Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Auf dem Weg zu Unabhängigkeit und Teilung | Indische Unabhängigkeit | bpb.de

Indische Unabhängigkeit Editorial Kolonialismus zwischen Modernisierung und Traditionalisierung. Die britische Herrschaft in Indien Auf dem Weg zu Unabhängigkeit und Teilung. Widerstand gegen die koloniale Herrschaft in Britisch-Indien Vom goldenen zum geteilten Bengalen. Eine kurze Geschichte der Bengalen und ihrer Heimatregion Religion, Politik, Nation. Demokratie und Nationalismus in Indien seit der Unabhängigkeit 1947 Demokratie macht den Unterschied. Indiens und Pakistans Regimeentwicklung im Vergleich Großmachtambitionen, Mittelmachtressourcen. Indiens Rolle in der Region und in der Welt Karten

Auf dem Weg zu Unabhängigkeit und Teilung Widerstand gegen die koloniale Herrschaft in Britisch-Indien

Kama Maclean

/ 16 Minuten zu lesen

Auf die Dekolonisierung Britisch-Indiens folgten 1947 die Teilung des Landes und die Gründung von Indien und Pakistan. Warum entwickelte die Religion im Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft so ein großes spalterisches Potenzial?

Auf die Dekolonisierung Britisch-Indiens folgten 1947 die Teilung des Landes, die von ethnischer Gewalt begleitet wurde, und die Gründung zweier Staaten, dem mehrheitlich hinduistischen Indien und dem mehrheitlich muslimischen Pakistan. In diesem Beitrag beleuchte ich die historischen, politischen und gesellschaftlichen Kräfte im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Kolonialherrschaft und gehe der Frage nach, warum die Religion im Kampf um die Befreiung ein so großes Spaltungspotenzial entwickelte.

Das Zusammentreffen verschiedener Faktoren in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg schuf die Bedingungen für eine nationalistische Massenbewegung, die nicht ignoriert werden konnte. Der Indische Nationalkongress (Indian National Congress; INC) hatte im Laufe der Zeit den Druck auf die britische Kolonialregierung immer weiter erhöht. 1885 mit dem Ziel gegründet, den indischen Einfluss in der Politik auszubauen, hatte die Kongresspartei in der Zwischenkriegszeit ein Programm des gewaltlosen Protests, des Boykotts und des zivilen Ungehorsams entwickelt, um politische Reformen durchzusetzen. Ursprünglich wurde dieses Programm auch von der 1906 gegründeten All-indischen Muslimliga unterstützt, doch zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Briten bereit erklärten, bei einer Reihe von Konferenzen in London über politische Reformen zu sprechen, hatten sich zwischen dem INC unter der Führung von Jawaharlal Nehru (1889–1964) und der Muslimliga bereits tiefe politische Gräben aufgetan. Die Muslimliga hatte sich in den 1930er und 1940er Jahren nicht den Aktionen des INC angeschlossen, sondern weiterhin strategische Verbindungen zur Regierung gepflegt. Ihr Anführer Muhammad Ali Jinnah (1876–1948) hatte dank seiner Unterstützung der Briten im Ersten Weltkrieg großes Ansehen erworben und wurde von den Kolonialherren als einzige Stimme der Muslime akzeptiert, obwohl es durchaus auch Muslime gab, die sich von der Muslimliga nicht vertreten fühlten.

In der vom INC geführten Massenbewegung schwang stets auch ein radikaler antikolonialer Nationalismus mit, der politische Gewalt als Mittel der Eskalation bei der Dekolonisierung einsetzte. Gewalttätige Aktionen wurden zwar schnell unterbunden, aber dennoch von nationalistischen Organisationen genutzt, um den Briten aufzuzeigen, welche Folgen eine Verweigerung politischer Reformen haben könnte. Daraus entwickelte sich ein Muster, bei dem konstitutionelle Reformen mit repressiver Notstandsgesetzgebung verbunden wurde. Durch die Ausweitung der Notstandsgesetze, die die bürgerlichen Freiheiten außer Kraft setzten, aber gleichzeitig eine stärkere Vertretung der indischen Bevölkerung in der Regierung ermöglichten, legte der spätkoloniale Staat den Grundstein für einen Staat mit weit reichenden Befugnissen. Dass sich derartige Maßnahmen in Indien bis heute gehalten haben, einschließlich der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Gesetze gegen Aufwiegelung, ist Teil seines kolonialen Erbes und wird derzeit vom indischen Verfassungsgericht auf seine Rechtmäßigkeit überprüft.

Natur des Kolonialstaats

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, wie die imperialen Ziele und die Kolonialpolitik des britischen Empire den Charakter des indischen Antikolonialismus prägten. Für das britische Weltreich war die Kolonialisierung Südasiens extrem lukrativ. Wirtschaftshistoriker haben das Ausmaß der Abhängigkeit gegenüber den Briten aufgezeigt, in das Indien aufgrund der politischen Ökonomie des Kolonialismus Mitte des 19. Jahrhunderts geriet. Diese Entwicklung wurde durch die Fortschritte in der Dampfschifffahrt Ende des 19. Jahrhunderts noch verstärkt, durch die der Export indischer Agrarprodukte – Baumwolle, Jute, Tee –, der für die Industrielle Revolution in England essenziell war, immer effizienter wurde. Umgekehrt wurde Indien zu einem wichtigen Absatzmarkt für britische Produkte. Diese finanziellen Motive wurden jedoch von einer liberalen imperialen Ideologie überlagert, die sich einer zivilisatorischen Mission verschrieben hatte, um Indien Prinzipien des Individualismus und des Fortschritts näher zu bringen, die dem Land nach Ansicht der Briten fehlten. Das verstörende Ausmaß der Gewalt, auf das die Briten zurückgriffen, um dieses vermeintlich liberale Projekt umzusetzen, zeugt vom Widerspruch, der dem britischen Imperialismus zugrunde lag.

Bereits vor dem gewaltsamen Aufstand von 1857, in dessen Folge die britische Krone die Herrschaft über die Territorien der Britischen Ostindien-Kompanie übernahm, hatte es in Indien eine lange Geschichte des Widerstands gegeben. Der Aufstand erfolgte als Reaktion auf die Politik der Ostindien-Kompanie, einer Handelsgesellschaft, die zum Schutz und zur Erweiterung ihrer Interessen eine eigene Armee mit indischen Soldaten unterhielt. Im Mai 1857 lehnten sich einige indische Regimenter dieser Armee gegen die britischen Befehlshaber auf. Der sich daraus entwickelnde Aufstand war der größte in einer langen Reihe kleinerer Rebellionen gegen die Kompanie, die seit dem 17. Jahrhundert in Indien aktiv war. Die Brutalität der Aufständischen und das Ausmaß der "großen indischen Meuterei" überraschten viele Briten. Dass sich die indischen Sepoys gegen ihre britischen Kommandeure erhoben und von verschiedenen Teilen der Bevölkerung unterstützt wurden, war ein Schock für die Anhänger des Imperialismus, die davon ausgegangen waren, dass die britische Herrschaft in Indien unerschütterlich war.

In der aktuellen Forschung wird das Ausmaß der direkt oder indirekt angewandten Gewalt betont, mit der im gesamten britischen Empire versucht wurde, die Kontrolle zu bewahren. Dieser Trend in der Geschichtswissenschaft löst die Interpretation ab, dass die Briten vor allem liberale Ziele gehabt hätten und das Leben der Kolonisierten durch die Gaben der Moderne in Form von Bildung, Wissenschaft und Vernunft zu verbessern suchten. Um die oft gewalttätigen Reaktionen auf den kolonialen Staat zu verstehen, sollte man sich daher mit der Gewalt beschäftigen, mit der die Briten ihre Dominanz in Südasien durchsetzten, von Institutionen wie dem Militär und der Polizei bis hin zur alltäglichen "weißen Gewalt" gegen die einheimische Bevölkerung, die für den Kolonialismus so typisch war. Wenn man dieses Geflecht von Gewalt und Macht in Südasien berücksichtigt, kann man die bei der Dekolonisierung von 1947 auftretende ethnische Gewalt besser verstehen.

Aus Sicht der Briten war einer der wichtigsten Faktoren, die zum Aufstand von 1857 führten, der in der indischen Bevölkerung herrschende Eindruck, ihre religiösen Praktiken würden durch die interventionistische Politik der Ostindien-Kompanie und durch die von ihr eingeführten Technologien bedroht. Dazu kam, dass christliche Missionare unterstützt und die Inder im Vergleich zu anderen Untertanen im Empire diskriminiert wurden. Der Stellenwert, den man diesen Anliegen beimaß, zeigt sich in der von Königin Victoria 1858 erlassenen Proklamation, die für diejenigen, die den britischen Imperialismus in die Verantwortung nehmen wollten, eine der Magna Carta vergleichbare Bedeutung erlangte. Das Versprechen der Königin, sich nicht in religiöse Angelegenheiten einzumischen, für eine Gleichbehandlung der Inder als Untertanen im Empire zu sorgen und eine gleichberechtigte Beschäftigung im indischen öffentlichen Dienst zu garantieren, wurde zu einem entscheidenden Dreh- und Angelpunkt der britischen Kolonialregierung in Indien und ihrem leicht antikolonialen Kurs.

Mit aus diesem Grund erhielt die Religion ab Ende des späten 19. Jahrhunderts eine größere politische Bedeutung: Sie bot einen Bereich, in dem ein koloniales Eingreifen nicht erlaubt war. Die Einmischung in religiöse Belange konnte von frühen Nationalisten zu Recht als Bruch imperialer Versprechen angeprangert werden: Politische Proteste nahmen ihren Anfang im religiösen Kontext, weil sie dort artikuliert werden konnten.

Religion und Kolonialstaat

Religiöse Konflikte waren in Südasien nicht neu, doch vor der Expansion des modernen Kolonialstaats waren sie meist lokal begrenzt und von kurzer Dauer: Die Gemeinschaften nutzten den öffentlichen Raum gemeinsam, daher war der Anreiz groß, Lösungen für ein Miteinander zu finden. Die Art und Weise, wie sich religiöse Identitäten unter dem Druck und den Interventionen des Kolonialstaats entwickelten, formten die Politik neu. Die Ausrichtung der Politik an religiösen Kategorien spiegelte zum Teil die Erfahrungen aus Europa wider, wo die Religion eine grundlegende Rolle in staatlichen Angelegenheiten gespielt hatte und man sie daher aus der Politik heraushalten wollte. Die Religionen in Südasien auf den privaten Bereich zu beschränken, war schwierig, weil sich die Sitten und Bräuche von Hindus und Muslimen um öffentliche Einrichtungen wie Tempel oder Moscheen drehten, um Feste und Gebete, und weil sie in kulturelle Ausdrucksformen wie Texte, Sprache und Ernährung eingebettet waren. Die Unterschiede im gemeinschaftlichen Leben von Hindus und Muslimen sollten sich abhängig von den Parametern vertiefen, mit denen die Kolonialherrschaft Aktivismus und Lobbyarbeit gegenüber dem Staat gesetzlich regelte. Von grundlegender Bedeutung war dabei die Vorstellung von der Rolle des Staates beim Umgang mit Minderheiten und ihrem Schutz.

Die Kategorisierung der Religionen in Indien und das Verständnis ihrer Bedeutung wurde durch den Kolonialstaat im Rahmen von vermeintlich wissenschaftlichen Projekten wie ethnografischen Erhebungen und Volkszählungen neu gestaltet. Überwältigt von der Komplexität der indischen Religionen abstrahierten die Verantwortlichen die zahlreichen Sekten und Identitäten und machten den "Hinduismus" zu einer übergreifenden Kategorie, um eine Reihe unterschiedlicher religiöser Praktiken zu beschreiben. Im 19. Jahrhundert hätten sich nur wenige Menschen in Indien mit dieser Bezeichnung identifiziert, allerdings konnten sie genau sagen, ob sie Muslime waren oder nicht. Als monotheistische Religion war der Islam für den Kolonialstaat leichter einzuordnen, selbst wenn die Wahrnehmung gelegentlich von Ängsten vor wahhabitischen oder panislamistischen Verschwörungen verzerrt war. Bereits bei der ersten Volkszählung zeigte sich, dass ein erheblicher Anteil der Bevölkerung aus Muslimen bestand, und ab den 1880er Jahren suchte die britische Kolonialregierung in Indien nach Möglichkeiten, Schutzmechanismen für "religiöse Minderheiten" in die staatliche Struktur einzubauen. Einige Muslime hatten tatsächlich auch am Aufstand von 1857 teilgenommen und neigten nach Meinung des einflussreichen Kolonialbeamten W.W. Hunter ohnehin zum Fanatismus und fühlten sich "verpflichtet", gegen die Königin zu rebellieren. Diese Tendenzen wollte man aufmerksam beobachten, zudem bemühten sich die Akteure der Kolonialpolitik, liberale und modernisierende Kräfte im indischen Islam zu stärken, um die Loyalität gegenüber der Krone zu fördern. Und so wurden religiöse Identitäten durch den Kolonialstaat politisiert.

Kritik an der Kolonialherrschaft

In den 1860er Jahren schuf der Kolonialstaat ein umfassendes gesetzliches Rahmenwerk, das sein alleiniges Gewaltmonopol festigen und potenzielle gewalttätige Bedrohungen ausschalten sollte. Dazu gehörten Gesetze, die umherziehende Menschen kriminalisierten, ein Gesetz zur Kontrolle des Waffenbesitzes und der Murderous Outrages Act, der dem Staat in der sensiblen Region an der nordwestlichen Grenze weitreichende Befugnisse einräumte, um "fanatische" Gewalttaten zu ahnden und Urteile ohne eine Möglichkeit zur Revision sofort zu vollstrecken. Diese außerordentliche Macht wurde von Gesetzen gestützt, die nicht nur gewalttätige Proteste kriminalisierten, sondern bereits jede Form der Kritik am Staat. Paragraf 124A des indischen Strafgesetzbuchs verbot explizit die Äußerung von "Unzufriedenheit", womit indirekt zum Ausdruck gebracht wurde, dass die Kolonisierten ihren Kolonialherren Zuneigung schuldeten. Nach diesem Gesetz war die "Äußerung von Missbilligung" über die Regierungspolitik nur dann keine Straftat, wenn dahinter das Ziel stand, "ihre Änderung mit rechtmäßigen Mitteln zu erreichen, ohne Hass, Verachtung oder Unzufriedenheit zu wecken oder zu versuchen, sie zu wecken". Damit waren die Bedingungen festgelegt, unter denen die Regierung bereit war, Kritik entgegenzunehmen: in Form milden Tadels, der von überschwänglichen Loyalitätsbeteuerungen begleitet wurde.

Um Gehör zu finden, mussten indische Nationalisten ihre Beschwerden also vorsichtig formulieren und das koloniale Projekt loben, bevor sie auf die Widersprüche des vermeintlich wohlwollenden imperialen Liberalismus hinwiesen. Damit wurde der Liberalismus zu einer wichtigen Ideologie für indische Nationalisten, die ihn als Argument für eine repräsentative Regierung und gegen rassistische Unterdrückung anführten. Für derartige Eingaben waren umfangreiche Formalitäten und unwiderlegbare Beweise erforderlich, was zu einem, wie der Historiker Christopher Bayly es formulierte, "statistischen Liberalismus" führte, der eine Bilanz des Empire erstellte. Frühe Kritikpunkte Ende des 19. Jahrhunderts betrafen die koloniale Ökonomie, vor allem die zahlreichen verheerenden Hungersnöte in den 1870er Jahren, bei denen Millionen Menschen starben. Auch die stets wachsenden Ausgaben des Kolonialstaates einschließlich der Kosten für die militärischen Abenteuer jenseits der indischen Grenzen und für die Gehälter der Kolonialbeamten, insbesondere des Vizekönigs, wurden genannt. Der indische Politiker Dadabhai Naoroji (1825–1917) brachte diese Kritik in seinem Buch mit dem passenden Titel "Poverty and unBritish Rule in India" zum Ausdruck, in dem er unter anderem argumentierte, die Einbindung von mehr Indern in den Regierungsprozess sei nicht nur kostengünstiger, sondern auch effektiver.

Politik des organisierten Antikolonialismus

1885 kamen Angehörige der neuen indischen Elite in Bombay zusammen und gründeten den INC. Seine Mitglieder waren englisch erzogen worden, viele waren Anwälte und verstanden die Funktionsweise und Grundlagen des Kolonialstaates, waren aber auch frustriert von der Kolonialpolitik, die ohne Rücksprache mit den kolonisierten Eliten erfolgte. Ursprünglich vertrat der INC eine milde, säkulare Kritik am Imperialismus, war in seinen Anfangsjahren ideologisch jedoch nach allen Seiten offen. In den 1890er Jahren bildete sich ein deutlich radikalerer Flügel heraus, vertreten durch Aktivisten wie Bal Gangadhar Tilak (1856–1920). Der Gründer von zwei Zeitungen verfügte im Westen Indiens über erheblichen Einfluss und saß aufgrund seiner Kritik an der Kolonialregierung zweimal in Haft. Die gemäßigte Haltung seiner Mitstreiter im INC ließ ihn fast verzweifeln; immer wieder schrieb er Artikel, die trotz ihrer religiösen Allegorien von den Briten als Aufrufe zu politischen Gewalttaten verstanden wurden. Die Kongressbewegung spaltete sich 1907 aufgrund der Frage, ob es legitim sei, die Briten außerhalb des konstitutionellen Rahmens zu konfrontieren, etwa durch einen Boykott. Viele gemäßigte Nationalisten wie Gopal Krishna Gokhale (1866–1915) richteten ihre Energie in dieser Phase auf die soziale Arbeit, um eine stärkere Gemeinschaft aufzubauen, in der Unterschiede bezüglich Kaste, Religion und Klasse weniger gravierend waren.

Etwa zur selben Zeit begann die Kolonialverwaltung, auf muslimische Eliten zuzugehen, die bei der Regierung aktiv auf den Schutz religiöser Minderheiten drängten. Die 1906 gegründete Muslimliga war eine der wichtigsten Organisationen, die diese Idee vertraten. Die Liga konnte eine proportionale Vertretung der Muslime in den neu gebildeten Imperial Councils von 1909 durchsetzen. Diese Räte waren ein verfassungsrechtliches Zugeständnis an die gemäßigten indischen Nationalisten, einschließlich derjenigen innerhalb des Kongresses, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert für eine stärkere Einbeziehung von Indern in die Regierungsarbeit stark machten. Mit einer explizit muslimischen Vertretung in der politischen Arena wurde nun der Anspruch des INC, trotz seiner Hindu-Mehrheit unter den Mitgliedern alle Inder zu vertreten, infrage gestellt.

Bei der Verbreitung nationalistischer Ideen in Indien gab es erhebliche Hindernisse. Obwohl sich der Kolonialstaat die Bildung der Bevölkerung auf die Fahnen geschrieben hatte, waren viele Inder Analphabeten (laut Volkszählung von 1921 konnten etwa 7 Prozent der indischen Bevölkerung lesen, 1931 waren es etwa 9 Prozent). Als sich in den 1900er Jahren vom INC geführte Bewegungen organisierten, griffen sie bei der Vermittlung ihrer Ideen aus praktischen Gründen oft auf religiöse Motive zurück. Die religiöse Sprache eignete sich gut für die antikoloniale Agitation, weil häufig der Kampf gegen Ungerechtigkeit betont wurde und sie allgemein verständlich war. Lieder, Parolen, in Massen produzierte Plakate und literarische Texte stützten sich auf die Vorstellung von Indien als Gottheit – Bharat Mata –, die ihre Menschen anflehte, sie von den Ketten der kolonialen Herrschaft zu befreien. Die erste größere antikoloniale Agitationskampagne, die Swadeshi-Bewegung (1905–1908), forderte die indische Bevölkerung auf, britische Produkte zu boykottieren und indische Produkte mehr wertzuschätzen. Hindus fühlten sich angesprochen, doch für Muslime stand die Vorstellung von Indien als Göttin im Widerspruch zum Monotheismus des Islam. Selbst Mahatma Gandhi gab sich als Hindu-Asket. Obwohl er von der Gleichheit aller Religionen sprach, ist es fraglich, ob seine Botschaft von der ländlichen Bevölkerung als säkular verstanden wurde.

Es war also eine Kombination aus Regierungspolitik und der Dialektik des Nationalismus, die Hindus und Muslime in der indischen Bevölkerung auf unterschiedliche politische Wege führte und sie zunehmend in Opposition zueinander brachte. Immer häufiger kam es auf kommunaler Ebene zu Gewalt zwischen Hindus und Muslimen, und als sich in den 1920er Jahren die sozialen Trennlinien weiter vertieften, erhielt diese Gewalt eine zunehmend politische Bedeutung.

Internationalismus des Nationalismus

Im frühen 20. Jahrhundert spielten auch globale Einflüsse eine Rolle dafür, dass sich ein nationalistisches Denken in Indien herausbildete. Vielen indischen Nationalisten dienten antikoloniale Bewegungen in Irland als Vorbild, von Annie Besant (1847–1933) und Bal Gangadhar Tilak, die sich von der Sprache der Home Rule (Selbstverwaltung) in den 1910er Jahren inspirieren ließen, bis hin zu Revolutionären, die Gewalt als Taktik in Form von Attentaten und Hungerstreiks im Gefängnis übernahmen. Die in Großbritannien oder in anderen Kolonien wie Kanada und Südafrika lebenden Inder, aber auch die indische Bevölkerung in Europa und den USA spielten ebenfalls eine wichtige Rolle und unterstützten antikoloniale Überlegungen und Aktivitäten aus der Ferne. Vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten sich viele indische Studenten in London, Berlin und Paris radikalisiert und Literatur verbreitet, die in Indien verboten war. Bei Foren wie den regelmäßig in London stattfindenden Imperial Conferences wurde den britischen Vertretern immer wieder die rassistische Diskriminierung in den selbstverwalteten "White Dominions" vorgeworfen und die britische Idee eines imperialen Bürgerrechts, das Gleichheit für alle bedeuten sollte, infrage gestellt. Inder durften in den Dominions nicht wählen, waren von bestimmten Branchen ausgeschlossen, und durften ihre Familienmitglieder nicht nachholen, nicht einmal die Ehefrauen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, bei dem Ressourcen und Truppen aus Indien zum Einsatz kamen, konnte auf den Druck Londons hin kleinere Zugeständnisse in einigen, wenn auch nicht allen Dominions ausgehandelt werden, was zeigte, dass der britische Anspruch auf Gleichstellung auf tönernen Füßen stand.

In den Jahren vor und auch während des Ersten Weltkrieges hatte es in Deutschland massive antibritische Propagandakampagnen gegeben; das Deutsche Reich fungierte als wichtiger Verbündeter der antikolonialen Aktivisten und bot finanzielle und logistische Unterstützung. Eine wichtige Rolle spielten in der Folge auch große politische Ideologien wie Kommunismus und Sozialismus, die den antikolonialen Aktivisten als Inspiration dienten. Die Kommunistische Internationale unterstützte Netzwerke und einzelne Aktivisten durch Organisationen wie die Liga gegen Imperialismus, die jedoch meist kurzlebig waren. Die indische Kolonialregierung versuchte, den Zugang zu kommunistischem Gedankengut zu beschränken, indem sie den Import von Literatur und die Einreise bekannter Kommunisten verbot. Zu diesen Maßnahmen gehörte zu Beginn der 1930er Jahre ein Verfahren gegen indische und ausländische Kommunisten wegen einer angeblichen Verschwörung. Das Verfahren scheiterte, und der Einfluss kommunistischen Denkens blieb in Indien weiterhin präsent. Andere Gruppen wurden von der panasiatischen Ideologie beeinflusst und träumten mit Blick auf Japan von einem "Neuen Asien" und der Solidarität unter People of Colour. Der Faschismus in Italien und der Nationalsozialismus in Deutschland lieferten ebenfalls Vorbilder für einzelne Nationalisten, allerdings verhinderten die nativistischen Impulse beider Ideologien die Versuche, Allianzen zu schmieden.

Weg zur Unabhängigkeit

Der Zweite Weltkrieg wälzte die politische Landschaft um. Die indischen Regierungen in den Provinzen, die nach den Reformen von 1935 gewählt worden waren und größtenteils aus Mitgliedern des Nationalkongresses bestanden, waren vor dem Kriegseintritt nicht nach ihrer Haltung gefragt worden. Aus Protest traten die Regierungen des INC zurück, während viele andere Parteien, darunter die Muslimliga und nach 1941 auch die Kommunistische Partei Indiens, die Kriegsanstrengungen unterstützten.

Als der INC die Konfrontation mit den Briten suchte, vor allem durch Aktionen zivilen Ungehorsams und später durch die "Quit India"-Bewegung (1942) unter der Führung von Gandhi, kam es zur massenhaften Festnahme von Aktivisten. Im Gegensatz dazu pflegten die Mitglieder der Muslimliga ein weit weniger oppositionelles Verhältnis zum Kolonialstaat. Nach dem Fall Singapurs und Burmas wurde Indien zum zentralen Kriegsschauplatz, und auch wenn nur die Industriegebiete von Kalkutta bombardiert wurden, war die Anspannung in ganz Indien groß. Die britischen Maßnahmen zur Abwehr eines möglichen japanischen Einfalls im Nordosten Indiens, zu denen auch Zerstörungen nach dem Prinzip der verbrannten Erde und die Beschlagnahmung von Booten gehörten, verschärften die bereits bestehende Lebensmittelknappheit und trieben die Preise in die Höhe, wodurch es in Bengalen zu einer Hungersnot kam, bei der Millionen Menschen ums Leben kamen. Fotos von Sterbenden wurden in indischen und internationalen Zeitungen veröffentlicht und säten weitere Zweifel an der Legitimation des britischen Imperialismus. Der letzte Anstoß zur Dekolonisierung kam jedoch von Kräften außerhalb der antikolonialen Bewegung. Zu den wichtigsten Faktoren zählten die Zerstörungen in Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg und der Aufstieg der USA zur neuen Weltmacht, die den Kolonialismus nicht unterstützte.

Noch immer wird darüber debattiert, ob die Teilung Indiens und die Gründung Pakistans unvermeidbar waren oder Folge einer Reihe von Faktoren. 1940 verabschiedete die Muslimliga eine Resolution, in der sie sich für eine verfassungsgemäße Regelung nach dem Krieg einsetzte, bei der die mehrheitlich muslimischen Regionen unabhängige Bundesstaaten Pakistans werden sollten. Die Hungersnot hatte großen Einfluss auf das soziale Gefüge Bengalens, vor allem in Kalkutta, wohin die Armen vom Land auf der Suche nach Hilfe strömten und dann dort auf der Straße starben. Damit war der Boden bereitet für die dortigen katastrophalen Gewaltausbrüche im August 1946, die als Katalysator für verschiedene Prozesse auf dem Weg zur Teilung fungierten. Dazu gehörten auch die britische Überzeugung, an einem baldigen Abzug festzuhalten, der das Ausmaß der Gewalt sicher noch erhöhte, da keine Truppen bereitstanden, um einzugreifen, und eine gewisse Sympathie für die Argumente Muhammad Ali Jinnahs, dass die Muslime nur in einem unabhängigen Staat Pakistan sicher seien. Das Chaos beim Abzug, das dadurch entstandene Machtvakuum und die willkürlich festgelegten Grenzen sowie die tragische Gewalt, die die Machtübergabe an Indien und Pakistan im Jahr 1947 begleitete, legten den Grundstein für den anhaltenden Konflikt zwischen den beiden neuen Nationalstaaten.

Eine Karte zu Britisch-Indien 1858-1947 ist unter Interner Link: Karten zu finden.

Aus dem Englischen von Heike Schlatterer.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Ali Usman Qasmi/Megan Robb (Hrsg.), Muslims Against the Muslim League. Critiques of the Idea of Pakistan, Cambridge 2017.

  2. Vgl. Kama Maclean, A Revolutionary History of Interwar India: Violence, Image, Voice and Text, New York 2015.

  3. Vgl. Durba Ghosh, Gentlemanly Terrorist. Political Violence and the Colonial State in India, 1919–1947, Cambridge 2017, S. 18.

  4. Vgl. David Washbrook, Political Economy of Colonialism in India, in: Harald Fischer-Tiné/Maria Framke (Hrsg.), Routledge Handbook of the History of Colonialism in South Asia, London 2022, S. 23–35, hier S. 29.

  5. Vgl. Antoinette Burton, The Trouble With Empire: Challenges to Modern British Imperialism, New York 2015.

  6. Vgl. Caroline Elkins, Legacy of Violence: A History of the British Empire, London 2022.

  7. Vgl. Jonathan Saha, Everyday Violence in British India, in: History Compass 11/2011, S. 844–853.

  8. Vgl. Brian A Hatcher, Reordering Religion in Colonial South Asia, in: Fischer-Tiné/Framke (Anm. 4), S. 62–76.

  9. Vgl. Mark Condos, The Insecurity State. Punjab and the Making of Colonial Power in British India, Oxford 2017, S. 146.

  10. Vgl. ebd., S. 142.

  11. Vgl. Tanya Agathocleous, Criticism on Trial: Colonizing Affect in the Late-Victorian Empire, in: Victorian Studies 3/2018, S. 434–460.

  12. Christopher A. Bayly, Recovering Liberties. Indian Thought in the Age of Liberalism and Empire, Oxford 2012, S. 344.

  13. Ebd., S. 194ff.

  14. Vgl. Sukeshi Kamra, Law and Radical Rhetoric in British India, in: South Asia 3/2016, S. 546–559.

  15. Vgl. Census of India 1931, Bd. 1, Neu-Delhi 1933, S. 324.

  16. Vgl. Harald Fischer-Tiné, Indian Nationalism and "World Forces", in: Journal of Global History 3/2007, S. 325–344.

  17. Vgl. Kama Maclean, British India, White Australia. Overseas Indians, Intercolonial Relations and the Empire, Sydney 2020, S. 235.

  18. Vgl. Daniel Brückenhaus, Policing Transnational Protest. Liberal Imperialism and the Surveillance of Anticolonialists in Europe, 1905–1945, New York 2017, Kap. 3.

  19. Vgl. Ali Raza, Revolutionary Pasts. Communist Internationalism in Colonial India, Cambridge 2020.

  20. Vgl. Joseph McQuade, The New Asia of Rash Behari Bose: India, Japan, and the Limits of the International, in: Journal of World History 4/2017, S. 641–667.

  21. Vgl. Maria Framke, Shopping Ideologies for Independent India?, in: Itinerario 1/2016, S. 55–81.

  22. Vgl. Janam Mukherjee, Hungry Bengal. War, Famine and the End of Empire, New York 2015.

  23. Vgl. Ian Talbot, The Rise of Communalism and the Partition, in: Fischer-Tiné/Framke (Anm. 4), S. 92–104.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Kama Maclean für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und des/der Autors/-in teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

Weitere Inhalte

ist Professorin für die Geschichte Südasiens an der Universität Heidelberg.
E-Mail Link: kama.maclean@sai.uni-heidelberg.de