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Schwindender Reichtum | Hitze, Dürre, Anpassung | bpb.de

Hitze, Dürre, Anpassung Editorial "Man muss anerkennen, dass wir jetzt schon in einem anderen Klima leben". Ein Gespräch über das aktuelle Klimageschehen, Anpassungsmaßnahmen und den demokratischen Dialog darüber. Schwindender Reichtum. Vom Umgang mit Wasser in Deutschland Zur Entwicklung von Wasserhaushalt und Dürren in Deutschland Dürre Zeiten in Südeuropa. Das Beispiel Frankreich Kommune, pass dich an! Hitze und Trockenheit auf lokaler Ebene begegnen Hitze, Dürre, Krieg. Klimawandel als Sicherheitsrisiko "Wenn du mich siehst, dann weine". Dürren in der Vormoderne – Rekonstruktion, Anpassung, Erinnerung

Schwindender Reichtum Vom Umgang mit Wasser in Deutschland

Uwe Ritzer

/ 17 Minuten zu lesen

Die Erkenntnis, dass auch Deutschland langsam, aber sicher auf ein Wasserproblem zusteuert, sickert erst seit wenigen Jahren ins kollektive Bewusstsein. Mit der Nationalen Wasserstrategie hat die Bundesregierung auf diese Entwicklung reagiert. Entscheidend wird aber die Umsetzung.

2023 erlebt Deutschland den nassesten Frühling seit Langem. Im März regnet es so viel wie seit 23 Jahren nicht mehr in diesem Monat. Im April registrieren die etwa 2.000 Messstationen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) eine Niederschlagsmenge wie zuletzt im April 2008. Im Durchschnitt fallen im Frühjahr im Bundesgebiet 200 Liter Regen pro Quadratmeter, acht Prozent mehr als im Mittel der Jahre 1961 bis 1980. In den westlichen Mittelgebirgen regnet es sogar doppelt, im Berchtesgadener Land dreimal so viel, 600 Liter pro Quadratmeter. Die Natur nutzt die Chance für einen großen Schluck. Sattes Grün überzieht das Land, die Flüsse schwellen an, lokal kommt es zu kleineren, allerdings nicht bedrohlichen Hochwassern. Der viele Regen habe den nach mehreren Hitze- und Dürrejahren ausgetrockneten Waldboden gut getränkt, berichten Forstleute erleichtert. Und der DWD resümiert das nasseste Frühjahr seit zehn Jahren: "In der Summe war das Frühjahr eine Spur zu feucht und ebenso leicht zu mild."

Ist also alles gut? Sind damit die Hitzejahre 2018, 2019, 2020 und 2022 abgehakt, ebenso das Extremwetterjahr 2021 mit der verheerenden Flut im Ahrtal? Hat Deutschland sein Wasserproblem, respektive sein Dürreproblem überwunden? Einmal mehr offenbart sich, dass man Wetter nicht mit Klima verwechseln darf. Klima ist, wenn man so will, die langjährige Aneinanderreihung von Wetter. Entsprechend tiefgreifend sind die Folgen von Klimaveränderungen. Nasser Frühling hin oder her – die trockenen Sommer und kaum Schnee im Winter der vergangenen Jahre haben das Grundwasser selbst im eigentlich wasserreichen Bayern auf ein extrem niedriges Niveau sinken lassen, warnt mitten in das nasse Frühjahr hinein das dortige Landesamt für Umwelt: "So niedrige Grundwasserstände wie 2023 wurden Mitte März bisher nicht gemessen."

Etwa zur selben Zeit verabschiedet die Bundesregierung einen ambitionierten Plan, der auf den ersten Blick so gar nicht zur Witterung passt: eine "Nationale Wasserstrategie". Sie soll sicherstellen, dass es auch in dreißig Jahren und darüber hinaus überall und jederzeit hochwertiges und bezahlbares Trinkwasser gibt. Gewässer und Grundwasser sollen sauber und der naturnahe Wasserhaushalt gestärkt beziehungsweise wiederhergestellt werden. Die Abwasserentsorgung will die Bundesregierung nach dem Verursacherprinzip organisieren. "Wasserversorgungs-Infrastruktur und Wassernutzung werden an die Folgen der Klimakrise angepasst", heißt es in der Zusammenfassung der wichtigsten Strategieziele. Initiiert von der Vorgängerregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde diese Strategie entwickelt. Warum? Weil Deutschland auf ein existenzielles Problem zusteuert. Die Wasserreserven schwinden so rasch wie nie. Ursache ist der Klimawandel. Noch sei es nicht zu spät zum Gegensteuern, sagen Experten, aber es müsse etwas geschehen – und zwar schnell.

Klimawandel in Deutschland

Rückblende: Im Sommer 2022 litt Deutschland flächendeckend an Hitzschlag und Sonnenbrand. Landauf, landab Hitzerekorde, braun vertrocknete Wiesen, ausgetrocknete Wälder, schrumpfende Wasserflächen bei Bächen und Seen, Flüsse, die gemessen an ihrer Normalgröße zu Rinnsalen wurden. Am Ende des Jahres bilanzierte der DWD eines der heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, mit 15 Prozent weniger Regen als im Durchschnitt, 30 Prozent mehr Sonnenstunden und einer Durchschnittstemperatur von 1,7 Grad mehr als im Mittel seit 1881. In manchen Gemeinden, etwa im Hochtaunus, drohte die Trinkwasserversorgung zusammenzubrechen – die Kommunen reagierten, indem sie den Notstand ausriefen. Fortan durften dort keine Gärten mehr gegossen, keine privaten Pools mehr mit Leitungswasser befüllt, keine Rasenflächen mehr gesprengt werden. Der Wasserverband Strausberg-Erkner in Brandenburg schuf die rechtliche Möglichkeit, in Notzeiten gegen die Androhung von Strafe den täglichen Wasserverbrauch auf 105 Liter pro Person zu reduzieren. Normal verbraucht ein Mensch in Deutschland täglich 128 Liter Wasser. Manche Hitze-Hotspots wie Mainfranken unweit von Würzburg ähnelten kargen Kulissen von Italo-Western. In Würzburg selbst hatte man bereits im Hitzesommer 2018 rund 5.000 vertrocknete Bäume fällen müssen.

Erst 2019 hatte Klimaforscher Heiko Paeth von der Universität Würzburg prognostiziert, Unterfranken werde ein Klima bekommen wie das südfranzösische Bordeaux. Immer vorausgesetzt, die Welt schafft es nicht, ihre Klimaziele zu erreichen und die Erde erwärmt sich weiter wie bisher. Mit einer um vier bis fünf Grad höheren Durchschnittstemperatur pro Jahr, bis zu 30 Prozent weniger Niederschlag im Sommer und 10 Prozent mehr Regen im Winter sei dann zu rechnen, sagt Paeth. Im Sommer werden immer längere Hitzeperioden für höheren Wasserverbrauch und viel Wasserverdunstung sorgen. Und der Regen wird als eine Folge des Klimawandels künftig häufiger als Extremniederschlag auf die Erde fallen, nämlich in größeren Mengen und mit einer Wucht, die der Boden nicht mehr verarbeiten kann. Das Wasser fließt ab, ohne dass es sich in den Trinkwasserkreislauf integriert. Paeth nennt das den "Blumentopf-Effekt": Wer eine Zimmerpflanze vertrocknen lässt, sie dann irgendwann gießt, kann beobachten, wie das Wasser nicht in der trockenen Erde versinkt, sondern oberflächig abfließt. Das hat Auswirkungen auf das Grundwasser, aus dem hierzulande 60 bis 65 Prozent des Trinkwassers gewonnen wird.

Schon für 2019 meldete das Deutsche Geoforschungszentrum in Potsdam ein Wassermassendefizit von 43,7 Milliarden Tonnen in Deutschland. Die Niederschläge reichen nicht aus, um die Speicher wieder vollständig zu füllen. Besonders eindrucksvoll führt eine Satellitenmission der US-Raumfahrtbehörde NASA und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt namens Grace vor Augen, dass Deutschland ein eklatantes Wasserproblem hat, das ein nasses Frühjahr allein nicht lösen kann. Im Zuge der Mission sammeln zwei Satelliten Daten über die sich stetig verändernde Schwerkraft der Erde und daraus resultierende Veränderungen bei den Wasservorräten. Die Ergebnisse, die der federführende kanadische Wissenschaftler Jay Famiglietti 2022 präsentiert hat, sind besorgniserregend. Demnach hat die Bundesrepublik seit 2000 etwa ein Fünftel seiner Wasservorräte eingebüßt; das entspricht in etwa der Wassermenge des Bodensees. Jedes Jahr gehen Deutschland etwa 2,5 Gigatonnen – das sind räumlich zweieinhalb Kubikkilometer – Wasser verloren. "Damit gehört es zu den Regionen mit dem höchsten Wasserverlust weltweit", sagt Famiglietti.

Vor zwanzig oder dreißig Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, dass es eine nationale Wasserstrategie braucht, um die Versorgung von Menschen und Natur mit dem existenziellen Gut langfristig zu organisieren und sicherzustellen. Immer war genug da, mehr als genug sogar – für die Trinkwasserversorgung, die Getränkeindustrie, die Landwirtschaft samt Obst- und Gemüseanbau, die Industrie und die Energieversorger, die mit gewaltigen Mengen ihre Anlagen und Kraftwerke kühlen. Das meteorologische Verhältnis und Wechselspiel zwischen Sonne, Wärme und Niederschlägen war in unseren Breiten intakt, ja, geradezu ideal. "Deutschland war immer in einer Luxusposition", sagt etwa die Hydrogeologin Irina Engelhardt. "Wir hatten einfach immer genug. Wasser war ja quasi Abfall in Deutschland. Und wenn man von etwas genug hat, kümmert man sich auch nicht so darum." Wassernotstand, Dürreprobleme, unbeherrschbare Fluten – in Deutschland gab es all das nie oder nur sehr vereinzelt, im Gegensatz zu anderen Regionen des Erdballs.

Verteilungsfragen

Den Vereinten Nationen zufolge haben 2,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser. 1,42 Milliarden Menschen, vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika, leben in großer Unsicherheit hinsichtlich ihrer Wasserversorgung. Vier Milliarden leben in Regionen, "die in mindestens einem Monat pro Jahr von Wasserknappheit betroffen sind", so die UNESCO, die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft, Bildung und Kultur. Das ist die Hälfte der Weltbevölkerung. Dieselbe Zahl an Menschen hat keinen regelmäßigen Zugang zu sauberen und sicheren Sanitäranlagen. Dieser Hinweis ist von enormer Bedeutung, denn eine gesunde Trinkwasserversorgung funktioniert nur, wenn auch die Abwasserentsorgung geklärt ist. Und noch ein paar wichtige Zahlen zur Einordnung des Themas: Das Wasser auf der Erde ist zu 97 Prozent Salzwasser. Von den drei Prozent Süßwasser können etwa drei Prozent als Trinkwasser genutzt werden.

Die Erkenntnis, dass auch Deutschland langsam, aber sicher auf ein Wasserproblem zusteuert, sickert erst seit wenigen Jahren ins kollektive Bewusstsein. Das hat auch damit zu tun, dass die Bundesrepublik hydrogeologisch nicht einheitlich beschaffen ist. Es gibt sowohl trockene Regionen – wie Unterfranken, den Hochtaunus, die Region um Lüneburg, weite Teile Brandenburgs oder Mecklenburg-Vorpommerns – als auch niederschlagsreiche und entsprechend nasse Landstriche, zum Beispiel unmittelbar entlang der Alpen. Letzteres bestätigen im Übrigen auch die Wetterdaten aus dem Frühjahr 2023 mit den hohen Regenmengen im Berchtesgadener Land.

Vor diesem Hintergrund war es weder überraschend noch falsch, sondern logisch, dass Bundesumweltministerin Steffi Lemke bei der Vorlage der Nationalen Wasserstrategie mit einem Vorschlag besondere Aufmerksamkeit erregte: Man könne doch Wasser aus nassen Regionen der Republik über Fernleitungen in trockene Gegenden pumpen und so einen Ausgleich schaffen. Das ist keine neue Idee. Bereits jetzt kommt knapp ein Viertel des Trinkwassers in den Haushalten hierzulande aus Fernleitungen. Das gilt vor allem für Ballungszentren. Hamburg etwa bedient sich zu einem erklecklichen Teil aus den Ressourcen südlich der Hansestadt. München schöpft aus dem Voralpenland, konkret aus dem Mangfall- und dem Loisachtal. Der fränkische Ballungsraum Nürnberg-Fürth-Erlangen schafft einen Großteil seines Trinkwassers über eine mehr als hundert Kilometer lange Fernleitung aus der Donau-Lech-Mündung im bayerischen Schwaben heran. Auch die Versorgung in Baden-Württemberg gründet wesentlich auf Fernleitungen, die vor allem im Bodensee schöpfen. Und den Ballungsraum Frankfurt-Offenbach versorgt der Fernversorger Hessenwasser.

Fernwasserversorgung ist sinnvoll und unverzichtbar, aber kein immer und überall taugliches Mittel. Das hat vor allem drei Gründe.

Erstens sinken auch in den Einzugsbereichen vieler Fernwasserversorger allmählich die Grundwasserpegel. Auch dort sind die Vorräte nicht unendlich. Das gilt selbst für die Alpen, den größten kontinentalen Wasserspender, der in seinen Anrainerstaaten 170 Millionen Menschen versorgt. Der Gebirgszug liefert noch immer reichlich, aber in der Tendenz immer weniger Wasser – nicht zuletzt deshalb, weil der winterliche Schneefall infolge des Klimawandels kontinuierlich abnimmt. Folglich gibt es im Frühjahr weniger Schmelzwasser.

Zweitens ist der Bau von Fernwasserleitungen über große Strecken aufwendig, langwierig und teuer. 14 Jahre hat es gedauert, eine solche Fernwasser-Pipeline vom Ostharz in die Region Halle an der Saale hineinzuziehen, mehrere Jahre für Planung und Genehmigungsverfahren nicht eingerechnet. Die Leitung ist 42 Kilometer lang und kostete 62 Millionen Euro.

Warum Fernwasserversorgung kein Allheilmittel ist, liegt drittens im Bereich Verantwortung. Den Wassergesetzen wohnt das Prinzip inne, dass eine Region sich zunächst einmal aus sich selbst heraus mit Trinkwasser versorgen soll. Das bedeutet, sich bei Knappheit über neue Quellen und Brunnen Gedanken zu machen, aber auch über die Sinnhaftigkeit der eigenen Wasserbewirtschaftung und Einsparmöglichkeiten. Sich an die Fernwasserversorgung anzuschließen, kaschiert das Problem: Die regional Verantwortlichen schieben die Zuständigkeit ab und machen es sich damit einfach.

In Bayern gibt es dafür ein besonders skurriles Beispiel. Das 13.000 Einwohner zählende Treuchtlingen im Altmühltal sitzt auf reichlich Wasservorkommen. Abgesehen vom kommunalen Thermalbad nutzt ausschließlich der örtliche Mineralwasserhersteller Altmühltaler die Quellen und Brunnen vor Ort. Seit Anfang 2023 Teil des Handelsriesen Aldi, pumpt die Firma zum Teil 10.000 Jahre altes und entsprechend reines Tiefengrundwasser aus der Erde, füllt es in PET-Flaschen ab und verkauft es über den Discounter. Das Unternehmen zahlt dafür keinen Cent an die Stadt, obwohl Wasser an sich ein Allgemeingut ist, das allen gehört. Das Treuchtlinger Leitungswasser kommt hingegen über die Fernleitung aus der Donau-Lech-Mündung. Das führt zu einer bizarren Situation: Wenn eine Treuchtlingerin Treuchtlinger Wasser trinken will, muss sie es beim Discounter kaufen. Denn das aus der Leitung kommt aus 40 Kilometern Entfernung.

Jahrzehntelang thematisierte kaum jemand ernsthaft solche Zustände, auch in Treuchtlingen nicht. Seit geraumer Zeit allerdings sind es die Mineralwasserhersteller, die als erste von Verteilungskämpfen um Wasser hierzulande betroffen sind – ob in Treuchtlingen, wo die Behörden Altmühltaler 2019 erstmals eine vom Unternehmen geforderte Anhebung des erlaubten Tiefenwasserkontingents von 250.000 um weitere 300.000 Kubikmeter pro Jahr verweigerten, oder in Lüneburg, wo eine Bürgerinitiative ein ähnliches Vorhaben des Getränkeriesen Coca-Cola ausbremste. Landauf landab ist zu beobachten, dass sich Menschen aus Sorge um Grundwasservorräte zusammenschließen. Das Thema kommt immer stärker in der Mitte der Gesellschaft an. Bei einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach 2022 gaben drei von vier Deutschen an, bewusster und sparsamer mit Wasser umzugehen als früher. Zunehmend werden Kommunalpolitiker und Großverbraucher in Sachen schonende Wasserbewirtschaftung von Bürgerinnen und Bürgern in die Pflicht genommen. Und das Geschäftsmodell von Mineralwasserherstellern, das darauf beruht, ein Allgemeingut je nach Bundesland umsonst oder für marginale Cent-Beträge zu entnehmen und damit privatwirtschaftliche Gewinne zu erwirtschaften, wird immer öfter hinterfragt.

Dabei sind Mineralwasser- oder überhaupt Getränkehersteller bei Weitem nicht die größten Wasserschlucker. Von etwa 20 Milliarden Kubikmetern Frischwasser, die in Deutschland jedes Jahr verbraucht werden, entfallen "nur" etwa 13 Millionen auf die Mineralwasserproduktion. Das meiste Wasser, nämlich drei Viertel, also rund 15 Milliarden Kubikmeter, verbrauchen Energieversorger und Industrie hauptsächlich zur Kühlung von Kraftwerken und anderen Anlagen – wobei darin auch andere Wirtschaftsbereiche wie die Getränkehersteller und die Landwirtschaft dort eingerechnet sind (Abbildung 1). Mehr als 97 Prozent dieses Wassers schöpfen die Betriebe aus eigener Gewinnung, etwa aus Brunnen. Dafür zahlen sie in 13 Bundesländern ein Wasserentnahmeentgelt, im Volksmund "Wassercent" genannt. Wie der Begriff andeutet, handelt es sich in der Regel tatsächlich um einen winzigen Bruchteil jener 2,50 oder 3 Euro, die ein Privathaushalt für einen Kubikmeter Leitungswasser bezahlt. In Bayern, Hessen und Thüringen gibt es gar keinen Wassercent; dort schöpfen die Betriebe aus Grundwasserreservoirs oder Uferfiltrat, ohne dafür zu bezahlen. Abgesehen von wenigen Insidern stellte das nie jemand infrage. Doch mit dem Klimawandel ist Wasser auf dem besten Weg, nach Gas und Strom das nächste große Ressourcenthema in Deutschland zu werden. Niemand muss Angst haben, im nächsten Hitzesommer zu verdursten. Aber es muss jetzt etwas getan werden, um mittelfristig Versorgungsengpässe und verheerende Folgen für Mensch und Natur zu verhindern.

Nationale Wasserstrategie

Diesem Ansatz folgt die Nationale Wasserstrategie. "Angesichts der jetzt schon spürbaren Folgen der Klimakrise soll damit die Wasserwende eingeläutet und die Transformation in der Wasserwirtschaft beschleunigt werden", so das Bundeskabinett bei der Verabschiedung im März 2023. "Mit der Strategie will die Bundesregierung die natürlichen Wasserreserven Deutschlands sichern, Vorsorge gegen Wasserknappheit leisten, Nutzungskonflikten vorbeugen, den Sanierungsstau in der Wasserinfrastruktur angehen sowie den Zustand der Gewässer und die Wasserqualität verbessern." Bundesumweltministerin Lemke betonte dabei: "Deutschland steht (…) wie unsere Nachbarländer vor erheblichen Herausforderungen. Die Folgen der Klimakrise für Mensch und Natur zwingen uns zum Handeln. Die vergangenen Dürrejahre haben deutliche Spuren in unseren Wäldern, Seen und Flüssen und in der Landwirtschaft hinterlassen. Extremwetterereignisse treten immer häufiger auf und stellen Kommunen und Länder vor große Probleme. Auch das Thema Wasserverschmutzung ist trotz vieler Erfolge noch lange nicht vom Tisch." Ziel der Nationalen Wasserstrategie sei: "Sauberes Wasser muss immer und überall in Deutschland ausreichend verfügbar sein. Dazu müssen unser Grundwasser, unsere Seen, Bäche und Flüsse sauberer werden, außerdem müssen wir unsere Infrastruktur, Landnutzung und Stadtentwicklung an die Folgen der Klimakrise anpassen und Wasser besser in der Landschaft speichern."

Das alles klingt wohlfeil, nach einer Selbstverständlichkeit. Ist es aber nicht. Es ist vielmehr ein Paradigmenwechsel, denn Politik und Gesellschaft hierzulande nahmen selten Rücksicht auf das Wasser. Nirgendwo lässt sich dies historisch eindrucksvoller nachvollziehen als am Umgang mit dem Rhein, dem größten deutschen Fluss. "Vater Rhein ist die größte Kloake Europas", sagte 1962 der für Atomenergie und Wasserwirtschaft zuständige Bundesminister Siegfried Balke. Pharma- und andere Chemiefirmen, Industriebetriebe und Zellstoffhersteller leiteten ihre Abwasser über Jahrzehnte hinweg in den Fluss. Die Kläranlagen entlang des Rheins galten bereits in den 1960er Jahren als veraltet. Schon drei Jahre nach Kriegsende hatte die "Rheinkommission zum Schutz des Rheins vor Verschmutzungen", eine aus Experten aller Anrainerstaaten bestehende Organisation, die Verschmutzung beklagt – ohne erkennbare Konsequenzen. Es bedurfte erst zweier Umweltkatastrophen 1986, um ein Umdenken einzuleiten. Bei einem Brand auf einem Betriebsgelände des Chemiekonzerns Sandoz floss mit angeblich 20 Tonnen Gift verseuchtes Löschwasser in den Rhein. Kurz darauf gelangten nach einem Störfall beim Chemiekonzern BASF 2.000 Tonnen Herbizide in den Fluss. Die deutsche Öffentlichkeit schreckte auf; gar zu erbärmlich war der Zustand des Rheins geworden. Plötzlich wurde "sauberes Wasser" zum Thema. Grob zusammengefasst, wurden in der Folgezeit Vorschriften verschärft, Kontrollen verbessert und moderne Reinigungstechnik installiert. Um zu zeigen, dass sich der Rhein durch all dies erholt habe, stürzte sich am 14. September 1988 der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer im Neoprenanzug medienwirksam in den Fluss und schwamm acht Minuten lang zwischen Gustavsburg und Mainz-Weisenau. Die Botschaft der PR-Aktion: Schaut her, man kann im Rhein sogar wieder schwimmen, ohne Angst haben zu müssen, sich zu vergiften.

35 Jahre später liegen die Dinge etwas komplizierter. Deutschland muss an vielen Stellschrauben drehen, um die Versorgung mit sauberem Trinkwasser langfristig zu sichern. Das ist eine Kernbotschaft der Nationalen Wasserstrategie, die als Gemeinschaftsaufgabe angelegt und entwickelt wurde. Über mehrere Jahre trafen sich ab Oktober 2018 insgesamt etwa 300 Fachleute aus Wasserwirtschaft, Wissenschaft, Verbänden, Landwirtschaft, Expertinnen und Experten aus Behörden sowie nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürgerinnen und Bürger immer wieder, um in einem "Nationalen Wasserdialog" die Eckpunkte der Strategie zu entwerfen. Sie definierten Handlungsfelder, skizzierten Handlungsbedarfe, formulierten Ziele und empfahlen konkrete Lösungen. Insofern handelte es sich um einen vorbildlichen, weil nicht abgehobenen, sondern in der Fachwelt und der Gesellschaft gleichermaßen verankerten Entwicklungsprozess. Das folgt auch der Erkenntnis, dass das Thema Wassersicherheit für populistische Ausschlachtung nicht taugt. Nicht die Politiker und Beamten in Brüssel, Berlin oder in den Länderregierungen allein müssen oder können es richten. Die Verantwortung tragen auch nicht die Kommunen oder die Privathaushalte allein, sondern die gesamte Gesellschaft.

Neben dem erklärten Ziel, auch für Mitte des Jahrhunderts eine sichere Versorgung mit sauberem und bezahlbarem Trinkwasser samt effizienter und wirksamer Abwasserentsorgung zu garantieren, wird mit der Nationalen Wasserstrategie ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt: Nicht nur die Trinkwasserversorgung soll besser gemanagt werden, sondern es soll durch gesunde Flüsse und Seen auch Vorsorge für Tiere und Pflanzen getroffen werden treffen, um eine vielfältige Fauna und Flora zu erhalten. Das entsprechende Aktionsprogramm aus 78 einzelnen Maßnahmen soll bis 2030 schrittweise umgesetzt werden. Ganz oben auf der Agenda steht die Beseitigung eines gewaltigen Defizits: Es gibt in Deutschland zu wenige belastbare Daten, die Aufschluss darüber geben, wo wieviel Wasser vorhanden ist und wie sich diese Ressourcen entwickeln. Es fehlt an ausreichend Grundwassermessstellen und in der Folge auch an seriösen Prognosen und Szenarien darüber, wann in welcher Region das Wasser knapp werden könnte. Entsprechende Grundlagen zu schaffen, ist eines der wesentlichen kurzfristigen Vorhaben der Bundesregierung.

Zugleich wollen Bund und Länder eine Leitlinie entwickeln, "die einen einheitlichen Orientierungsrahmen für lokale oder regionale Priorisierungsentscheidungen schafft", wie es in der entsprechenden Ankündigung heißt. "Sie soll insbesondere sicherstellen, dass jederzeit ausreichende, möglichst ortsnahe Ressourcen für die Trinkwasserversorgung zur Verfügung stehen." So soll einerseits der Bedarf etwa an besagter Fernwasserversorgung geklärt und andererseits sollen regionale Wasserversorgungskonzepte vorangetrieben werden. Die Einzelmaßnahmen, die auch in 30 Jahren noch "überall und jederzeit ausreichendes, hochwertiges und bezahlbares Trinkwasser" garantieren sollen, sind zahlreich und vielfältig. Ganz wesentlich ist, dass Gewässer und Grundwasservorkommen sauberer werden sollen. Das setzt voraus, dass der naturnahe Wasserhaushalt in der Landschaft wiederhergestellt beziehungsweise verbessert werden muss. Hier spielt vor allem die Reduzierung der Nitrat- und Pestizideinträge aus der Landwirtschaft eine Rolle. Auch die Abwasserentsorgung muss nach Überzeugung der nationalen Wasserstrategen weiterentwickelt werden. Mehr denn je soll überdies mit Blick auf Wasser das Verursacherprinzip gelten: "Wer wasserschädliche Produkte oder Wirkstoffe herstellt oder in Verkehr bringt, muss auch verstärkt zur Beseitigung von Schäden in den Gewässern beitragen", so der Plan.

Ausblick

Kaum veröffentlicht, stieß die Nationale Wasserstrategie in einem wesentlichen Punkt auf Kritik: "Der Vorrang der öffentlichen Trinkwasserversorgung bei Engpässen gegenüber privatwirtschaftlichen Nutzungen ist nicht unmissverständlich festgeschrieben", monierte Liza Pflaum, Wasserexpertin bei der Bürgerbewegung Campact, die onlinegestützt politische Forderungen und Initiativen aus der Bevölkerung heraus in die Politik einspeist. Pflaum fürchtet, dass das von allen betonte, jedoch nirgends verbindlich festgeschriebene Primat der öffentlichen Versorgung im Zweifelsfall aufgeweicht wird, etwa wenn mächtige Konzerne aus der Industrie oder der Getränkewirtschaft ihre Entnahmemengen nicht beschränken lassen wollen. Dass Pflaums Bedenken nicht von der Hand zu weisen sind, zeigte sich fast zeitgleich zur Veröffentlichung der Nationalen Wasserstrategie in Bayern. Dort wollten die Fraktionen von CSU und Freien Wählern im Landtag im Zuge der Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms die Interessen der Getränkehersteller mit denen öffentlicher Versorger gleichstellen. Sogleich brach ein Sturm der Entrüstung los, angeführt von Gemeindetag und Städtetag sowie den kommunalen Trinkwasserversorgern. Ministerpräsident Markus Söder leitete daraufhin die Kehrtwende ein, und CSU und Freie Wähler zogen ihre Anträge zurück. Es sei alles nicht so gemeint gewesen und nur falsch verstanden worden, hieß es.

Tatsächlich zeigt der Vorgang, dass die Verteilungskämpfe um Wasser bereits begonnen haben, selbst im nassen Bayern. Je knapper das Wirtschaftsgut Wasser hierzulande wird, desto wertvoller wird es, und desto größer werden die Begehrlichkeiten. Ein Indiz dafür ist, dass Lebensmittel- und Getränkekonzerne zuletzt gleich mehrere Mineralwasserhersteller übernahmen – und sich so langfristige Zugänge zu deren Brunnen und Quellen sowie Entnahmerechte und -kontingente sicherten. Red Bull und der Red-Bull-Abfüller Rauch etwa übernahmen die Urstromquelle in Brandenburg, aus der heraus der Altmühltaler-Konzern bis 2022 Edeka und Netto belieferte. Letztgenannte wiederum kauften sich daraufhin die Siegsdorfer Petrusquelle. Aldi Nord übernahm, auch zur Versorgung von Aldi Süd, Altmühltaler in Treuchtlingen und Vitaqua im hessischen Breuna. Die Brauerei Krombacher kaufte Germete in Warburg. Größter Mineralwasser- und Limonadenhersteller ist in Deutschland übrigens die Schwarz-Gruppe, zu der Kaufland und Lidl gehören. Ob es überhaupt vermarktetes Mineralwasser braucht oder Mensch genauso gut Leitungswasser trinken kann, sei dahingestellt.

Bei der Umsetzung der Nationalen Wasserstrategie geht es um weit mehr als nur eine Branche und ein Geschäftsmodell. Es geht um das große Ganze. Die Strategie ist, wenn man so will, ein Bündel von Maßnahmen. Die Probleme aber lauern im Detail: Wenn etwa ein Kommunalparlament Wünschbares umsetzen und – nur ein Beispiel – in einem Neubaugebiet jedem Häuslebauer eine Regenwasserzisterne vorschreiben will, diese dann aber wegen der damit verbundenen Kosten auf die Barrikaden gehen; dann erst wird sich zeigen, wieviel politische Standfestigkeit beim Wasserschutz vorhanden ist. Oder am Beispiel Landwirtschaft: Längst wäre es angebracht, die verschwenderische Flächenberieselung von Äckern – wobei im heißen Sommer das meiste Wasser verdunstet und gar nicht bei den Pflanzen ankommt – durch eine Tröpfchenbewässerung zu ersetzen, bei der Leitungen an oder knapp unter der Erdoberfläche Wasser effektiv zu den Wurzeln transportieren. Eine Vorschrift solcher Tröpfchenbewässerung würde Sinn ergeben, sie würde aber auch die Bauernlobby über die damit verbundenen Investitionen jammern lassen. Drittes Beispiel Industrie: Längst wäre es an der Zeit, den Großverbrauchern viel mehr Geld für Wasser abzuverlangen, um Anreize für betriebsinterne Recycling- und Brauchwassersysteme zu schaffen. Auch da wird das Argument der Kosten und damit der Belastung für die Unternehmen kommen.

An solchen Details wird es sich entscheiden, ob die Nationale Wasserstrategie Erfolg haben wird oder nicht. In ihr sind Ziele und ein großer Plan formuliert – sie ist ein Wunschkatalog, breit gefächert, voller richtiger Ansätze. Die Probleme aber lauern bei der Umsetzung, und Zielkonflikte sind unvermeidbar. Aber gibt es zu konsequentem Wasserschutz eine Alternative? Während Deutschland ein nasses Frühjahr 2023 erlebte, litt Südeuropa unter außergewöhnlich früher Dürre – dann unter Sturzfluten. Und hierzulande ging der Niederschlag im Mai landesweit zurück. Dabei wurde im Nordosten die Trockenheit so markant wie selten zuvor. Denn mit einem nassen Frühjahr, womöglich einem kompletten feuchten Jahr, wird sich das Problem nicht lösen.

ist Wirtschaftskorrespondent der "Süddeutschen Zeitung" und Autor des Buches "Zwischen Dürre und Flut. Deutschland vor dem Wassernotstand: Was jetzt passieren muss" (2023).
E-Mail Link: uwe.ritzer@sz.de