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Fluch der Nostalgie | Industriepolitik | bpb.de

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Fluch der Nostalgie Industriepolitik in den USA

Inu Manak

/ 14 Minuten zu lesen

Ein kritischer Blick auf Geschichte und Gegenwart der Industriepolitik zeigt, dass ihre jüngste Popularität nicht nur fehlgeleitet ist, sondern dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach negative wirtschaftliche und geopolitische Folgen für die USA und die Welt haben wird.

Die Industriepolitik ist zurück, daran besteht kein Zweifel. Überall auf der Welt erhöhen Regierungen ihre Ausgaben, um eine Reihe politischer Ziele durch direkte Subventionen und den Ausbau bestimmter Wirtschaftssektoren zu erreichen. Die Motive für diese neue Ausgabenflut sind vielfältig: Schaffung von Arbeitsplätzen, Bekämpfung des Klimawandels oder etwa der strategische Wettbewerb mit China – Industriepolitik gilt als Heilmittel für zahlreiche geopolitische und soziale Missstände und wird als wichtigstes Instrument gepriesen, um aktuelle Herausforderungen mit der nötigen Geschwindigkeit anzugehen. Das Überraschendste an der heutigen Industriepolitik ist jedoch, dass die Vereinigten Staaten von Amerika die Führung übernommen haben bei der Förderung strategischer öffentlicher Investitionen im In- und Ausland. Dies hat viele Länder verunsichert, nicht zuletzt, weil diese Haltung eine Abkehr von der langjährigen Skepsis der USA gegenüber staatlichen Eingriffen in die Märkte darstellt.

Das soll nicht heißen, dass Industriepolitik in den USA etwas Neues ist. Die Landwirtschaft und die Luftfahrtindustrie werden seit Langem subventioniert. Auffallend ist jedoch, dass die Regierung von Joe Biden die Industriepolitik zu einer zentralen Säule ihrer „Bidenomics“ gemacht hat, in deren Rahmen über 805 Milliarden US-Dollar an neuen Subventionen für die Halbleiterproduktion und -forschung, Investitionen in Klima und Energie sowie Infrastrukturmaßnahmen versprochen wurden. Und natürlich werden die Gesamtkosten weit über diese ersten Investitionen hinausgehen. Die Klima- und Energiebestimmungen des Inflation Reduction Act, der als wichtigste Klimainitiative des Präsidenten gefeiert wird, werden den US-amerikanischen Steuerzahler zwischen 2022 und 2031 nach Schätzungen des Congressional Budget Office 391 Milliarden US-Dollar kosten. Eine neuere Schätzung von Goldman Sachs beziffert die Kosten sogar auf 1,2 Billionen US-Dollar.

Angesichts der Inflationsangst der Verbraucher, zunehmender geopolitischer Spannungen und des Gefühls, dass das internationale Handelssystem den politischen Handlungsspielraum bei der Bewältigung drängender globaler Probleme auf unfaire Weise einschränkt, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dieser politische Kurswechsel auf das langfristige Wachstum und die Stabilität in den USA und der Welt haben wird. Vertreter der US-Regierung betonen, dass es sich nicht um einen „Rückzug der USA aus der Weltwirtschaft“ handele, sondern um „eine neue Etappe in der Art und Weise, wie und warum wir uns engagieren – im Interesse der amerikanischen Mittelschicht und der amerikanischen Arbeitnehmer, während wir gleichzeitig unseren wichtigsten globalen Partnern Priorität einräumen“. Die Handelspartner der USA sind allerdings nicht davon überzeugt, dass ihnen Priorität eingeräumt wird, nicht zuletzt, weil hochrangige US-Beamte sie aufgefordert haben, dem Beispiel der USA zu folgen und eigene Subventionen einzuführen.

Trotz dieser Ungewissheit haben die begeisterten Anhänger der Industriepolitik bereits voreilig ihren Sieg verkündet, in der Hoffnung, dass diese „neue Etappe“ ein Paradigmenwechsel ist. Manche behaupten sogar, die USA seien in eine „postliberale Ära“ eingetreten. Das Roosevelt Institute, ein linksgerichteter New Yorker Think-Tank, lobte in einem Newsletter die Bidenomics und behauptete, der neue Ansatz würde „funktionieren“. Und Heather Boushey, Mitglied von Präsident Bidens Council of Economic Advisors, argumentiert, dass „neue Paradigmen manchmal abgelehnt werden, weil sie nicht mit den Lehrbüchern der vergangenen Jahrzehnte übereinstimmen. Aber wenn sich Daten und Fakten weiterentwickeln, müssen sich auch unsere Ansichten ändern“. Auch andere renommierte Ökonomen weisen darauf hin, dass die Industriepolitik angesichts neuer Erkenntnisse derzeit neu bewertet wird.

Allerdings stützen nicht alle präsentierten Befunde die Behauptungen der Industriepolitik-Verfechter. Während klassische Argumente wieder auftauchen, zeichnet sich die aktuelle Debatte über Industriepolitik dadurch aus, dass ihre Befürworter drei Fehler begehen: Sie formulieren den Rahmen der Debatte falsch, sie vermischen verschiedene Ziele, die nicht miteinander vereinbar sind, und sie interpretieren die Geschichte falsch. Ein kritischer Blick auf Geschichte und Gegenwart der Industriepolitik zeigt, dass ihre jüngste Popularität nicht nur fehlgeleitet ist, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch negative wirtschaftliche und geopolitische Folgen für die USA und die Welt haben wird.

Neoliberaler Strohmann

Die derzeitigen Befürworter der Industriepolitik stützen sich auf ein Strohmann-Argument, um ihre Haltung zu untermauern, und stellen Kritiker der Industriepolitik als Neoliberale dar, die den Märkten blind vertrauen und staatliche Eingriffe in die Wirtschaft grundsätzlich ablehnen. Doch wer der neuen Industriepolitik skeptisch gegenübersteht, muss nicht automatisch dem Marktfundamentalismus anhängen. Die meisten Skeptiker wollen auch gar nicht in Abrede stellen, dass Industriepolitik an sich funktionieren kann. Kern der Kritik an der modernen Industriepolitik in den USA ist vielmehr die Überzeugung, dass Industriepolitik zwar erfolgreich sein kann, dass es auf dem Weg dorthin aber auch viele Misserfolge geben wird. Dafür existieren zahlreiche Belege: Die Handelsexperten Gary Hufbauer und Euijin Jung haben die Industriepolitik der USA über einen Zeitraum von 50 Jahren untersucht und ziehen eine eher gemischte Bilanz. Ihr Fazit: Bei Industriepolitik ist Vorsicht geboten. Eine weitere wichtige Erkenntnis der Studie ist, dass Investitionen in Forschung und Entwicklung erfolgreich waren, ebenso wie Investitionen, die amerikanischen Unternehmen und Gütern Zugang zu ausländischen Märkten verschafften. Eine der Hauptursachen für Misserfolge war dagegen der Protektionismus oder besser gesagt die Unfähigkeit bestimmter Industrien, ohne Maßnahmen zum Schutz vor Wettbewerb zu überleben. Die Skeptiker der Industriepolitik mahnen daher generell zur Vorsicht und fordern die Befürworter auf, Subventionen sorgfältig zu überdenken.

Ein Ansatz könnte sein, bestehende Institutionen zu nutzen, um zwischen „guten“ und „schlechten“ Subventionen zu unterscheiden und die Subventionsbestimmungen gegebenenfalls zu aktualisieren. Das 1995 in Kraft getretene Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen der Welthandelsorganisation enthält eine Liste zulässiger („nicht anfechtbarer“) Subventionen für bestimmte Forschungsaktivitäten, benachteiligte Regionen oder die Anpassung an neue Umweltanforderungen. Es konnte jedoch kein Konsens über die Verlängerung dieser Bestimmungen erzielt werden, sodass sie am 1. Januar 2000 ausliefen. Jüngste Entwicklungen lassen den Wunsch erkennen, die bisherigen Kriterien für „gute“ und „schlechte“ Subventionen zu überdenken. So wurde für das Übereinkommen über Fischereisubventionen eine neue Kategorie verbotener Subventionen entwickelt und die Idee eingebracht, Subventionsregelungen mit Zielen der nachhaltigen Entwicklung zu verknüpfen. Die Konzentration auf Gemeingüter ist ein pragmatischer Weg, um Investitionen zur Erreichung bestimmter Ziele, wie zum Beispiel die Reduzierung der Überfischung, global zu koordinieren.

Wenn ein Staat genügend Geld zur Bekämpfung eines Problems aufwendet, kann es durchaus zu industriepolitischen Erfolgen kommen. Auf der anderen Seite muss man sich als Negativbeispiel aber nur die Erfahrungen Chinas mit massiven staatlichen Subventionen anschauen. Unter dem Strich sind die Kosten deutlich höher als der Nutzen. China kann die politischen Kosten seiner Interventionen tragen, weil die Regierung von der Bevölkerung nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Demokratische Länder haben diesen „Vorteil“ nicht, schlechte Wirtschaftsergebnisse wirken sich in der Regel auch auf die Wahlergebnisse aus.

Widersprüchliche Ziele

Das zweite Problem in der Debatte besteht darin, dass die Befürworter der Industriepolitik verschiedene Ziele miteinander vermischen, die nicht ohne Weiteres miteinander vereinbar sind. Das Resultat ist absehbar und in der Literatur bereits gut dokumentiert. Bei der neuen amerikanischen Industriepolitik geht es darum, die Umwelt zu schützen, Arbeitsplätze zu schaffen und mit China zu konkurrieren. Dieses Sammelsurium an Zielen offenbart jedoch das Fehlen einer Strategie, was genau mit Industriepolitik erreicht werden soll, und gibt der Regierung politischen Spielraum, die konkreten Ergebnisse als Erfolg oder Misserfolg zu definieren. Zudem ist sie voller Widersprüche.

Nehmen wir den Wettstreit mit China: Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai argumentiert, dass dieser neben der Bekämpfung des Klimawandels einer der Hauptgründe für den Inflation Reduction Act sei, um einer „erheblichen Verzerrung“ des Welthandels entgegenzuwirken. Das erklärt, warum Steuervergünstigungen für Elektrofahrzeuge und Anforderungen an Batterien so gestaltet sind, dass Arbeitsplätze und Investitionen in den USA Vorrang vor klimapolitischen Zielen haben. Wenn es der US-Regierung nur darum ginge, dass die Amerikanerinnen und Amerikaner mehr Elektrofahrzeuge kaufen, dürfte es keine Rolle spielen, wo die Fahrzeuge gebaut werden oder woher die Komponenten kommen. Die Biden-Administration ist sich dieses Spannungsfeldes sicherlich bewusst, sonst hätte das Finanzministerium nach Beschwerden von US-Handelspartnern nicht die Anforderungen für Steuergutschriften für Elektroautos gelockert und Tai nicht ein Abkommen über kritische Mineralien mit Japan ausgehandelt, um dessen Einbindung in die Batterielieferkette zu sichern.

Wenn man sich den Inflation Reduction Act und den CHIPS and Science Act genauer anschaut, so erinnert dieser industriepolitische Ansatz an vergangene Zeiten – eine Wundertüte, die bestimmten Verbündeten politische Vorteile verschafft. Offensichtlich verfolgt Biden eine Strategie des spending to win. Schließlich fließen die Investitionen in umkämpfte Schlüsselstaaten wie Arizona, North Carolina, Ohio und Michigan, die er bei den Präsidentschaftswahlen 2024 gewinnen muss, um im Amt zu bleiben.

Allerdings ist Vorsicht geboten, wenn solche Maßnahmen als Jobprogramm angepriesen werden: Nach ersten Schätzungen werden durch die CHIPS-Förderung 11.5000 neue Arbeitsplätze in der Halbleiterindustrie entstehen. Angesichts der Tatsache, dass die US-Wirtschaft im Durchschnitt in nur zwei Wochen die gleiche Anzahl von Arbeitsplätzen schafft, klingt es wenig überzeugend, die neue Industriepolitik als Beschäftigungsprogramm zu preisen. Geht es bei der modernen Industriestrategie, wie sie in den USA gerne genannt wird, also wirklich um Arbeitsplätze, um den Wettbewerb mit China oder einfach darum, möglichst viel im eigenen Land zu produzieren? Das ist schwer zu sagen. Und da das Ergebnis, an dem die neue Politik gemessen werden soll, schwer zu definieren ist, ist es nur angemessen, auch die Annahmen zu hinterfragen, auf denen die Strategie beruht.

Wenn die Maßnahmen der USA zudem andere Länder zu ähnlichen Investitionen ermutigen, könnte dies dazu führen, dass Subventionen immer weniger an klare politische Ziele gebunden sind. Dies wiederum hätte zur Folge, dass Staaten den Einsatz von Subventionen für praktisch alles rechtfertigen könnten, und würde die Gefahr eines globalen Subventionswettlaufs weiter erhöhen. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass nur sehr wenige Länder über die Mittel verfügen, solche Investitionen zu tätigen. Mehr als die Hälfte aller weltweiten Subventionen gehen auf das Konto der USA, der Europäischen Union und der Volksrepublik China, was Fragen der Ausgrenzung und globalen Ungerechtigkeit aufwirft. Es ist ein Irrglaube, dass die Schaffung neuer Technologien auch den Entwicklungsländern zugutekommt. Ohne Technologietransferabkommen oder Investitionen in die Produktion und Entwicklung von Elektrofahrzeugen und grünen Technologien vor Ort ist es schwer vorstellbar, wie ärmere Länder direkt von diesen massiven Investitionen profitieren sollen. Hier zeigt sich der Widerspruch zwischen dem Ziel, Arbeitsplätze im eigenen Land zu schaffen, und dem Ziel, Lösungen für globale Herausforderungen wie den Klimawandel zu finden. Investitionen im eigenen Land sind beim Klimawandel nur ein Teil der Lösung, letztlich müssen alle Länder an einem Strang ziehen, um einen nachhaltigen Wandel herbeizuführen.

Der Mangel an Klarheit darüber, was die derzeitige Industriepolitik zu korrigieren versucht, unterstreicht die Notwendigkeit einer gut konzipierten Industriepolitik, in der die Ziele klar definiert und die trade-offs deutlich gemacht werden. Darüber hinaus sollte eine Evaluierung vorgenommen werden, um festzustellen, wo staatliche Interventionen den größten Nutzen bringen. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht des National Network for Critical Technology Assessment unterstreicht diesen Punkt und weist auf die Probleme hin, die mit einem Top-Down-Ansatz oder einem Rahmen verbunden sind, bei dem „Stil und Ansatz der Wettbewerber“ kopiert werden. Man muss sich sowohl über die Anstrengungen als auch über die Ergebnisse im Klaren sein, wenn man vermeiden will, dass die gegenwärtige Industriepolitik die lange Geschichte der Misserfolge anderer Länder wiederholt.

Fehlinterpretation der Geschichte

Regierungsvertreter und Befürworter der Industriepolitik berufen sich oft und gerne auf Alexander Hamilton, der sagte: „Die öffentliche Hand muss den Mangel an privaten Mitteln ausgleichen. Auf welchem anderen Gebiet kann sie so nützlich sein wie bei der Förderung und Verbesserung der Leistungen der Industrie?“ Bei den allgemeinen Verweisen auf Hamiltons mehr als 80 Seiten umfassenden Text wird jedoch eine entscheidende Facette seiner Argumentation übersehen. Hamilton konzentrierte sich auf die wirtschaftlichen Aspekte der Industrieförderung in den Vereinigten Staaten, wo damals die Meinung vorherrschte, man müsse hohe Zölle erheben, um die ausländische Konkurrenz auszuschalten. Hamilton wusste aber auch, dass Zölle Kosten verursachen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Import von technischen Geräten und Maschinen aus Großbritannien, auf die die amerikanischen Hersteller bei der Produktion ihrer Waren angewiesen waren. Daher hielt er die Subventionierung ausgewählter Industrien für eine bessere politische Option als Zölle, da sie „die Unannehmlichkeiten einer vorübergehenden Preiserhöhung vermeidet“.

Hamilton mahnte auch, dass Subventionen nicht zu umfangreich sein und sich eher auf junge Industrien konzentrieren sollten, da Subventionen für „lang etablierte Manufakturen fast immer eine fragwürdige Maßnahme“ seien. Er war sogar so besorgt über den „Anschein des Verschenkens öffentlicher Gelder“ zur „Bereicherung bestimmter Klassen auf Kosten der Gemeinschaft“, dass er empfahl, bei der Auswahl der zu fördernden Industrien sehr sorgfältig vorzugehen. Er selbst sollte nicht mehr erleben, dass seine Vorschläge umgesetzt wurden, aber als sie schließlich zur Anwendung kamen, wurden die Subventionen mit hohen Zöllen kombiniert, was Hamilton sicher nicht gefallen hätte.

Einige Befürworter einer protektionistischeren US-Handelspolitik und einer Rückverlagerung der Produktion ins Inland argumentieren, dass hohe Zölle dazu beigetragen haben, die US-Wirtschaft zu dem zu machen, was sie heute ist. Doch wie der Wirtschaftshistoriker Douglas Irwin anmerkt, hatten die USA als junges Land zwar hohe Zölle, aber auch eine relativ offene Wirtschaft, vor allem durch den Zustrom von Einwanderern und den freien Fluss von Kapital und Technologie. Hinzu kam ein wettbewerbsorientierter Binnenmarkt. Irwin argumentiert, dass die vorherrschende (und falsche) Auffassung, dass reiche Länder erfolgreich waren, weil sie ihre Industrie geschützt haben, und dass dies die heutige Industriepolitik rechtfertigt, zu einem großen Teil auf einem falschen Verständnis der Geschichte beruht.

Diese Fehlinterpretation betrifft jedoch nicht nur die Geschichte der USA, sondern auch die anderer Länder wie Japan, wo man ebenfalls auf die Annahme stößt, die wirtschaftliche Entwicklung beruhe auf industrieller Planung. Wissenschaftliche Untersuchungen haben jedoch keine Belege dafür gefunden, dass die japanische Industriepolitik „das Produktivitätswachstum in den schneller wachsenden oder technologisch fortschrittlichen Sektoren der japanischen Wirtschaft erhöht hat“. Vielmehr zeigt sich, dass industriepolitische Maßnahmen letztlich eher schrumpfende als aufstrebende Branchen unterstützen. Dies wiederum führt zu einer Reihe versteckter Kosten, die das Wirtschaftswachstum insgesamt behindern können.

Darüber hinaus konstatiert der Präsident des Peterson Institute for International Economics, Adam Posen, dass „die US-Industrie einen enormen Überschuss an offenen Stellen im Verhältnis zur Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte aufweist. Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang der Mangel an Arbeitskräften, die für die Produktion von Halbleiterchips und deren Komponenten benötigt werden“. Eine Lösung, so Posen, liege in einer verstärkten Zuwanderung, doch eine solche politische Maßnahme sei „angesichts des derzeitigen politischen Klimas eher unwahrscheinlich“. Gerade deshalb müssen wir bei der Neuausrichtung der Industriepolitik über unsere eigenen Grenzen hinaus denken und mit unseren Verbündeten zusammenarbeiten, denn nur so können wir gemeinsame Probleme auch ohne verstärkte Zuwanderung lösen. Die Biden-Administration scheint dies erkannt zu haben, wie ihre Friendshoring-Agenda zeigt, aber bei der klaren Formulierung der Ziele gibt es ähnliche Defizite wie bei der Industriepolitik.

Schluss

Es wird einige Zeit dauern, bis die Auswirkungen des Inflation Reduction Act, des CHIPS and Science Act und anderer industriepolitischer Bemühungen in den USA und anderen Ländern erkennbar werden. Wer jedoch behauptet, der Erfolg sei garantiert oder diese Initiativen würden sich trotz ihrer Kosten in jedem Fall lohnen, wird schnell auf dem harten Boden der Realität landen, sobald sich nicht alles nach Plan entwickelt. Der derzeitige „Alles oder Nichts“ -Ansatz wird sich negativ auf die gesetzten Ziele auswirken und die USA daran hindern, eine echte Industriestrategie zu entwickeln, die sich an realen Bedürfnissen und nicht an politischen Ergebnissen orientiert.

Tatsächlich liegt die größte Bedrohung für die derzeitigen industriepolitischen Maßnahmen in der politischen Motivation, die ihnen zugrunde liegt. Die wachsende Furcht, dass Donald Trump wieder an die Macht kommen könnte, wenn seine Anhänger weiterhin das Gefühl haben, dass ihre Sorgen nicht ernst genommen werden, hat Joe Biden dazu veranlasst, Trumps populistischen Protektionismus fortzusetzen und sogar noch zu verstärken. Diese Strategie geht jedoch an den wahren Gründen für die Wut und Empörung vorbei, die nicht auf „wirtschaftlichen Ängsten, sondern auf einer wahrgenommenen Verschlechterung des wirtschaftlichen Status“ beruhen. Schon frühere Präsidenten haben versucht, das Problem durch die Einführung von Wettbewerbsbeschränkungen zu lösen, in der Hoffnung, zu einer vergangenen Ära amerikanischer Stärke zurückzukehren. Sie konnten ihre großen Versprechen nicht halten.

Die gegenwärtige Nostalgie hat auch zum Aufstieg der Industriepolitik geführt, der nun ein ähnliches Schicksal droht. Das bedeutet nicht, dass eine lange Liste von Misserfolgen zu erwarten ist. Nicht alles wird schief gehen. Aber die Tatsache, dass sich so viele Menschen für den Erfolg dieser Politiken einsetzen, ungeachtet der tatsächlichen Ergebnisse, bedeutet, dass es wahrscheinlich einige Fehlinvestitionen geben wird, an denen man noch festhalten wird, auch wenn sie nicht funktionieren. Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass es zu weiteren Handelskriegen und einer Verschlechterung der bereits angespannten Beziehungen zwischen den USA und ihren Verbündeten kommen wird.

Um die Zukunft der Industriepolitik zu verstehen, müssen wir uns mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Die heutige Industriepolitik ist weder neu, noch steht sie für einen Paradigmenwechsel, wenn sie die Fehler der Vergangenheit wiederholt. Letztendlich sollten Regierungen keine besseren Ergebnisse erwarten, wenn sie den gleichen Weg einschlagen.

Aus dem Englischen von Heike Schlatterer, Pforzheim.

ist Fellow für Handelspolitik am Council on Foreign Relations in Washington, D.C.