Im Sommer 2022 erlebten weite Teile Europas eine verheerende Dürre: Die Landwirtschaft litt unter dem Mangel an Regen und schon seit Jahren stark reduzierter Bodenfeuchte, die niedrigen Wasserstände in Flüssen wie dem Rhein hinderten massiv Transporte von Waren und fossilen Brennstoffen auf großen Lastschiffen. Nicht zuletzt gerieten die auf Wasserkühlung angewiesenen französischen Atomkraftwerke unter Druck und mussten ihre Stromproduktion reduzieren. Dabei war die Kombination aus niederschlagsarmem Frühjahr und Sommer kein Einzelfall: 2022 war das dritte viel zu trockene Jahr seit 2018, wie auf den Karten der Dürreintensitäten für Deutschland seit 1952 zu erkennen ist (Abbildung 1). Sie zeigt darüber hinaus deutlich, dass Dürre eine Naturkatastrophe mit langem Vorlauf ist (slow onset disaster) und sich in der chronologischen Dehnung deutlich von kurzfristigen Extremereignissen wie Hochwasser, Sturmfluten oder Erdbeben unterscheidet. Sie ähnelt vielmehr der Wüstenbildung, dem Abschmelzen der Gletscher, der Versalzung und Übersäuerung der Ozeane sowie dem Ansteigen des Meeresspiegels – alles Umweltrisiken im Kontext des anthropogenen Klimawandels, die lange unterhalb der menschlichen Wahrnehmungsschwelle waren oder es noch sind.
Medial erhielt die Dürre 2022 nicht zuletzt deshalb große Aufmerksamkeit, weil die wissenschaftliche Einschätzung kursierte, es handele sich um die schwerste Dürre in Europa seit mindestens 500 Jahren.
Wie kam es zu der spektakulären langfristigen historischen Einordnung? Und ist es überhaupt möglich, Dürreperioden vor der systematischen Erfassung von Niederschlägen zu rekonstruieren? Haben uns diese historischen Dürreperioden in ihren soziokulturellen Auswirkungen noch etwas für unsere modernen Gesellschaften zu sagen?
Rekonstruktion historischer Dürren
Im Wesentlichen gibt es drei Wege, um Informationen über Dürren in der Zeit vor der instrumentellen Aufzeichnung von Niederschlägen und Flusspegeln zu gewinnen.
Die präzisesten Angaben lassen sich aus den Auswertungen von Baumringen gewinnen (Dendroklimatologie) – deren Wachstum wird im Hochgebirge von der Temperatur, in flacheren Gegenden vom Niederschlag bestimmt. Baumringe sind daher gute Proxydaten, das heißt indirekte Indikatoren für feuchte Phasen und Dürren, vor allem wenn zahlreiche Baumringchronologien im Vergleich ausgewertet werden können und so der Wert eines einzelnen Standorts weniger wichtig wird als ein Mittelwert zahlreicher Bäume. Auf diese Weise können sogar jahrgenaue Angaben zu Niederschlägen rekonstruiert werden, allerdings einzig für die Wachstumsperiode der Bäume – in aller Regel die Monate Juni bis August. Für alle anderen Jahreszeiten geben die Bäume keine Auskunft; und nicht für alle Regionen Europas sind dendroklimatologische Daten so dicht vorhanden, dass verlässliche Rekonstruktionen möglich sind. In den Baumringen fanden sich auch die ersten Hinweise auf eine Megadürre (megadrought) im 15. Jahrhundert,
Eine zweite, erstaunlich präzise Rekonstruktion der meteorologischen Charakteristika von Sommern basiert nicht auf naturwissenschaftlichen Daten wie Baumringanalysen, sondern auf dem über viele Jahrhunderte an traditionsreichen Weinbaustandorten niedergeschriebenen Beginn der Weinlese. Dieser Erntebeginn wurde kollektiv reguliert, so etwa im französischen Beaune. Die Auswertung der dort seit 1354 kontinuierlich vorliegenden Weinlesedaten sind, so eine ältere Erkenntnis der Klimageschichte, ideale Quellen für Wärme und Trockenheit des vorherigen Sommers: Je weniger Niederschlag und je höher die Temperaturen, desto früher konnte mit der Weinlese begonnen werden.
Aus den schriftlichen Aufzeichnungen zum Beginn der Weinlese kann für Beaune eine beeindruckende Kurve gewonnen werden, die zeigt, dass extrem heiße und trockene Sommer auch in der Vormoderne immer wieder vorkamen (Abbildung 3) – allerdings scheinen gerade die fraglichen Jahre der Megadürre des 15. Jahrhunderts mit Ausnahme zweier Extremjahre 1420 und 1473 keineswegs von Extremen geprägt gewesen zu sein. Freilich muss hier berücksichtigt werden, dass eine solche Reihe von Weinlesedaten nur regionale Aussagekraft hat – in diesem Fall für Burgund, und eben nicht für ganz Mitteleuropa. Bemerkenswert ist dabei aber schon, dass sich auch dort die Hitzesommer ab dem Jahr 2000 häufen und der Dürresommer 2018 den frühesten Beginn der Weinlese seit 1354 aufweist: Die aus naturwissenschaftlichen Rekonstruktionen bekannte "Hockeyschläger-Kurve" der anthropogenen Klimaveränderung wird hier allein auf Basis historischer Quellen reproduziert.
Die dritte Quelle für historische Dürreperioden sind narrative historische Dokumente – also Aufzeichnungen über Dürreperioden und deren Folgen in Chroniken, Annalen und Tagebüchern, aber auch in Inschriften oder Briefen.
Ein zentrales Problem ist, dass diese qualitativen Informationen kaum in einen Zusammenhang mit quantitativen Rekonstruktionen wie den Dürreindizes auf Baumringbasis gebracht werden können. Daher kommt die nicht unproblematische Methode der sogenannten Klimaindizes zum Tragen.
Alle dargestellten Datengrundlagen für die Rekonstruktion historischer Dürreperioden haben also spezifische Vor- und Nachteile. Es ist ausgesprochen schwierig, Aussagen zu treffen, die für ganze Jahresläufe oder Jahrzehnte Validität beanspruchen können. Trotz jahrzehntelanger Grundlagenforschung ist unser Wissen jenseits der Baumringrekonstruktionen dafür noch zu wenig belastbar.
Auswirkungen und Anpassung
Die sozioökonomischen Konsequenzen vormoderner Dürren
"Vom merzen an piß auff den 28. julii [1540] wenig, schir gar nit gerengt (…), das alles, so auff dem feld soll wagssen, hart verpran, sonderlich dy waid, das fiech schir erhungeret, es was also haiß, das das lieb getraid Magarethe (10. Juni) alles in stedln ward. es het kain dau, wie man saget, das im dürren sommer gewest, so man gezelt hat 1473, so ist doch, wie dürr es gewesen ist, an kainer frucht und gwegß kain mangel gewesen, aller ding genug gewagssen (…) Ich habs von glaubwürdigen leuten gehört, das dy feldtmeus wassers halben todt in egkern gefunden sein worden. Item es sein vill weld und hölzer außprunnen, das es pillich unser nachomen einen dürren sommer nennen kännden und mügen."
Der Autor, der Kleriker Leonhard Widmann, war Sohn von Weinbauern und möglicherweise deswegen besonders sensibilisiert für Witterungsphänomene und deren Auswirkungen. Er liefert eine mustergültige Charakterisierung der sozioökonomischen Konsequenzen des Jahrtausendsommers 1540, der hier beispielhaft stehen kann: Getreideernten und Viehzucht konnten negativ beeinflusst werden, allerdings nur in extremen Ausprägungen – trockene, warme Sommer waren für die Produktion von Brotgetreide generell eher vorteilhaft.
Auch die vormoderne Energieproduktion hatte mit den Folgen niedriger Wasserstände zu kämpfen: Freilich fielen hier keine Kernkraftwerke, sondern Wassermühlen als vorherrschende Energiequelle trocken, mit Konsequenzen für die protoindustrielle Produktion vor allem von Textilien und die Versorgung mit dem Lebensmittel Mehl. Austrocknende Flüsse behinderten zudem den Transport übers Wasser, der mit Abstand günstigsten Möglichkeit der Zeit, Massengüter wie Getreide, Bier oder Wein zu bewegen.
Entsprechend konnten in extremen Fällen wie der mehrjährigen Dürre von 1302 bis 1304 im Mittelmeerraum
Ob längere Dürreperioden zu einer Häufung von Stadtbränden führten, wie es vor allem für die Jahrtausenddürre 1540 postuliert worden ist,
Selbstverständlich gab es nicht nur im modernen Sinn pragmatische Reaktionen auf Dürrekatastrophen, die sich vielleicht als mittelalterliche Frühformen einer Art öffentlicher Daseinsvorsorge interpretieren lassen. Extreme Umweltveränderungen wurden im Mittelalter immer auch als göttliche Strafe interpretiert, weil sich im zeitgenössischen Verständnis und geprägt durch biblische Beispiele in solchen Naturereignissen stets ein Kommentar Gottes zur moralischen Qualität der betroffenen Gesellschaft erkennen ließ. Entsprechend war es keineswegs irrational, auf diese Ereignisse religiös zu reagieren: Mit Bußpredigten, wie wir sie etwa eine Woche nach dem großen Stadtbrand von Florenz am 10. Juni 1304 belegen können, als der Dominikaner Giordano da Pisa seine Mitbürger ermahnte, das Feuer habe nur Gottes Willen erfüllt. Nach dieser Logik ergab es Sinn, nichts unversucht zu lassen, um diesen Willen zu beeinflussen – etwa durch Bußprozessionen,
Bittprozessionen sind ein gutes Beispiel für soziale Bewältigungsstrategien menschlicher Gemeinschaften im Angesicht der Dürre. Wie tief verwurzelt sie sind, zeigen etwa die Prozessionen während der Dürre im Frühjahr 2023 in Südfrankreich und Spanien, die erstmals seit 150 Jahren wieder stattfanden.
Lektionen aus der Geschichte
Auch wenn das straftheologische Denken der Vormoderne und die damit verbundenen Bewältigungsstrategien heute nur noch im übertragenen Sinn relevant sind – man denke an die in der Medienöffentlichkeit oft personalisiert diskutierte "Rache der Natur" aufgrund menschlicher Ausbeutung oder apokalyptische Tendenzen bei manchen Klimaaktivist*innen –, so sind Bittprozessionen vermutlich nicht die entscheidende Lektion, die die Klimageschichte in der anthropogenen Klimaveränderung der Gegenwart anzubieten hat. Drei Aspekte gilt es festzuhalten:
Erstens ist festzustellen, dass es ein großes Bedürfnis gibt, das gegenwärtige Erleben von extremer Trockenheit in historische Zusammenhänge einzuordnen. Häufig geschieht dies unzulässig zur Relativierung und Verharmlosung – denn zweifellos hat es bereits extreme Dürrejahre gegeben, die vermutlich regional noch längere Trockenperioden verursacht haben, als wir es bisher erleben. Ein häufig missbrauchtes Beispiel ist die Jahrtausenddürre 1540. Weinlese- und Baumringdaten zeigen jedoch gleichermaßen, dass uns die Häufung der extremen Trockenjahre seit etwa 2003 durchaus Sorgen machen sollte. Klimahistorische Forschung kann und sollte hier nicht gegen die Beobachtungen und Prognosen der gegenwarts- und zukunftsorientierten Klimatologie in Stellung gebracht werden. Verweise auf einzelne Extreme in der gegenwärtigen Diskussion sind dabei nicht falsch und doch irreführend: Sie taugen nicht als Beruhigung, sondern vielmehr als Warnung. Auch wenn historische Referenzen wie "schlimmste Dürre seit dem Mittelalter" schwierig zu verifizieren sind, so zeigt die Erforschung historischer Extreme doch, welche Spannbreite an meteorologischen Ereignissen bereits innerhalb der natürlichen Schwankungsbreite erwartbar ist.
Zweitens zeigt die klimahistorische Forschung, dass Gesellschaften in der Vergangenheit immer wieder Wege gefunden haben, sich meteorologischen Extremen und sich verändernden klimatischen Rahmenbedingungen anzupassen.
Drittens können wir aus der Vormoderne tatsächlich lernen, wie man klimatische Extreme effektiv in der Erinnerung hält
Bessere Chancen haben diesbezüglich die Hungersteine in mitteleuropäischen Flüssen. Dabei handelt es sich um Markierungen und Inschriften, die bereits in der Vormoderne auf Felsen im Flussbett angebracht wurden und nur bei extremem Niedrigwasser sichtbar werden. Sie finden sich in bemerkenswerter Dichte in der Elbe sowohl auf sächsischer als auch auf böhmischer Seite.
Eine klimahistorische Perspektive auf Dürren der Vormoderne kann also Orientierung bieten, indem sie historischen Kontext zu extremen Dürren der Gegenwart liefert und Einblicke in Möglichkeiten und Grenzen der Anpassung menschlicher Gesellschaften gibt – wobei die Grenzen der Vergleichbarkeit immer mitgedacht werden müssen. Nicht zuletzt zeigt sie uns, wie ein Bewusstsein für die Folgen extremer Dürren in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wachgehalten werden kann.