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"Man muss anerkennen, dass wir jetzt schon in einem anderen Klima leben" | Hitze, Dürre, Anpassung | bpb.de

Hitze, Dürre, Anpassung Editorial "Man muss anerkennen, dass wir jetzt schon in einem anderen Klima leben". Ein Gespräch über das aktuelle Klimageschehen, Anpassungsmaßnahmen und den demokratischen Dialog darüber. Schwindender Reichtum. Vom Umgang mit Wasser in Deutschland Zur Entwicklung von Wasserhaushalt und Dürren in Deutschland Dürre Zeiten in Südeuropa. Das Beispiel Frankreich Kommune, pass dich an! Hitze und Trockenheit auf lokaler Ebene begegnen Hitze, Dürre, Krieg. Klimawandel als Sicherheitsrisiko "Wenn du mich siehst, dann weine". Dürren in der Vormoderne – Rekonstruktion, Anpassung, Erinnerung

"Man muss anerkennen, dass wir jetzt schon in einem anderen Klima leben" Ein Gespräch über das aktuelle Klimageschehen, Anpassungsmaßnahmen und den demokratischen Dialog darüber.

Mojib Latif

/ 12 Minuten zu lesen

Im Interview mit dem Klimaforscher Mojib Latif geht es unter anderem um folgende Fragen: Was kommt in den nächsten Jahren auf Deutschland zu? Welche Anpassungsmaßnahmen sind zu priorisieren? Und wie lässt sich der demokratische Dialog darüber besser organisieren?

1972 veröffentlichte der Club of Rome seinen wegweisenden Bericht "The Limits to Growth". Haben wir nach einem halben Jahrhundert die "Grenzen des Wachstums" bereits überschritten?

– Ja, schon lange! Der "Erdüberlastungstag" rückt ja immer weiter nach vorne, dieses Jahr ist er für Deutschland schon am 4. Mai. Das heißt, wenn alle Menschen auf der Welt mit so einem Ressourcenverbrauch leben würden wie wir, würden wir ab diesem Tag sozusagen "auf Pump" leben. Das zeigt, dass unser Lebensstil nicht nachhaltig und schon gar nicht übertragbar ist auf den Rest der Welt.

Sind Sie von den anhaltenden Nachrichten über Hitzerekorde und Dürreperioden auch manchmal überrascht – oder sind das alles Dinge, die Sie so erwartet haben? Ihr Doktorvater Klaus Hasselmann hat schließlich schon in den 1980er Jahren gesagt, dass es notwendig sei, von fossilen Brennstoffen loszukommen.

– Die Entwicklung war vorherzusehen, die Forschung dazu hat ja schon vor über hundert Jahren begonnen. Wie CO2 die Temperatur beeinflusst, hat der Nobelpreisträger Svante Arrhenius 1896 ausgerechnet. Der wusste zwar nicht, wie sich der CO2-Gehalt der Luft verändern würde, hat aber verschiedene Fälle durchgerechnet. Und im Prinzip sind seine Berechnungen von damals immer noch gültig. Sie sind vielleicht ein bisschen zu hoch gewesen, was die Erwärmung angeht. Aber trotzdem: Das ist sensationell, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es damals weder Computer noch Satelliten gab, und er das mit Papier und Bleistift ausgerechnet hat. Insofern ist das alles keine Überraschung, sondern es ist – leider – genauso gekommen, wie es die Wissenschaft vorhergesehen hat.

Auf was muss sich Deutschland in nächster Zeit einstellen?

– Eines vorweg: Trotz all der Fortschritte, die wir in der Klimaforschung gemacht haben, besteht natürlich trotzdem eine gewisse Unsicherheit. Das Klimasystem ist so komplex, dass wir es nicht in allen Details vorhersagen können. Wir wissen zwar ein paar Dinge, aber in dem Maße, wie die Erwärmung immer stärker wird, kommen wir irgendwann vielleicht auch in die nicht-linearen Bereiche, und dann reden wir über Kipppunkte. Doch niemand weiß, bei welcher kritischen Erwärmung wir sie überschreiten. Das ist eigentlich der beste Grund für mich, die Erwärmung so weit es geht zu begrenzen. Ich vergleiche das immer mit einem Autofahrer, der mit Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn im Nebel fährt und nicht weiß, ob da gleich ein Stau-Ende kommt oder nicht. Und in dem Fall muss es heißen: Runter vom Gaspedal. Was das Klima angeht, gilt das für uns jetzt auch: Runter vom Gaspedal! Oft wird Unsicherheit so interpretiert, dass man sagt: "Da müssen wir nichts tun." Aber ich finde, es ist genau umgekehrt: Unsicherheit ist meiner Meinung nach der beste Grund, nicht durch eigenes Erleben herausfinden zu wollen, was am Ende wirklich passiert.

Sind Ereignisse wie die Flut im Ahrtal 2021 oder anhaltende Dürresommer wahrscheinlicher geworden?

– Die sind wahrscheinlicher geworden, obwohl man nicht sagen kann: Die Ahrtalflut ist jetzt eine direkte Folge der globalen Erwärmung. Das ist wie mit einem gezinkten Würfel. Wenn wir ihn auf die Sechs zinken, kommt die Sechs häufiger, aber Sie können nie sagen: Okay, diese eine Sechs, die war es jetzt, die ist auf das Zinken zurückzuführen.

In ihrem Buch "Countdown" von 2022 heben Sie die Bedeutung sogenannter compound events hervor. Können Sie kurz erklären, was das ist?

Compound events heißt übersetzt "zusammengesetzte Ereignisse". Wetterextreme können ja gleichzeitig auftreten oder kurz hintereinander. Wenn ich mir zum Beispiel vorstelle, wir haben eine lange Trockenheit, die Böden sind ausgedörrt, und dann gibt es auf einmal heftige Regenfälle. Starkregenfälle sind dann natürlich viel schlimmer, als wenn die auf einen Boden gefallen wären, der nicht so ausgetrocknet ist. Es können also bestimmte Dinge zusammentreffen, und dann potenzieren sich die Auswirkungen.

Eine wärmere Welt ist ja tendenziell eine feuchtere Welt. Für manche klingt das wie ein Widerspruch: Warum ist Wassermangel in einer feuchteren Welt ein Problem?

– Weil es regionale Unterschiede gibt. Globale Erwärmung heißt ja nicht, dass es sich überall gleich stark erwärmt, sondern es gibt Regionen, die erwärmen sich besonders stark, wie die Arktis oder auch Europa, und es gibt Regionen, gerade auf der Südhalbkugel, die haben sich so gut wie gar nicht erwärmt. Das Gleiche gilt auch für Regenfälle. Tendenziell ist es so, dass dort, wo ohnehin schon viel Regen fällt, noch mehr Regen fällt, und dort, wo eher wenig Regen fällt, noch weniger Regen fällt. Der Klimawandel ist in dieser Hinsicht ungerecht.

Laut Synthesereport vom Weltklimarat IPCC, der im März 2023 vorgestellt wurde, müssten die globalen Treibhausgasemissionen bis 2030 halbiert werden, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. Die EU möchte bis 2050 klimaneutral sein. Beides erscheint derzeit utopisch. Kann es für uns nur noch um Anpassung an den Klimawandel gehen und gar nicht mehr um dessen Bekämpfung?

– Anpassen müssen wir uns so oder so. Die 1,5 Grad sind übrigens nicht das Hauptziel des Pariser Klimaabkommens, das Hauptziel lautet "deutlich unter 2 Grad". Zwar hat man vereinbart, dass man "alle Anstrengungen" unternehmen will, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, aber das ist eine Illusion. Dazu müssten die weltweiten Emissionen drastisch sinken, und noch steigen sie ja. Deswegen finde ich es am Thema vorbei, wenn man immer auf dieser Marke rumreitet, die ohnehin nicht mehr zu halten ist. Gerade hier in Deutschland hat man ab und zu das Gefühl, dass man glaubt, dass es irgendeine Auswirkung auf das Weltklima hat, wenn wir hier auf 1,5-Grad-Kurs sind – das ist halt nicht so. Das heißt nicht, dass wir nichts tun sollen, schließlich ist es wichtig, dass ein Industrieland wie Deutschland zeigt, dass es funktionieren kann. Aber über diese Globalität wird kaum gesprochen. Es nutzt ja nichts, wenn China weiterhin so einen gigantischen Ausstoß hat – derzeit hat das Land einen Anteil von 30 Prozent an den weltweiten Emissionen – und sagt: Wir wollen den Höhepunkt unserer Emissionen erst 2030 erreichen. Die Realität ist, dass alle Menschen im gleichen Boot sitzen. Die Weltgemeinschaft muss gemeinsam handeln. Wichtig ist auch, dass man versteht, warum das so ist: CO2 bleibt für Jahrhunderte und länger in der Atmosphäre, weswegen der Ort des Ausstoßes irrelevant ist. Insofern kann man das Klima nicht national schützen.

Welche Präventionsmaßnahmen sind aus Ihrer Sicht zu priorisieren, um sich gegen Dürren, Starkregenfälle und anderes mehr zu wappnen?

– Man muss zuallererst anerkennen, dass wir jetzt schon in einem anderen Klima leben. Das heißt also, wenn es mal eine extreme Dürre gegeben hat, sollte man nicht glauben, dass es hundert Jahre bis zur nächsten dauert. Das Gleiche gilt für Starkniederschläge. Wir müssen uns zudem vergegenwärtigen, dass sich die Dinge immer weiter beschleunigen werden, je wärmer es wird, und dass es kein Zurück mehr gibt. Wir müssen also zusehen, dass zum Beispiel die Landwirtschaft mit weniger Wasser auszukommen versucht, und in vielen weiteren Bereichen umdenken. Ein großes Thema ist auch Gesundheit: Hitzewellen töten Menschen. Letztes Jahr gab es in Europa mindestens 15.000 Hitzetote, in Deutschland waren es auch ein paar Tausend. Das wird oft vergessen. In Städten ist mehr Begrünung wichtig, weil Verdunstung kühlt. Es gibt aber auch Grenzen der Anpassung – man kann sich nicht an alles anpassen – und auch Grenzen der Finanzierbarkeit.

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat man gesehen, dass manche Dinge, die vorher undenkbar schienen, sehr schnell entschieden und in die Wege geleitet wurden. Kann so etwas ein Vorbild sein für effektiveren Klimaschutz?

– Auf jeden Fall sind wir zu langsam, das ist klar. Wir könnten schnell handeln – das haben wir bei Corona gesehen, wir haben es infolge des Krieges gesehen –, aber für die Umwelt sind nicht mal eben von einem Tag auf den anderen 100 Milliarden Euro da. Das zeigt die unterschiedliche Wertigkeit der Probleme. Die Umwelt hat irgendwie keine Lobby, und sie scheint auch keinen Wert zu haben, deswegen bleibt sie auf der Strecke. Und dann sagen wir: "Okay, das hat noch Zeit, wir können noch warten." Aber der Club of Rome hat damals in "Die Grenzen des Wachstums" schon gesagt: "Wenn die Belastungen und Zwänge offen zutage treten, haben wir zu lange gewartet." Und ich glaube, in der Situation sind wir allmählich angekommen.

Kann man den Extremwetterereignissen insofern etwas Gutes abgewinnen, weil endlich die Alarmglocken schrillen?

– Sie tun es ja eigentlich nicht, trotz all der Extreme, die wir erleben. Der Schrecken geht ja immer wieder vorbei, und dann ist scheinbar alles gut. Diese Kurzfristigkeit ist in den Köpfen vieler Menschen verankert, auch in der Wirtschaft. Ich habe da eine gewisse Sympathie für die Amerikaner, die mit ihrem Inflation Reduction Act 2022 einen ordentlichen Aufschlag gemacht haben. Da sind jetzt mal ein paar Hundert Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz vorhanden. Die Amerikaner sind uns auch voraus, was die "Denke" angeht – die wissen ganz genau, dass Klimaschutz am Ende des Tages auch der Wirtschaft förderlich ist. Ich habe vor ein paar Wochen einen Artikel gelesen, da ging es um Leute in Texas, dem Öl-Land überhaupt, und ein Farmer sagte: "Wir haben Wind gefunden." Denen ist völlig egal, ob das was mit Klima zu tun hat oder nicht, Hauptsache, sie verdienen Geld. Bei uns ist die Industrie zurückhaltender, sieht Klimaschutz als wirtschaftsfeindlich – aber das Gegenteil ist der Fall.

Sie schreiben, vor allem die Finanzindustrie sei entscheidend. Warum?

– Wir reden über gigantische Investitionen, wir müssen innerhalb weniger Jahrzehnte eine weltweite Energiewende hinbekommen. Was nicht passieren darf – aber das passiert gerade –, ist, dass die Investoren nicht wissen, in welche Richtung es eigentlich geht. Und wenn dann, wie im Rahmen der europäischen Taxonomie, auf einmal Atomkraft und Erdgas gefördert werden, dann gehen die benötigten Finanzströme nicht so schnell dorthin, wo sie gebraucht werden. Wir müssen die Rahmenbedingungen so setzen, dass Investoren sehen, dass mit den neuen Technologien viel Geld verdient werden kann.

Ist die kapitalistische Profitorientierung an sich nicht auch ein Problem?

– Nicht die Profitorientierung an sich. Das Problem ist, dass wir Profit auf Kosten der Umwelt generieren. Das heißt, wir müssen ein paar Regeln einziehen. Es kann nicht angehen, dass Unternehmen dort hingehen, wo die Umwelt- und sozialen Standards möglichst niedrig sind. Wären die Standards überall gleich, würde das nicht passieren. Wir dürfen nicht den Fehler machen, dass wir Umweltzerstörung subventionieren – aber das tun wir. Der Kapitalismus ist dabei immer noch das beste System, weil er das einzige System ist, das Innovation hervorbringt und eine unheimliche Dynamik entfachen kann. Wenn man also mit erneuerbaren Energien Geld verdienen kann, dann gibt es kein Halten mehr. Aber es dürfen eben keine Fehlanreize gesetzt werden.

Sie haben vor einigen Jahren gesagt, jeder Einzelne zähle, jeder kleine Schritt helfe. Aber ist das nicht auch Teil des Problems, dass man den Einzelnen bislang, wenn überhaupt, nur kleinste Schritte zumutet? Wie schafft man auch als "Normalverbraucher" größere Schritte?

– Naja, es muss sich lohnen. Die allermeisten Menschen tun nichts nur deshalb, weil sie gute Menschen sind, sondern weil sie davon profitieren. Das fehlt mir auch in der deutschen Politik: Die Menschen wissen gar nicht genau, warum sie Klimaschutz betreiben sollen, weil sie nicht sehen, dass sie etwas davon haben. Es kann doch nicht sein, dass wir immer mehr Erneuerbare im System haben und der Strom immer teurer wird. Das versteht kein Mensch. Das sind genau diese Fehlanreize, von denen ich gesprochen habe. Erneuerbare Energie ist die billigste Art, Strom zu erzeugen, viel billiger als aus Fossilen oder Atomkraft. Da müssen wir ansetzen: Die Leute müssen profitieren, die Leute müssen das Gefühl haben: "Okay, wenn hier Windräder und Solardächer gebaut werden, dann wird meine Stromrechnung auch kleiner."

Gemessen an den alarmierenden Aussagen in Ihrem Buch treten Sie öffentlich ansonsten erstaunlich unalarmistisch auf. Wie kommt diese Diskrepanz zustande?

– Es schlagen schon zwei Herzen in meiner Brust. Einmal das Herz des Wissenschaftlers, und der sieht die Dinge, wie sie sind – und die sehen nicht gut aus. Andererseits weiß ich eben auch, dass wirksamerer Klimaschutz möglich wäre, dass die technologischen Möglichkeiten existieren, dass das Geld existiert – dass es eigentlich nur an politischem Willen fehlt. Und als Mensch hat man immer Hoffnung, daher kommen diese unterschiedlichen Gesichter zustande. Wir sind wirklich in einer Situation, die einen auf der einen Seite verzweifeln lassen könnte, auf der anderen Seite sieht man aber auch, dass es positive Aspekte gibt. Gerade hinsichtlich der erneuerbaren Energien: Vor ein paar Jahrzehnten hätte niemand geglaubt, dass die so einen Siegeszug feiern würden. Das sind die Dinge, die mir Hoffnung machen.

Wie läuft Ihrer Auffassung nach der Dialog zwischen Forschung, Politik und Gesellschaft: Was funktioniert gut, wo wünschen sie sich, dass Dinge besser laufen?

– Was gut funktioniert, ist der Wissenstransfer. Die Ergebnisse liegen ja schon lange auf dem Tisch: Der erste Bericht des Weltklimarats ist 1990 erschienen, und im Prinzip steht da alles drin. Seitdem weiß die Politik auch, was Sache ist. Das Problem ist nur, dass wir nicht vom Wissen zum Handeln kommen. Dieser Weg funktioniert überhaupt nicht. Und es ist eben die Frage: Warum ist das so? Wenn Sie sich Vorträge von Angela Merkel anhören – die hätte ich auch halten können, da gibt es überhaupt keinen Unterschied, auch nicht in der Dringlichkeit. Und trotzdem hat sie nicht entsprechend gehandelt. Das gilt für unheimlich viele Politikerinnen und Politiker. Dann heißt es immer: "Ja, lieber Herr Latif, Sie haben Recht" und "Klar, kann man so machen, aber sie müssen die politischen Mehrheiten dafür finden". Und diese politischen Mehrheiten, die sind nicht da, daran scheitert es immer – zumindest erzählen mir die Leute aus der Politik, dass es daran scheitert. Das erleben wir ja im Kleinen gerade mit der Ampelkoalition, dass in einer Regierung Konflikte offen zutage treten, und dann können sie sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Und der reicht einfach nicht, um wirklich etwas Substanzielles zu bewegen.

Kompromisse zu schließen gehört ja zum Wesen der Demokratie. Ist sie also hinderlich? Wie ließe sich demokratisch dafür sorgen, dass man sich nicht nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt?

– Ich will auch keine Ökodiktatur, um Gottes willen. Sie haben gesagt, Demokratie lebt von Kompromissen, und das ist auch richtig. Nur begreift die Politik nicht, dass das mit Physik nicht geht. Sie können mit Physik nicht verhandeln und auch keine Kompromisse schließen. Wenn Sie also immer mehr Treibhausgase in die Atmosphäre lassen, dann muss es wärmer werden, mit all den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Und das, glaube ich, ist noch nicht so richtig angekommen, weder in den Köpfen der Politik noch in den Köpfen der Wirtschaft. Irgendwie glaubt man immer, dass man das noch so ein bisschen dehnen kann – und das geht eben nicht. In so einer Situation braucht es den Konsens aller demokratischen Parteien: Wir wollen bis 2030 65 Prozent unserer Treibhausgase gegenüber 1990 verringert haben, und 2045 wollen wir klimaneutral sein – also ziehen wir das jetzt durch, egal wer an der Regierung ist und wer in der Opposition ist. Aber das geschieht nicht.

Kann die vermehrte Klimakommunikation auch negative Auswirkungen haben – im Sinne einer Gegenbewegung oder einer Ideologisierung der Debatte?

– Ja, das war immer meine Befürchtung, genau das passiert auch. Menschen differenzieren nicht, und dann wird die ganze Klimaforschung in einen Topf mit der "Letzten Generation" geworfen. Dann wird nur noch über die Form des Protests geredet, aber nicht mehr darüber, wie wir unsere Klimaziele eigentlich erreichen. Da muss ich auch den Medien einen Vorwurf machen. Ich weiß nicht, warum man immer diesen Aufregungsjournalismus braucht, anstatt zu sagen: Wir wollen klimaneutral werden – welche Möglichkeiten haben wir? Warum seid ihr nicht dafür, und warum seid ihr dafür? Und wie könnt ihr zusammenkommen?

Also sehen sie die Proteste der "Letzten Generation" und anderer gar nicht als notwendigen Weckruf?

– Ich glaube, deren Proteste sind kontraproduktiv. Einen Weckruf hat es schon lange nicht gebraucht, den gibt es jedes Jahr auf den Weltklimakonferenzen. Bei der letzten Konferenz hat zum Beispiel der UN-Generalsekretär gesagt: "Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle, mit dem Fuß auf dem Gaspedal." Wer weiß denn nicht, worum es geht? Es braucht keinen Weckruf. Wir wissen es alle. Das Problem ist: Wir können CO2 nicht sehen, obwohl wir einen gigantischen Wert in der Atmosphäre haben. Er ist schon längst durch die Decke geschossen, aber wir merken es nicht, weil sich der Himmel nicht so hässlich bräunlich einfärbt und es auch nicht stinkt. Unsere fünf Sinne sind nicht dazu geeignet, das wahrzunehmen. Die Schwierigkeit liegt in der Abstraktheit des Problems. Aber wie es schon in "Die Grenzen des Wachstums" hieß: Nichts zu tun, erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Kollapses. Wollen wir wirklich so lange warten, bis wir im absoluten Chaos stecken, oder wollen wir gemeinsam den Ball aufnehmen und handeln, zum Besten auch der Ökonomie? Denn wer da zurückbleibt, der wird auch seinen Wohlstand nicht behaupten können.

Letztlich geht es also darum, demokratische Mehrheiten für besseren Klimaschutz durch ökonomische Anreize zu organisieren?

– Genau das ist der Punkt. In erster Linie geht’s um Energie beim Klimaproblem, und ich glaube tatsächlich: Das Land, das billige Energie zur Verfügung stellen kann, wird einen enormen Wettbewerbsvorteil haben. Wir sehen es ja gerade auch in Deutschland: Wo gibt es Flächen? Wo siedeln sich jetzt schon ein paar Firmen an? Nun kann man über Tesla sagen, was man will, aber es hat sich nun mal in Brandenburg angesiedelt. Es ist ein Standortvorteil, wenn man auf billige erneuerbare Energie hoffen kann. Diesen Trend darf man nicht verschlafen.

Das Interview führte Johannes Piepenbrink am 3. Mai 2023 in Hamburg.

ist als Meteorologe und Ozeanograf Seniorprofessor an der Christian-Albrechts-Universität Kiel sowie am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR). Er ist zudem Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome und Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.
E-Mail Link: mlatif@geomar.de