissignale

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass nicht unbedingt die "großen Preisänderungen", sondern vor allem die täglich erlebten Erfahrungen von Preisänderungen Konsumenten in ihren Inflationserwartungen beeinflussen. Die eigenen Einkaufstouren spielen zum Beispiel stark in Inflationserwartungen hinein. Um zu genaueren Erkenntnissen auf dieser Ebene zu kommen, untersuchen Forscher sogenannte Mikrodaten, also Daten, die detaillierte Informationen auf Individualebene bieten. Im Falle des US-amerikanischen Datensatzes Kilts-Nielsen Consumer Panel sind, neben einer großen Anzahl an demografischen Variablen, zwei Arten von Informationen vorhanden: erstens detaillierte Informationen zum Erwerb von 1,5 Millionen unterschiedlichen Produkten (unter anderem Lebensmittel, Medikamente, Haushaltsgeräte und Elektrogeräte) von ungefähr 60.000 Haushalten im Zeitraum von 2004 bis 2018 und zweitens detaillierte Informationen zu Inflationswahrnehmung und -erwartungen genau dieser
Haushalte.

Im Allgemeinen wird die Inflation anhand eines repräsentativen Warenkorbs gemessen. Das heißt, es gibt eine Sammlung von Produkten, deren Preisentwicklungen regelmäßig erhoben und anhand derer der sogenannte Verbraucherpreisindex erstellt wird; die jährliche prozentuale Veränderung dieses Indexes ist die Inflationsrate. In einer Studie von 2021 ersetzten Francesco D’Acunto, Ulrike Malmendier und Michael Weber auf Grundlage der Daten aus dem Kilts-Nielsen Consumer Panel den repräsentativen Warenkorb durch einen "individuellen Warenkorb" an Konsumgütern mit dem Ziel, herauszufinden, wie stark dessen Preisindex die Inflationserwartungen der einzelnen Individuen vorhersagt. Dabei stellte sich heraus, dass genau dieser haushaltsspezifische Preisindex die Inflationserwartungen der darauffolgenden zwölf Monate signifikant erklären konnte – also die persönlichen Erfahrungen. Noch besser funktioniert der "individuelle Warenkorb", wenn man seine Bestandteile nicht nach Preisen (also Ausgaben) gewichtet, sondern einfach nach Häufigkeit des Kaufs. In anderen Worten, die Preissteigerungen bei Milch, die fünfmal im Monat gekauft wurde, beeinflussten den Konsumenten mehr als die Preissteigerung bei einer Flasche Wein, die nur einmal gekauft wurde – auch wenn die eine Weinflasche doppelt so teuer war als alle fünf Milcheinkäufe zusammen.

Langzeiteffekte von Inflationserfahrungen

Tagtägliche Erfahrungen können also von signifikanter Bedeutung für die unmittelbar folgende Bildung von Inflationserwartungen sein. Weitere Studien zeigen, dass dieser Effekt sehr lange anhalten kann. Für eine solche Untersuchung benötigt man Daten zu Inflationserwartungen und erlebter Inflation über einen langen Zeitraum. Das Michigan Survey of Consumers beispielsweise bietet hierfür eine gute Grundlage: In diesem erhebt die University of Michigan seit 1953 die Inflationserwartungen einer repräsentativen Stichprobe von US-amerikanischen Haushalten. Damit steht eine Zeitreihe von über 60 Jahren zur Verfügung. Um die Hypothese zu testen, ob die erlebte Inflation die Inflationserwartungen der befragten Personen langfristig beeinflusst, haben Ulrike Malmendier und Stefan Nagel 2016 das Michigan Survey of Consumers mit historischen Inflationsdaten kombiniert. Dabei kalkulierten sie aus den Inflationsdaten mithilfe eines modifizierten Adaptive-learning-Algorithmus die erlebte Inflationsrate für jedes Individuum in der Stichprobe. Die Schlüsselkomponente bei dieser Methodik ist, dass bei der Berechnung die während der Lebenszeit erlebten Inflationsrealisierungen einen stärkeren Einfluss haben als andere historische Daten. Auch hier stellt sich heraus, dass Inflationserfahrungen einen wirtschaftlich wichtigen Einfluss auf die Inflationserwartungen haben. Personen unterschiedlichen Alters unterscheiden sich erheblich in ihren Erwartungen an die zukünftige Inflation, und diese Unterschiede verändern sich zudem über die Zeit.

Beide Effekte lassen sich gut durch experience effects erklären, also die Rolle individueller Inflationserfahrungen über die Lebenszeit. Dementsprechend reagieren jüngere Personen stärker in ihren Inflationserwartungen auf plötzliche Änderungen in der Inflationsrate, einfach basierend darauf, dass sie bislang weniger Informationen über ihre Lebenszeit gesammelt haben als ihre älteren Mitbürger. Daraus ergibt sich auch, dass sich verschiedene Generationen über die Inflationsaussichten uneins sind. Des Weiteren stellte sich heraus, dass es einen sogenannten recency effect gibt: Jüngere Inflationserfahrungen spielen für Inflationserwartungen eine größere Rolle als Erfahrungen, die weit in der Vergangenheit liegen.

Inflationserwartungen von Haushalten

Wir haben gezeigt, wie sich Inflationserwartungen unter anderem durch Inflationserfahrungen herausbilden. Nun stellt sich die Frage, wie die Unterschiede in Inflationserwartungen relevante ökonomische Entscheidungen von Haushalten beeinflussen.

Moderne Modelle zu Konsum- und Sparentscheidungen schreiben Inflationserwartungen eine bedeutende Rolle zu. Die grundlegende Frage bei intertemporalen Konsumentscheidungen ist die Abwägung zwischen Konsum- und Sparverhalten zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Inflationserwartungen beeinflussen diese Abwägung über mehrere Kanäle. Höhere Inflationserwartungen mindern die wahrgenommene (Real-)Zinsrate und damit den Anreiz zum Sparen. Dies wiederum erhöht den gegenwärtigen Konsum. Andererseits ist eine höhere Inflation eine implizite Steuer auf das Nominalvermögen, sodass negative Einkommens- und Vermögenseffekte dem positiven Einfluss der Inflationserwartungen auf den laufenden Konsum entgegenwirken. In jüngster Zeit haben sich Wissenschaftler mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Beziehung zwischen Inflationserwartungen und gegenwärtigem Konsum kausaler Natur ist. Dabei haben sich beispielsweise Francesco D’Acunto, Daniel Hoang und Michael Weber ein natürliches Experiment in Deutschland zunutze gemacht: Im November 2005 kündigte eine neu gewählte Bundesregierung eine Erhöhung der Mehrwertsteuer an, die 2007 in Kraft treten sollte. Die Ankündigung erhöhte die Inflationserwartungen der deutschen Verbraucher. Die Autoren dokumentierten einen Anstieg der Kaufbereitschaft in Bezug auf Gebrauchsgüter (beispielsweise Automobile) unmittelbar nach der Ankündigung verglichen mit deren Kaufbereitschaft vor der Ankündigung.

Beim Kauf einer bestimmten Art von Gebrauchsgütern spielen Inflationserwartungen eine besonders wichtige Rolle: Immobilien. Die Entscheidung, eine Immobilie zu erwerben, ist für viele Menschen eine der wichtigsten wirtschaftlichen Entscheidungen ihres Lebens. Die unterschiedlichsten Gründe spielen eine Rolle dabei, ob man sich für oder gegen einen Kauf entscheidet. Bei einer direkten Befragung von 700 Eigentümern aus europäischen Ländern mit hoher und niedriger Wohneigentumsquote (Deutschland, Irland, Italien, Österreich, Portugal und Spanien) von Ulrike Malmendier und Alex Steiny Wellsjo 2020 sagten 72 Prozent der Befragten, dass "Sorgen bezüglich künftiger Preissteigerungen" ein legitimer Faktor sind. Zudem gab ein Drittel der Personen an, dass sich Bedenken hinsichtlich der Inflation auf ihre eigene Entscheidung für Wohneigentum ausgewirkt haben. Interessanterweise war diese Antwort vor allem unter Individuen vertreten, die Erfahrungen mit hoher Inflation gemacht haben. Anders ausgedrückt: Das Motiv der Inflationsabsicherung erweist sich für Hauseigentum als wichtiger Faktor, auch im Vergleich zu anderen bekannten Einflussfaktoren, wie zum Beispiel Steuervorteilen, einer besseren Auswahl an Eigenheimen zum Kaufen als zum Mieten oder niedriger Hypothekenzinsen.

In einer strukturell empirischen Analyse betrachten Malmendier und Steiny das Immobilienerwerbsverhalten von US-amerikanischen und europäischen Bürgern und Immigranten. Anhand des American Community Surveys lässt sich identifizieren, welche amerikanischen Haushalte Wohneigentum erworben haben. Gleichzeitig sind dort auch das Herkunftsland und das Jahr der Einwanderung (bei Immigranten) dokumentiert. Kombiniert mit historischen Inflationsdaten der in der Stichprobe vertretenen Herkunftsländer, bietet dieser Rahmen die einzigartige Möglichkeit, das Immobilien-Kaufverhalten von Haushalten mit unterschiedlichen Inflationserfahrungen (in ihren jeweiligen Heimatländern) innerhalb desselben Immobilienmarktes (in den USA) zu beobachten. Ergebnis ist, dass persönliche Inflationserfahrungen, unter anderem getrieben durch den Einfluss auf Inflationserwartungen, signifikant die Wohneigentumsentscheidung beeinflussen. Dasselbe Muster zwischen Inflationserfahrungen und Wohneigentumsentscheidungen zeigt sich auch in europäischen Ländern. Der Prozentsatz an Wohneigentümern variiert zwischen europäischen Ländern stark: Während in Deutschland und Österreich die Wohneigentumsquote weniger als 50 Prozent beträgt, haben die Slowakei, Ungarn und Spanien eine Wohneigentumsquote von mehr als 80 Prozent. Die Household Finance and Consumption Surveys der Europäischen Zentralbank bestätigen, dass auch hier die Inflationserfahrung von Individuen einen maßgeblichen Einfluss auf deren Entscheidung hinsichtlich Eigentumserwerb ausübt.

Wenn sich Haushalte dazu entschieden haben, ein Eigenheim zu erwerben, stehen sie direkt vor einer neuen Reihe an relevanten Entscheidungen. Unter anderem müssen sie sich damit auseinandersetzen, wie sie die Immobilie finanzieren wollen. Die zwei gängigsten Formen der Finanzierung sind die Hypothek mit festem Zins und die Hypothek mit variablem Zinssatz. Bei Festzinshypotheken wird ein fester Zinssatz erhoben, der sich während der Laufzeit des Darlehens nicht ändert. Dagegen wird bei einer Hypothek mit variablem Zinssatz der Zinssatz stetig an die Entwicklung des Marktzinssatzes angepasst. Inflationserwartungen beeinflussen, für welche Finanzierung sich Haushalte entscheiden. Höhere Inflationserwartungen führen eher zu einer Entscheidung für eine Festzinshypothek, weil die Konsumenten damit auch höhere Nominalzinsen erwarten und die Summe fester Zahlungsverpflichtungen stärker diskontieren, was wiederum den Barwert dieser vermindert. Auch erwarten Kreditnehmer mit hohen Inflations- und Zinserwartungen unter einer Hypothek mit variablem Zins steigende nominale Zinszahlungen. Infolgedessen nehmen sie Hypotheken mit variablen Zinsen insgesamt als teurer wahr als Festzinshypotheken. Diese Logik und erste Resultate sind in der bereits erwähnten Studie von Malmendier und Nagel angelegt.

Eine weitere Studie von Malmendier und Matthew J. Botsch von 2022 analysiert dieses Thema explizit. Es zeigt sich, dass Individuen, die hohe Inflationsraten und hohe Zinssätze persönlich erlebt haben, künftige Nominalzinsen überbewerten und daher Festzinshypotheken gegenüber Hypotheken mit variablem Zinssatz vorziehen, auch in Zeiten, in denen ein variabler Zinssatz objektiv betrachtet besser als ein fester Zinssatz ist. In Zeiten der "Great Inflation" in den USA (1965–1982) waren diese Einflüsse besonders stark: Angesichts der relativen Kosten von festverzinslichen gegenüber variabel verzinslichen Hypotheken hätte die Generation der Babyboomer Ende der 1980er Jahre eine Million (und in den späten 1990er Jahren eine halbe Million) Hypotheken besser variabel- als festverzinslich abschließen sollen. Für ihre überstarke Reaktion auf die persönliche Erfahrung der "Great Inflation" haben sie dann teuer bezahlt – etwa 14 Milliarden Dollar an überhöhten Zahlungen in den späten 1980er Jahren und fast 9 Milliarden Dollar in den späten 1990er Jahren. Insgesamt scheinen die langen Schatten der "Great Inflation" die Wahl der Hypothekenfinanzierung und damit die Hypothekenmarktstruktur stark zu beeinflussen.

Inflationserwartungen von Experten

Dass Erfahrungen mit hohen Inflationsraten tiefe Narben hinterlassen können, kann man auch an einem prominenten Beispiel sehen: Heinrich Wallich, der 1914 in Berlin in eine Bankiersfamilie geboren wurde, erlebte 1923 die deutsche Hyperinflation noch persönlich. Seine Familie wanderte in den 1930er Jahren in die USA aus, und Wallich machte später Karriere bei der US-Zentralbank, der Federal Reserve (Fed). Er begann seine Laufbahn bei der New York Fed, promovierte an der Harvard University und war von Mitte der 1970er bis in die 1980er Jahre Gouverneur der Fed, berühmt für seine unnachgiebige Haltung gegenüber den kleinsten Anzeichen von Inflation. Unseres Wissens nach hält er nach wie vor den "Dissent"-Rekord in der Geschichte der Federal Reserve, also den Rekord darin, den Vorschlag des Fed-Vorsitzenden zu Leitzinsänderungen abzulehnen, zugunsten von stärkeren Zinserhöhungen. Auch hat er immer wieder eindringlich davor gewarnt, dass sich die Menschen der Gefahren der Inflation nicht hinreichend bewusst seien. Diese Anekdote ist deswegen so interessant, weil sie klarstellt, dass nicht nur Konsumenten und Kleinanleger persönliche Erfahrungen übergewichten: Heinrich Wallich – später bekannt als "Henry Wallich" – war offensichtlich eine hoch gebildete Person, die mit allen Inflationsdaten und -modellen ausgestattet war. Er war sich zweifellos dessen bewusst, dass er in den 1970er und 1980er Jahren in den USA in einem anderen Land und in einer anderen Zeit als der Weimarer Hyperinflation lebte. Dennoch konnte er seine Erfahrungen nicht abschütteln.

Genau dieses Phänomen, nämlich dass selbst hochqualifizierte und gut informierte Fachleute in ihren Inflationserwartungen von ihren persönlichen Erfahrungen beeinflusst werden, lässt sich strukturell wissenschaftlich nachweisen. In einem 2021 publizierten Artikel analysieren Malmendier, Nagel und Zhen Yan die Inflationsvorhersagen (und damit ungefähren Inflationserwartungen) und geldpolitischen Entscheidungen der Mitglieder des Federal Open Market Committee (FOMC) (auf Deutsch etwa "Offenmarktausschuss") im Hinblick auf deren persönliche Inflationserfahrungen. Sie verwenden dabei die Inflationsprognosen einzelner Mitglieder, die sie wiederum den Monetary Policy Reports entnehmen, die das FOMC dem US-Kongress jeden Februar und jeden Juli vorlegt. Eine interessante Beobachtung dabei ist, dass die Mitarbeiterprognosen, die in den Greenbooks der Federal Reserve Board of Govenors festgehalten sind, tendenziell eine höhere Prognosegenauigkeit aufweisen als die individuellen Prognosen der FOMC-Mitglieder. Mit anderen Worten, persönliche Erfahrungen aus der Vergangenheit veranlassen selbst FOMC-Mitglieder, ungenauere Prognosen abzugeben, als wenn sie einfach den Vorschlägen ihres Stabs folgen würden. Des Weiteren beeinflussen diese Erfahrungseffekte auch geldpolitische Entscheidungen. In den Abstimmungsentscheidungen der FOMC-Mitglieder aus den Sitzungen von März 1951 bis Januar 2014 identifizieren die Autoren wieder einen erheblichen Einfluss von persönlichen Inflationserfahrungen.

Inflationserwartungen von Firmen

Nicht nur die Inflationserwartungen von Haushalten und Experten haben wichtige Implikationen für geld- und fiskalpolitische Zielsetzungen; auch die Inflationserwartungen von Firmen sind ein wichtiges Forschungsgebiet. Und auch hier scheinen persönliche Preiserfahrungen – in diesem Fall durchaus geschäftlicher Natur – einen signifikanten Einfluss auf Inflationserwartungen zu haben. So befragten etwa Saten Kumar und Kollegen 2015 Manager neuseeländischer Firmen, wie sie ihre Inflationserwartungen typischerweise entwickeln. Zu den Top-4-Antworten gehören sowohl die Einkaufspreise als auch die Preise von Wettbewerbern und Anbietern. Mit anderen Worten, die Preise, die Manager in der jüngsten Vergangenheit gesehen haben, haben einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf ihre Prognose der zukünftigen Inflation. Einen weiteren wichtigen Einfluss auf Inflationserwartungen haben Informationen, die sie von anderen Personen erhalten. Diese anderen Personen sind nicht etwa Finanzberater oder Geldpolitikexperten. Vielmehr handelt es sich um Informationen von Menschen "wie sie", wie Kollegen und Familienmitglieder. Es scheint so zu sein, dass Informationen, die von Menschen kommen, mit denen wir uns identifizieren, also Informationen, die Resonanz finden, eine Wirkung haben. Dies ist etwas, worüber man in Diskussionen zu Geldpolitik und Verhalten von Zentralbanken nachdenken sollte.

Ausblick

In diesem Beitrag haben wir "Inflationserfahrungen" als Antwortmöglichkeit in den Mittelpunkt der Frage "Wie entstehen Inflationserwartungen?" gestellt. Natürlich gibt es noch andere Aspekte, die in die Inflationserwartungsbildung hineinspielen, wie etwa allgemein demografische Faktoren oder Finanzkenntnisse. Jedoch ist der Einfluss persönlicher Erfahrungen auf die Bildung von Inflationserwartungen von zentraler Bedeutung. Oft wird spekuliert, dass die Inflationsangst der Deutschen mit den Erfahrungen während der Hyperinflation 1923 in der Weimarer Republik im Zusammenhang steht, wie auch das Beispiel Heinrich Wallich zeigt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Inflationserfahrungen, denen man häufig ausgesetzt ist, wie beispielsweise durch die eigenen tagtäglichen Einkäufe, und Erfahrungen, die man über einen längeren Zeitraum erfährt, die Inflationserwartungen stark beeinflussen. Dies wiederum hat messbare Auswirkungen auf ökonomische Entscheidungen wie Konsumentscheidungen, Immobilienbesitz oder die Zinsstruktur von Hypotheken. Des Weiteren bleiben auch Experten nicht vom Einfluss persönlicher Erfahrungen auf ihre Inflationserwartungen und ihr wirtschaftliches Handeln "verschont". Auch Firmen scheinen davon beeinflusst zu sein.

Daraus ergeben sich Implikationen für die (Geld-)Politik: Erstens ist es wichtig, einen Einblick in die gelebte Realität der Verbraucher zu haben. Der Einfluss von Lebensmittel- und Gaspreisen wird nicht verschwinden, selbst wenn man argumentiert, dass Konsumenten diesen Preisen nicht so viel Aufmerksamkeit schenken "sollten", da es sich um hochvolatile Posten handelt, und dass sie sich stattdessen auf die Kerninflation konzentrieren sollten. Zweitens müssen politische Entscheidungsträger die anhaltenden Auswirkungen inflationärer Perioden berücksichtigen. Das heißt, auch wenn eine Wirtschaft wieder in die "Vorher"-Situation zurückgekehrt ist, etwa nach den Inflationserfahrungen Anfang der 2020er Jahre zurück auf das Niveau von 2014/15, werden die Menschen immer noch andere Erwartungen bilden und andere Entscheidungen treffen, als sie es ohne die Erfahrungen mit der höheren Inflation getan hätten. Das ist auch für die Geldpolitik wichtig. Eine Verankerung von Inflationserwartungen beim Zwei-Prozent-Ziel ist nur dann langfristig realisierbar, wenn die tatsächliche Inflation auch in einem Zahlenkorridor rund um die zwei Prozent liegt.

Individuelle Erwartungen spiegeln das wider, was Individuen bisher in ihrem Leben erlebt haben. Das heißt nicht, dass Erfahrungen erhöhter Inflation die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken gänzlich untergraben. Ein klares Verständnis davon, was Entscheidungen ausgelöst hat, und die konsequente Durchführung von angekündigten Maßnahmen sind sicherlich hilfreich. Die Erkenntnisse zu erfahrungsbedingten Inflationserwartungen unterstreichen jedoch die Auswirkungen gelebter Erfahrungen auf die Erwartungen. Die Erwartungen wiederum zeigen uns, ob die Zentralbank die Inflationsrealität erfolgreich bekämpft. Infolgedessen sind einige Strategien, wie etwa die Forward Guidance, also die Kommunikation künftiger geldpolitischer Entscheidungen, möglicherweise nicht so effektiv, wie wir gedacht haben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Erfahrungsbasiertes Lernen ist eng verwandt mit den adaptiven Lernmodellen der Makroökonomie. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass erfahrungsbasiertes Lernen die individuelle Lebenszeit berücksichtigt. Nicht nur gewichten Menschen die jüngste Vergangenheit zu stark, etwa das vergangene Jahr, die vergangenen fünf Jahre oder einen anderen Zeitraum; zudem unterscheidet sich die Gewichtung je nach derzeitigem Alter und damit derzeitiger Lebenserfahrung.

  2. Wissenschaftliche Nachweise erfahrungsbasierten Lernens (sogenannten experience effects) gibt es nicht nur für Inflationserfahrungen, sondern auch für Erfahrungen im Aktienmarkt und anderen Finanzmärkten. Auch Arbeitslosigkeitserfahrungen verfolgen uns: Wir bleiben jahrelang vorsichtiger bei Ausgaben. Vgl. Ulrike Malmendier, Experience Effects in Finance: Foundations, Applications, and Future Directions, in: Review of Finance 5/2021, S. 1339–1363; dies., Exposure, Experience, and Expertise: Why Personal Histories Matter in Economics, FBBVA Lecture 2020, in: Journal of the European Economic Association 6/2021, S. 2857–2894.

  3. Im Original: π t = β E t π t+1− K(U t − U t n) + v t. In dieser Formel steht π t für die Inflation in einer gewissen Zeitperiode t (heute), die als eine Funktion von drei verschiedenen Summanden beschrieben ist: v t ist lediglich ein Shock. κ(u t − u t n) beschreibt die Produktionslücke. β E t π t+1 ist die Inflation in der "nächsten Zeitperiode (t+1)" (morgen) aus heutiger Erwartungssicht (multipliziert mit einem Faktor β), oder, mit anderen Worten: die Inflationserwartung. Vgl. Jonathon Hazell et al., The Slope of the Phillips Curve: Evidence from US States, in: The Quarterly Journal of Economics 3/2022, S. 1299–1344.

  4. Vgl. Francesco D’Acunto/Ulrike Malmendier/Michael Weber, What Do the Data Tell Us About Inflation Expectations?, in: Rudi Bachmann/Giorgio Topa/Wilbert van der Klaauw (Hrsg.), Handbook of Economic Expectations, Amsterdam 2022 (i.E.).

  5. Vgl. Francesco D’Acunto et al., Exposure to Grocery Prices and Inflation Expectations, Journal of Political Economy 5/2021, S. 1615–1639.

  6. Bei direkter Befragung, woran die Konsumenten bei Befragungen zu Inflation denken, antworteten überproportional viele mit "eigene Einkaufstouren".

  7. Hierbei wurden sowohl eine Punktschätzung als auch die volle Verteilung der Inflationswahrnehmung über die vorangegangenen zwölf Monate und der Inflationserwartungen über die zukünftigen zwölf Monate erhoben. Die Erhebung erfolgte im Juni 2015 und Juni 2016.

  8. Vgl. Ulrike Malmendier/Stefan Nagel, Learning from Inflation Experiences, in: The Quarterly Journal of Economics 1/2016, S. 53–87.

  9. Dies bedeutet allerdings nicht, dass ältere Erfahrungen keinen Einfluss mehr haben, sondern lediglich, dass deren Effekt über die Zeit langsam abnimmt und dass Personen ihre jüngsten Erfahrungen am stärksten gewichten. Gerade bei einschneidenden älteren Erfahrungen, wie etwa Hyperinflation, bleiben diese robust im Gedächtnis verankert.

  10. Vgl. Francesco D’Acunto/Daniel Hoang/Michael Weber, Managing Households’ Expectations with Unconventional Policies, in: The Review of Financial Studies 4/2022, S. 1597–1642.

  11. Vgl. Ulrike Malmendier/A. Steiny Wellsjo, Rent or Buy? Inflation Experiences and Homeownership Within and Across Countries, Technical Report, National Bureau of Economic Research, 2020.

  12. Ebd.

  13. Die Inflationserfahrung kann das Kaufverhalten von Immobilien noch durch weitere Kanäle als die Inflationserwartungen beeinflussen. Malmendier und Steiny erwähnen in ihrem Papier beispielsweise die Möglichkeit, dass sich Präferenzen für Inflationsschutz verschieben können. Vgl. ebd.

  14. Die dabei verwendeten Daten stammen aus den Residential Finance Surveys (RFS) des U.S. Census Bureaus. Die RFS sind einzigartig in dem Sinne, dass sie sowohl die Haushalte als auch die Hypothekendienstleister befragen und somit sowohl demografische und geografische Informationen über die Haushalte als auch Informationen zu Hypothekenvertragsbedingungen bereitstellen.

  15. Vgl. Matthew J. Botsch/Ulrike Malmendier, The Long Shadows of the Great Inflation: Evidence from Residential Mortgages, Social Science Research Network, SSRN Papers 3888762/2021.

  16. Das FOMC besteht aus zwölf Mitgliedern: dem Präsidenten der New York Fed, den sieben Mitgliedern des Board of Govenors und vier Mitgliedern, die im jährlichen Wechsel aus den zwölf Vorsitzenden der regionalen Feds ausgewählt werden. Es gilt als das wichtigste Gremium der Fed und betreibt die Geld- und Währungspolitik der Vereinigten Staaten.

  17. Die Daten zur Berechnung der persönlichen Inflationserfahrung jedes FOMC-Mitglieds basiert auf Rohdaten von Robert J. Shiller, Irrational Exuberance, Princeton 20052, und auf dem Berechnungsalgorithmus aus Malmendier/Nagel (Anm. 8).

  18. Vgl. Christina D. Romer/David H. Romer, The FOMC Versus the Staff: Where Can Monetary Policymakers Add Value?, in: American Economic Review 2/2008, S. 230–235.

  19. Vgl. Ulrike Malmendier/Stefan Nagel/Zhen Yan, The Making of Hawks and Doves, in: Journal of Monetary Economics Bd. 117/2021, S. 19–42.

  20. Vgl. Saten Kumar et al., Inflation Targeting Does Not Anchor Inflation Expectations: Evidence from Firms in New Zealand, National Bureau of Economic Research, NBER Working Paper w21814/2015.

  21. Siehe dazu auch den Beitrag von Lukas Haffert in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

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ist Professorin für Finanzen und Ökonomie an der University of California, Berkeley und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
E-Mail Link: ulrike@berkeley.edu

ist Doktorandin an der University of California, Berkeley.
E-Mail Link: karin.li@berkeley.edu