In der Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen geschlechtersensibler Sprache wird oft auf Gegebenheiten in anderen Sprachen verwiesen: Die deutsche Sprache sehe historisch für das Sprechen über Menschen nur zwei Geschlechter vor, und dies im Sinne geschlechtlicher Vielfalt aufzubrechen, sei schwierig bis unmöglich. Im Englischen sei das leichter, da gebe es diese grammatikalische Unterscheidung von Geschlecht nicht – teacher ist teacher, egal ob Mann, Frau oder nonbinär. Die meisten romanischen Sprachen wiederum, die praktisch alle Substantive als männlich oder weiblich markieren, hätten strukturell keine Möglichkeit vielfältiger Geschlechterrepräsentation. Die Frage ist: Ist das wirklich so?
Der "Language Index of Grammatical Gender Dimensions" unterteilt Sprachen nach ihrer strukturellen Verankerung von Geschlecht in fünf Stufen: von Sprachen ganz ohne Geschlechtsmarkierung über Sprachen, die nur Lebewesen ein Genus zuweisen, bis hin zu Sprachen, in denen alle Substantive ein Genus haben, welches bei Lebewesen oft mit dem natürlichen Geschlecht korreliert.
Spanien: Ni unx menos
An der Kathedrale von Córdoba prangte im November 2018 ein Graffito mit der Parole der Protestbewegung gegen Gewalt an Frauen: Ni una menos – nicht eine weniger (Abbildung). Doch offenbar hatte eine zweite Person erst nachträglich das A in una über ein X gepinselt, um das geschlechtsneutrale unx zu ersetzen. Die ursprüngliche Form hatte den Blick darauf gelenkt, dass nicht nur Menschen, die als weiblich gelesen werden, in Gefahr sind, Opfer von Gewalttaten zu werden, sondern auch jene, deren Geschlechtsidentität außerhalb des binären Spektrums männlich/weiblich liegt. Diese kleine Begebenheit veranschaulicht, dass geschlechtersensible Sprache auch im Spanischen ein Thema ist.
Das Spanische kennt verschiedene Möglichkeiten, geschlechtersensibel zu formulieren. Neben dem Ausdruck lenguaje no-sexista (nicht-sexistische Sprache) hat sich inzwischen die Bezeichnung lenguaje inclusivo durchgesetzt: Ziel ist eine Sprache, die niemanden diskriminiert. Das Spanische unterscheidet grammatikalisch zwischen männlich und weiblich; sehr häufig angezeigt durch die Endung -o beziehungsweise -a und den jeweiligen Artikel (el ministro, la ministra – der Minister, die Ministerin). Einige Personenbezeichnungen werden mit der Endung -nte gebildet (el presidente, el cantante – der Präsident, der Sänger), wenige enden auch auf -l (el general – der General), auf -a (el/la terapeuta – der Therapeut, die Therapeutin) und einige auf anderen Konsonanten oder Vokalen (el/la gurú – der männliche/weibliche Guru).
Mit der zunehmenden Berufstätigkeit von Frauen wurde die Suche nach weiblichen Berufsbezeichnungen ab den 1960er Jahren drängender, insbesondere mit der gesellschaftlichen Liberalisierung nach dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975. Erste Lösungen wie la mujer piloto, una mujer ingeniero (die Frau Pilot, eine Frau Ingenieur) stellten Frauen, die diese Berufe ausübten, allerdings als Ausnahmen dar; auch durch ihre Länge wurde diese Form von der Sprachgemeinschaft nicht akzeptiert. Stattdessen kam es zu einer Angleichung des Artikels (la piloto, la ingeniero), später dann auch der Wortendung (la pilota, la ingeniera). Solche Angleichungen sind in den spanischsprachigen Ländern Lateinamerikas tendenziell verbreiteter als in Spanien. Eine weitere Möglichkeit, männliche wie weibliche Personen anzusprechen, bieten Doppelnennungen (ministros y ministras), die auch andere Sprachen mit grammatikalischem Geschlecht kennen. Bei einigen Paarformeln zeigt einzig der Artikel an, dass beide Geschlechter gemeint sind, zum Beispiel los y las responsables (die – männlichen und weiblichen – Verantwortlichen).
Wie das Graffito an der Kathedrale von Córdoba zeigt, versuchen Spanischsprechende allerdings auch, tatsächlich "genderneutrale" Lösungen zu finden. In den 1990er Jahren kam dafür das @-Zeichen auf, das als von einem o umschlossenes a interpretiert wurde, zum Beispiel l@s bomber@s (die Feuerwehrleute). Während diese Form noch binär gedacht ist, sollen zwei neuere Vorschläge explizit auch genderfluide, nonbinäre Menschen bezeichnen. Die Verwendung von -x (wie in unx) legt nahe, dass das einer Person zugeschriebene Geschlecht im konkreten Kontext keine Rolle spielt und "ausgestrichen" werden kann. Jedoch ist unx schwer auszusprechen und insofern eher eine schriftliche Lösung. Mündlich besser realisierbar ist die Endung -e statt -o und -a, zum Beispiel les bomberes, les ministres. Während -x eher eine spanische Lösung ist, kommt -e in einigen lateinamerikanischen Ländern häufiger vor. Unter Studierenden ist es offenbar weit verbreitet, aber auch Politiker*innen verwenden es, etwa der argentinische Präsident Alberto Fernández und Elisa Loncón, bis Anfang 2022 die Präsidentin der chilenischen verfassungsgebenden Versammlung. Loncón kündigte zudem an, in der neu zu beschließenden chilenischen Verfassung auf nicht-diskriminierende Sprache zu achten.
Der Wunsch, geschlechtersensibel und inklusiv zu formulieren, wird vorwiegend von progressiven Kräften vorangetrieben. In Spanien hat sich bislang lediglich die ultrarechte Partei Vox massiv gegen die lenguaje inclusivo ausgesprochen und in einigen autonomen Regionen erreicht,
Brasilien: Ordnung – Fortschritt – Populismus
Bereits 2005 wurde im Senat von Brasilien ein Gesetzesentwurf zum Gebrauch von linguagem inclusiva zur Stellenbezeichnung in der öffentlichen Verwaltung debattiert.
Es folgten polemisch geführte Diskussionen. Auf der einen Seite wurde mit der Grammatik der portugiesischen Sprache argumentiert: Die Endung auf -a sei schlichtweg falsch, Substantive auf -nte seien unveränderlich und geschlechtsneutral.
Rousseff selbst nutzte ihre Amtszeit auch über sprachpolitische Initiativen hinaus, um sich für die Gleichstellung der Geschlechter einzusetzen. Zugleich überdauern die Diskussionen um die Anredeform der Präsidentin ihre Regierungszeit (2011–2016). Ihr Interimsnachfolger Michel Temer (2016–2018) entschied unmittelbar nach Übernahme der Amtsgeschäfte, dass die Brasilianische Kommunikationsgesellschaft fortan ausschließlich mit presidente auf Rousseff zu referieren habe. Jair Bolsonaro schließlich, der seit 2019 Präsident ist, positionierte sich bereits im Wahlkampf und in seiner Zeit als Kongressabgeordneter seit den frühen 1990er Jahren misogyn und LGBTIQ*-feindlich. Immer wieder sind seine Äußerungen Gegenstand von Kritik – verhelfen ihm aber gleichzeitig zu landesweiter Aufmerksamkeit. Sprachpolitische Maßnahmen oder Statements in Richtung eines gendersensiblen Sprachgebrauchs sind in seiner Amtszeit entsprechend nicht zu erwarten – im Gegenteil, er positioniert sich ausdrücklich dagegen.
Dennoch entwickelt sich die Diskussion um gendersensible Sprache in Brasilien weiter. Im Mittelpunkt stehen derzeit nicht mehr Sprachformen, die die Vielfalt der Geschlechter abbilden und diese damit sichtbarer machen, sondern die sprachliche Neutralisierung der Kategorie Geschlecht. Unter linguagem neutra (neutrale Sprache) wird ein Sprachgebrauch gefasst, der jenseits der engen Kategorien "Frau" und "Mann" alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten einbezieht, indem auf eine sprachliche Kenntlichmachung des Geschlechts konsequent verzichtet wird. Dieses Konzept befördern auch Personen, die sich als nonbinär verorten. Die hierfür erforderlichen sprachlichen Mittel sind bereits im 2015 erschienenen Manifest ILE "für eine radikal inklusive Kommunikation" dargestellt.
Frankreich: Grammatik vor Vielfalt
"Unsere Sprache ist der größte französische Schatz, das, was uns alle verbindet und unsere weltweite Stärke ausmacht."
Eine Gemeinsamkeit der deutschen und der französischen Debatte ist, dass versucht wird, das Für und Wider gendersensibler Sprachformen mit der Sprachstruktur zu begründen. Anders als Deutschland verfügt Frankreich mit der Académie française jedoch über eine starke sprachpolitische Institution, die auch die Autorität hat, Entscheidungen zu treffen. Ebenso unterscheidet sich das Verständnis dessen, was mit inklusiver Sprache gemeint ist: Die im Deutschen angestrebte Einbeziehung von Geschlechtsidentitäten, die über das binäre System männlich/weiblich hinausgehen, wird im Französischen häufig noch gar nicht mitgedacht.
Die Diskussion um gendersensible Sprache begann in Frankreich in den 1970er Jahren mit der Feminisierung von Berufsbezeichnungen. Im Französischen können Personenbezeichnungen in aller Regel sowohl im Maskulinum als auch im Femininum gebildet werden. Meist bestimmt die Wortendung das Genus: chanteur, chanteuse (Sänger, Sängerin). Einige Bezeichnungen sind in beiden Genera gleich: artiste (Künstler, Künstlerin) – hier erkennt man das Geschlecht der Person am Artikel, an Pronomina, näher bestimmenden Adjektiven und Partizipialendungen, die immer dem Genus des Substantivs angeglichen werden müssen: un élève doué, une élève douée (ein talentierter Schüler, eine talentierte Schülerin). Der jahrhundertelange Ausschluss von Frauen aus vielen Berufen hatte jedoch zur Folge, dass für diese keine femininen Bezeichnungen existierten, obwohl ihre Bildung technisch möglich wäre – und es auch nach der etwa zur Zeit des Ersten Weltkriegs vollzogenen Öffnung aller Berufe für Frauen zunächst bei maskulinen Bezeichnungen blieb. Die erste Premierministerin Frankreichs, Edith Cresson, bestand 1991 noch auf der Anrede Madame le Premier Ministre anstelle von Madame la Première Ministre. 2014 kam es zum Eklat in der Nationalversammlung, als ein Abgeordneter darauf beharrte, die Senatspräsidentin als Madame le Président anzureden.
Ebenso umstritten ist der Versuch, die Genusangleichung gendersensibel zu gestalten. Dieser sogenannte accord bestimmt das Genus von Adjektiven, Partizipialendungen, Pronomina und Artikeln nach dem Substantiv, auf das sie sich beziehen. Für den Fall, dass sie sich auf sowohl maskuline als auch feminine Substantive beziehen, gilt seit Jahrhunderten die Regel "Das Maskulinum übertrifft das Femininum" – genusmarkierte Elemente stehen dann im Maskulinum Plural, und so spricht man beispielsweise über einen ganzen Mädchenchor im Maskulinum, wenn der Chorleiter männlich ist. Das war nicht immer so: In älteren französischen Texten bekamen die betreffenden Elemente häufig das Genus des Substantivs, das ihnen am nächsten stand, oder des Substantivs, das für die Aussage am wichtigsten war. Claude Favre de Vaugelas, eines der ersten Mitglieder der Académie, führte 1647 die Regel der maskulinen Angleichung ein – mit der Begründung, das maskuline Genus sei "edler" und habe deshalb immer Vorrang, wenn Maskulinum und Femininum zusammentreffen.
Dies blieb in der Öffentlichkeit zunächst weitgehend unkommentiert – bis 2017 in einem Schulbuch die Empfehlungen des entsprechenden Guide pratique (Leitfadens) zur écriture inclusive umgesetzt wurden.
(K)ein Kampf gegen Windmühlen
Die nächste Runde im Streit wurde allerdings nur Monate später eingeläutet, als im Oktober 2021 der Wörterbuchverlag "Le Robert" das genderneutrale Personalpronomen iel, ein Hybrid aus dem maskulinen il und dem femininen elle, als Eintrag in sein Onlinewörterbuch aufnahm. Ein Regionalpolitiker schrieb daraufhin einen empörten Brief an die Académie française, in dem er um Stellungnahme seitens der "Sprachhüter" bat.
Sogenannte Neopronomina wie iel sind Versuche, für Menschen, die sich nicht im binären Geschlechtersystem verorten, grammatische Ausdrucksmöglichkeiten zu finden. Im Englischen ist mit singular they (Verwendung des Pronomens they, das eigentlich die dritte Person Plural bezeichnet, mit Bezug auf Einzelpersonen) ein solches geschlechtsübergreifendes Pronomen mittlerweile gut etabliert, wenn auch nicht unumstritten.
Drei strukturell verwandte Sprachen, drei geografisch, gesellschaftlich und politisch sehr unterschiedliche Sprachräume, drei Diskurse über gendersensible Sprache: Die Beispiele Spanisch, Portugiesisch und Französisch zeigen, dass es nicht so sehr auf die Vorgaben der Sprachstruktur ankommt, wenn es darum geht, Personen (gender-)adäquat anzusprechen. Eine besonders starke strukturelle Fixierung auf zwei Geschlechter bedeutet nicht automatisch, dass die Repräsentation von geschlechtlicher Vielfalt wenig diskutiert wird. Ob es Bestrebungen gibt, eine Sprache für Gendersensibilität zu öffnen, hängt vielmehr mit gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten und Haltungen zusammen. Im Fall von Französisch, Portugiesisch und Spanisch zeigt dies auch ein Ländervergleich: Die Diskussion um gendersensiblen Sprachgebrauch wird in Québec, dem französischsprachigen Teil Kanadas, bereits seit Anfang der 1980er Jahre geführt und ist dem Diskurs in Frankreich in vielen Punkten weit voraus. Im französischsprachigen Teil Belgiens trat am 1. Januar 2022 eine Verordnung in Kraft, die gendersensible Sprache in der Kommunikation staatlicher und öffentlich geförderter Institutionen vorsieht.