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Der Preis ist hoch | Inflation | bpb.de

Inflation Editorial Herausforderungen für die Stabilisierungspolitik 2023 Geldpolitik und Finanzpolitik im Dilemma Unterschiedliche Inflationskrankheiten Notwendige Zielgenauigkeit Der Preis ist hoch. Inflation, Preisdeckel und Preisbremsen Wen trifft die Inflation besonders? Haushaltsspezifische Inflationsraten in Deutschland nach den Preisschocks Globaler Inflationsdruck. Ursachen und länderspezifische Unterschiede Die Hyperinflation 1923 im kollektiven Gedächtnis Eine Globalgeschichte der Inflation Aus Erfahrung klug? Zur Entstehung und Wirkung von Inflationserwartungen

Der Preis ist hoch Inflation, Preisdeckel und Preisbremsen

Mechthild Schrooten

/ 17 Minuten zu lesen

Was ist Inflation? Wie lässt sich die aktuelle Inflationsentwicklung erklären? Warum gibt es im Euroraum unterschiedliche Inflationsraten? Welche Rolle spielen Geldpolitik und staatliche Eingriffe? Und wie wirken Preisdeckel und -bremsen?

Die Inflation ist hoch – nicht nur in Deutschland. Neoklassisch-monetaristische Inflationstheorien können das aktuelle Geschehen kaum erklären. In den Wirtschaftswissenschaften ist man sich weitgehend einig, dass diese Inflation vor allem auf Preis- und Angebotsschocks zurückgeht. Fossile Energie hat sich auf den internationalen Märkten kräftig verteuert. Dazu kommen Knappheiten bei Grundstoffen und unterbrochene Lieferketten. Deutschland ist von Energie- und Rohstoffimporten abhängig. Die Inflation ist in einem großen Maße "importiert".

Lehrbuchmäßig wird zur Inflationsbekämpfung eine straffe Geldpolitik mit Zinssteigerungen vorgeschlagen. Dies scheint im aktuellen Fall nur begrenzt erfolgversprechend. Offenbar kommt dem Staat eine herausragende Bedeutung bei der aktuellen Inflationsbekämpfung zu. Viele Länder nehmen auf die Preisentwicklung mit Transfers, Subventionen und Regulierung Einfluss. Damit befinden wir uns in einer besonderen wirtschaftspolitischen Ära.

Mittelfristig und langfristig werden die Transformation des Energiemixes, aber auch die Effekte aus einer Neukonzeption der Globalisierung die Inflation beeinflussen. Langfristig ist davon auszugehen, dass von der Transformation der Energiewirtschaft, von dem Übergang auf erneuerbare Energien und dem Aufbau fairer Globalisierungsbedingungen beruhigende Effekte auf die Preisentwicklung ausgehen werden.

Inflation, Hyperinflation, Deflation

Inflation ist dem Kaufkraftverlust von Geld gleichzusetzen. Sie ist ein Phänomen, das die Geldgeschichte prägt. Heute gilt für die Europäische Zentralbank (EZB) eine mittelfristige Inflation von 2 Prozent im Jahr als Zielgröße; diese Inflationsrate gilt als "normal". Ist diese Größe erreicht, so gilt die Eurozone definitorisch als preisstabil. Das ist aktuell nicht der Fall, vielmehr liegen die Inflationsraten der Eurozone, aber auch Deutschlands kräftig über der angestrebten Zielmarke von 2 Prozent. In Deutschland lag die Inflation im Oktober 2022 bei 10,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für Deutschland ist dies ein sehr hoher Wert. Der Vergleichswert für die USA liegt bei 7,7 Prozent, für Japan bei 3,7 Prozent.

Eine sich selbst beschleunigende Inflation mit einer Rate von 50 Prozent und mehr im Monat wird auch "Hyperinflation" genannt. Von einer Hyperinflation sind die Entwicklungen in Deutschland, der Eurozone, aber auch in den USA weit entfernt. Hyperinflation geht in der Regel mit einer völligen Destabilisierung der Geldwirtschaft einher. Der Übergang in eine Naturalwirtschaft, also einer Wirtschaft, in der nur Waren gegen Waren getauscht werden, ist wahrscheinlich. Dies hat weitreichende Konsequenzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In der Regel geht Hyperinflation mit einer Staatskrise einher.

Das Gegenteil von Inflation ist Deflation. In einer solchen Situation sinken die Preise. Deflation ist in der Regel mit großen ökonomischen Verwerfungen verbunden, da alle Akteur:innen begreifen, dass eine Investition, die in die Zukunft geschoben wird, kostengünstiger wird. Dies gilt auch für den Konsum. Befindet sich eine Volkswirtschaft in der Deflation, ist es rational, die Anschaffung langlebiger Konsumgüter zeitlich nach hinten zu schieben. Damit ist eine längerfristige Nachfrageflaute zu erwarten, und eine Rezession ist wahrscheinlich. Eine Deflation ist nur schwer zu bekämpfen. Japan gilt als ein prominentes Beispiel. Hier wurde lange Zeit versucht, mit einer Kombination aus extrem hoher staatlicher Nachfrage (expansive Fiskalpolitik) und Niedrigzinspolitik (expansive Geldpolitik) die Deflation und damit die gesamtwirtschaftliche Stagnation und Rezessionsgefahren zu durchbrechen.

Weder die Deflation noch hohe Inflationsraten sind erstrebenswerte gesamtwirtschaftliche Zustände. Beide Phänomene haben weitreichende Konsequenzen für die Erwartungen und damit für die Entscheidungen von Akteur:innen. In der aktuellen Situation hoher Inflationsraten wird händeringend nach einer Möglichkeit gesucht, auf den Weg der Preisstabilität zurückzufinden. Als verantwortliche Instanz für die Geldwertstabilität wird in der Regel die Zentralbank eines Landes beziehungsweise Währungsraumes gesehen. Aktuell stehen die Zentralbanken und ihre geldpolitischen Instrumente in vielen Ländern auf dem Prüfstand.

Klassische Inflationstheorien und "importierte Inflation"

Geldpolitik wird oft in Modellen gedacht. Der Monetarismus hat die wohl bekannteste Inflationstheorie geliefert. Demnach gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Geldmengenwachstum und der Preisentwicklung. Dabei wird immer ceteris paribus argumentiert – also unter sonst gleichen Bedingungen. Der Monetarismus konnte auf die sogenannte Quantitätsgleichung von Irving Fisher (1867–1947) zurückgreifen. In der Quantitätsgleichung werden die Gütersphäre und die Geldsphäre einander gegenübergestellt, gewissermaßen als wenn sie entkoppelt wären. Vereinfachend kann auf dieser Grundlage angenommen werden, dass bei steigender Geldmenge und gleichbleibender Produktion und Umlaufgeschwindigkeit das Preisniveau reagieren muss. Daraus kann abgeleitet werden, dass bei deutlich steigender Geldmenge – unter sonst gleichen Bedingungen – Inflation die Folge ist.

Der auf den Arbeiten von Milton Friedman basierende Monetarismus erklärt die Geldmenge zur zentralen Einflussgröße der Preisstabilität und der wirtschaftlichen Entwicklung. Diese Theorie bietet auch die Grundlage für den Anspruch, dass Zentralbanken ihre Politik auf die Sicherung der Preisstabilität ausrichten sollen. Eine zentrale Leistung des Monetarismus ist es, dass sich diese Theorie relativ leicht mit empirischen Daten verbinden lässt.

Doch in den vergangenen 15 Jahren hat dieses relativ mechanistische Weltbild an Erklärungskraft verloren. Gerade in der Eurozone, aber auch in den USA wurde auf eine extrem expansive Geldpolitik zur Unterstützung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gesetzt. Die Geldmenge stieg kräftig. Die vielfach erwartete Inflationsentwicklung blieb jedoch aus. Sie setzte erst ein, als in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 die Preise für fossile Energie auf den Weltmärkten anzogen. Das hatte nichts mit der vorangegangenen Geldmengenexpansion zu tun. Offenbar haben sich Geldmengenentwicklung und Inflation im Gefüge des sogenannten Finanzmarktkapitalismus weitgehend entkoppelt. Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass diese populäre Theorie kaum weiterhilft, wenn es um die Erklärung der aktuellen Preisentwicklung geht.

Ähnlich sieht es mit den Erklärungsansätzen des traditionellen Keynesianismus aus. Dieser erklärt Inflation vorrangig durch eine "Übernachfrage" – etwa in Zeiten eines Booms. Die typische Antwort auf die überbordende Nachfrage ist es, die staatlichen Ausgabenprogramme zu straffen. Fährt der Staat seine Nachfrage zurück, wirkt dies dämpfend auf die Gesamtwirtschaft. In dieser Argumentation wird also nicht die Geldmengenentwicklung für die Preisentwicklung verantwortlich gemacht, sondern das "Überhitzen" der Realwirtschaft.

Ein solcher gesamtwirtschaftlicher Nachfrageüberhang ist aktuell in Deutschland kaum zu diagnostizieren. Das Wirtschaftswachstum ist eher gering; es lag im 3. Quartal 2022 gerade einmal bei 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr in Deutschland. Vielfach wird von einer Rezessionsgefahr ausgegangen. Von einer Boomphase ist die deutsche Wirtschaft 2022 weit entfernt.

Das aktuelle Inflationsgeschehen ist komplex. Einen wichtigen Erklärungsansatz liefert in diesem Zusammenhang die Idee von der "importierten Inflation". Diese setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: einerseits der Preisentwicklung auf den internationalen Märkten, andererseits der Wechselkursentwicklung des Euro gegenüber dem US-Dollar. Kurzum: Insbesondere die hohen Weltmarktpreise für fossile Energie schlagen auf die nationalen Inflationsraten durch. Dazu kommt, dass auch die Weltmarktpreise für andere Rohstoffe, Grundstoffe und Lebensmittel teilweise erheblich angezogen haben. Verschärfend schlagen Lieferengpässe, weltwirtschaftliche Entwicklung, aber auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zu Buche.

Angebotsoligopole prägen die internationalen Märkte für fossile Energie schon lange. Auch andere Märkte für andere Rohstoffe sind teilweise von Oligopolen und Fast-Monopolen geprägt. Die Anbieter:innen haben gegenüber der Nachfrage Marktmacht. Denn Marktmacht bedeutet Preissetzungsmacht und führt letztendlich zum Marktversagen. Die "unsichtbare Hand" wirkt in einer solchen Situation hilflos. Dazu kommt die Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar. Bei einer Abwertung des Euro sinkt seine Kaufkraft gegenüber dem US-Dollar. Verträge auf den internationalen Märkten sind oftmals in US-Dollar formuliert. Wenn der Euro an Wert verliert, bedeutet dies, dass immer höhere Preise gemessen in Euro zu zahlen sind. Das gilt selbst dann, wenn der Preis in US-Dollar auf den internationalen Märkten stagniert. Auch das ist importierte Inflation.

Es handelt sich daher um ein strukturelles Problem, das kaum kurzfristig gelöst werden kann. Diese Preisentwicklung ist nicht durch Geldpolitik beeinflussbar. Sie ist auch nicht durch traditionelle Fiskalpolitik kurzfristig zu bändigen. Vielmehr hat die Energiepreisentwicklung das Potenzial, auf allen Stufen des Wirtschaftens zu wirken – und somit die Inflation zu verfestigen. Verfestigte Inflation bedeutet aber, dass die Inflationserfahrung von heute die Inflationserwartung von morgen mitbestimmt. Unter diesen Umständen kann es leicht zu sogenannten Zweitrundeneffekten und etwa Gewinn-Preis-Spiralen oder Lohn-Preis-Spiralen kommen. Ein Zweitrundeneffekt entsteht dann, wenn die Preissteigerungen auf den Gütermärkten auf andere Märkte, also etwa die Kapitalmärkte oder Arbeitsmärkte, ausstrahlen und dort weitergegeben werden. Genau diese Zweitrundeneffekte werden besonders befürchtet, denn dann lässt sich die Inflation immer schlechter steuern.

Geldpolitik und Inflationsraten im Euroraum

Wäre die Geldpolitik für die aktuelle Inflation verantwortlich zu machen, müssten alle Mitgliedsstaaten der Eurozone eine ähnliche Inflationsdynamik aufweisen. Denn sie unterliegen allesamt der Geldpolitik der EZB. In allen Ländern der Eurozone liegt die Preisentwicklung deutlich über der Zielinflationsrate der EZB von 2 Prozent. Jedoch ist die Eurozone auch in Bezug auf die Inflationsentwicklung ein sehr heterogener "Club". Die Inflationsraten unterscheiden sich zwischen den einzelnen Mitgliedsländern der Eurozone, aber auch der EU erheblich.

Um die Verbraucherpreisentwicklungen zwischen den einzelnen Mitgliedsländern der Eurozone, aber auch innerhalb der EU vergleichbar zu machen, wird der sogenannte Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) herangezogen. Die höchsten Inflationsraten erreichten im Oktober 2022 Estland (22,5 Prozent), Litauen (22,1 Prozent) und Lettland (21,7 Prozent). Die baltischen Staaten führen seit Längerem die Inflationsstatistik an. Für Deutschland wies der HVPI im Oktober 2022 eine Preissteigerung gegenüber dem Vorjahr von 11,6 Prozent auf. Deutschland lag damit über dem Durchschnittswert der Eurozone von 10,6 Prozent. Innerhalb der Eurozone wird die geringste Inflationsrate seit Monaten in Frankreich realisiert (Abbildung).

Die Europäische Zentralbank hat sich dazu entschlossen, die Leitzinsen schrittweise zu erhöhen. Weitere Zinsschritte in der Zukunft sind denkbar. Die bisherigen Erfahrungen mit der Zinserhöhung lassen erkennen, dass eine kurzfristige, deutliche Dämpfung der hohen Inflationsraten nicht erfolgt ist. Diese Erfahrung wurde zunächst auch in den USA gemacht. Allerdings wurde dort für den Oktober 2022 mit 7,7 Prozent erstmalig seit langer Zeit eine geringere Inflationsrate als im Vormonat gemeldet.

Auch wenn die Zinsschritte der EZB zunächst keine sichtbare Inflationsdämpfung nach sich ziehen konnten, dürften sie jedoch indirekt gewirkt haben. Dies gilt zumindest für die Wechselkursentwicklung des Euro gegenüber dem US-Dollar. Hier konnte die dynamische Abwertungstendenz des Euro gemildert werden. In einem solchen Gefüge steigen die in Euro umgerechneten Weltmarktpreise weniger schnell als bei einer dynamischen Abwertung.

Interessant sind aus der Sicht der EZB jedoch auch die großen Inflationsunterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsländern der Eurozone. Alle Länder der Währungsunion operieren unter den gleichen geldpolitischen Rahmenbedingungen. Daher kann es nicht die Geldpolitik sein, die die Inflation auf der nationalen Ebene bestimmt, sondern andere Faktoren. Die Geldpolitik der EZB scheint ihrer satzungsmäßigen Bestimmung – Inflationsbekämpfung – in der aktuellen Situation nur bedingt Rechnung tragen zu können. Dies hat auch mit den Inflationsursachen zu tun, die abseits der geldpolitischen Verantwortung liegen. Vor diesem Hintergrund wäre es überlegenswert, die Geldpolitik und ihre Instrumente zukünftig stärker zur präferentiellen Finanzierung der notwendigen ökologischen Transformation in der Eurozone einzusetzen.

Was steckt indes hinter den Inflationsdifferenzen in der Eurozone? Offenbar sind es vor allem strukturelle Faktoren, die die Unterschiede erklären können. Genannt seien beispielhaft hier der Energiemix, die Einbindung in den Weltmarkt oder die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten. Darüber hinaus spielen jedoch auch staatliche Eingriffe, wie Preisdeckel und Regulierung, eine erhebliche Rolle. So dürfte die relativ geringe Inflation in Frankreich auch auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass hier bereits seit längerem Preisbremsen für Gas und Strom installiert sind. Es zeigt sich: Regulierung ist für die Inflationsentwicklung ein scharfes Schwert.

Inflation und Inflationserwartungen in Deutschland

Vom Statistischen Bundesamt wird die Inflation in Deutschland auf der Grundlage der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes (VPI) gemessen. Der so konstruierte Verbraucherpreisindex weicht gerade bei der Bewertung von selbstgenutztem Wohneigentum vom europäischen HVPI ab. Bei der Berechnung solcher Indices wird jeweils ein spezifischer Warenkorb zugrunde legt. In den Warenkorb gehen sowohl Güter als auch Dienstleistungen mit speziellen Gewichten ein. Dieser Warenkorb ist ein statistisches Konstrukt. Kaum ein Haushalt wird tatsächlich solche Konsumgewohnheiten zeigen, die exakt mit der Zusammensetzung des Warenkorbs übereinstimmen. Die "persönliche Inflationsrate" kann daher deutlich von der offiziellen Inflationsrate abweichen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es erhebliche Unterschiede zwischen den persönlichen Konsumgewohnheiten und der Zusammensetzung des Warenkorbs gibt.

Inflation bedeutet immer Kaufkraftverlust des Geldes. Dabei trifft der Preisanstieg nicht alle Produkte gleichmäßig, vielmehr schlägt vor allem die Energiepreisentwicklung zu Buche. Bezogen auf Deutschland lagen im Oktober 2022 die Energiepreise über alle Energieträger gerechnet um 43 Prozent über dem Niveau von Oktober 2021. Bei dieser Berechnung sind die Entlastungen, die durch die unterschiedlichen Politikmaßnahmen getätigt wurden, bereits einbezogen. Die hohen Kosten für fossile Energie stellen den aktuellen Energiemix nicht nur aus ökologischer Sicht, sondern auch aus ökonomischer Sicht nachhaltig infrage.

Nahrungsmittel sind eine weitere Gütergruppe, bei der die Lebenshaltungskosten kräftig gestiegen sind. Nahrungsmittel verteuerten sich im Durchschnitt um 20,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr (Stand: Oktober 2022). Bei der Lebensmittelproduktion fallen erhebliche Energiekosten an, die vielfach von den Unternehmen über steigende Nahrungsmittelpreise an die Verbraucher:innen weitergegeben werden. Zudem spielen die steigenden Weltmarktpreise für Rohstoffe und Getreide eine große Rolle.

Da Energiepreise und Nahrungsmittelpreise auch in sogenannten ruhigeren Zeiten hochgradig schwanken, liefert das Statistische Bundesamt neben der allgemeinen Inflationsrate Daten zur sogenannten Kerninflation. Diese spiegelt die Preisentwicklung ohne die Preisveränderungen für Energie und Nahrungsmittel wider. Tatsächlich lag die so gemessene Kerninflation im Oktober bei 5 Prozent und somit deutlich unter der allgemeinen Inflationsentwicklung. Aber auch dieser Wert gibt keinen Grund zur Entwarnung. Er liegt weit über der Zielinflationsrate der EZB.

Aktuell ergibt sich für Deutschland ein zweigeteiltes Bild: Auf der einen Seite stehen die rasch und stark anziehenden Waren- und Rohstoffpreise. Hier spielt die Entwicklung auf Weltmärkten eine große Rolle. Auf der anderen Seite stehen die Dienstleistungen, deren Preise sich vergleichsweise moderat entwickeln. Dienstleistungen haben traditionell einen geringen Importanteil.

Tatsächlich sind die Preise für Dienstleistungen wesentlich langsamer gestiegen als die Preise für Güter. Die Kosten für Dienstleistungen lagen im Durchschnitt um 4 Prozent über dem Vorjahresniveau (Stand: Oktober 2022). Hierbei spielt es eine Rolle, dass beispielsweise die Nettokaltmieten mit 1,8 Prozent im Jahresvergleich nur relativ mäßig zugelegt haben. Die Kosten für Telekommunikation waren sogar geringfügig rückläufig. Während die Nettokaltmieten in Deutschland über Jahre als Preistreiber galten, geht jetzt von ihnen sogar ein eher stabilisierender Effekt aus. Es zeigt sich, dass vor allem Produkte teurer werden, die auf den internationalen Märkten beschafft werden. Dieser Trend wird durch die Abwertung des Euro verschärft. Auch dieses Phänomen spricht dafür, dass ein großer Teil der Inflation importiert ist.

Die Inflationserwartungen der privaten Haushalte werden stetig von der Deutschen Bundesbank untersucht. Auf die Frage: "Was glauben Sie, wie wird sich die Inflationsrate in den nächsten zwölf Monaten entwickeln?" antworteten etwa 50 Prozent der Befragten im Oktober 2022 mit "deutlich steigen". Die Antwortoption "deutlich sinken" wird von 0 Prozent der Befragten gewählt. Wenn es um das erwartete Inflationsniveau für die nächsten zwölf Monate geht, geben die Befragten einen Wert von 8 bis 9 Prozent an. Auch für die Zukunft werden kräftige Inflationsraten erwartet – für die nächsten fünf Jahre wird im Durchschnitt von einer Inflation von 6 Prozent ausgegangen. Das ist deutlich über der Zielinflationsmarke der EZB von mittelfristig 2 Prozent. Nicht nur die Befragungen der privaten Haushalte, sondern auch Unternehmensbefragungen der Deutschen Bundesbank lassen erkennen, dass durchaus von einer sich verfestigenden Inflation ausgegangen wird.

Wenn sich Inflationserwartungen verfestigen, werden sich alle – Verbraucher:innen, Beschäftigte, Unternehmen und auch der Staat – bei ihren wirtschaftlichen Entscheidungen anpassen. Alle Akteur:innen werden die jeweils zur Verfügung stehenden, spezifischen Möglichkeiten der Inflationsüberwälzung nutzen. Diese sind beim Staat und bei den Unternehmen wesentlich ausgeprägter als bei den Beschäftigten und Verbraucher:innen. Transferempfänger:innen haben beispielsweise gar keine Macht, die Preiseffekte weiterzugeben. Ihnen bleibt nur Verzicht und letzten Endes Armut.

Von hohen Inflationserwartungen geht folglich nicht nur ein Risiko für die gesamtwirtschaftliche Stabilität aus, sondern auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. "Wir werden ärmer werden" gilt für einzelne Akteur:innen in höchst unterschiedlichem Ausmaß. Wie können also die Inflationserwartungen gebrochen werden, bevor sie sich verfestigen? Dies wird eine immer drängendere Frage.

Löhne und Unternehmensgewinne in der Inflation

Gefürchtet sind bei inflationären Prozessen sogenannte Zweitrundeneffekte. Die Inflationserwartungen und die Inflationserfahrungen spielen gerade bei den Tarifverhandlungen eine große Rolle. Aus der Sicht von Unternehmen sind Löhne Kosten. Steigende Löhne sind daher weiter steigende Kosten. Aus der Sicht von Beschäftigten stellen höhere Löhne dagegen eine Möglichkeit dar, die gestiegenen Lebenshaltungskosten – im Nachhinein – teilweise zu kompensieren. Steigen die Nominallöhne der Beschäftigten weniger schnell als die Inflation, wird von Reallohnsenkungen gesprochen. Die Einkommen der Beschäftigten verlieren an Kaufkraft.

Die ersten Ergebnisse der aktuellen Tarifverhandlungsrunde in Deutschland liegen vor. Dabei zeigt sich, dass kaum Inflationsausgleichslösungen erreicht werden. Vielfach bleiben die Lohnerhöhungen hinter der aktuellen Inflationsrate von über 10 Prozent zurück; Reallohnverluste sind wahrscheinlich. Zweitrundeneffekte über eine Lohn-Preis-Spirale sind daher aktuell eher nicht zu befürchten.

Doch es tritt ein anderes Phänomen auf, das die zukünftige Inflationsentwicklung maßgeblich bestimmen könnte. Denn Unternehmen wollen ihre Gewinne beziehungsweise die Renditen maximieren – auch in einem inflationären Umfeld. Dies ist dem kapitalistischen Wirtschaftssystem inhärent. Doch anders als in den volkswirtschaftlichen Lehrwerken idealtypisch angenommen, herrscht in diesem System keineswegs eine vollständige Konkurrenz zwischen Unternehmen.

Es zeigt sich, dass Inflation auch immer die traditionellen Verteilungsfragen zwischen Kapital und Arbeit aufwirft. Inflationszeiten sind Krisenzeiten, und Krisen sind in diesem Wirtschaftssystem immer auch Zeiten von Verteilungskämpfen. Es gibt Gewinner:innen und Verlierer:innen. Kurzum: Hat ein Unternehmen die entsprechende Marktmacht, um aktuell hohe Preisaufschläge durchzusetzen, dann wird es das tun. Um diesem "Mark-up-Pricing" entgegenzutreten, wird in Deutschland eine sogenannte Übergewinnsteuer diskutiert. Andere Länder der Eurozone – etwa Österreich – haben dieses Instrument bereits eingeführt.

Preisdeckel und Preisbremsen auf Energiemärkten

Die Inflationsdifferenzen in der Eurozone gehen auf strukturelle, regulatorische und fiskalpolitische Unterschiede zurück. Die strukturellen Unterschiede zeigen sich vor allem im Energiemix der einzelnen Mitgliedsländer. Aber auch regulatorisch wurde angesichts der Krise einiges auf die Schiene gebracht. So hat Frankreich beispielsweise seit Längerem Preisdeckel und Preisbremsen installiert. Dort ist der Gaspreis auf dem Niveau von 2021 eingefroren und damit gedeckelt. Dazu kommt die Strompreisbremse, die dazu führt, dass die Preise nur um 4 Prozent pro Jahr steigen können. Diese staatlichen Eingriffe in den Preismechanismus dämpfen die Inflation in Frankreich.

Bei einer genaueren Betrachtung zeigt sich, dass es sich bei einem erheblichen Teil der bisherigen "Entlastungspakete" der Bundesregierung um Preisdeckel oder Preisbremsen handelt. Diese schlagen bei der Inflationsberechnung zu Buche. Als beispielsweise das "9-Euro Ticket" oder der "Tankrabatt" eingeführt wurden, schlug sich das in geringeren Konsumausgaben – also gebremsten Preisen – für Mobilität nieder. Umgekehrt gilt auch: Entfällt eine solche Entlastungsmaßnahme, gibt es einen Inflationssprung. Folglich zeigen die monatlichen Inflationsraten eine gewisse Volatilität auf, die auch auf finanzpolitische Entscheidungen zurückgeht. Technisch gesprochen: Es kommt zu einer Gegenbuchung. Da die Inflation auf der Grundlage der Verbraucherpreise für bestimmte Konsumgüter berechnet wird, "zappelt" sie mit der Stärke der staatlichen Eingriffe.

Grundsätzlich könnte sich die Bundesregierung bei ihren Paketen zu Gas- und Strompreisen an den Erfahrungen der Nachbarländer orientieren. Aber Deutschland will mehr. Die Eingriffe in die Preise sollen einerseits mit geringeren Verbräuchen und energetischen Effizienzgewinnen verbunden werden, andererseits sollen auch soziale Ziele erreicht werden. Es geht also bei den Gas- und Strompreisbremsen und -deckeln in Deutschland nicht allein um die Preisgestaltung, sondern auch darum, diese anreizkompatibel und sozial verträglich auszugestalten. Dies kommt einer Optimierung unter Nebenbedingungen nahe. Und genau darin besteht die Komplexität.

Dabei wäre auch zu hinterfragen, warum die Preise so stark nach oben schnellen. Im Bereich der Strompreise gehört das sogenannte Merit-Order-Prinzip auf den Prüfstand. Denn es garantiert den in das Netz einspeisenden Stromanbieter:innen den Markträumungspreis, egal zu welchen Kosten sie gerade produzieren. Dies zieht interessante Effekte nach sich. Aktuell wird der Markträumungspreis durch die Kraftwerke bestimmt, die Strom auf der Grundlage von Gas produzieren. Dieser Strom ist angesichts der hohen Gaspreise sehr teuer. Auf der Grundlage des Merit-Order-Prinzips erhalten jedoch nicht nur die Anbieter:innen von aus Gas produziertem Strom diesen Preis, sondern eben alle, die theoretisch Strom unterhalb von diesem Preis anbieten können. Vor allem für die Anbieter:innen von Strom aus erneuerbaren Energien ist derzeit das Marktumfeld günstig. Sie können bei garantierten hohen Abnahmepreisen erhebliche Profite generieren. Erneuerbare Energien haben aktuell einen massiven Wettbewerbsvorteil. In diesem Gefüge wird sichtbar, dass sich der ökologische Umbau lohnt. Solche Profite gehen nicht nur bei den Anbieter:innen von erneuerbaren Energien auf Effizienzgewinne oder Produktivitätssteigerungen zurück. Sie resultieren vielmehr aus den institutionellen Rahmenbedingungen der vermachteten Energiemärkte. Umso intelligenter müssen eventuelle Preisbremsen ausgestaltet sein.

Die Preisbremsen sind indes teuer. Die Entlastungspakete der Bundesregierung haben ein erhebliches Finanzvolumen. Dabei sind die Maßnahmen nicht allein auf Verbraucher:innen gerichtet, vielmehr profitiert auch der Unternehmenssektor davon. Gerade grenzüberschreitend agierende Unternehmen sind in der Lage, buchungstechnisch und operativ die Vorteile unterschiedlicher Preisregime in der EU auszunutzen. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich massiv von den Verbraucher:innen.

Fazit

Inflation ist ein weltumspannendes Problem. In der Eurozone ist formal die Europäische Zentralbank für die Inflationsbekämpfung zuständig. Ihre Instrumente helfen jedoch in der aktuellen Situation nur begrenzt und zeitlich verzögert. Daher haben sich viele Staaten der Eurozone zu anderen Maßnahmen entschlossen. Es geht beispielsweise um Eingriffe in den Preismechanismus, Transferzahlungen, Steuersenkungen und Unternehmenssubventionen. Über den jeweiligen Policy-Mix wird in den Mitgliedsländern der Währungsunion auf der nationalen Ebene entschieden. Kurzfristig können diese Maßnahmen durchaus eine erhebliche Wirkmacht entfalten. Aber was passiert, wenn sie auslaufen? Das Exit-Problem ist bislang nicht entsprechend beleuchtet.

Dies gilt auch für Deutschland, wo mehrere Entlastungspakete auf dem Weg gebracht wurden. Nicht alle Maßnahmen zielen auf eine Entlastung der Verbraucher:innen, etliche Instrumente sind direkt zur Unterstützung von Unternehmen konzipiert. Dabei konnten viele Unternehmen gerade 2022 erhebliche Dividenden an die Aktionär:innen ausschütten. Einiges deutet darauf hin, dass die Maßnahmen der Bundesregierung wenig zielgenau sind. Dabei ist das Finanzvolumen des letzten Entlastungspaketes mit 200 Mrd. Euro auch im internationalen Vergleich erheblich.

Immerhin sollen in Deutschland mit dem Entlastungsprogramm nicht nur einfach die Inflation und die Inflationsfolgen abgemildert werden. Vielmehr geht es auch darum, den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft und der Gesellschaft voranzubringen. Die Kombination der Ziele ist herausfordernd. Selten war in den vergangenen 30 Jahren gesellschaftlicher Umbruch so fundamental zu spüren wie aktuell. Die hohe Inflation lässt die erheblichen Versäumnisse beim sozial-ökologischen Umbau in herausragender Weise offen zutage treten. Mutige Krisengestaltung ist gefragt. 2023 wird ein sehr herausforderndes Jahr.

ist Professorin für Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Geld und Internationale Integration an der Hochschule Bremen.
E-Mail Link: mechthild.schrooten@hs-bremen.de