Im demokratischen Rechtsstaat wird die "Herrschaft des Rechts", wie sie etwa in Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes normiert ist, durch eine funktionsfähige, unabhängige und unparteilich arbeitende Justiz gesichert. Die Gerichte müssen für die Bürger:innen effektiv zugänglich sein und ihre Entscheidungen in einem fairen Verfahren, diskriminierungsfrei sowie in angemessener Zeit treffen. Im internationalen, aber auch im europäischen Vergleich kann Deutschland als ein besonders "klagefreudiges" Land gelten. So sind im Jahr 2018 bei allen erstinstanzlich tätigen Gerichten etwa 3,7 Millionen neue Verfahren anhängig gemacht worden. Der sogenannte "Justizgewährleistungsanspruch" stellt damit ein Kernelement rechtsstaatlicher Gewährleistungen dar. Die Bundesrepublik verfügt über ein weit ausgebautes und durch die verschiedenen Fachgerichtsbarkeiten (Zivil-, Straf-, Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit) besonders ausdifferenziertes Justizsystem. Die Zahl der Richter:innen hat sich seit einigen Jahren bundesweit bei etwa 21000 eingependelt. Die Judikative ist damit in Deutschland zumindest personell vergleichsweise stark ausgestattet.
Auch wenn die bundesdeutsche Justiz im europäischen Vergleich (und auch international) hohes Ansehen genießt, erstaunt es, wie wenig empirisch gesichertes Wissen über die Gerichte und ihre Anrufung durch Bürger:innen existiert. Die offiziellen Justizstatistiken weisen vor allem die Verfahrensarten, die betroffenen Rechtsgebiete, die Anzahl der Klagen und die erledigten Fälle an den verschiedenen Gerichtsarten aus. Wenig wissen wir dagegen über den tatsächlichen Zugang zum Recht. Welche (Rechts-)Streitigkeiten werden von wem vor Gericht gebracht – und welche nicht? Hat wirklich jede:r Bürger:in einen effektiven Zugang zum Recht – oder gibt es ökonomische und strukturelle Barrieren bei der Inanspruchnahme der Rechtsinstitutionen? Bei diesen Fragen handelt es nicht nur um ein rechtssoziologisch interessantes Forschungsfeld, dessen empirische Erkundung – quantitativ und qualitativ – weitergehende Einblicke in die tatsächliche Funktionsweise von Recht und Justiz in unserer Gesellschaft verspricht (dem law in action im Gegensatz zum law on the books). Es geht auch um die Verwirklichung einer zentralen grund- und menschenrechtlichen Garantie, die im internationalen, europäischen und nationalen Recht verankert ist.
In unserem Beitrag stellen wir zunächst die (menschen-)rechtlichen Gewährleistungen eines gleichen Zugangs zum Recht dar, worauf ein Überblick der bestehenden internationalen Forschung zum tatsächlichen Rechtszugang folgt. Anschließend betrachten wir einige Konzepte und konzeptuelle Leerstellen, die im Fokus unseres Forschungsinteresses stehen.
Recht auf Zugang zum Recht
Zwar findet sich der Terminus "Zugang zum Recht", im Englischen: "Access to Justice", ausdrücklich nur in einigen jüngeren Menschenrechtskatalogen, wie etwa in Artikel 13 der UN-Behindertenrechtskonvention und in Artikel 47 Satz 3 der Europäischen Grundrechtecharta. Er wird aber als zentrale Gewährleistung des internationalen Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit (Rule of Law) vorausgesetzt. Grund- und Menschenrechte sind nur dann verwirklicht, wenn sie im Falle ihrer Verletzung vor einer unabhängigen Rechtsinstanz effektiv eingeklagt und durchgesetzt werden können. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) enthält in Artikel 13 eine entsprechende Garantie und statuiert in Artikel 6 das Recht auf ein faires Verfahren, aus dem sich grundlegende Verfahrensrechte und -prinzipien ableiten lassen. Auf internationaler Ebene findet sich eine entsprechende Gewährleistung in Artikel 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR).
Im Kern geht es um den Anspruch auf eine verfahrensgerechte, diskriminierungsfreie und materiell richtige Entscheidung. Diese muss nicht notwendigerweise über die Einschaltung von Gerichten oder Justizorganen im engeren Sinn ergehen; auch andere Institutionen wie Beschwerdestellen, Schiedsgerichte oder Einrichtungen der alternativen Streitbeilegung können den Zugang zum Recht in diesem Sinne effektiv gewährleisten.
Eine entsprechende Garantie effektiven Rechtsschutzes enthält auf Ebene des nationalen Verfassungsrechts Art. 19 Abs. 4 GG bei Verletzung von subjektiven Rechten durch die "öffentliche Gewalt". Für die Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip eine entsprechende Garantie als "Justizgewährleistungsanspruch" abgeleitet.
Jedoch setzen die genannten Gewährleistungen zum größten Teil erst dann ein, wenn die Gerichte von Bürger:innen in Anspruch genommen, das heißt Anträge gestellt und damit Verfahren eingeleitet werden. Das Vorfeld einer formellen Befassung von Gerichten – also die tatsächlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Rechtsinstanzen – scheint damit aus dem Blickfeld der Gewährleistung zu fallen. Allerdings nicht vollständig: So hat das Bundesverfassungsgericht das Gebot der "weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes", insbesondere durch Prozesskostenhilfe, entwickelt und dieses auch auf den außergerichtlichen Bereich der Beratungshilfe bei Inanspruchnahme von Anwält:innen erstreckt. Entlang des Gleichheitsartikels konsequent weitergedacht müsste dies bedeuten, dass auch (faktische) Benachteiligungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 GG aufgrund des Geschlechts, rassistischer Zuschreibungen (der "Rasse"), der Herkunft oder des Glaubens sowie ähnlicher diskriminierungsrelevanter Merkmale beim tatsächlichen Zugang zu Rechtsinstanzen zumindest abgefedert werden müssten.
Das wird noch deutlicher beim Blick auf die menschenrechtliche Gewährleistung des gleichen Rechtszugangs. Hier beziehen sich die vertraglichen Umsetzungspflichten ausdrücklich auf die faktische Wirksamkeit, also die reale Zugänglichkeit der Rechtsinstanzen für alle Betroffenen. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, effektive Mechanismen und Verfahren für Beschwerden bei Rechtsverletzungen vorzusehen. Damit wendet sich die Perspektive von einem primär formalen, justizbezogenen Verständnis hin zu den tatsächlichen Rechtsbedarfen (legal needs) und deren wirksamer Adressierung durch juristische Instanzen – die Responsivität des Rechtssystems. Denn Rechte, die auf dem Papier eingeräumt werden, sind nichts wert, wenn sie von den Rechteinhaber:innen nicht in der Realität, gegebenenfalls mithilfe der rechtsstaatlichen Instanzen, durchgesetzt werden können. Allerdings geht etwa die OECD davon aus, dass gerade für arme und marginalisierte gesellschaftliche Gruppen, die in besonderer Weise auf die Durchsetzung ihrer Rechte angewiesen sind, regelmäßig erhebliche Barrieren beim Zugang zum Recht existieren. Diese menschenrechtlich und rechtsstaatlich begründete Perspektive auf Barrieren des Rechtszugangs stellt eine unmittelbare Verbindung zwischen normativem Anspruch und der empirischen Forschung zur Rechtsmobilisierung her.
Forschung zur Mobilisierung von Recht
Während die Forschungen zur Rechtsmobilisierung im deutschsprachigen Raum – im Zusammenhang mit der "Krise" der Rechtssoziologie – spätestens in den 1990er Jahren weitgehend zum Stillstand gekommen sind, wurden im internationalen, vor allem anglo-amerikanischen Kontext der "Law & Society-Forschung" beziehungsweise der "Socio-Legal Studies" relevante empirische Studien durchgeführt und theoretische Einsichten entwickelt. Wenn im Folgenden überblicksartig auf diesen Forschungsstand Bezug genommen wird, so gilt dies natürlich immer mit der Einschränkung, dass sich die Kontextbedingungen der jeweiligen Rechtssysteme und -kulturen (legal cultures) teilweise erheblich unterscheiden und eine Verallgemeinerung oder Übertragung auf das deutsche Rechtssystem nicht immer eins zu eins möglich ist. Bislang gibt es allerdings keine Hinweise darauf, dass Faktoren und Barrieren des Rechtszugangs in Deutschland generell von anderen Ländern abweichen, jedenfalls soweit die spezifischen institutionellen Ausprägungen des hiesigen Rechts- und Justizsystems berücksichtigt werden.
In der internationalen Forschung zur Rechtsmobilisierung lassen sich im Wesentlichen zwei Stränge ausmachen. Der vor allem in der Soziologie und Ethnologie verortete Strang befasst sich mit den Bedingungen der Mobilisierung von individuellen oder kollektiven Rechten durch betroffene Bürger:innen, Unternehmen oder Organisationen in unterschiedlichen sozialen Kontexten, wobei mitunter – im Zusammenhang mit der Ungleichheitsforschung – der Rechtszugang von marginalisierten Personen(-gruppen) einen Fokus bildet. Der zweite Strang, der seit den 1990er Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen hat, ist demgegenüber stärker politikwissenschaftlich motiviert. Hier richtet sich die Perspektive auf das Handeln von kollektiven Akteuren und Bewegungen (social movements), die das Recht zur Durchsetzung von politischen und sozialen Veränderungen nutzen (wollen). Fallstudien betreffen etwa Antirassismus-, Lohngleichheits- oder LGBTQI-Bewegungen oder auch Organisationen, die für die soziale Anerkennung und Rechte von Geflüchteten kämpfen.
Die beiden skizzierten Forschungsstränge stehen nicht isoliert nebeneinander. Sie haben einen gemeinsamen Ursprung in der Mobilisierungsforschung der 1960er und -70er Jahre und zeigen auch heute vielfache Überschneidungen und Verknüpfungen. Eine fehlende Mobilisierung von subjektiven Rechten durch Betroffene hängt mitunter mit strukturellen ökonomischen oder sozialen Problemen in einer Gesellschaft zusammen. Insoweit können individuelle Rechtsmobilisierung und kollektive Interessenvertretung, auch im politischen Bereich, Hand in Hand gehen. Das lässt sich etwa für die Mieter:innenbewegungen in Großstädten wie Berlin zeigen, die sich gegen steigende Mieten und der damit einhergehenden Verknappung bezahlbaren Wohnraums richten. Eine Studie zur Rechtsmobilisierung von Grundsicherungsempfänger:innen nach SGB II ("Hartz IV") ist 2021 der Frage nachgegangen, in welchem Zusammenhang die individuelle Rechtsmobilisierung von Leistungsempfänger:innen zur Organisation von Interessen und dem kollektiven Handeln von Erwerbsloseninitiativen und Gewerkschaften steht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die hohe Mobilisierungs- und Klagerate vor den Sozialgerichten zwar einen relevanten Informations- und Öffentlichkeitseffekt zeigte, jedoch nicht zu einer kollektiv-politischen Mobilisierung der betroffenen Gruppe, sondern eher zu einer "Konservierung" des bestehenden Klassenkonflikts beigetragen hat.
Rechtsmobilisierung im Vorfeld der Justiz
Unter welchen Umständen mobilisieren Bürger:innen ihre Rechte, wann rufen sie Rechtsinstanzen und Gerichte an – und wann nicht? Größere quantitative Erhebungen innerhalb der vergangenen Dekaden, die einigermaßen verallgemeinerungsfähige Aussagen ermöglichen, liegen zu England und Wales (1999), den Niederlanden (2004) sowie Kanada (2009) vor. In repräsentativen Zufallsstichproben wurden Bürger:innen gefragt, inwiefern sie in den vergangenen Jahren mit justiziablen (also grundsätzlich juristisch einklagbaren) Problemen konfrontiert waren und wie sie damit umgegangen sind – ob sie überhaupt tätig geworden sind, ob sie eine informelle Lösung gesucht, Rechtsrat eingeholt oder Gerichte in Anspruch genommen haben. In Bestätigung der bisherigen Forschung hat sich gezeigt, dass nur ein Bruchteil der grundsätzlich einklagbaren Ansprüche bis vor die Gerichte gelangt; die Zahlen schwanken je nach Problem und Rechtsbereich zwischen 3 und 13 Prozent. Das ist weder überraschend noch per se problematisch, denn selbst ein weit ausgebautes und personell gut ausgestattetes Justizsystem wie in Deutschland wäre nicht in der Lage, jedes justiziable Problem zu bearbeiten. Insoweit werden auch in der rechtssoziologischen Forschung weniger klagefreudige und gerichtsorientierte Rechtskulturen mit Blick auf die Rechtsdurchsetzung grundsätzlich nicht schlechter bewertet. Hier setzt auch die seit den 1970er Jahren zunehmende Kritik an der justizbezogenen Rechtsbedarfsforschung an. Nach diesem breiteren Verständnis wird der Zugang zum Recht auch dann effektiv gewährleistet, wenn Probleme außergerichtlich durch individuelle Aushandlungen, Inanspruchnahme von Rechtsberatung, rechtlicher Vertretung durch Anwält:innen oder Organisationen, Schiedsstellen oder ähnliches im Sinne der Rechteinhaber:innen befriedigend gelöst werden können. Insofern fällt einem effektiven Justiz- und Gerichtssystem ein "Schatten" voraus, innerhalb dessen die Akteur:innen – mit Blick auf eine bestimmte Gesetzeslage oder Praxis der Rechtsprechung – Rechtsprobleme ohne einen Gang vor Gericht behandeln und beilegen.
Allerdings kann eine sozial besonders ungleiche Inanspruchnahme des formellen Justizsystems durchaus als Indiz für eine Verletzung des Rechts auf gleichen Rechtszugang angesehen werden. Erwiese sich die Justiz in den bekannten Worten Erhard Blankenburgs hauptsächlich als ein "Dienstleistungsbetrieb für die Geschäftswelt" und bliebe sie für benachteiligte Bevölkerungsgruppen weithin unzugänglich, würde sie ihrer rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Funktion nicht gerecht. So zeigt zum Beispiel die Studie für Kanada, dass gesellschaftlich benachteiligte Personengruppen wie Migrant:innen, indigene Personen, Menschen mit geringer Schulbildung und/oder geringem Einkommen im Unterschied zu privilegierteren Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit keine Mobilisierungsschritte gegen wahrgenommene oder tatsächliche Barrieren beim Zugang zu Unterstützungsangeboten ergreifen. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich auch in der Studie für England und Wales, in der Ende der 1990er Jahre festgestellt wurde, dass Merkmale wie geringes Einkommen und niedrige Schul- und Hochschulbildung die Wahrscheinlichkeit für die Personen, Maßnahmen gegen Probleme zu ergreifen, maßgeblich verringert.
Auch wenn es in den bestehenden Studien zum Zugang zum Recht keine tiefgehenden Analysen in Bezug auf die soziale Kategorie "race" oder "Ethnizität" gibt, weisen beide Studien zudem darauf hin, dass nicht-weiße Personen in den betreffenden Staaten seltener Recht in Anspruch nehmen und es spezifische Barrieren gibt, die dies verhindern, ohne jedoch genauer auf dahinter liegende Mechanismen oder Strukturen einzugehen. Hier erscheint es für die rechtsoziologische Forschung ratsam, auch Perspektiven der Critical Race Theory (CRT) bei der Bewertung von empirischen Erkenntnissen zur Rechtsmobilisierung heranzuziehen. So bezeichnet die CRT das Recht als "weißen" Raum. Diese Perspektive sollte in Studien zur Rechtsmobilisierung ernst genommen und die Inanspruchnahme von Recht durch von Rassismus betroffene Personen in Deutschland empirisch untersucht werden.
Kaskaden der Rechtsmobilisierung
Von einer Mobilisierung des Rechts im weiteren Sinne wird auf der ersten Stufe eines kaskadenförmig zu denkenden Mobilisierungsschemas gesprochen, wenn bei einem grundsätzlich justiziablen Problem überhaupt auf Recht Bezug genommen, es also thematisiert wird. Schon das ist voraussetzungsvoll, und die Forschung zeigt eindrücklich, dass bestehende Rechtspositionen den Betroffenen oft gar nicht bekannt sind – dass sie ihr soziales Problem also gar nicht als Rechtsproblem erkennen. Eine Situation als potenziell rechtlich zu erkennen, setzt Rechtskenntnis und Rechtsbewusstsein voraus.
Es kommt dabei auch maßgeblich auf die Art des Problems an. Sehen sich Personen einem staatlichen Rechtsakt ausgesetzt, etwa einem ablehnenden Asylbescheid, einer Ordnungsmaßnahme oder der Versagung von Sozialleistungen, ist das Problem von vornherein "verrechtlicht". Den betroffenen Personen bleibt hier also in der Regel keine andere Möglichkeit, als einen Rechtsbehelf zu ergreifen, also das Recht reaktiv zu mobilisieren – oder, was in der weit überwiegenden Zahl der Fälle passiert, passiv zu bleiben und den staatlichen Rechtsakt hinzunehmen.
Typische Problemlagen im Bereich des Privat- oder Arbeitsrechts, etwa Beschwerden von Verbraucher:innen über Produkte, Streitigkeiten zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen über die Miethöhe oder Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen in einem Beschäftigungsverhältnis, verbleiben hingegen zunächst häufig in einer nicht-rechtlichen Sphäre und setzen mehrere aktive Stadien der Mobilisierung voraus. Nach einem gängigen Konfliktverarbeitungs- und Transformationsmodell müssen individuelle Rechtsverletzungen zunächst erkannt und benannt werden (naming), bevor eine Zuschreibung von Verantwortlichkeit erfolgen (blaiming) und schließlich ein Anspruch geltend gemacht werden kann (claiming). Die meisten Transformationskonzepte bedienen sich dieses Modells oder schlagen vergleichbare Differenzierungen vor. Und auch hier ist nicht überraschend: Die häufigste Form der Konfliktbewältigung besteht darin, nichts zu tun (lumping).
Weitgehend einig ist sich die Forschung darin, dass die Mobilisierung von Recht instrumentell erfolgt, also von den Betroffenen strategisch eingesetzt wird. Das sollte allerdings nicht dazu verleiten, Rechtsmobilisierung anhand vereinfachender Rational-Choice-Modelle zu konzeptualisieren, da die tatsächlichen Erfolgschancen für Laien schwer einzuschätzen sind und auch von strukturellen Bedingungen abhängen. Selbst bei einem aufgeklärten Rechtsbewusstsein – etwa darüber, dass einer Beschäftigten konkrete Rechte gegenüber einem belästigenden Vorgesetzten zustehen – kann die Betroffene ihre Durchsetzungschancen als gering einschätzen. Das Beispiel macht deutlich, dass die subjektive Sichtweise auch auf der Verinnerlichung (oder völlig bewussten Antizipation) einer real existierenden strukturellen Asymmetrie zwischen Gesellschaftsgruppen (hier: Geschlechterungleichheiten) beruhen kann.
So wurde in der rechtssoziologischen Forschung herausgearbeitet, dass bei fortbestehenden (engen) persönlichen Sozialbeziehungen eine Rechtsmobilisierung (in der Regel bereits die Thematisierung des Rechts) unterbleibt und, wenn überhaupt, erst mit beziehungsweise nach Beendigung der Sozialbeziehung (Kündigung des Arbeitsverhältnisses, Scheidung) erfolgt. Bei einmaligen und anonymen Sozialbeziehungen (wie etwa Schadensersatzforderungen bei Verkehrsunfällen, Verbraucherproblemen oder Sozialleistungsansprüchen) ist die Wahrscheinlichkeit der Rechtsmobilisierung höher, wenn ein fortbestehendes Interesse vorhanden ist und die Erfolgsaussichten als gut eingeschätzt werden. Dies zeigt auch, wie bedeutend für die faktische Zugänglichkeit des Rechts und der Justiz die Responsivität des Rechtssystems auf die spezifischen Problemlagen ist, denen durch das Recht begegnet werden soll. Ein Recht gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, das die Problemlage der betroffenen Beschäftigten – als Rechteinhaber:innen – nicht in den Blick nimmt (Beweisprobleme, drohende Viktimisierung und anderes mehr), wird nicht mobilisiert werden. Das gleiche gilt, wenn Rechtsinstanzen in Fällen von familiärer Gewalt schwer zugänglich oder Verbraucher:innenklagen mit teuren Gerichts- und Anwaltskosten verbunden sind.
One Shotters vs. Repeat Players
In diesem Zusammenhang kann auch das Konzept von Marc Galanter fruchtbar gemacht werden, der 1974 in einer Studie feststellte, dass erfolgreiche Akteur:innen im juristischen Feld vor allem "repeat players", also "Wiederholungsspieler:innen", sind. Diese verfügen über die notwendigen Ressourcen und Kenntnisse der Rechtspraxis, insbesondere der Entscheidungspraxis, und können sich darauf einstellen. Für sie kommt es auf das Ergebnis im Einzelfall nicht an. Dem stehen "one-shotters", also "Einmalstreiter:innen", gegenüber, die über geringe bis keine Erfahrung bei rechtlichen Auseinandersetzungen verfügen und deren eigene Ressourcen zu gering sind, um sich auf ein Verfahren mit für sie relativ ungewissem Ausgang einzulassen. Diese nüchterne Analyse muss aber nicht zwangsläufig zu dem Ergebnis führen, dass typische "one-shotters" wie Verbraucher:innen, Mieter:innen, Sozialleistungsempfänger:innen oder von Diskriminierung betroffene Personen bei der Rechtsmobilisierung den Kürzeren ziehen müssen. Die asymmetrische Ausgangslage kann durch Zugang zu "repeat players" wie Verbraucherstellen, Gewerkschaften, Mieter:innenvereinen oder Antidiskriminierungsstellen ausgeglichen werden, die die betroffenen Personen bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen. So betreten immer mehr Rechtsdienstleistende den Markt, die mit digitalen Formaten (legal tech) arbeiten und sich als "repeat players" auf ähnliche beziehungsweise typisierbare Rechtsprobleme, etwa im Mietrecht, oder auf die Bedarfe von Verbraucher:innen fokussieren. Diese Rechtsdienstleister arbeiten weitgehend gebührenfrei und verdienen am Erfolg, womit sie für viele Betroffene einen niedrigschwelligen Zugang zum Recht bieten. Ob dadurch die Hoffnungen auf einen effektiveren Rechtszugang auch für benachteiligte Personengruppen tatsächlich begründet sind, wie diese Angebote dafür gestaltet sein müssten und wie auch nicht-standardisierbare Rechtsprobleme aufgegriffen werden können, ist ein weiteres Forschungsdesiderat in einem hoch dynamischen Feld.
Fazit
Es lässt sich also festhalten, dass es deutliche Diskrepanzen zwischen dem rechtlichen Anspruch auf Zugang zum Recht und der tatsächlichen Inanspruchnahme von Recht gibt. Internationale Studien haben aufgezeigt, dass Rechtsmobilisierung ein komplexer Prozess ist, der mit verschiedenen Hürden verbunden sein kann, die für gesellschaftlich verschieden positionierte Gruppen und Personen unterschiedlich hoch sind. Für Deutschland wiederum mangelt es an empirischen Studien zum tatsächlichen Rechtszugang, was weitere Forschung dringend erforderlich macht.