Auf die Dekolonisierung Britisch-Indiens folgten 1947 die Teilung des Landes, die von ethnischer Gewalt begleitet wurde, und die Gründung zweier Staaten, dem mehrheitlich hinduistischen Indien und dem mehrheitlich muslimischen Pakistan. In diesem Beitrag beleuchte ich die historischen, politischen und gesellschaftlichen Kräfte im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Kolonialherrschaft und gehe der Frage nach, warum die Religion im Kampf um die Befreiung ein so großes Spaltungspotenzial entwickelte.
Das Zusammentreffen verschiedener Faktoren in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg schuf die Bedingungen für eine nationalistische Massenbewegung, die nicht ignoriert werden konnte. Der Indische Nationalkongress (Indian National Congress; INC) hatte im Laufe der Zeit den Druck auf die britische Kolonialregierung immer weiter erhöht. 1885 mit dem Ziel gegründet, den indischen Einfluss in der Politik auszubauen, hatte die Kongresspartei in der Zwischenkriegszeit ein Programm des gewaltlosen Protests, des Boykotts und des zivilen Ungehorsams entwickelt, um politische Reformen durchzusetzen. Ursprünglich wurde dieses Programm auch von der 1906 gegründeten All-indischen Muslimliga unterstützt, doch zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Briten bereit erklärten, bei einer Reihe von Konferenzen in London über politische Reformen zu sprechen, hatten sich zwischen dem INC unter der Führung von Jawaharlal Nehru (1889–1964) und der Muslimliga bereits tiefe politische Gräben aufgetan. Die Muslimliga hatte sich in den 1930er und 1940er Jahren nicht den Aktionen des INC angeschlossen, sondern weiterhin strategische Verbindungen zur Regierung gepflegt. Ihr Anführer Muhammad Ali Jinnah (1876–1948) hatte dank seiner Unterstützung der Briten im Ersten Weltkrieg großes Ansehen erworben und wurde von den Kolonialherren als einzige Stimme der Muslime akzeptiert, obwohl es durchaus auch Muslime gab, die sich von der Muslimliga nicht vertreten fühlten.
In der vom INC geführten Massenbewegung schwang stets auch ein radikaler antikolonialer Nationalismus mit, der politische Gewalt als Mittel der Eskalation bei der Dekolonisierung einsetzte. Gewalttätige Aktionen wurden zwar schnell unterbunden, aber dennoch von nationalistischen Organisationen genutzt, um den Briten aufzuzeigen, welche Folgen eine Verweigerung politischer Reformen haben könnte.
Natur des Kolonialstaats
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, wie die imperialen Ziele und die Kolonialpolitik des britischen Empire den Charakter des indischen Antikolonialismus prägten. Für das britische Weltreich war die Kolonialisierung Südasiens extrem lukrativ. Wirtschaftshistoriker haben das Ausmaß der Abhängigkeit gegenüber den Briten aufgezeigt, in das Indien aufgrund der politischen Ökonomie des Kolonialismus Mitte des 19. Jahrhunderts geriet.
Bereits vor dem gewaltsamen Aufstand von 1857, in dessen Folge die britische Krone die Herrschaft über die Territorien der Britischen Ostindien-Kompanie übernahm, hatte es in Indien eine lange Geschichte des Widerstands gegeben. Der Aufstand erfolgte als Reaktion auf die Politik der Ostindien-Kompanie, einer Handelsgesellschaft, die zum Schutz und zur Erweiterung ihrer Interessen eine eigene Armee mit indischen Soldaten unterhielt. Im Mai 1857 lehnten sich einige indische Regimenter dieser Armee gegen die britischen Befehlshaber auf. Der sich daraus entwickelnde Aufstand war der größte in einer langen Reihe kleinerer Rebellionen gegen die Kompanie, die seit dem 17. Jahrhundert in Indien aktiv war. Die Brutalität der Aufständischen und das Ausmaß der "großen indischen Meuterei" überraschten viele Briten. Dass sich die indischen Sepoys gegen ihre britischen Kommandeure erhoben und von verschiedenen Teilen der Bevölkerung unterstützt wurden, war ein Schock für die Anhänger des Imperialismus, die davon ausgegangen waren, dass die britische Herrschaft in Indien unerschütterlich war.
In der aktuellen Forschung wird das Ausmaß der direkt oder indirekt angewandten Gewalt betont, mit der im gesamten britischen Empire versucht wurde, die Kontrolle zu bewahren.
Aus Sicht der Briten war einer der wichtigsten Faktoren, die zum Aufstand von 1857 führten, der in der indischen Bevölkerung herrschende Eindruck, ihre religiösen Praktiken würden durch die interventionistische Politik der Ostindien-Kompanie und durch die von ihr eingeführten Technologien bedroht. Dazu kam, dass christliche Missionare unterstützt und die Inder im Vergleich zu anderen Untertanen im Empire diskriminiert wurden. Der Stellenwert, den man diesen Anliegen beimaß, zeigt sich in der von Königin Victoria 1858 erlassenen Proklamation, die für diejenigen, die den britischen Imperialismus in die Verantwortung nehmen wollten, eine der Magna Carta vergleichbare Bedeutung erlangte. Das Versprechen der Königin, sich nicht in religiöse Angelegenheiten einzumischen, für eine Gleichbehandlung der Inder als Untertanen im Empire zu sorgen und eine gleichberechtigte Beschäftigung im indischen öffentlichen Dienst zu garantieren, wurde zu einem entscheidenden Dreh- und Angelpunkt der britischen Kolonialregierung in Indien und ihrem leicht antikolonialen Kurs.
Mit aus diesem Grund erhielt die Religion ab Ende des späten 19. Jahrhunderts eine größere politische Bedeutung: Sie bot einen Bereich, in dem ein koloniales Eingreifen nicht erlaubt war. Die Einmischung in religiöse Belange konnte von frühen Nationalisten zu Recht als Bruch imperialer Versprechen angeprangert werden: Politische Proteste nahmen ihren Anfang im religiösen Kontext, weil sie dort artikuliert werden konnten.
Religion und Kolonialstaat
Religiöse Konflikte waren in Südasien nicht neu, doch vor der Expansion des modernen Kolonialstaats waren sie meist lokal begrenzt und von kurzer Dauer: Die Gemeinschaften nutzten den öffentlichen Raum gemeinsam, daher war der Anreiz groß, Lösungen für ein Miteinander zu finden. Die Art und Weise, wie sich religiöse Identitäten unter dem Druck und den Interventionen des Kolonialstaats entwickelten, formten die Politik neu. Die Ausrichtung der Politik an religiösen Kategorien spiegelte zum Teil die Erfahrungen aus Europa wider, wo die Religion eine grundlegende Rolle in staatlichen Angelegenheiten gespielt hatte und man sie daher aus der Politik heraushalten wollte. Die Religionen in Südasien auf den privaten Bereich zu beschränken, war schwierig, weil sich die Sitten und Bräuche von Hindus und Muslimen um öffentliche Einrichtungen wie Tempel oder Moscheen drehten, um Feste und Gebete, und weil sie in kulturelle Ausdrucksformen wie Texte, Sprache und Ernährung eingebettet waren. Die Unterschiede im gemeinschaftlichen Leben von Hindus und Muslimen sollten sich abhängig von den Parametern vertiefen, mit denen die Kolonialherrschaft Aktivismus und Lobbyarbeit gegenüber dem Staat gesetzlich regelte. Von grundlegender Bedeutung war dabei die Vorstellung von der Rolle des Staates beim Umgang mit Minderheiten und ihrem Schutz.
Die Kategorisierung der Religionen in Indien und das Verständnis ihrer Bedeutung wurde durch den Kolonialstaat im Rahmen von vermeintlich wissenschaftlichen Projekten wie ethnografischen Erhebungen und Volkszählungen neu gestaltet.
Kritik an der Kolonialherrschaft
In den 1860er Jahren schuf der Kolonialstaat ein umfassendes gesetzliches Rahmenwerk, das sein alleiniges Gewaltmonopol festigen und potenzielle gewalttätige Bedrohungen ausschalten sollte. Dazu gehörten Gesetze, die umherziehende Menschen kriminalisierten, ein Gesetz zur Kontrolle des Waffenbesitzes und der Murderous Outrages Act, der dem Staat in der sensiblen Region an der nordwestlichen Grenze weitreichende Befugnisse einräumte, um "fanatische" Gewalttaten zu ahnden und Urteile ohne eine Möglichkeit zur Revision sofort zu vollstrecken.
Um Gehör zu finden, mussten indische Nationalisten ihre Beschwerden also vorsichtig formulieren und das koloniale Projekt loben, bevor sie auf die Widersprüche des vermeintlich wohlwollenden imperialen Liberalismus hinwiesen. Damit wurde der Liberalismus zu einer wichtigen Ideologie für indische Nationalisten, die ihn als Argument für eine repräsentative Regierung und gegen rassistische Unterdrückung anführten.
Politik des organisierten Antikolonialismus
1885 kamen Angehörige der neuen indischen Elite in Bombay zusammen und gründeten den INC. Seine Mitglieder waren englisch erzogen worden, viele waren Anwälte und verstanden die Funktionsweise und Grundlagen des Kolonialstaates, waren aber auch frustriert von der Kolonialpolitik, die ohne Rücksprache mit den kolonisierten Eliten erfolgte. Ursprünglich vertrat der INC eine milde, säkulare Kritik am Imperialismus, war in seinen Anfangsjahren ideologisch jedoch nach allen Seiten offen. In den 1890er Jahren bildete sich ein deutlich radikalerer Flügel heraus, vertreten durch Aktivisten wie Bal Gangadhar Tilak (1856–1920). Der Gründer von zwei Zeitungen verfügte im Westen Indiens über erheblichen Einfluss und saß aufgrund seiner Kritik an der Kolonialregierung zweimal in Haft. Die gemäßigte Haltung seiner Mitstreiter im INC ließ ihn fast verzweifeln; immer wieder schrieb er Artikel, die trotz ihrer religiösen Allegorien von den Briten als Aufrufe zu politischen Gewalttaten verstanden wurden.
Etwa zur selben Zeit begann die Kolonialverwaltung, auf muslimische Eliten zuzugehen, die bei der Regierung aktiv auf den Schutz religiöser Minderheiten drängten. Die 1906 gegründete Muslimliga war eine der wichtigsten Organisationen, die diese Idee vertraten. Die Liga konnte eine proportionale Vertretung der Muslime in den neu gebildeten Imperial Councils von 1909 durchsetzen. Diese Räte waren ein verfassungsrechtliches Zugeständnis an die gemäßigten indischen Nationalisten, einschließlich derjenigen innerhalb des Kongresses, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert für eine stärkere Einbeziehung von Indern in die Regierungsarbeit stark machten. Mit einer explizit muslimischen Vertretung in der politischen Arena wurde nun der Anspruch des INC, trotz seiner Hindu-Mehrheit unter den Mitgliedern alle Inder zu vertreten, infrage gestellt.
Bei der Verbreitung nationalistischer Ideen in Indien gab es erhebliche Hindernisse. Obwohl sich der Kolonialstaat die Bildung der Bevölkerung auf die Fahnen geschrieben hatte, waren viele Inder Analphabeten (laut Volkszählung von 1921 konnten etwa 7 Prozent der indischen Bevölkerung lesen, 1931 waren es etwa 9 Prozent).
Es war also eine Kombination aus Regierungspolitik und der Dialektik des Nationalismus, die Hindus und Muslime in der indischen Bevölkerung auf unterschiedliche politische Wege führte und sie zunehmend in Opposition zueinander brachte. Immer häufiger kam es auf kommunaler Ebene zu Gewalt zwischen Hindus und Muslimen, und als sich in den 1920er Jahren die sozialen Trennlinien weiter vertieften, erhielt diese Gewalt eine zunehmend politische Bedeutung.
Internationalismus des Nationalismus
Im frühen 20. Jahrhundert spielten auch globale Einflüsse eine Rolle dafür, dass sich ein nationalistisches Denken in Indien herausbildete. Vielen indischen Nationalisten dienten antikoloniale Bewegungen in Irland als Vorbild, von Annie Besant (1847–1933) und Bal Gangadhar Tilak, die sich von der Sprache der Home Rule (Selbstverwaltung) in den 1910er Jahren inspirieren ließen, bis hin zu Revolutionären, die Gewalt als Taktik in Form von Attentaten und Hungerstreiks im Gefängnis übernahmen. Die in Großbritannien oder in anderen Kolonien wie Kanada und Südafrika lebenden Inder, aber auch die indische Bevölkerung in Europa und den USA spielten ebenfalls eine wichtige Rolle und unterstützten antikoloniale Überlegungen und Aktivitäten aus der Ferne. Vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten sich viele indische Studenten in London, Berlin und Paris radikalisiert und Literatur verbreitet, die in Indien verboten war.
In den Jahren vor und auch während des Ersten Weltkrieges hatte es in Deutschland massive antibritische Propagandakampagnen gegeben; das Deutsche Reich fungierte als wichtiger Verbündeter der antikolonialen Aktivisten und bot finanzielle und logistische Unterstützung.
Weg zur Unabhängigkeit
Der Zweite Weltkrieg wälzte die politische Landschaft um. Die indischen Regierungen in den Provinzen, die nach den Reformen von 1935 gewählt worden waren und größtenteils aus Mitgliedern des Nationalkongresses bestanden, waren vor dem Kriegseintritt nicht nach ihrer Haltung gefragt worden. Aus Protest traten die Regierungen des INC zurück, während viele andere Parteien, darunter die Muslimliga und nach 1941 auch die Kommunistische Partei Indiens, die Kriegsanstrengungen unterstützten.
Als der INC die Konfrontation mit den Briten suchte, vor allem durch Aktionen zivilen Ungehorsams und später durch die "Quit India"-Bewegung (1942) unter der Führung von Gandhi, kam es zur massenhaften Festnahme von Aktivisten. Im Gegensatz dazu pflegten die Mitglieder der Muslimliga ein weit weniger oppositionelles Verhältnis zum Kolonialstaat. Nach dem Fall Singapurs und Burmas wurde Indien zum zentralen Kriegsschauplatz, und auch wenn nur die Industriegebiete von Kalkutta bombardiert wurden, war die Anspannung in ganz Indien groß. Die britischen Maßnahmen zur Abwehr eines möglichen japanischen Einfalls im Nordosten Indiens, zu denen auch Zerstörungen nach dem Prinzip der verbrannten Erde und die Beschlagnahmung von Booten gehörten, verschärften die bereits bestehende Lebensmittelknappheit und trieben die Preise in die Höhe, wodurch es in Bengalen zu einer Hungersnot kam, bei der Millionen Menschen ums Leben kamen. Fotos von Sterbenden wurden in indischen und internationalen Zeitungen veröffentlicht und säten weitere Zweifel an der Legitimation des britischen Imperialismus.
Noch immer wird darüber debattiert, ob die Teilung Indiens und die Gründung Pakistans unvermeidbar waren oder Folge einer Reihe von Faktoren.
Eine Karte zu Britisch-Indien 1858-1947 ist unter
Aus dem Englischen von Heike Schlatterer.