Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1970er war es möglich, dass diejenigen ohne Hochschulabschluss eine gute Arbeit finden, eine Familie ernähren und ein bequemes Leben in der Mittelklasse führen konnten. Heute ist das sehr viel schwieriger. Im Lauf der letzten vier Jahrzehnte hat sich der Einkommensunterschied zwischen Hochschul- und High-School-Absolventen verdoppelt – die Ökonomen nennen das "Hochschulprämie". 1979 verdienten Hochschulabsolventen etwa 40 Prozent mehr als diejenigen mit einem High-School-Abschluss; in den 2000ern lag ihr Einkommen 80 Prozent höher.
Obwohl das Zeitalter der Globalisierung denen, die gut mit akademischen Graden ausgestattet sind, reiche Belohnungen bescherte, brachte es den meisten normalen Arbeitern nichts. Von 1979 bis 2016 fiel die Zahl der Jobs im produzierenden Gewerbe von 19,5 auf 12 Millionen.
Das Median-Einkommen amerikanischer Männer ist seit einem halben Jahrhundert gleichgeblieben. Obwohl das Pro-Kopf-Einkommen seit 1979 um 85 Prozent gestiegen ist, verdienen weiße Männer ohne den akademischen Grad eines Vollstudiums inzwischen effektiv weniger als damals.
So wird die Würde der Arbeit zersetzt
Dass sie damit unzufrieden sind, ist keine Überraschung. Doch wirtschaftliche Härten sind nicht die einzige Quelle ihrer Not. Das Zeitalter der Meritokratie hat den arbeitenden Menschen zudem eine noch perfidere Ungerechtigkeit auferlegt – die Zersetzung der Würde der Arbeit. Indem der Ausleseapparat den "Grips" aufwertet, der für gute Resultate bei den Zulassungsprüfungen der Hochschulen erforderlich ist, setzt er diejenigen ohne formale Leistungsnachweise herab. Ihnen wird gesagt, dass ihre Arbeit, die vom Markt weniger geschätzt wird als die Arbeit gutbezahlter Akademiker, einen geringeren Beitrag zum Gemeinwohl darstellt, weshalb ihr auch weniger soziale Anerkennung und Wertschätzung zukommt. Diese Unterschiede legitimieren die üppigen Belohnungen, die der Markt den Gewinnern beschert, und die magere Bezahlung, die er Arbeitern ohne akademischen Abschluss anbietet.
Es ist moralisch nicht vertretbar, auf diese Weise zu bestimmen, wer was verdient. Es ist falsch, anzunehmen, dass der Marktwert dieses oder jenes Jobs als Maß für einen Beitrag zum Gemeinwohl dienen kann. (Denken wir nur an den reich entlohnten Meth-Dealer und den bescheiden bezahlten High-School-Lehrer.) Doch die Vorstellung, das von uns eingenommene Geld spiegele den Wert unseres gesellschaftlichen Beitrags, hat sich in den letzten Jahrzehnten tief eingeprägt. Sie findet Widerhall in der gesamten öffentlichen Kultur.
Die meritokratische Auslese hat dazu beigetragen, diese Idee zu verfestigen. Das gilt auch für die neoliberale oder marktorientierte Version der Globalisierung, die seit den 1980ern von den etablierten Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien übernommen wurde. Selbst als die Globalisierung für enorme Ungleichheit sorgte, schränkten diese beiden Auffassungen – die meritokratische und die neoliberale – die Gründe ein, sich dem zu widersetzen. Außerdem höhlten sie die Würde der Arbeit aus und befeuerten den Groll gegen Eliten ebenso wie die entsprechende politische Gegenbewegung.
Seit 2016 haben Experten und Gelehrte über die Ursachen der populistischen Unzufriedenheit debattiert. Dreht sie sich um Jobverluste und stagnierende Löhne oder eher um kulturelle Verdrängung? Doch diese Trennlinie ist zu scharf gezogen. Arbeit hat sowohl mit Wirtschaft als auch mit Kultur zu tun. Sie ist eine Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und auch eine Quelle sozialer Anerkennung und Wertschätzung.
Gerade deshalb löste die mit der Globalisierung einhergehende Ungleichheit so viel Zorn und Groll aus. Diejenigen, die von der Globalisierung zurückgelassen wurden, hatten nicht nur zu kämpfen, während es anderen gut ging; sie spürten auch, dass ihnen ihre Arbeit keine soziale Wertschätzung mehr einbrachte. In den Augen der Gesellschaft (und vielleicht auch in ihren eigenen) stellte ihre Arbeit keinen wertvollen Beitrag zum Gemeinwohl mehr dar.
Männer der Arbeiterklasse ohne akademischen Grad stimmten mehrheitlich für Donald Trump. Dass sie sich zu seiner Politik des Klagens und der Verärgerung hingezogen fühlen, legt nahe, dass ihnen mehr als nur wirtschaftliche Härten Kummer bereiteten. Dazu gehört auch ein Ausdruck von Vergeblichkeit, der in den Jahren bis zu Trumps Wahl aufkam: Als die Arbeitsbedingungen für diejenigen ohne meritokratische Leistungsnachweise trostlos wurden, fielen immer mehr Männer im arbeitsfähigen Alter komplett aus der Arbeiterschaft heraus.
1971 hatten 93 Prozent der weißen Männer aus der Arbeiterklasse einen Job. 2016 waren es nur noch 80 Prozent. Von den 20 Prozent ohne Job suchten nur wenige nach Arbeit, die meisten von ihnen hatten schlicht aufgegeben – als hätten die Demütigungen des Arbeitsmarktes, der sich nicht für ihre Fertigkeiten interessierte, sie schließlich besiegt. Besonders häufig kam das Verlassen der Arbeitswelt bei denen vor, die keine Hochschule besucht hatten. Von den Amerikanern, deren höchste akademische Qualifikation ein High-School-Zeugnis war, hatten 2017 nur 68 Prozent einen Arbeitsplatz.
Arbeit und Würde
Als die Ungleichheit in den letzten Jahren zunahm und der Ärger der Arbeiterklasse stärker wurde, begannen einige Politiker, von der Würde der Arbeit zu reden. Bill Clinton verwendete den Ausdruck mehr als jeder Präsident zuvor, und auch Donald Trump verweist oft darauf.
Konservative meinen, die Würde der Arbeit werde durch eine Kürzung der Sozialleistungen respektiert, weil das Leben der Faulenzer dadurch erschwert und sie weniger vom Staat abhängig würden. Trumps Landwirtschaftsminister behauptete, wenn man den Zugang zu Lebensmittelgutscheinen reduziere, würde das "die Würde der Arbeit für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung wiederherstellen". Als Trump 2017 ein Gesetz rechtfertigte, das Steuern für Unternehmen kürzte und vorwiegend den Reichen nützte, erklärte er, er wolle, "dass jeder Amerikaner die Würde der Arbeit kennenlernt, den Stolz auf einen Gehaltsscheck".
Die Liberalen wiederum berufen sich auf die Würde der Arbeit, wenn sie sich darum bemühen, das Sicherheitsnetz zu stärken und die Kaufkraft der Menschen zu fördern – durch einen höheren Mindestlohn, Krankenversicherung, Elternzeit, Kinderbetreuung und eine Steuergutschrift für Familien mit niedrigem Einkommen. Doch das mit solchen substanziellen politischen Vorschlägen untermauerte Gerede griff den Unmut der Arbeiterklasse nicht auf, der 2016 zum Wahlsieg Trumps führte. Vielen Liberalen kam das rätselhaft vor. Wie konnten so viele Menschen, die von diesen Maßnahmen wirtschaftlich profitieren würden, für einen Kandidaten stimmen, der gegen sie war?
Eine bekannte Antwort lautet, dass die Wähler aus der Arbeiterklasse, beherrscht von der Angst, kulturell abgeschoben zu werden, über ihre wirtschaftlichen Interessen hinwegsahen oder sie zurückstellten, um "mit dem Mittelfinger abzustimmen", wie einige Kommentatoren es nannten. Doch diese Erklärung ist übereilt. Sie zieht eine zu scharfe Trennlinie zwischen wirtschaftlichen Interessen und dem kulturellen Status. Denn wirtschaftliche Sorgen betreffen nicht nur das eigene Geld in der Tasche, sondern auch die Frage, wie die eigene gesellschaftliche Stellung durch die Rolle beeinflusst wird, die man in der Wirtschaft spielt. Diejenigen, die durch vier Jahrzehnte der Globalisierung und zunehmenden Ungleichheit auf der Strecke geblieben sind, litten nicht nur an der Stagnation der Löhne; sie befürchteten auch, in Vergessenheit zu geraten. Die Gesellschaft, in der sie lebten, schien die Fertigkeiten, die sie anzubieten hatten, nicht mehr zu brauchen.
Robert F. Kennedy, der 1968 die Nominierung für die Präsidentschaft anstrebte, hatte das verstanden. Arbeitslosigkeit war nicht nur deswegen so schmerzlich, weil den Betroffenen ein Einkommen fehlte, sondern weil ihnen zudem die Möglichkeit genommen war, zum Gemeinwohl beizutragen. "Arbeitslosigkeit heißt, dass man nichts zu tun hat – was bedeutet, dass man nichts mit allen anderen zu tun hat", erklärte er. "Ohne Arbeit zu sein, ohne Nutzen für die Mitbürger zu sein, bedeutet in Wahrheit, dass man der Unsichtbare ist, von dem Ralph Ellison schrieb."
Was Kennedy angesichts der Unzufriedenheit seiner Zeit ins Auge fiel, ist das, was den Liberalen unserer Zeit entgeht. Zwar haben sie Wählern aus der Arbeiter- und Mittelklasse ein höheres Maß an Verteilungsgerechtigkeit angeboten – faireren, umfassenderen Zugang zu den Früchten des Wirtschaftswachstums –, noch dringender erwarten diese Wähler jedoch ein höheres Maß an Beitragsgerechtigkeit – eine Möglichkeit, die soziale Anerkennung und Wertschätzung zu erlangen, die damit einhergeht, dass man produziert, was andere brauchen und schätzen.
Dass die Liberalen Wert auf Verteilungsgerechtigkeit legen, stellt ein legitimes Gegengewicht zur einseitigen Betonung des BIP dar. Die Strategie dahinter erwächst aus der Überzeugung, dass eine gerechte Gesellschaft nicht allein darauf abzielt, das allgemeine Wohlstandsniveau zu heben, sondern auch bestrebt ist, Einkommen und Vermögen fair zu verteilen. Gemäß dieser Ansicht kann eine Politik, die das BIP steigern soll – etwa durch Freihandelsabkommen oder Richtlinien, die Unternehmen ermutigen, Arbeit in Niedriglohnländer auszulagern –, nur vertreten werden, wenn die Gewinner die Verlierer entschädigen. So könnten etwa die gestiegenen Profite von Firmen und Einzelpersonen, die von der Globalisierung profitieren, besteuert werden, um das Netz der sozialen Sicherheit zu stärken und Einkommenshilfen oder Umschulungen für entlassene Arbeiter bereitzustellen.
Dieser Ansatz hat das Denken der etablierten Mitte-Links-Parteien, aber auch von ein paar Mitte-Rechts-Parteien, in den USA und in Europa seit den 1980ern beeinflusst: Akzeptiere die Globalisierung und den durch sie entstehenden Wohlstand, aber verwende die Gewinne des Wirtschaftswachstums dafür, die Verluste auszugleichen, die heimische Arbeiter deshalb erleiden. Der populistische Protest läuft auf eine Abkehr von diesem Projekt hinaus. Wenn wir über die Trümmer hinweg zurückschauen, können wir sehen, warum dieses Projekt gescheitert ist.
Zum einen wurde es nie wirklich umgesetzt. Es gab Wirtschaftswachstum, aber die Gewinner entschädigten die Verlierer nicht. Stattdessen führte die neoliberale Globalisierung dazu, dass die Ungleichheit ungebremst zunahm. Fast alle Gewinne fielen denen an der Spitze zu, normale Leute erfuhren nur wenig oder gar keine Besserung – sogar nach Steuern. Der Umverteilungsaspekt des Projekts blieb auf der Strecke – unter anderem wegen der wachsenden Macht des Geldes in der Politik, die von manchen als "oligarchische Kaperung" demokratischer Institutionen bezeichnet wird.
Doch es gab noch ein weiteres Problem. Der Fokus auf eine Maximierung des BIP, selbst wenn sie mit Hilfeleistungen für diejenigen einhergeht, die auf der Strecke bleiben, betont eher den Konsum als die Produktion – er verleitet uns dazu, uns selbst als Konsumenten und nicht als Produzenten zu sehen. In der Praxis sind wir natürlich beides. Als Verbraucher wollen wir für unser Geld so viel wie möglich bekommen und Waren und Dienstleistungen möglichst billig einkaufen, ob sie nun von schlecht bezahlten Arbeitern im Ausland oder von gut bezahlten amerikanischen Arbeitern bereitgestellt werden. Als Produzenten wollen wir eine zufriedenstellende und lohnende Arbeit verrichten.
Es ist Sache der Politik, unsere Identitäten als Verbraucher und Produzenten in Einklang zu bringen. Doch das Projekt der Globalisierung war bestrebt, das Wirtschaftswachstum und damit das Wohlergehen der Verbraucher zu maximieren, ohne die Auswirkungen von Auslagerung, Einwanderung und der Stärkung des Finanzsektors auf das Wohlergehen der Produzenten besonders zu berücksichtigen. Die Eliten, die die Globalisierung vorantrieben, versäumten es nicht nur, die dadurch generierte Ungleichheit anzugehen; sie versäumten es auch, ihre zersetzende Wirkung auf die Würde der Arbeit anzuerkennen.
Arbeit als Anerkennung
Politische Vorschläge, Ungleichheit dadurch zu kompensieren, dass man die Kaufkraft von Familien der Arbeiter- und Mittelklasse steigert oder das Sicherheitsnetz stützt, werden den inzwischen tiefgehenden Ärger und Groll kaum lindern. Denn der Ärger bezieht sich auf die verlorene Anerkennung und Wertschätzung. Auch wenn verringerte Kaufkraft sicher eine Rolle spielt, wird der Unmut der arbeitenden Menschen am stärksten von ihrem herabgesetzten Status als Produzenten angefacht. Diese Ungerechtigkeit ergibt sich aus der Kombination von meritokratischer Auslese und marktgetriebener Globalisierung.
Nur eine politische Agenda, die diese Ungerechtigkeit anerkennt und sich darum bemüht, die Würde der Arbeit wiederherzustellen, kann wirkungsvoll auf die Unzufriedenheit eingehen, die unsere Politik aufwühlt. Eine solche Agenda muss sich der Beitragsgerechtigkeit ebenso annehmen wie der Verteilungsgerechtigkeit.
Der Gegensatz zwischen der Identität als Verbraucher und der als Produzent verweist auf zwei unterschiedliche Möglichkeiten, das Gemeinwohl zu betrachten. Ein Ansatz – der vor allem jenen vertraut ist, die Wirtschaftspolitik betreiben – definiert das Gemeinwohl als die Summe der Vorlieben und Interessen aller. Demzufolge erreichen wir das Gemeinwohl, indem wir das Wohlergehen der Verbraucher maximieren – typischerweise durch größtmögliches Wirtschaftswachstum. Wenn das Gemeinwohl schlicht davon abhängt, dass man die Vorlieben der Verbraucher befriedigt, sind Marktlöhne ein gutes Maß dafür, wer welchen Beitrag erbracht hat. Aus dieser Perspektive haben diejenigen, die das meiste Geld einstreichen, vermutlich auch den wertvollsten Beitrag für das Gemeinwohl geleistet – indem sie die Waren und Dienstleistungen bereitgestellt haben, die die Verbraucher wünschen.
Ein zweiter Ansatz verwirft diese konsumorientierte Vorstellung vom Gemeinwohl zugunsten dessen, was man als zivilgesellschaftliche Konzeption bezeichnen könnte. Dem zivilgesellschaftlichen Ideal zufolge geht es beim Gemeinwohl nicht darum, die Vorlieben zu addieren oder das Wohlbefinden der Verbraucher zu maximieren, sondern vielmehr darum, kritisch über unsere Vorlieben nachzudenken – idealerweise, um sie höherzuhängen und zu verbessern –, damit wir ein lohnendes und erfülltes Leben führen können. Das lässt sich nicht allein mit wirtschaftlichen Aktivitäten erreichen. Wichtiger ist es, mit unseren Mitbürgern darüber zu verhandeln, wie eine gute und gerechte Gesellschaft zu erlangen ist – eine, die bürgerliche Tugenden kultiviert und alle befähigt, zusammen über lohnende Ziele unserer politischen Gemeinschaft nachzudenken.
Die zivilgesellschaftliche Konzeption des Gemeinwohls erfordert also eine bestimmte Art der Politik, eine, die Gelegenheiten zur öffentlichen Diskussion bereitstellt. Doch sie schlägt auch eine bestimmte Art des Nachdenkens über Arbeit vor. Aus Sicht der zivilgesellschaftlichen Vorstellung ist unsere wichtigste Rolle in der Wirtschaft nicht die des Verbrauchers, sondern die des Produzenten. Denn als solcher entwickeln und praktizieren wir unsere Fähigkeiten; wir stellen Waren und Dienstleistungen zur Verfügung, mit denen wir die Bedürfnisse unserer Mitbürger erfüllen, und bekommen dafür soziale Anerkennung. Der wahre Wert unseres Beitrags lässt sich nicht nach dem Lohn bemessen, den wir erhalten, denn Löhne sind, wie etwa schon der Wirtschaftswissenschaftler Frank Knight zeigte, von Zufälligkeiten des Angebots und der Nachfrage abhängig.
Der Gedanke, Wirtschaftspolitik sei letztlich nur für den Konsum zuständig, ist heute so verbreitet, dass wir uns kaum einen darüber hinausgehenden Weg vorstellen können. "Ziel und Zweck aller Produktion ist der Verbrauch", erklärte Adam Smith in "Der Wohlstand der Nationen", "und die Interessen des Produzenten sollten nur soweit berücksichtigt werden, als es zur Förderung der Interessen des Verbrauchers notwendig sein kann."
Im 20. Jahrhundert wich die Produzentenethik der republikanischen Tradition allmählich konsumorientierten Vorstellungen von Freiheit und einer politischen Ökonomie des Wirtschaftswachstums.
1981 erklärte Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika "Laboram exercens", dass ein Mensch durch Arbeit "sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen ‚mehr Mensch wird‘". Auch er sah Arbeit in ihrer Verbindung zur Gemeinschaft. "All das bewirkt, daß der Mensch seine tiefste menschliche Identität mit der Zugehörigkeit zu einer Nation verbindet und seine Arbeit auch als eine zusammen mit seinen Landsleuten erarbeitete Mehrung des Gemeinwohls versteht."
Ein paar Jahre später veröffentlichte die amerikanische Nationalkonferenz der katholischen Bischöfe einen Hirtenbrief, in dem sie die katholische Soziallehre auf die Wirtschaft ausdehnte und den Begriff einer Gerechtigkeit der "Beiträge" explizit definierte: Alle Menschen "haben eine Verpflichtung, aktive und produktive Teilnehmer des gesellschaftlichen Lebens zu sein", und der Staat habe "die Pflicht, die wirtschaftlichen und sozialen Einrichtungen so zu organisieren, dass die Menschen in einer Weise zur Gesellschaft beitragen können, die ihre Freiheit und die Würde ihrer Arbeit respektiert".
Einige säkulare Philosophen vertreten ähnliche Ansichten. Der deutsche Gesellschaftstheoretiker Axel Honneth meint etwa, die zeitgenössischen Konflikte über die Verteilung von Einkommen und Wohlstand ließen sich am besten als Konflikte über Anerkennung und Wertschätzung begreifen.
Das versteht Hegel unter dem Kampf um Anerkennung. Der Arbeitsmarkt ist mehr als ein System zur effizienten Befriedigung von Bedürfnissen – laut Hegel ist er ein System für Anerkennung. Er entlohnt Arbeit nicht nur mit einem Gehalt, sondern erkennt die Arbeit jedes Einzelnen als Beitrag zum Gemeinwohl an. Da die Märkte an sich den Arbeitern keine Fertigkeiten verschaffen oder Anerkennung vermitteln würden, schlug Hegel eine den Handelsgesellschaften oder Gilden verwandte Einrichtung vor, die sicherstellen sollte, dass die Fertigkeiten der Arbeiter der Aufgabe gerecht würden, etwas beizutragen, was der öffentlichen Wertschätzung würdig sei. Kurz gesagt, Hegel meinte, die zu seiner Zeit entstehende kapitalistische Organisation der Arbeit sei nur unter zwei Voraussetzungen ethisch zu rechtfertigen. Honneth umreißt sie folgendermaßen: "Erstens muss sie einen Mindestlohn bieten, zweitens muss sie allen Arbeiten eine Form geben, die sie als Beitrag zum Gemeinwohl ausweist."
80 Jahre nach Hegel bezog sich der französische Gesellschaftstheoretiker Émile Durkheim auf dessen Darstellung der Arbeit, als er meinte, Arbeitsteilung könne eine Quelle gesellschaftlicher Solidarität sein, vorausgesetzt, jedermanns Beitrag werde gemäß dem wahren Wert für die Gemeinschaft entlohnt.
Beitragsgerechtigkeit
In unserer zutiefst polarisierten Zeit, in der eine große Zahl arbeitender Menschen sich vernachlässigt und nicht geschätzt fühlt, in der wir dringend Quellen des sozialen Zusammenhalts und der Solidarität benötigen, sollte man eigentlich denken, dass diese stabileren Vorstellungen von der Würde der Arbeit ihren Weg in die politischen Auseinandersetzungen des Mainstream finden müssten. Doch das ist bisher nicht geschehen. Warum nicht? Warum ist die herrschende politische Agenda so resistent gegenüber dem Beitragsaspekt der Gerechtigkeit und der am Produzenten orientierten Ethik, die ihm zugrunde liegt?
Auf den ersten Blick könnte das einfach an unserer Liebe zum Konsum liegen, und an der Überzeugung, dass ein stetiges Wirtschaftswachstum uns mit den gewünschten Waren versorgt. Doch dahinter verbirgt sich noch etwas anderes. Wird Wirtschaftswachstum zu einem übergeordneten Ziel öffentlicher Politik gemacht, übt das, abgesehen von den versprochenen materiellen Vorteilen, einen besonderen Reiz auf pluralistische Gesellschaften aus, in denen Uneinigkeit grassiert. Denn es scheint, als bliebe uns dadurch die Notwendigkeit kontroverser Debatten über moralisch umstrittene Fragen erspart.
Die Menschen haben unterschiedliche Ansichten zu dem, was im Leben wichtig ist. Wir sind uneins über die Bedeutung menschlichen Gedeihens. Als Verbraucher haben wir unterschiedliche Vorlieben. Angesichts dieser Unterschiede erscheint die Maximierung des Verbraucherwohls als wertneutrales Ziel der Wirtschaftspolitik. Wenn Verbraucherwohl das Ziel ist, dann ist – ungeachtet unserer unterschiedlichen Vorlieben – mehr besser als weniger. Zwar kommt unausweichlich Uneinigkeit darüber auf, wie die Früchte des Wirtschaftswachstums gerecht zu verteilen sind – daher das Bedürfnis nach Debatten über Verteilungsgerechtigkeit –, aber alle können sich, anscheinend, darauf verständigen, dass es besser ist, den Wirtschaftskuchen zu vergrößern, als ihn zu verkleinern.
Beitragsgerechtigkeit ist dagegen nicht neutral gegenüber menschlichem Gedeihen oder der besten Art, sein Leben zu führen. Von Aristoteles bis zur republikanischen Tradition Amerikas, von Hegel bis zur katholischen Soziallehre vermitteln uns Theorien über Beitragsgerechtigkeit, dass wir am meisten Mensch sind, wenn wir zum Gemeinwohl beitragen und die Wertschätzung unserer Mitbürger für diese Beiträge erfahren. Gemäß dieser Tradition besteht unser grundlegendes menschliches Bedürfnis darin, von denen gebraucht zu werden, mit denen wir unser Leben teilen. Die Würde der Arbeit zeichnet sich folglich dadurch aus, dass wir unsere Fähigkeiten ausüben, um diesem Bedürfnis zu entsprechen. Wenn der Anspruch, ein gutes Leben zu führen, diese Bedeutung annimmt, ist es falsch, den Verbrauch als "Ziel und Zweck aller Produktion" zu konzipieren.
Eine politische Ökonomie, die sich nur mit der Größe und der Verteilung des BIP befasst, untergräbt die Würde der Arbeit und bringt ein verarmtes zivilgesellschaftliches Leben mit sich. Robert F. Kennedy hatte das verstanden: "Kameradschaft, Gemeinschaft, geteilter Patriotismus – diese zentralen Werte unserer Zivilisation entstehen nicht einfach durch das gemeinsame Kaufen und Verbrauchen von Waren." Vielmehr entspringen sie "würdiger Arbeit mit anständiger Bezahlung, der Art von Beschäftigung, die es einem Mann ermöglicht, seiner Gemeinde, seiner Familie, seinem Land und – das ist am wichtigsten – sich selbst zu sagen, ‚Ich habe dazu beigetragen, dieses Land aufzubauen. Ich bin Teilnehmer an seinen großen öffentlichen Unternehmungen‘".
Heute reden nur wenige Politiker so. In den Jahren nach RFK gaben die Progressiven die Politik von Gemeinschaft, Patriotismus und Würde der Arbeit weitgehend auf und überließen sich stattdessen dem Gerede vom Aufstieg. Denjenigen, die wegen stagnierender Löhne, Auslagerung von Jobs sowie Ungleichheit besorgt waren und fürchteten, dass Immigranten und Roboter ihre Jobs übernehmen würden, offerierten die regierenden Eliten lediglich anregende Ratschläge: Geh auf die Hochschule. Rüste dich dafür, in der globalen Wirtschaft zu konkurrieren und zu gewinnen. Was du verdienst, hängt von dem ab, was du lernst. Du kannst es schaffen, wenn du dich anstrengst.
Diese Art von Idealismus passte gut zu einem globalen, meritokratischen, vom Markt getriebenen Zeitalter. Er schmeichelte den Gewinnern und beleidigte die Verlierer. Als dann aber die Brexit-Debatten und Trump auftauchten und in Europa nationalistische Parteien, die gegen Immigranten polemisierten, Zulauf bekamen, kündigte sich das Scheitern dieses Projekts an. Nun lautet die Frage, wie ein alternatives politisches Projekt aussehen könnte.
Die Würde der Arbeit ist dafür ein guter Ausgangspunkt. Auf den ersten Blick ist sie ein kaum umstrittenes Ideal. Kein Politiker sagt etwas dagegen. Doch eine politische Agenda, die die Arbeit ernst nimmt und als Schauplatz der Anerkennung behandelt, würde für Mainstream-Liberale und -Konservative gleichermaßen unbequeme Fragen aufwerfen. Denn damit würde eine Prämisse in Zweifel gezogen, die von Vertretern der auf den Markt gegründeten Globalisierung weithin geteilt wird – dass nämlich die Ergebnisse des Marktes den wahren gesellschaftlichen Wert dessen wiedergeben, was die Menschen zum Gemeinwohl beitragen.
Hinsichtlich der Bezahlung sind sich vermutlich die meisten darüber einig, dass die Entlohnung für diesen oder jenen Job den wahren gesellschaftlichen Wert einer Tätigkeit oft über- oder unterbewertet. Nur ein glühender Libertärer würde darauf beharren, dass der Beitrag des reichen Casino-Magnaten zum Gemeinwohl tausendmal mehr wert ist als der eines Kinderarztes. Doch in einer Marktgesellschaft kann man sich nur schwer gegen die Tendenz wehren, das eingenommene Geld mit dem Wert unseres Beitrags zum Gemeinwohl zu verwechseln.
Diese Verwechslung ist nicht allein auf nachlässiges Denken zurückzuführen. Durch philosophische Auseinandersetzungen, die ihre Schwächen aufzeigen, ist sie nicht abzustellen. Sie steht für den Reiz der meritokratischen Hoffnung, die Welt sei so eingerichtet, dass das, was wir einnehmen, mit dem übereinstimmt, was uns zusteht. Diese Hoffnung hat das providenzielle Denken befeuert – vom Alten Testament bis zum heutigen Gerede, man stehe "auf der richtigen Seite der Geschichte".
Marktgetriebene Gesellschaften sind ständig in Versuchung, materiellen Erfolg als Zeichen moralischer Verdienste zu deuten. Dieser Versuchung müssen wir uns immer wieder neu widersetzen. Das ist beispielsweise dadurch möglich, dass wir Maßnahmen diskutieren und durchführen, die uns dazu bringen, gezielt und demokratisch darüber nachzudenken, was als wahrhaft wertvoller Beitrag zum Gemeinwohl gilt und wo die Urteile der Märkte das Ziel verfehlen.
Zu erwarten, dass eine solche Debatte zu einer Übereinkunft führen würde, ist unrealistisch – das Gemeinwohl bleibt unausweichlich umstritten. Doch eine erneuerte Diskussion über die Würde der Arbeit würde unsere parteiische Selbstgefälligkeit brechen, den öffentlichen Diskurs moralisch beleben und uns über die polarisierte Politik hinausführen, die vier Jahrzehnte des Marktglaubens und der meritokratischen Überheblichkeit hinterlassen haben.