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Welchen Beitrag kann die Kultur zur Bewältigung der Corona-Krise leisten? - Essay | Im Dienst der Gesellschaft | bpb.de

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Welchen Beitrag kann die Kultur zur Bewältigung der Corona-Krise leisten? - Essay

Dirk Baecker

/ 22 Minuten zu lesen

Der Titel dieses Beitrags ist mit Bedacht formuliert. Es geht nicht darum zu fragen, inwiefern die Corona-Krise auch die Kultur gefährdet. Man weiß, dass ein Kulturbetrieb, der im Theater, im Konzert, in der Oper, im Tanz und im Kino auf Begegnung und Berührung angewiesen ist, durch Maßnahmen einer Pandemiebekämpfung, die auf Abstand setzt, in seinem Kerngeschäft betroffen ist. Vor allem jene Bereiche der Kultur, die außerhalb einer institutionellen Verankerung "frei" existieren, von einem Tag auf den nächsten ihre Projekte realisieren und somit mehr oder minder von der Hand in den Mund leben, haben keinerlei Reserven, um den Ausfall von Aufträgen zu kompensieren. Das ist inzwischen allerorten hinreichend dokumentiert und wird von der Politik auch wahrgenommen. Selbst die Irritation, dass der Kunst- und Kulturbereich von der Politik dem Unterhaltungs- und Freizeitsektor zugeschlagen wird, ist inzwischen schon fast wieder vergessen – zumal man sich eingestehen muss, dass Unterhaltung und Freizeit einen ebenso wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten wie Kunst und Kultur. Aber welcher Beitrag ist das?

Diese Frage lässt sich nicht so ohne Weiteres beantworten. Wenn sie einem Soziologen gestellt wird, bekommt man es sofort mit einer Rückfrage zu tun. Was soll hier unter "Kultur" verstanden werden? Es gibt mindestens zwei gängige Interpretationen, deren zweite überdies eine Konsequenz hat, die unter Umständen dazu führt, die Frage ein wenig zu verschieben. Die erste Interpretation versteht Kultur als historisch und regional bedingte, das heißt kontingente Lebensform von Menschen, die zweite als eine Form der Pflege von Künsten. In Frage steht unter anderem, was die eine mit der anderen zu tun hat.

Eine Warnung vorab

Eine Warnung muss ich vorausschicken. Das Verhältnis von Gesellschaft, Krise und Kultur ist zu komplex, um auf den einfachen Nenner kausal und instrumentell kontrollierbarer Einflussfaktoren, Hebeleffekte und Treiber gebracht werden zu können. In beiden Interpretationen des Kulturbegriffs, als Lebensform und als Pflege der Künste, ist die Kultur vielfältig in die Gesellschaft verwoben und somit, wie man annehmen darf, immer schon daran beteiligt, die Krise sowohl auszurufen als auch zu bewältigen. Nichts garantiert überdies, dass dies auf eine heilsame, gleichsam begrüßenswerte Weise geschieht. Es gibt auch eine Kultur, die das Opfer sucht, menschliches Leiden hinnimmt und den Künsten den Auftrag gibt, dafür die passenden Bilder zu finden.

Und noch eine Warnung muss ich vorausschicken. Der sicherlich einfachste und wichtigste Beitrag der Kultur zur Bewältigung der Corona-Krise besteht darin, dass sie es uns erlaubt und auch darin ermutigt, uns einigermaßen gesittet zu benehmen, uns an Hygiene-Regeln zu halten und zivilisiert auch mit Meinungsunterschieden umzugehen. Hier grenzt die Kultur an die Moral, wie es im lateinischen Wort mores, Sitten, noch zu hören ist.

Das ist so schnell gesagt und so selbstverständlich, dass man das Thema damit beschließen könnte. Aber es genügt nicht. Spätestens dann, wenn man auf Kulturen aufmerksam wird, die die Existenz des Virus oder auch nur die Wirksamkeit gesundheitspolitischer Maßnahmen mit Verweis auf die Irrtümer der Schulmedizin bestreiten oder die es für kultiviert halten, sich dem Virus auszusetzen und die Gesellschaft zu durchseuchen, wird deutlich, dass es die Kultur im Singular, in der das Erforderliche als selbstverständlich gilt, nicht gibt.

Kultur ist ganz wesentlich Streit, und dies auch dann, wenn sie versucht, den Streit zu vermeiden und an einen zivilisierten Umgang appelliert. Denn sie kommt nicht umhin, das eine für richtig und das andere für falsch zu halten. Selbst wenn sie damit den Streit für entschieden hält, kann sie nicht ausschließen, dass andere es anders sehen und deswegen nicht etwa aus der Kultur herausfallen, sondern einer anderen Kultur anhängen, die man schon deswegen nicht Subkultur nennen kann, weil damit unterstellt wäre, dass es eine Hochkultur gibt.

Ein Beitrag zur Zivilisation

Und damit sind wir mitten im Thema. Der wichtigste Beitrag der Kultur zur Bewältigung der Corona-Krise, so würde ich meinen, besteht darin, für eine Qualität der Begegnung, des Gesprächs, der Debatte zu sorgen, die es erlaubt, sich im besten Sinne des Wortes "zivilisiert" sowohl über Gefahren und Risiken als auch über angemessene Maßnahmen zu verständigen. Interessanterweise spielt bereits für diese Minimalanforderung der doppelte Kulturbegriff eine Rolle. Denn zum einen stehen Lebensformen auf dem Spiel, wenn eine Pandemie alle gewohnten Sitten, Gewohnheiten und Gebräuche durcheinanderbringt. Und zum anderen können die Künste eine wichtige Rolle dabei spielen, Situationen zu schaffen, in denen sich eine Gesellschaft auf die Wahrnehmung der Herausforderungen für Leben, Denken und Geselligkeit einlässt, die für eine Pandemie typisch sind.

Was die Lebensform der modernen Gesellschaft betrifft, so stellen wir fest, dass wir uns in einem schon fast beängstigenden Maße und ohne es recht zu wissen an deren Komplexität gewöhnt haben. Wir halten die Vereinfachung nicht aus. Wir halten die Notwendigkeit nicht aus. Dass ein gefährliches Virus eindeutige Antworten erzwingt, katapultiert uns aus einer Gesellschaft heraus, die bislang fast immer Alternativen bot, Mehrdeutigkeiten schuf, Ausweichmöglichkeiten und nicht zuletzt: Ignoranzchancen bot. Eine komplexe Gesellschaft ermöglicht Lebensformen, die sich Gegebenheiten dort schaffen, wo und wie man sie braucht: Es gibt einen politischen Rahmen und einen Raum wirtschaftlicher Möglichkeiten, man ist abhängig von Bildungschancen und juristischen Chancen, auf seinem Recht zu bestehen, aber innerhalb dieser Bedingungen ist vieles, man ist geneigt zu sagen: fast alles, möglich. Selbst die verbreitete und berechtigte Klage über Ungleichheit und Ungerechtigkeit betont ex negativo, dass eigentlich alles möglich sein sollte.

Und nun bricht diese Komplexität zusammen. Das Gesundheitssystem und die Politik diktieren, dass nur noch eine Lebensform der Kontaktvermeidung geeignet ist, die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle zu halten. Es regiert eine Notwendigkeit. Die Kontingenzchancen einer komplexen Gesellschaft herrschen unter Randbedingungen einer Ökologie des Austauschs mit der organischen Welt unseres Körpers ebenso wie der natürlichen Umwelt, die wir nicht nur nicht unter Kontrolle haben, sondern dank der hemmungslosen Ausbreitung unseres Lebensstils selber gefährden. Man wäre geneigt, von einer erzwungenen Simplifikation unseres Lebensstils zu sprechen, käme nicht hinzu, dass die Reduktion der Gesellschaft auf vom Gesundheitssystem und der Politik diktierte Bedingungen ihrer Reproduktion eine neue Komplexität schafft, mit der umzugehen wir erst lernen müssen. Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung, Recht, Religion und Kultur lassen sich nicht so ohne Weiteres auf null setzen. Sie verringern die Frequenz ihrer einschlägigen Ereignisse, während Gesundheitssystem und Politik die ihre erhöhen.

Ebenso wichtig für das Verständnis komplexer Lebensformen ist jedoch, dass sie für jede beliebige soziale Situation Ausweichchancen schaffen. Man kann aus der Arbeit in den Konsum, aus der Familie in die Freizeit, aus der Politik in die Wirtschaft, aus den Massenmedien in die Religion oder die Wissenschaft ausweichen und umgekehrt, und ist somit fast nie gezwungen, die jeweilige Situation länger auszuhalten, als man dazu bereit ist. Unsere Lebensform erlaubt es, aus der einen Funktionslogik in eine andere zu wechseln, selbst wenn man jetzt schon weiß, dass man auch wieder zurück muss und an den jeweiligen Logiken wenig ändern kann. Von diesen Ausweichchancen lebt unser Erleben der komplexen Gesellschaft, selbst wenn unser Handeln wenig an ihr ändern kann. Nimmt man uns diese Ausweichchancen und ihren kompensatorischen Wert, stecken wir fest. Wir finden keine Entlastung mehr. Unsere Lebensform des Wechsels zwischen verschiedenen Situationslogiken und deren jeweils denkbar hoch getriebenen Ansprüchen bricht zusammen. Das halten wir sozial und psychisch nicht aus. Wir entdecken, dass der Umgang mit Komplexität in der Familie, im Beruf, im Museum oder in der Kirche davon lebt, dass wir uns auf sie einlassen und wieder von ihr ablassen können. Individuell sind wir beweglich. Wenn jedoch kein Ende absehbar ist und der Anfang nicht in unserer Macht steht (man denke nur an ein positives Testergebnis auf eine vorliegende Infektion), bekommen wir es mit einer Wirklichkeit zu tun, deren Eindeutigkeit schrecklich, wenn nicht sogar böse ist.

Hat unsere Kultur bereits gelernt, auf diese Herausforderung zu antworten? Dass die Suche nach Möglichkeiten der Lockerung von Kontaktbeschränkungen geradezu obsessiv betrieben wird, spricht nicht nur dafür, dass die reduzierten Funktionsbereiche der Gesellschaft unruhig werden und ihre eigenen, durchweg kontingenten Notwendigkeiten (ihre Selbstüberschätzung) ins Feld führen. Es spricht auch dafür, dass wir so durch und durch im Rahmen einer gewohnten Lebensform vergesellschaftet sind, dass wir keine Ressourcen mehr haben, die Monate der Reduktion und Isolation anders als im Modus größter Ungeduld zu überstehen. Es ist nicht auszudenken, wie sich diese Ungeduld und die ihr zugrunde liegende Unruhe geäußert hätten, wenn wir nicht über das Ventil der Videokonferenzen verfügen würden. Telefon und Briefverkehr hätten nicht gereicht. Nicht zu unterschätzen ist auch der Beitrag der Massenmedien, die über Bild, Text und Statistiken täglich und stündlich über die Lage berichten. Ohne sie hätten das Gesundheitssystem und die Politik keine Chance gehabt.

Aber ist daraus eine neue, wenn auch temporäre Lebensform, eine neue Normalität, eine Kultur der Pandemie-Bewältigung entstanden? Ich habe eher den Eindruck, dass wir den Videokonferenzen im beruflichen ebenso wie im privaten Bereich verdanken, dass wir Zeit gewonnen haben, um die Frequenz unserer Aktivitäten aufrechterhalten zu können und möglicherweise dieselbe Zeit dafür zu nutzen, allmählich zu begreifen, was uns mit dem Virus widerfährt. Wir experimentieren mit einer Lebensform, die in der Lage ist, einfache Notwendigkeiten im Schatten komplexer Kontingenz anzuerkennen. Wir wehren uns dagegen. Wir suchen trotz allem nach unseren Vorteilen. Die einen wollen sich schneller impfen lassen als die anderen, wiederum andere wollen der Spritze ganz aus dem Weg gehen. Wir tun so, als hätten wir Spielräume. Wir brauchen Spielräume, reelle oder symbolische (nicht zu reden von den imaginären, die der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan noch für die interessantesten, weil kreativsten hielt). Eine Lebensform ohne Spielräume können wir uns in der modernen Gesellschaft nicht mehr vorstellen. Und genau hier, mit aller Vorsicht, kommen die Künste ins Spiel und mit ihnen unser zweiter Kulturbegriff (der Pflege von Künsten).

Die gesellschaftliche Funktion der Künste besteht soziologisch gesehen darin, Anschaulichkeit auch für unsichtbare, undurchschaubare, unverständliche Lagen zu schaffen: eine Anschaulichkeit, die die Unsichtbarkeit, Undurchschaubarkeit, Unverständlichkeit im Bild, im Text, in der Musik, im Gefühl akzeptiert und sie damit aushaltbar macht. In den Künsten sind die Rollen präzise verteilt, auch wenn es Avantgardeformen gibt, in denen diese Verteilung wieder aufgehoben wird. Normalerweise handeln die Künstler*innen und erlebt das Publikum. Damit sind die Künstler*innen frei, nach Szenen, Geschichten, Bildern, Metaphern, Allegorien, Klängen zu suchen, die etwas mit aktuellen Herausforderungen zu tun haben, ohne bereits Lösungen anzubieten, Klarheit zu schaffen, politische Maßnahmen zu empfehlen, die diese Herausforderungen bewältigen. Und umgekehrt kann das Publikum sich zurücklehnen, stillhalten und die eigenen Gedanken und Empfindungen sich entfalten lassen, prüfen und weiterentwickeln, die dann möglicherweise zu einem veränderten Verhalten oder auch nur zum Begreifen des gewohnten und nach wie vor passenden oder auch nicht mehr passenden Verhaltens führen. Diese Rollenverteilung zwischen Künstler*innen und Publikum erlaubt eine in der ästhetischen Form gebündelte Erkundung aller Sinne und Symbole auf der Seite der Künste und ein Zögern, Innehalten, Orientieren und Neu-Orientieren auf der Seite des Publikums. Niemand ist gezwungen, aus künstlerischen Präsentationen irgendwelche Konsequenzen zu ziehen, die über das Urteil gelungen/misslungen oder stimmig/unstimmig – früher hätte man von schön/hässlich gesprochen – hinausgehen. Aber im Rahmen dieses Urteils kann jede Art von Erkenntnis stattfinden, die eine aktuelle Gemengelage gesellschaftlicher Problemstellungen anschaulich macht.

Hilft uns das weiter? Kann man die Künste als eine Pausentaste verstehen, die es erlaubt, den Betrieb anzuhalten, der eigenen Ungeduld und Unruhe einen Riegel vorzuschieben und Zeit für die Reflexion zu gewinnen? Systemtheoretisch würde man sagen, dass es die Form der Pause erlaubt, auf der Innenseite dieser Form Möglichkeiten der Betrachtung dessen zu schaffen, was auf der Außenseite der Form, das heißt im Normalbetrieb der Gesellschaft, passiert. Die Künste liefern Bilder, Töne, Texte, Gesten und Gefühle, die nicht nur für einen Moment auszuweichen erlauben, nicht nur im besten Sinne des Wortes auf eine im Moment befreiende Weise unterhalten, sondern die eine Zeit geben, eine Zeit schaffen, in der die Kommunikation zwischen Mensch und Gesellschaft eine neue Balance finden kann. Künstler*innen und Publikum handeln und erleben sich anders als im Normalbetrieb der Gesellschaft. Sie verschaffen sich eine Pause, nehmen sich das Recht zur Ausnahme von der Regel und fliehen damit nicht nur vor der Wirklichkeit (das auch), sondern suchen nach Metaphern, sie neu und anders zu verstehen. Dass die Beethoven-Symphonie in der Pandemie anders klingt, ein Gedicht sich anders liest und die Inszenierung eines Theaterstücks anders wirkt, liegt nicht nur an den Online-Formaten, auf die man ausweicht, sondern es liegt auch daran, dass die Angst der Menschen vor Ansteckung und Tod, die Suche der Gesellschaft nach einer neuen Normalität und sämtliche Begriffe und Bilder, mit denen wir unsere Lebensumstände sowohl zu begreifen als auch zu ignorieren suchen (kein Begriff und kein Bild ohne das Ausklammern dessen, was uns stört), eine neue und höchst unruhige Balance finden müssen.

Eine neue Kultur des geselligen Umgangs

In genau dem Maße, in dem das Corona-Virus sowie die gesundheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung oder zumindest Kontrolle der Pandemie viele kulturelle Selbstverständlichkeiten der modernen, das heißt liberalen, die Autonomie des Individuums schützenden und fördernden Gesellschaft durch Abstandsregeln und Kontaktverbote in Frage stellen, hat sich zwangsläufig eine neue Kultur des Umgangs mit diesen Einschränkungen herausbildet. Der gesellige Verkehr der Menschen untereinander ist nicht nur von Traditionen und Konventionen abhängig, sondern kann sich im Umgang mit neuen Situationen auf neue Konventionen einstellen. Man überwacht seinen eigenen Körper – oder verzichtet bewusst darauf. Man geht seinen Mitmenschen aus dem Weg – oder sucht erst recht ihre Nähe. Man glaubt den Erkenntnissen der Wissenschaft – oder misstraut ihnen. Man begrüßt den je nachdem klugen oder auch unverantwortlichen Umgang der Politik mit den zu treffenden Maßnahmen – oder schimpft auf sogenannte Grundrechtseinschränkungen und nimmt sich ein Beispiel an der mangelnden Vorsicht der Politiker*innen. Und mit all dem entsteht eine neue Kultur des geselligen Verkehrs, mit neuen Regeln des Richtigen und Falschen und mit neuen Vermutungen zu Glück und Unglück der Menschen.

All das geschieht, ohne dass man viel dafür tun müsste. Kultur ist, wie die Gesellschaft selbst, ein Phänomen der Selbstorganisation. Obwohl und weil sie in Konventionen und Traditionen oft so tief verankert ist, dass sie dem Bewusstsein der Menschen kaum zugänglich ist, bewährt sie sich ausschließlich situativ und damit auch ausschließlich spontan. Man orientiert sich am Verhalten, Handeln und Erleben der anderen, probiert etwas aus und beobachtet, ob die Vorschläge angenommen oder abgelehnt werden und sich Ideen durchsetzen oder nicht. Vielleicht ist das sogar bereits der wichtigste Beitrag der Kultur zur Bewältigung der Corona-Krise. Gesellschaftliches Erleben und Handeln ist ohne die Orientierung an anderen nicht möglich. Diese Orientierung findet in konkreten Situationen statt, wo sonst. Man greift auf bewährte Werte und Normen zurück, stellt fest, dass andere Werte und Normen an Gültigkeit verloren haben und pendelt sich in einem normativen Gerüst neu ein. Dabei helfen die Einsicht in die Neuartigkeit der Situation ebenso wie der Protest. Werte und Normen gelten niemals unumstritten. Deswegen hilft der Streit, sie zu profilieren. Das gilt insbesondere dann, wenn die Situation unklar ist und man den Vergleich mit anderen Situationen und anderen Perspektiven braucht, um zu einer einigermaßen belastbaren Einschätzung zu kommen.

Kann ich meiner Wahrnehmung trauen?

Wie führt man diesen Streit und wie schlichtet man ihn? An dieser Stelle kommt erneut der zweite Kulturbegriff ins Spiel, nämlich jener Begriff, der eine besondere Nähe zwischen Kultur und den Künsten unterstellt. Zunächst liegt auf der Hand, dass der Streit vornehmlich politisch geführt wird, in der Form von Debatten und Protesten, aber auch in der Form eines stillschweigenden Einverständnisses mit den getroffenen Maßnahmen. Aber dieses politische Verhalten, das dadurch "politisch" ist, dass es sich entweder auf den Bahnen der Empfehlungen der Regierung oder in Opposition zu ihnen bewegt, wirft unter Umständen ebenso viele Fragen auf, wie es beantwortet. Weitere Fragen klären sich im Rahmen der Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Zwängen und Gelegenheiten, mit familiären Rücksichten und nicht zuletzt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und religiösen Gewissheiten. Sie alle speisen jene erste Kultur der Suche nach und des Einpendelns von Gewohnheiten, die für richtig, passend und wertvoll gehalten werden und mit deren Hilfe andere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns als falsch, unpassend und irreführend eingeschätzt und abgelehnt werden.

Aber es bleiben Fragen offen. Es bleibt die scheinbar unscheinbarste, aber vielleicht wichtigste aller Fragen offen, nämlich die Frage danach, in welchen Punkten und bis zu welchem Grade ich meinen eigenen Wahrnehmungen trauen kann, wenn ich mit einer neuen Situation konfrontiert bin. Die Corona-Krise geht wie jede Krise mit einer kulturellen Verunsicherung einher. Ich kann mich auf meine bisherigen Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten nicht mehr verlassen. Ich muss mein Verhältnis zur Welt und zur Gesellschaft neu "kalibrieren", wie man so schön sagt, das heißt, nicht nur die Messergebnisse im Umgang mit meinen Erkenntnissen, Befindlichkeiten und Stimmungen auf Abweichungen überprüfen, sondern unter Umständen auch die Messgeräte, meine Sensoren gegenüber Themen, Mitmenschen und der Gegenwart neu einstellen. Dabei helfen mir die Künste. Und Zugang zu den Künsten erhalte ich durch die Kultur in jenem zweiten Sinn, der umgangssprachlich häufig der einzige ist. "Kultur" bezieht sich in jenem zweiten Sinn nicht auf die in Werten und Normen fixierten und umstrittenen Lebensformen der Menschen, sondern auf die für wertvoll gehaltenen, aber ebenfalls nicht unumstrittenen Künste.

Ein Abstand zur Welt in der Welt

Vielfach begnügt man sich damit, unter "Kultur" die Wertschätzung und Pflege von Kunst zu verstehen. "Kultiviert" ist man, wenn man sich in den Künsten auskennt; und man ist umso kultivierter, je größer der Abstand der Künste, in denen man sich auskennt, von der Unterhaltung ist. Zwar würde niemand bestreiten, dass auch die Kunst, die die größten Ansprüche an Geschmack und Kennerschaft stellt, unterhaltsam ist. Aber darauf darf es nicht ankommen. Bloße Unterhaltung ist schon deswegen eher unkultiviert, weil sie vorschnell und eindeutig auf den Einklang der Gewohnheiten und Erwartungen mit dem künstlerisch Gebotenen abstellt. Nahezu unumstößlich gilt Adornos Gebot, dass in einem Kunstwerk nichts nur deswegen gefallen darf, weil es wiedererkannt wird.

Unsere Frage, welchen Beitrag die Kultur zur Bewältigung der Corona-Krise leisten kann, wäre vor dem Hintergrund dieses zweiten Kulturverständnisses leicht zu beantworten. Im Umgang mit den Künsten stellt die Kultur eine nicht nur fiktionale, sondern gelungene oder stimmige, früher hätte man gesagt: "schöne" Sinnwelt zur Verfügung, die es erlaubt, Abstand zum Alltag zu gewinnen, sich des Wertvollen im Unterschied zum Gewöhnlichen zu vergewissern und einige Blaupausen tragischer und komischer, vielleicht sogar heldenhafter Art des Umgangs mit den Ungewissheiten der Krise zu erhalten. Die Kunst wird hier einigermaßen paradox als Weltflucht (hinaus aus der Welt) und als Vorbild (wieder hinein in die Welt) verstanden, die nach wie vor den Unterschied bedient, wegen dessen einst die Religion erfunden worden ist, nämlich anhand sakraler Objekte Distanz zur Welt der profanen Objekte gewinnen zu können. Distanz ist dabei nicht mit Ablehnung gleichzusetzen. Vielmehr geht es darum, Flexibilität und Disponibilität, aber auch Leidensfähigkeit und, bei Bedarf, Rücksichtslosigkeit gegenüber den Dingen des Alltags zu gewinnen, die man sich umso mehr leisten kann, je mehr die heiligen Dinge, die Dinge der Hochkultur, ins absolut Unantastbare verschoben und dort respektiert werden. Dass der Unterschied nicht absolut ist, weiß man auch, kennt man doch die weltliche Verführbarkeit der Priester und Gläubigen und die ebenso weltliche Gebundenheit an das Handwerk unter den Künstler*innen.

Nimmt man die klassisch bürgerliche Funktion der Künste hinzu, der angeblich so eindeutigen Welt der Macht und des Geldes die angeblich so mehrdeutige Welt der Musik, der Literatur, des Theaters und des Tanzes gegenüberzustellen, ahnt man, worin der Beitrag der Kultur zur Bewältigung der Corona-Krise nach dieser Auffassung bestehen könnte. Diese Art von Kultur tröstet, stärkt das Gemüt und hilft dabei, mit unklaren, uneindeutigen, vielleicht auch verwirrenden Sachverhalten zurande zu kommen. Nicht umsonst ist es eine der wichtigsten Kulturleistungen der Künste, ein Publikum dazu zu motivieren, still zu halten, während auf der Bühne zunächst Unverständliches geschieht. Diesen Beitrag zur Zivilisierung des eigenen Verhaltens kann man dann auch in anderen Situationen abrufen.

Redundanz und Varietät

Doch damit ist der Beitrag der Kultur zum Umgang mit einer Krise wie der aktuellen Pandemie nicht erschöpft. Meines Erachtens entscheidend kommt hinzu, dass die Kultur im Zugriff auf die Künste und in der Pflege der Künste ihrer eigenen Funktion im Sinne des ersten Kulturbegriffs auf die Sprünge hilft. Jedes Kunstwerk, das Gedicht ebenso wie die Sonate, das Theaterstück ebenso wie die Oper, der Tanz ebenso wie der Film, richtet sich an die menschliche Wahrnehmung. Gesellschaftlich gesehen ist das alles andere als trivial. Natürlich richten sich auch die Kleidung der Menschen, die Architektur der Städte und Räume, die Verkehrszeichen unserer Straßen, das Design von Möbeln, Speisen und technischen Geräten an die Wahrnehmung. Hier geht es jedoch um nicht viel mehr als die Koordination von Erleben und Handeln im Rahmen nicht zuletzt eines impliziten, gleichsam antrainierten Wissens über die Bewältigung einschlägiger Situationen.

Die Kunst kommuniziert Wahrnehmung, das Sehen des Sehens, Hören des Hörens, Fühlen des Fühlens, um die Konventionen der Koordination aufzubrechen, mindestens jedoch zu irritieren, und so der Reflexion und damit einem expliziten Wissen zugänglich zu machen. Selbst wenn dies nicht, wie eine engagierte Kunst es zuweilen gerne hätte, auf direktem Wege zu neuen, vielleicht sogar revolutionären Formen des geselligen Umgangs miteinander führt, führt es doch zu einem vertieften Selbstverständnis, das von einer kulturellen Bereitstellung und Förderung dieser Künste dort zur Verfügung gestellt wird, wo es darum geht, das Verhältnis von Wahrnehmung und Kommunikation, von Körperlichkeit, Befindlichkeit und Geselligkeit auf den Prüfstand zu stellen. Vorsichtiger sollte man sagen: Wer ins Theater, in ein Konzert, in die Oper, zu einem Tanzabend oder ins Kino geht, konfrontiert sich mit sich selbst und nimmt damit an einer Kultur teil, die jeden Anlass hat, ihren Umgang mit Mensch und Natur, Technik und Gesellschaft im Allgemeinen und im Besonderen in Frage zu stellen.

Man beachte dabei den Beitrag der Kultur. Die Kultur, welche Kultur auch immer, ist nicht mit den Künsten identisch. Die Kultur besteht darin, den Künsten einen Rahmen zu geben, sie kommunizierbar und damit auch konsumierbar zu machen. Wenn man so will, zähmt die Kultur, zähmt jede einzelne kulturelle Einrichtung (Theater, Konzerthaus, Kino, Literaturhaus, Galerie, Museum, Ausstellungen usw.) die Künste auf jenes Maß, das einem grundsätzlich konkreten Publikum zumutbar zu sein scheint. Die Zumutungen variieren von Milieu zu Milieu, Stadt zu Stadt, Region zu Region. Ohne diese Zähmung beziehungsweise Moderation gälten die meisten Kunstwerke nur als unverständlich. So aber werden sie auf interessante Weise unverständlich. Man gibt ihnen einen Kontext, umgibt sie mit Interpretationen, lässt das Publikum mit den Künstler*innen diskutieren und macht beide, Künstler*innen wie Publikum, damit "greifbar". Nicht selten wehren sich die Künstler*innen gegen diese Kultivierung. Aber ohne sie geht es nicht. In ihr reflektiert sich eine Gesellschaft, die sich nicht alles bieten lassen kann, aber auf die Künste – und zwar gerade jene verzerrenden, sich belustigenden und negierenden Künste, die Platon aus dem Gemeinwesen verbannen wollte –, auch nicht verzichten kann.

Die Künste sind die raffinierteste Form der Selbstbeobachtung der Gesellschaft, die wir haben. Alle anderen Systeme der Gesellschaft inklusive der Religion lenken ab. Sie sind deswegen die raffinierteste Form, weil sie nicht nur multimedial, sondern darüber hinaus multireferentiell aufgestellt sind. Sie ergreifen Gemüt und Verstand, und dies nicht mehr zugunsten des Schönen und Erhabenen, sondern zugunsten des Irritierenden und Unverständlichen. Und sie sind diese raffinierteste Form gerade deswegen, weil sie von der Kultur gezähmt werden. Denn das macht sie als Differenz verfügbar. Sie sind das, was man sich ungefährdet anschauen kann. Sie sind das, was als gefährliche Unverständlichkeit bei dem, was man sieht, durchscheint. Und sie sind das, wozu man gerade wegen dieser ambivalenten Präsentation und Moderation in kulturellen Einrichtungen einen eigenen, individuellen Zugang suchen kann. Kunstwerke stecken mit ihren Idiosynkrasien an. Kulturelle Einrichtungen geben ihnen den Rahmen, der es ermöglicht, sich selektiv auf sie einzulassen.

Nichts könnte, sieht man von basalen Leistungen des Gesundheitssystems, unterstützt von vernünftigen Maßnahmen der Politik, ab, in der Corona-Krise bedeutsamer sein. Wenn Kultur im Zugriff auf Lebensform und Kunst, das heißt jetzt in einer Integration des ersten und des zweiten Kulturbegriffs, treffend und mit dem polnischen Sozialanthropologen Bronisław Malinowski als funktionaler Mechanismus der Aufrechterhaltung einer ungleichgewichtigen Balance von Körperlichkeit, Befindlichkeit und Geselligkeit zu beschreiben ist, dann besteht der Beitrag der Kultur zur Bewältigung der Corona-Krise darin, die Irritation zu verzeichnen, die nicht nur das Virus, sondern auch die gesellschaftliche Reaktion auf das Virus auslöst. Er besteht darin, Raum für das Unverständliche, Unanschauliche, Ungreifbare zu schaffen, das damit einhergeht, und so die Situation anzuerkennen, in der wir alle stecken, primäre Reaktionen der Angst, des Trotzes und der Gleichgültigkeit aufzufangen, zu denen wir neigen mögen, und uns die Augen und Ohren zu öffnen für andere Tonfälle, andere Formen der Rücksicht und Vorsicht, einen anderen Respekt vor in diesem Fall parasitären Quasi-Lebewesen, deren Anpassungsintelligenz möglicherweise größer ist als unsere eigene.

Der Beitrag der Künste ist, so gesehen, ein doppelter. Zum einen signalisiert der kulturelle Betrieb, dass es weitergeht. Er schafft Redundanz, Wiedererkennbarkeit und Begegnungen, in denen wir uns unserer selbst vergewissern können. Und zum anderen signalisiert der kulturelle Betrieb, dass alles anders ist. Er schafft Varietät. Selbst wenn sich im Programmplan der Theater, Opernhäuser, Konzerthallen und Kinos nichts ändern würde, säße man dort mit einem anderen Gefühl und hätte Zeit gewonnen, seinen Gefühls- und Gedankenhaushalt neu zu sortieren. Erst recht jedoch, wenn die Programmpläne sich ändern – und das muss nicht heißen, dass Corona-Themen rauf und runter gespielt werden – und neue Themen, neue Aufmerksamkeiten, neue Sensibilitäten und neue Ideen mobilisiert und neue Formate entwickelt werden, sind diese kulturellen Einrichtungen dank der Künste, die in ihnen aufgeführt werden, jener Beitrag zur Bewältigung der Corona-Krise, der uns unter Umständen eines Tages davon sprechen lässt, dass wir nicht nur medizinisch und wissenschaftlich verstanden haben, was uns mit der Pandemie widerfahren ist, sondern unser eigenes Leben, ich wiederhole das Wort: neu kalibriert haben.

Das dritte Immunsystem der Gesellschaft

Man kann die Kultur als drittes Immunsystem der Gesellschaft beschreiben. Das erste Immunsystem ist das Rechtssystem, das die Aufgabe hat, Konflikte so zu stimulieren und zu formatieren, dass sie vor Gericht oder in Schiedsverfahren auf zivile Weise ausgetragen werden können. Das zweite Immunsystem sind die Protestbewegungen, die gesellschaftlich vernachlässigte Themen wie die Ausbeutung der Arbeiter, die Emanzipation der Frau, den Naturschutz, die Migration oder die Korruption der Eliten aufgreifen, einkapseln und im Gedächtnis behalten.

Das dritte Immunsystem ist die Kultur. Im Gewand der Pflege bewahrenswerter Werte, Normen und Themen ist es ebenso wie die beiden anderen Systeme ein System, das Negation verfügbar macht. Jeder Wert negiert andere, jede Pflege eines Themas schließt andere Themen aus. Wer das eine feiert, lehnt das andere ab. Als Lebensform akzentuiert die Kultur jene Werte und Normen, Sitten und Gebräuche, die für die richtigen im Unterschied zu den falschen gehalten werden. Immerhin bleiben die falschen so im Blick und können bei Bedarf von Subkulturen aufgegriffen und stark gemacht werden. Als Pflege der Künste jedoch stellt die Kultur ihre eigenen Werte und Normen auf die Probe. Möglicherweise in der Hoffnung darauf, dass das Positive sich durchsetzen wird (Prinzip "Hollywood"), konzediert die Kultur den Künsten den Umgang auch mit dem Negativen, dem Bösen, dem Hässlichen, dem Minderwertigen, dem Verstörenden und Verächtlichen, das auf diese Art und Weise eine Aufmerksamkeit erhält, die weitere Entscheidungen über den Umgang mit ihm aufschiebt, aber auch ermöglicht.

Noch wichtiger allerdings ist die Fähigkeit der Künste, Künstler*innen und Publikum die Frage nach ihrer Befindlichkeit zu stellen. Mit Werten, Normen und Themen wird eine Synchronisation von organischen, psychischen, mentalen und sozialen Zuständen hergestellt, die sich in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich bewährt. Die Formatierung des Menschen ist plastisch und historisch kontingent. Kultur soll, wie gesagt, das festhalten, was sich bewährt hat. Aber das schließt nicht aus, mithilfe der Künste immer wieder die Grenze dessen zu beschreiten, was für wertvoll gehalten wird. Mehrdeutig und unverständlich werden die Künste, wenn sie eine andere Synchronisation nahelegen, eine andere Gewichtung und andere Prioritäten im Verhältnis von Körper, Bewusstsein, Geist, Gesellschaft, Technik und Kultur vornehmen. Neue Situationen erfordern neue Antworten. Natur und Gesellschaft bleiben nicht, was sie sind. Wer soll die Probe aufs Exempel machen, was man für wichtig hält und was nicht, wenn nicht die Künste? Das ist ihre eminent "kritische" Funktion. Die Aufgabe der Kultur besteht darin, diese Funktion in der Gesellschaft als ein Immunsystem im Umgang mit "gefährlichen" Themen präsent zu halten.

Der Beitrag der Kultur zur Bewältigung der Corona-Krise besteht darin, dass sie das Immunsystem der Gesellschaft im Umgang mit dem Virus und im Umgang mit dem gesellschaftlichen Umgang mit dem Virus (also auch im Umgang der Gesellschaft mit sich selbst) stärkt. Dabei kann es durchaus zu überschüssigen Immunreaktionen kommen, wie man sie auch aus anderen Immunsystemen kennt. Dann werden die "richtigen" Werte einer mit sich "identischen" Kultur gestärkt; man beruft sich auf Sprache, Religion und "Rasse" und lehnt alles andere als "falsch" ab. Selbst die Künste werden aufgerufen und eingespannt, das hohe Lied einer dann meist national verstandenen Kultur zu singen. Das Corona-Virus ist der Anlass, der Bedrohung durch das Fremde eine Reinigung durch das Eigene entgegenzustellen. Deswegen müssen der Beitrag der Kultur und die Förderung der Künste mit Bedacht beobachtet werden. Die Dosis muss stimmen. Sie darf nicht übertrieben werden, darf aber auch nicht zu schwach ausfallen. Das ist die Aufgabe der Kulturpolitik. Sie bestimmt die Dosierung und braucht dafür eine umfassende Kenntnis der aktuellen Lage sowie ein Wissen darum, was Kultur und Künste leisten können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe zur Soziologie der Pandemie-Gesellschaft, stellvertretend für viele andere Beiträge, Markus Heidingsfelder/Maren Lehmann (Hrsg.), Corona: Weltgesellschaft im Ausnahmezustand?, Weilerswist 2021.

  2. "Böse" ist, mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), Hamburg 1975, §386, das "Festhalten des Endlichen gegen das Wahre", wenn das Wahre zumindest in der Moderne darin besteht, jederzeit anders weitermachen zu können.

  3. Es grenzt ans Absurde, wenn Beobachter die überwiegende Vernunft der deutschen Bevölkerung im Umgang mit der Pandemie auf die nach wie vor wirksame Autoritätshörigkeit der Deutschen zurückführen. Was bedeuten Eigensinn und Freiheit, wenn sie sich durch Ignoranz unter Beweis stellen?

  4. Vgl. Theodor W. Adorno, Dissonanzen: Musik in der verwalteten Welt, Göttingen 1956, S. 9f. Interessanterweise schließt dieses Gebot raffinierte Zitate nicht aus, sondern ein.

  5. So Émile Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt/M. 1981 [1912], S. 45ff.

  6. Siehe zu dieser These Niklas Luhmann, Wahrnehmung und Kommunikation anhand von Kunstwerken, in: ders., Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt/M. 2008, S. 246–257; ders., Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1995, Kap. 1.

  7. Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt/M. 1984, S. 510ff.

  8. Vgl. Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997, S. 847ff.

  9. Über die These einer Ausdifferenzierung der Kultur als System kann man streiten. An der These der Kultur als Immunsystem würde sich jedoch nichts ändern, wenn man die Kultur stattdessen als "Gedächtnis" des Systems der Gesellschaft beschreibt, wie es Luhmann in "Die Gesellschaft der Gesellschaft" (Anm. 8), S. 586ff., vorschlägt.

  10. So Talcott Parsons, Culture and Social System Revisited, in: Social Science Quarterly 2/1972, S. 253–266.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Dirk Baecker für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Soziologe und Inhaber des Lehrstuhls für Kulturtheorie und Management an der Universität Witten/Herdecke. E-Mail Link: dirk.baecker@uni-wh.de