Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Gesundheitsrisiken und Prävention in der digitalen Arbeitswelt | Gesundheit und Digitalisierung | bpb.de

Gesundheit und Digitalisierung Editorial Digitale Gesundheit und Ethik - Essay Digital Public Health. Ungenutzte Potenziale trotz Fortschritten in der Pandemie Digitale Gesundheit und Pflege. Blick auf Deutschland und Europa Metrische Gesundheitskultur. Selbstoptimierung im digitalen Zeitalter Gesundheitsrisiken und Prävention in der digitalen Arbeitswelt. Technostress, Ergonomie und Unfallsicherheit Zukunftsteam KI und medizinisches Personal. Zwischen Innovation, Sicherheit und Verantwortung Digitale Gesundheit und Recht

Gesundheitsrisiken und Prävention in der digitalen Arbeitswelt Technostress, Ergonomie und Unfallsicherheit

Nico Dragano

/ 14 Minuten zu lesen

Der Einsatz digitaler Technologien im Arbeitskontext soll Arbeit besser organisieren, sie effizienter und sicherer machen. Gleichzeitig wachsen damit auch die Potenziale für psychische und physische Belastungen, die eine Diskussion über Technikfolgenabschätzung erfordern.

Jede Arbeit mit Werkzeugen, digitalen wie analogen, bringt gesundheitliche Risiken mit sich, die von relativ harmlos bis tödlich reichen. Technologie im Arbeitskontext kann aber auch gesundheitsförderlich sein, etwa wenn sie den Beschäftigten gefährliche Tätigkeiten abnimmt. Für die betriebliche Praxis bedeutet das, dass der Einsatz von Werkzeugen hinsichtlich seines Gefährdungs- und Präventionspotenzials abgeschätzt werden muss. Dies ist keine neue Erkenntnis; solche Abschätzungen erfolgen, wenn auch mit schwankender Ernsthaftigkeit und Wissenschaftlichkeit, spätestens seit der Erfindung der Dampfmaschine. Was aber die Situation heutzutage besonders macht, ist die Allgegenwart und Vielfalt der verwendeten Technologien in der Arbeitswelt, insbesondere der digitalen Technologien. In einer 2022 durchgeführten europaweiten Befragung von Beschäftigten gaben 89 Prozent der 27250 Befragten an, regelmäßig mit digitaler Technik zu arbeiten, etwa mit Computern, Tablets oder Wearables. Aufgrund dieser universellen Verbreitung und der daraus resultierenden hohen Zahl an potenziell Betroffenen ist die Analyse der möglichen gesundheitlichen Folgen digitaler Arbeit eine wichtige Aufgabe, mit der sich zuletzt viele Forscher/-innen und Praktiker/-innen weltweit beschäftigt haben. Im Folgenden soll auf Grundlage der internationalen Literatur ein Überblick über den Wissensstand zu diesem Thema gegeben werden. Dabei geht es nicht um Vollständigkeit; in einem Forschungsfeld, in dem täglich neue Studien veröffentlicht werden, ist diese auch nur schwer erreichbar. Stattdessen skizziere ich einige populäre Konzepte zur Beschreibung der Verbindung von digitaler Technik im Arbeitskontext und der Gesundheit der Beschäftigten und illustriere diese mit Beispielen aus Forschung und Praxis. Der Artikel ist damit als Einstieg in das Thema gedacht und soll Interessierten erste Anhaltspunkte für Überlegungen zu praktischen Maßnahmen der Prävention geben.

"Dunkle" und "helle Seite" digitaler Arbeit

Wer regelmäßig mit digitalen Technologien arbeitet, kann wahrscheinlich mühelos dutzende Situationen aufzählen, in denen Technik die Arbeit entweder erleichtert, erschwert oder sogar unmöglich macht, etwa bei einem Ausfall des Internets. Zum Glück ist nicht jedes technische Problem auch gleich ein gesundheitliches, es kann aber unter bestimmten Voraussetzungen dazu werden. Mittlerweile gibt es eine solide Studienlage, die zeigt, dass es eine Verbindung zwischen verschiedenen Aspekten der Arbeit mit digitaler Technik und der körperlichen sowie der psychischen Gesundheit der Nutzer/-innen gibt. In der internationalen Forschung hat sich für diese Verbindung die Bezeichnung der "dunklen Seite von Technologie im Arbeitskontext" (dark side effects of workplace technologies) etabliert. Die Wortwahl lässt bereits erahnen, dass der Fokus bisheriger wissenschaftlicher Auseinandersetzung vor allem auf den möglichen negativen gesundheitlichen Folgen von Techniknutzung lag. Daher ist es wichtig zu betonen, dass das Phänomen nicht einseitig negativ gesehen werden darf, da immer wieder auch positive Einflüsse auf die Gesundheit der Beschäftigten berichtet werden.

Starten möchte ich dennoch mit einem Überblick über die gesundheitlichen Gefahren, den ich in psychische Belastungen und ergonomische Belastungen einschließlich Unfallgefahren gliedere.

Psychische Belastungen durch Technologie

Es kann derzeit mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Arbeit mit digitaler Technik zu einer kognitiven oder emotionalen Belastung werden kann, die im schlimmsten Fall gesundheitliche Folgen wie affektive Störungen (zum Beispiel Depressionen oder Angststörungen) oder körperliche Erkrankungen nach sich zieht. Das zentrale Scharnier zwischen Technik(nutzung) und der Gesundheit ist die sogenannte psycho-physiologische Stressreaktion. Aus der Stressforschung ist bekannt, dass eine körperliche Stressreaktion, etwa die Ausschüttung von Stresshormonen oder eine Blutdruckerhöhung, in Situationen auftritt, in denen sich eine Person subjektiv herausgefordert oder bedroht fühlt und nicht die Ressourcen hat, dieser Bedrohung zu begegnen. Der Auslöser einer Stressreaktion wird als Stressor bezeichnet. Dies können auch subtile Herausforderungen oder Bedrohungen sein; dazu würde beispielsweise auch eine Software zählen, die ständig abstürzt und die pünktliche Abgabe eines Jahresabschlussberichts unmöglich macht. Technologieinduzierter Stress wird meist mit dem Überbegriff "Technostress" bezeichnet, der auf ein 1984 unter demselben Titel erschienenes Buch des US-amerikanischen Psychologen Craig Brod zurückgeht. Brod beschreibt darin, dass sich viele seiner Patient/-innen durch die sich damals rasant verbreitenden digitalen Technologien psychisch belastet fühlten. Während er sich dem Problem noch in anekdotischer Form näherte, haben spätere experimentelle Studien gezeigt, dass technische Probleme tatsächlich in der Lage sind, körperliche Stressreaktionen zu provozieren, was sich beispielsweise in einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol äußert.

Um die Situationen, in denen Technostress typischerweise auftritt, genauer zu beschreiben, sind von verschiedenen Arbeitsgruppen Typologien entwickelt worden. Die derzeit populärste stammt von Monideepa Tarafdar und Kolleg/-innen und unterscheidet fünf Auslöser von Technostress (technostress creators):

  • Überlastung durch Technologie (techno-overload), etwa infolge häufiger Unterbrechungen, kurzer Reaktionszeiten oder eines hohen Arbeitstempos;

  • kognitive Belastung durch technische Komplexität (techno-complexity), etwa bei der Arbeit mit schwer zu bedienender oder hochkomplexer Software;

  • Arbeitsplatzunsicherheit durch Technik (techno-insecurity), verstanden als die Angst, durch Technologien wie Roboter oder besser qualifizierteres Personal ersetzt zu werden;

  • unruhiges Arbeitsumfeld (techno-uncertainty), insbesondere als Folge konstanter Einführung technischer Neuerungen;

  • zunehmende Durchdringung aller Lebensbereiche mit Arbeit (techno-invasion), da mobile Geräte zeit- und ortsunabhängige Arbeit sehr einfach machen.

Diese Ordnung ist das aktuell am häufigsten verwendete Raster für die Beschreibung und Messung von Technostress sowohl in Studien als auch bei Mitarbeiterbefragungen weltweit. Entsprechend liegt eine große Zahl von Ergebnissen vor, die überwiegend bestätigen, dass die genannten Auslöser in der Arbeitswelt relevant sind und dass sie mit Stressreaktionen und gesundheitlicher Beanspruchung zusammenhängen.

Allerdings ist die Liste nicht vollständig, denn in der neueren Forschung wurden weitere mögliche Auslöser identifiziert und beschrieben. Zu nennen ist hier insbesondere das Thema der chronischen Unzuverlässigkeit von digitaler Technik (techno unreliability). Systemabstürze, Datenverluste, fehlerhafte Anzeigen, instabile Netzwerkverbindungen und ähnliche Fehler kommen bei vielen digitalen Technologien vor und erschweren den Beschäftigten die Arbeit. Dies kann sich zu einer psychischen Belastung entwickeln, insbesondere dann, wenn Fehler häufig auftreten und nicht selber zu lösen sind. In einem Experiment konnte beispielsweise gezeigt werden, dass bei Probanden, die eine Aufgabe an einem manipulierten Computer ausführen mussten, der die Arbeit durch technische Fehler erschwerte, das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet wurde. Dies war bei der Kontrollgruppe, die an einem funktionierenden Gerät arbeitete, nicht der Fall.

Weitere Forschung wurde zu Belastungen im Zusammenhang mit einzelnen Technologien oder speziellen Anwendungsbereichen durchgeführt. Hierfür möchte ich drei aktuelle Beispiele anführen: Das erste betrifft die digitale Überwachung der Arbeitsleistung (electronic performance monitoring), etwa durch elektronische Arbeitszeitdokumentation, Tracking von Mitarbeitenden im Außendienst oder die automatische Überwachung von E-Mails und sonstiger Kommunikation. Im Zusammenhang mit solchen Maßnahmen wurden wiederholt negative Reaktionen der betroffenen Beschäftigten berichtet, darunter auch Stressempfinden und eine verringerte Arbeitszufriedenheit. Allerdings scheint es vom Kontext abzuhängen, ob solche Effekte auftreten. So macht es beispielsweise für die psychische Verarbeitung einen Unterschied, ob über den Sinn und Zweck einer Überwachung transparent aufgeklärt wurde oder nicht.

Das zweite Beispiel sind Videokonferenzen. Diese Anwendung hat in der Covid-19-Pandemie einen regelrechten Boom erlebt und ist seitdem für viele Beschäftigte Teil des Arbeitsalltags. Das hat gute Gründe, denn Videokonferenzen haben unbestreitbare Vorzüge, die sich auch positiv auf die Gesundheit auswirken können, zum Beispiel durch den Wegfall von Reisezeiten oder die Ermöglichung flexibler Arbeitsmodelle. Zugleich werden sie aber mit speziellen Belastungen in Verbindung gebracht. So scheint die Kommunikation per Video kognitiv anstrengend und erschöpfend zu sein. Hierzu tragen verschiedene Faktoren bei. Zunächst ist die Kommunikation "unvollständig", da Informationsquellen wie Augenkontakt oder Körpersprache weitgehend wegfallen. Wenn die Kamera eingeschaltet ist, kommt hinzu, dass man sich selber beim Gespräch beobachten muss, was ebenfalls irritierend sein kann. Auch ist es in Videokonferenzen einfacher als bei Live-Meetings, Ablenkungen zu suchen, etwa indem nebenbei E-Mails beantwortet werden. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass oft mehrere Videokonferenzen ohne Pausen terminiert werden, sodass der Arbeitstag schnell einem dauerhaften Meeting gleicht. Ob das alles tatsächlich ausreicht, um einen negativen gesundheitlichen Effekt zu provozieren, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar, da gesundheitliche Langzeitwirkungen bislang nicht ausreichend untersucht wurden.

Das ließe sich auch über das letzte Beispiel, die Arbeit mit Robotern, sagen, das dennoch interessant ist, weil sich die Robotik momentan sehr dynamisch entwickelt und in Zukunft wahrscheinlich mehr Beschäftigte damit in Berührung kommen werden. Die Arbeit mit Robotern unterscheidet sich von der Arbeit mit vielen anderen digitalen Technologien, da Roboter eine physische Präsenz haben und den Eindruck eigenständig handelnder Akteure vermitteln können. Einzelne Studien legen nahe, dass diese spezielle Interaktion mit der Maschine von manchen Beschäftigten als belastend und angsteinflößend wahrgenommen wird. Beispielsweise könnten Unfälle befürchtet werden, weil das Verhalten von komplexen Robotern als Blackbox erscheint.

Die bisher beschriebenen Belastungen beziehen sich auf Technologien, die gezielt für die berufliche Tätigkeit verwendet werden. Darüber hinaus gibt es auch psychische Gefahren der Nutzung digitaler Technologien, die kontextunabhängig sind beziehungsweise die häufiger bei der privaten Nutzung auftreten, aber eben auch im Arbeitsleben zu Problemen führen können. Ein wichtiges Beispiel ist die Social-Media- oder Internet-Sucht. Globale Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 5 Prozent der Nutzer/-innen von sozialen Netzwerken Symptome einer Suchterkrankung zeigen und abhängig von der konstanten Präsenz in virtuellen sozialen Räumen sind. Darunter sind selbstverständlich auch viele Beschäftigte, die ihre Sucht nicht für die Dauer der Arbeitszeit abstellen können. So gibt es Berichte, dass betroffene Personen am Arbeitsplatz starken Stress verspüren, wenn sie während der Arbeit nicht auf ihre Social-Media-Profile zugreifen können.

Ergonomie und Unfälle

Auch wenn sich die Sprachsteuerung und -ausgabe immer weiter verbreitet, bleibt die zentrale Schnittstelle für die Interaktion mit digitaler Technologie der Bildschirm. Ein Großteil der digitalen Arbeit findet also vor den Screens von Laptops, PCs, Tablets, Smartphones oder Steuerungselementen statt. Bildschirmarbeit bringt einige typische ergonomische Belastungen mit sich. Eine Schwierigkeit ist, dass Bildschirmarbeit meist im Sitzen erledigt wird. Zwar ist es durchaus möglich, mit Hilfsmitteln wie höhenverstellbaren Schreibtischen oder bewussten Positionswechseln auch bei Bildschirmarbeit in Bewegung zu bleiben, es ist aber gelebte Praxis, dass viele Beschäftigte lange Zeiträume vor ihren Monitoren sitzen bleiben. Langes Sitzen erhöht das Risiko des Auftretens einer ganzen Reihe gesundheitlicher Probleme. Dazu gehören zuvorderst muskuloskelettale Beschwerden wie Rücken- oder Nackenschmerzen sowie Kopfschmerzen. Allerdings ist anzumerken, dass negative Folgen arbeitsbedingten Sitzens für das Muskel-Skelett-System vermieden werden können, wenn sich die Betroffenen in anderen Lebensbereichen ausreichend bewegen. Darüber hinaus kann Bildschirmarbeit zu Irritationen der Augen führen, insbesondere dann, wenn längere Zeit und ohne Erholung am Bildschirm gearbeitet wird. Schließlich scheint es auch Verbindungen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu geben, da langes Sitzen die Entstehung verschiedener Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes oder eines gestörten Fettstoffwechsels begünstigt.

Unfallrisiken im Zusammenhang mit digitalen Arbeitsmitteln sind hingegen ein relativ neues Thema der Arbeitssicherheit, und es liegen nur wenige konkrete Informationen etwa zur Art des Unfallgeschehens oder zur Häufigkeit von Zwischenfällen vor. Eine systematische Darstellung ist also derzeit schwierig, trotzdem können grob zwei Unfallszenarien unterschieden werden. Beim ersten ist die Unfallursache eine fehlerhafte digitale Technik beziehungsweise ein nicht ausreichendes Sicherheitssystem bei Bedienfehlern. Beispiele wären Arbeitsunfälle mit Industrierobotern oder Unfälle mit selbstfahrenden Fahrzeugen. Im zweiten Szenario kommt es zum Umfall, weil die Beschäftigten bei ihrer Arbeit durch digitale Medien wie Smartphones oder Navigationssysteme abgelenkt sind. Bei einer Befragung von 1769 Beschäftigten in den USA berichteten 14 Prozent der Interviewten, dass es an ihrem Arbeitsplatz zu Unfällen gekommen war, weil Beschäftigte durch digitale Geräte abgelenkt waren. Diese Unfallberichte bezogen sich häufig auf industrielle Arbeitsplätze, aber auch auf solche im Gesundheitssystem, bei denen sowohl Beschäftigte als auch Patient/-innen zu Schaden kamen. Ablenkung durch digitale Medien spielt auch bei Unfällen mit Fahrzeugen eine Rolle, sodass davon ausgegangen werden kann, dass Beschäftigte, die Fahrzeuge führen, etwa in der Logistik oder im Außendienst, ebenfalls besonders gefährdet sind.

Positive Effekte und gezielte Prävention

Die Gleichzeitigkeit positiver und negativer Erfahrungen ist typisch für die digitale Arbeit; das zeigt sich auch bei der Arbeitsgesundheit. Denn neben den beschriebenen Schwierigkeiten gibt es immer wieder auch Berichte von positiven Wirkungen. Der Grund für die Nutzung digitaler Technologie ist ja, dass sie die Arbeit produktiver machen kann. Gut gestaltete und nicht überfordernde digitale Technologie hat also das Potenzial, Beschäftigten ein effizienteres Arbeiten zu ermöglichen und ihnen zu helfen, sich besser zu organisieren. Auch die Automatisierung von Prozessen kann für Beschäftigte vorteilhaft sein, beispielsweise wenn sie dadurch von Routinearbeiten entlastet werden und mehr Zeit für wertschöpfende und motivierende Arbeiten finden. Verbessert sich die Arbeitsorganisation insgesamt, ist nicht nur die Abwesenheit von Technostress ein Plus. Vielmehr kann die psychische Arbeitslast in der Summe sinken, also auch bei analogen Aufgaben. Im Bereich der körperlichen Belastungen hat digitale Technik ebenfalls ein gesundheitsförderliches Potenzial, indem sie etwa besonders gefährliche Arbeiten übernimmt oder die Sicherheit der Beschäftigten aktiv unterstützt, zum Beispiel bei Robotern, die beim Heben schwerer Lasten helfen, bei drohnengestützten Inspektionen in großer Höhe oder bei Fahrerassistenzsystemen.

Während es darauf ankommt, die Möglichkeiten der digitalen Technik konsequent zu nutzen, müssen negative Folgen aktiv vermieden werden. Um das zu erreichen, ist es zunächst sinnvoll, bereits bei der Einführung neuer Systeme auf die Prinzipien einer gesundheitsförderlichen Gestaltung digitaler Arbeit zu achten. Darüber hinaus ist es gesetzlich vorgeschrieben, bestehende Arbeitsbedingungen regelmäßig auf mögliche Gefahren zu prüfen. In Deutschland gibt es hierfür das im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Instrument der Gefährdungsbeurteilung. Diese Verpflichtung des Arbeitgebers umfasst die Messung möglicher gesundheitlicher Gefährdungen und das Ergreifen von Gegenmaßnahmen, falls die Messung Hinweise auf Probleme ergibt. Die Suche nach Risiken kann sich an den oben beschriebenen typischen Risiken beim digitalen Arbeiten orientieren. Welche Maßnahmen dann ergriffen werden, ist höchst individuell und hängt von der Problembeschreibung im jeweiligen Betrieb ab. Es gibt allerdings einige Anhaltspunkte dafür, welche Formen von Interventionen dann wirksam sein könnten. In der Tabelle sind Beispiele für die Prävention psychischer Belastungen aufgelistet. Sie sind größtenteils direkt im Betrieb gestaltbar und erfordern in der Regel keinen übermäßigen Aufwand.

Fazit und Ausblick

Eine offene Diskussion über die gesundheitlichen Folgen digitaler Innovationen in der Wirtschaft ist notwendig – nicht um Technik zu verteufeln, sondern um sie so einzusetzen, dass ihr gesundheitsförderliches Potenzial auch zur Geltung kommt. Das passiert am besten evidenzbasiert, also auf Grundlage solider Forschungsergebnisse.

In diesem Text wurde der Forschungsstand zusammengefasst, allerdings wäre der Eindruck falsch, dass bereits für alle Aspekte digitaler Arbeit gesichertes Wissen und Handlungsempfehlungen vorliegen würden. Die technische Entwicklung der jüngsten Zeit war so rasant, dass die Forschung in vielen Bereichen nicht Schritt halten konnte. Es ist zwar grundsätzlich klar, dass die Arbeit mit digitaler Technologie bestimmte gesundheitliche Risiken mit sich bringt, ob aber bereits alle möglichen Risiken bekannt sind, darf ebenso bezweifelt werden wie die Annahme, dass die bekannten Probleme in ausreichender Tiefe verstanden werden. In einem lesenswerten Übersichtsartikel von Elisabeth Marsh und Kolleginnen weisen die Forscherinnen auf eine Reihe von Forschungslücken hin. Kritisch sehen sie beispielsweise, dass es nur wenige Studien zu einzelnen Technologien gibt – und wenn es sie gibt, dann zu "alten" Technologien wie der E-Mail. Zu anderen Technologien wie der künstlichen Intelligenz oder dem Einsatz von Social Media im Arbeitskontext gibt es hingegen kaum Untersuchungen. Allgemeine Prinzipien, wie sie beispielsweise unter dem Label Technostress formuliert wurden, dürften zwar technikunabhängig gelten, für eine verlässliche Technikfolgenabschätzung im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes wären aber zusätzliche, technologiespezifische Informationen nötig. Eine weitere Forderung von Marsh et al. ist, dass zusätzlich zur Erforschung einzelner Anwendungen das Zusammenspiel aller Technologien an einem Arbeitsplatz in seiner gesundheitlichen Wirkung in den Blick genommen werden sollte, die sogenannte technische Umwelt. Diese Umwelt ist mehr als die Summe ihrer Teile, und aus ihr könnten sich ganz eigene Risiken, etwa Schnittstellenprobleme oder Medienbrüche, und Chancen, wie zum Beispiel belastungsarme Steuerung verschiedener Aufgabengebiete, ergeben. Solange die Digitalisierung weiter fortschreitet, muss also weiter daran gearbeitet werden, den Arbeits- und Gesundheitsschutz auf der Höhe der technischen Entwicklung zu halten. Denn es sollte unstrittig sein, dass digitale Technik nicht zu einer Gefahr für die Gesundheit der Beschäftigten werden darf.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Im Gegensatz zu analogen Technologien, die Informationen oder Funktionen mechanisch umsetzen, sind digitale Technologien Geräte oder Systeme, die Informationen in Form von binären Codes (0 und 1) speichern, verarbeiten und übertragen. Diese Technologien erlauben eine hohe Effizienz und Genauigkeit bei einer Vielzahl von Anwendungen und können mittlerweile große Mengen an Informationen in sehr kurzer Zeit verarbeiten. In der Arbeitswelt wird eine Vielzahl solcher Technologien eingesetzt, die von der einfachen E-Mail bis zum autonomen Roboter reichen. Eine Ausdifferenzierung gesundheitlicher Effekte nach einzelnen Technologien ist zwar wünschenswert, derzeit aber wegen fehlender Forschung schwierig. Insofern wird der Begriff der digitalen Technologien hier eher summarisch verwendet.

  2. European Agency for Safety and Health at Work, OSH Pulse. Occupational Safety and Health in Post-Pandemic Workplaces, Luxemburg 2022, S. 7.

  3. Elizabeth Marsh/Elvira Perez Vallejos/Alexa Spence, The Digital Workplace and Its Dark Side: An Integrative Review, in: Computers in Human Behavior 3/2022, 107118.

  4. Vgl. Viktoria Maria Baumeister et al., The Relationship of Work-Related ICT Use With Well-being, Incorporating the Role of Resources and Demands: A Meta-Analysis, in: Sage Open 4/2021, S. 1–19; Nico Dragano/Steffi Riedel-Heller/Thorsten Lunau, Haben digitale Technologien bei der Arbeit Einfluss auf die psychische Gesundheit?, in: Der Nervenarzt 11/2021, S. 1111–1120; Giuseppe La Torre et al., Definition, Symptoms and Risk of Techno-Stress: A Systematic Review, in: International Archives of Occupational and Environmental Health 1/2019, S. 13–35.

  5. Vgl. Craig Brod, Technostress. The Human Cost of the Computer Revolution, Reading, MA u.a. 1984.

  6. Vgl. René Riedl, On the Biology of Technostress: Literature Review and Research Agenda, in: Database for Advances in Information Systems 1/2013, S. 18–55.

  7. Vgl. Monideepa Tarafdar et al., The Impact of Technostress on Role Stress and Productivity, in: Journal of Management Information Systems 1/2007, S. 301–328.

  8. Zur Erfassung dieser typischen Formen von Technostress wurden Fragebögen entwickelt, mit denen in Studien oder in Mitarbeiterbefragungen Technostress in den genannten Domänen erfasst werden kann.

  9. Vgl. La Torre et al. (Anm. 4).

  10. Vgl. Thomas Kalischko/Thomas Fischer/René Riedl, Techno-Unreliability: A Pilot Study in the Field, in: Fred D. Davis et al. (Hrsg.), Information Systems and Neuroscience. NeuroIS Retreat 2019, Cham 2020, S. 137–145.

  11. Vgl. René Riedl et al., Technostress from a Neurobiological Perspective. System Breakdown Increases the Stress Hormone Cortisol in Computer Users, in: Business & Information Systems Engineering 2/2012, S. 61–69.

  12. Vgl. Thomas Kalischko/René Riedl, Electronic Performance Monitoring in the Digital Workplace: Conceptualization, Review of Effects and Moderators, and Future Research Opportunities, in: Frontiers in Psychology, 21.5.2021, Externer Link: https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.633031.

  13. Vgl. René Riedl, On the Stress Potential of Videoconferencing: Definition and Root Causes of Zoom Fatigue, in: Electronic Markets 1/2022, S. 153–177.

  14. Vgl. Eva Heinold et al., OSH Related Risks and Opportunities For Industrial Human-Robot Interaction: Results From Literature and Practice, in: Frontiers in Robotics and AI, 30.10.2023, Externer Link: https://doi.org/10.3389/frobt.2023.1277360; Ulrike Körner et al., Perceived Stress in Human-Machine Interaction in Modern Manufacturing Environments-Results of a Qualitative Interview Study, in: Stress and Health Journal of the International Society for the Investigation of Stress 2/2019, S. 187–199.

  15. Vgl. Cecilia Cheng et al., Prevalence of Social Media Addiction Across 32 Nations: Meta-analysis With Subgroup Analysis of Classification Schemes and Cultural Values, in: Addictive Behaviors 6/2021, 106845.

  16. Vgl. ebd.

  17. Vgl. Kees Peereboom/Nicolien de Langen/Sarah Copsey, Prolonged Static Sitting at Work. Health Effects and Good Practice Advice, Luxemburg 2021.

  18. Vgl. Francis Q.S. Dzakpasu et al., Musculoskeletal Pain and Sedentary Behaviour in Occupational and Non-Occupational Settings: A Systematic Review With Meta-Analysis, in: The International Journal of Behavioral Nutrition and Physical Activity 1/2021, Art.-Nr. 159.

  19. Vgl. Richard Patterson et al., Sedentary Behaviour and Risk of All-Cause, Cardiovascular and Cancer Mortality, and Incident Type 2 Diabetes: A Systematic Review and Dose Response Meta-Analysis, in: European Journal of Epidemiology 9/2018, S. 811–829.

  20. Vgl. Screen Education/EMI Research Solutions/Stark Statistical Consulting, Digital Distraction and Workplace Safety Survey, o.D., Externer Link: http://www.screeneducation.org/digital-distraction-and-workplace-safety.html.

  21. Vgl. Jeff K. Caird et al., A Meta-Analysis of the Effects of Texting on Driving, in: Accident Analysis and Prevention 10/2014, S. 311–318.

  22. Vgl. Monideepa Tarafdar/Cary L. Cooper/Jean-François Stich, The Technostress Trifecta – Techno Eustress, Techno Distress and Design: Theoretical Directions and an Agenda For Research, in: Information Systems Journal 1/2019, S. 6–42.

  23. Für eine ausführlichere Darstellung von betrieblicher Prävention vgl. Anita Tisch/Sascha Wischniewski (Hrsg.), Sicherheit und Gesundheit in der digitalisierten Arbeitswelt. Kriterien für eine menschengerechte Gestaltung, Baden-Baden 2022; Tim Rademaker/Ingo Klingenberg/Stefan Süß, Leadership and Technostress: A Systematic Literature Review, in: Management Review Quarterly, 13.12.2023, Externer Link: https://doi.org/10.1007/s11301-023-00385-x; Elisabeth Rohwer et al., Overcoming the "Dark Side" of Technology, in: International Journal of Environmental Research and Public Health 6/2022, Externer Link: https://doi.org/10.3390/ijerph19063625.

  24. Vgl. Marsh/Vallejos/Spence (Anm. 3).

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autor/-in: Nico Dragano für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 und des/der Autors/-in teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

ist Professor für Medizinische Soziologie an der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.