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Weder geschlechtergerecht noch gendersensibel | bpb.de

Weder geschlechtergerecht noch gendersensibel

Peter Eisenberg

/ 16 Minuten zu lesen

Sprachliches Gendern vergeht sich an unserem höchsten Kulturgut und führt oftmals zu autoritärem, widerrechtlichem Verhalten. Mit Geschlechtergerechtigkeit oder Gendersensibilität hat all das kaum etwas zu tun.

Im vorliegenden Beitrag werden Einwände gegen sprachliches Gendern im Überblick besprochen. Die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für diese Diskussion sind denkbar einfach: Gendern mit sprachfremden Zeichen wie dem Stern oder mit irregulär verwendeten sprachlichen Zeichen wie dem Doppelpunkt ist für den öffentlichen Dienst nicht zugelassen. Eine repräsentative Erhebung von Infratest dimap vom Mai 2020 ergab, dass 56 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sprachliches Gendern ablehnen. Gezeigt hat sich weiter, dass zunehmendes Gendern die Ablehnung verstärkt: Im Mai 2021 wollten nicht weniger als 65 Prozent der Deutschen die gegenderte Sprache nicht. Warum kommt es trotzdem weiter zu schweren Eingriffen in die Sprache? Eine Antwort wird möglich, wenn man sich vor Augen führt, was gegenwärtig mit dem Deutschen geschieht.

Kritik trifft bereits den Titel der vorliegenden Ausgabe. "Geschlechtergerechte Sprache" ist eine der Selbstbezeichnungen, die den Tatsachen vorgreift. Ohne Zögern wird Leuten wie dem Autor vorgehalten, sie hätten etwas gegen geschlechtergerechte Sprache oder sogar gegen Geschlechtergerechtigkeit selbst. Beides trifft nicht zu. Ganz im Gegenteil bin ich mir sicher, dass Sprachgendern mit Geschlechtergerechtigkeit kaum etwas zu tun hat. Ich spreche deshalb lieber von "gegenderter Sprache".

Der Rat für deutsche Rechtschreibung, die staatlich bevollmächtigte Institution für die Normierung der Orthografie, hat im März 2021 zum zweiten Mal beschlossen, den Stern und vergleichbare Zeichen nicht in die amtliche Regelung aufzunehmen. Eine Missachtung seiner Beschlüsse im öffentlichen Dienst ist als Dienstpflichtverletzung zu werten, denn die gerade dort verbreitete Verwendung des Sterns, insbesondere an Schulen, ignoriert die geltenden Regeln. Jeder Stern ist ein Orthografiefehler. Es geht nicht um Law and Order, sondern darum, die Genderbewegung in die Pflicht zur Rechtfertigung ihres Verhaltens zu nehmen. Warum sollte die Bevölkerung hinnehmen, dass gegen eine Zweidrittelmehrheit und gegen geltende Regeln fortwährend in die Sprache eingegriffen wird?

Zeichen- und Sprachformen des Genderns werden im Folgenden über eine kleine Gruppe von Substantiven vorgeführt, die im Genderdiskurs häufig vorkommen. Das sind die maskulinen Personenbezeichnungen Arzt, Dichter, Lehrer, Migrant, Prüfling, Redner, Journalist, Spion. Wenn erforderlich, wird davon abgewichen.

Flexible Vermeidung maskuliner Personenbezeichnungen

Außer beim Stern ersetzt man beim Gendern Sprachliches durch Sprachliches. Was passiert dabei? Betreffen die Änderungen tatsächlich nur das Geschlecht oder haben sie auch andere Konsequenzen?

Bei einer umfangreichen Gruppe gegenderter Ausdrücke werden recht vielfältige sprachliche Mittel verwendet. Sie sind zusammengestellt in Kompendien mit Tausenden von Einträgen wie dem "Genderwörterbuch geschickt gendern". Ihre radikalste Form meidet Personenbezeichnungen überhaupt und verwendet stattdessen etwa Bezeichnungen für Institutionen. Es heißt dann: "An der Uni Vechta ist eine Professur für Bibelkunde zu besetzen" oder "Bewerbungen sind zu richten an …" Es gibt weder Professoren noch Bewerber. In der Duden-Broschüre zum Gendern heißt es dazu: "Das bietet sich tatsächlich in vielen Fällen an und kann eine sehr elegante Alternative sein." Tatsächlich sind die Möglichkeiten jedoch sehr begrenzt, man findet nicht viel mehr als Leiter Leitung, Lehrer Lehramt, Praktikant Praktikum, Journalisten Presse, RedakteurMitglied der Redaktion sowie eine Reihe von Komposita, wobei solche Ersetzungen häufig textlich schwer integrierbar sind.

Häufiger sind Komposita mit dem Letztbestandteil -kraft wie Aushilfskraft, Schreibkraft, Fachkraft, Pflegekraft, Reinigungskraft, Lehrkraft, Führungskraft. Einige werden seit Langem verwendet, sind "lexikalisiert". Aus Maskulina werden Feminina, so soll es ja sein. Allerdings ist der Typus nicht kontinuierlich wachsend ("produktiv"), vielleicht weil Kraft schon ohne Metaphorisierung in Komposita vielfältig verwendet wird (Spannkraft, Muskelkraft, Manneskraft, Zugkraft, Tatkraft, Windkraft). Die weitere Illustrierung der Verhältnisse orientiert sich an der genannten Wörterliste.

Arzt wird ersetzt durch Person im ärztlichen Dienst oder ärztliches Fachpersonal. Die Wirkung zeigt sich schon an einfachen Sätzen wie "Zur Visite erscheinen mehrere Personen im ärztlichen Dienst" oder "Es erscheint ärztliches Fachpersonal". Ist vorstellbar, dass jemand "meine Person im ärztlichen Dienst" sagt anstelle von "mein Arzt"? Die vorgeschlagenen Ersetzungen sind alltagssprachlich untauglich. Wenn überhaupt, können sie erscheinen, wo es gerade nicht um Ärzte als Personen geht.

Eine der Konsequenzen zeigt sich, wenn etwa Arztausweis durch ärztlicher Ausweis ersetzt wird. Adjektive auf -lich mit Personenbezeichnungen als Wortstamm beziehen sich in aller Regel direkt auf die bezeichnete Person, etwa über deren Tätigkeit. Eine ärztliche Behandlung ist die Behandlung durch einen Arzt, eine ärztliche Stellungnahme entsprechend eine von Ärzten. Dagegen ist ein ärztlicher Ausweis ein Dokument, eine ärztliche Ernennung ein Vorgang, der Ärzte in anderer Weise betrifft als eine ärztliche Tätigkeit. Die Folge ist, dass ärztlicher Ausweis dem Sprachgefühl widerspricht und deshalb nicht gebildet werden sollte.

Besonders häufig sind auch Bildungen mit Person, zum Beispiel eingewanderte Person (Migrant), zu prüfende Person (Prüfling), vortragende Person (Redner), moderierende Person (Trainer) oder Lehrperson (Lehrer). Wie Kraft ist Person in dieser Verwendung ein Femininum und wird insofern seiner Aufgabe, Maskulina zu vermeiden, gerecht. Aber keiner der so gebildeten Ausdrücke hat auch nur annähernd ähnlich vielfältige Verwendungen wie das ersetzte Wort. Vielmehr führen sie zu bürokratischen Texten in einem Stil, dessen sich niemand freiwillig bedient. Und natürlich bleibt das verdrängte Wort subkutan präsent, erinnert immer wieder daran, wie einfach man sich hätte ausdrücken können.

Der Optimismus, den das Kompendium mit seinen Beispiellisten zur Vermeidung von Maskulina verbreitet, bekommt rasch Dämpfer, wenn man die vorgeschlagenen Listen ein wenig genauer ansieht. Wo etwa lässt sich mit dichtende Person oder poetische Person anstelle von Dichter etwas anfangen, wo lässt sich Redner durch vortragende Person oder Spion durch Auskunft schaffende Person ersetzen? Die Möglichkeiten sind eng begrenzt; stilistische, aber auch im engeren Sinn semantische Unterschiede zu etablierten Wörtern sind erheblich. Ankündigungen wie "Freude am Gendern", "Gendern leicht gemacht" oder "geschickt gendern" halten nicht, was sie versprechen. So vielfältig die Ausdruckskraft des Deutschen ist, so wenig lässt sie sich nach einer inhaltlichen Vorgabe wie der Vermeidung von Maskulina gängeln. Was Gendern dieser Art bewirkt, ist weniger eine Versündigung an der Grammatik oder am Wortschatz der Sprache als an der Freiheit und Vielfalt ihres Gebrauchs.

Paarformeln

Paarformeln oder Binomialbildungen sind Ausdrücke, in denen zwei ähnliche Bestandteile (Konjunkte) mit einer nebenordnenden Konjunktion verbunden sind wie in Paul und Paula oder Wind und Wetter. Diese Konstruktion, die am häufigsten mit und gebildet wird, gilt vielfach als geeignet, maskuline und feminine Personenbezeichnungen zu verbinden und so Personen beiderlei Geschlechts gleichberechtigt sichtbar zu machen (Arzt und Ärztin, Dichterin und Dichter). Die Nennung beider Geschlechter verhilft Paarformeln zur Bewertung als Mittel eines sanften Genderns, dessen man sich als Kompromiss bedienen könne. Als Nachteil gilt der sprachliche Aufwand, dessen Wiederholung Texte lang, eintönig und sexusfixiert macht. Zur Reihenfolge der Konjunkte macht man sich über das Geschlecht hinaus wenig Gedanken, und wenn, dann kann es zu Feststellungen von oben herab kommen wie "Zunächst setzten sich ganz simple Formeln wie die Paarform ‚die Pilotin und der Pilot‘ durch (der gute alte Knigge-Paternalismus gebietet es, Frauen zuerst zu nennen)". Ein schwerer Irrtum.

Paarformeln werden als "asymmetrische Koordination" bezeichnet, weil ihre Grammatik gerade vom Unterschied zwischen den Bestandteilen geprägt ist. Man versuche einmal, die Reihenfolge der Bestandteile in Kind und Kegel, Mann und Maus, Frau und Kind, Brot und Spiele zu vertauschen. Es ergeben sich Ausdrücke mit ganz anderer Bedeutung und holpernder Prosodie (Sprachrhythmus). Die besondere Bedeutung der Formeln ist an die Reihenfolge gebunden: 1) Was belebt ist und dem Menschen näher steht, wird zuerst genannt. 2) Was länger und formal komplexer ist, kommt an die zweite Stelle. 3) Was über die Wortbetonungen zu einem natürlicheren Rhythmus führt, wird gerade so platziert. Über solche Kriterien wird die Reihenfolge "ausgehandelt". Einige Beispiele: Bei Kind und Kegel bezeichnet das erste Konjunkt einen Menschen, das zweite ist länger. Bei Frau und Kind sind beide ungefähr gleich lang, aber der erste bezeichnet eine erwachsene Person. Bei Brot und Spiele liegt der erste Bestandteil dem Menschen letztlich näher und der zweite ist länger. In größeren Mengen von Formeln wird die Verteilung der Eigenschaften auf die Reihenfolge richtig interessant.

Für die hier betrachteten Wörter ist die feminine Form jeweils die längere, bei Prüfling existiert sie gar nicht. Der Sprachrhythmus ist kompliziert, weil meistens Pluralformen verwendet werden. Inwiefern etwa Spione und Spioninnen prosodisch "besser" ist als Spioninnen und Spione, wäre nur mit einigem Aufwand zu klären. Am interessantesten ist das Kriterium "menschlich und belebt". Bei Dichter und Dichterin, Migrant und Migrantin ist der erste Bestandteil der semantisch merkmalsärmere und deshalb im Umfang größere, weil er – anders als der zweite – ohne Bezug auf ein natürliches Geschlecht verwendet werden kann. Reihenfolgen wie in Dichterinnen und Dichter, Migrantinnen und Migranten platzieren die sexusgebundene Form zuerst und verhindern damit, dass die zweite Form sexusunabhängig verstanden wird. Ganz allgemein gilt ja, dass die sogenannte aktuelle Bedeutung eines Wortes auch davon abhängt, in welchem Kontext es steht. Bei der üblichen Verwendung von Paarformeln dominiert also keineswegs paternalistische Großzügigkeit, sondern es geht auch hier ganz entschieden um den Kampf gegen maskuline Personenbezeichnungen.

Substantivierte Partizipien

Ganz anders liegen die Verhältnisse, wenn bestimmte Worttypen durch andere ersetzt werden, wie etwa bei BläserBlasender, HackerHackender, EinwohnerEinwohnender oder die alten Knackerdie alten Knackenden. Einige partizipiale Substantive sind seit Langem gebräuchlich. Dazu gehören Vorsitzender, Reisender, Mitwirkender, Liebender, Lebender, Sterbender, Leidender, Klagender und Fragender, außerdem Komposita wie Notleidender, Kulturschaffender, Handelsreisender. Insgesamt ergibt die Durchsicht mittelgroßer rückläufiger Wörterbücher drei bis vier Dutzend solcher Wörter. Substantivierte Partizipien hatten wohl einmal eine höhere Präsenz als heute. Produktiv war der Typ in der Kerngrammatik aber zumindest seit dem Frühneuhochdeutschen nicht, im Gegenwartsdeutschen ist er es auf keinen Fall.

Trotzdem wird versucht, diese Form insbesondere gegen Nomina Agentis (von Verben abgeleitete Maskulina) sowie umfangreiche andere Typen von maskulinen Personenbezeichnungen auszuspielen. Der Prototyp des Nomen Agentis in der Kerngrammatik ist die deverbale er-Bildung (Richter, Lehrer, Trinker, Leser). Man schreibt ihr für die vergangenen 250 Jahre zunehmende Produktivität zu und schätzt den Bestand auf mindestens 10000 Wörter. In der Grundbedeutung fungieren sie als Berufsbezeichnungen. Der Verbstamm liefert die Tätigkeit, das Suffix -er liefert den Bedeutungsanteil "Person".

Das partizipiale Adjektiv hat wie sein Substantiv eine davon deutlich unterschiedene Bedeutung. Genau darum wird der Streit geführt. Aber ein Lesender ist und bleibt etwas anderes als ein Leser. Die Bedeutung des substantivierten Partizips ist enger als die des Nomen Agentis. Es geht nicht um eine Tätigkeit als solche, sondern um eine aspektuelle Überformung derselben. Die Tätigkeit befindet sich im Verlauf. Sie ist unabgeschlossen und in der Regel an kontextuell gegebene Gleichzeitigkeit gebunden. Die wiederholte Behauptung, ein Mitarbeitender sei nicht immer am Mitarbeiten, so wie der aufgehende Mond nicht immer am Aufgehen sei, verfängt nicht. Der Mond wird so genannt, wenn er am Aufgehen ist, und der Mitarbeiter, wenn er an etwas mitarbeitet. Das Präpositionalobjekt mit der ans Verb gebundenen Präposition an gehört zur grammatischen Grundausstattung des Wortes. Dass man Mitarbeiter anders und davon abweichend verwenden kann, ohne dass der Blitz einschlägt, trifft zu, ändert aber an der Bedeutung des Wortes nichts.

Das Nomen Agentis sperrt sich noch aus einem anderen, rein grammatischen Grund gegen das Gendern. Ein Wort wie Lesender hat im Singular maskuline (ein Lesender) wie feminine (eine Lesende) Formen. Der Unterschied verschwindet im Plural, der ja genuslos ist (die Lesenden). Genuslosigkeit erlaubt eine Verwendung des Wortes als Nicht-Maskulinum. Deshalb stehen gegenderte substantivierte Partizipien fast ausschließlich im Plural, ganz so, als hätten all diese Wörter nur Pluralformen. Damit ist selbstverständlich eine gewaltige Einschränkung im Gebrauch verbunden, die beim Gendern in Kauf genommen werden muss.

Anders als die Partizipien haben Nomina Agentis auf -er einen sogenannten Null-Plural, das heißt, die Grundform der Leser ist identisch mit der Grundform im Plural die Leser. Auch er ist genuslos, aber weil die Form identisch ist mit der maskulinen im Singular, wird sie gemieden. Hier zeigt sich wunderbar, wie sehr man um die Ecke denkt, um bloß nicht das Maskulinum zu nutzen. Die künstliche Vermehrung partizipialer Substantive gegenüber Nomina Agentis läuft darauf hinaus, einen produktiven Wortbildungsprozess zwanghaft durch einen unproduktiven zu ersetzen, der formal und semantisch in keiner Weise mit dem zu verdrängenden Typus übereinstimmt. Es gewinnt eine ideologisch fundierte Ableitung, die sprachwidrig ist und insofern an einem Sprachzerstörungsprozess teilhat.

Der Stern und seine Verwandten

Der Genderstern steht in einer Reihe mit mehreren Symbolen, die wie er selbst sprachfremd sind (Ärzt*in, Ärzt_in, Ärztïn) oder die abweichend von ihrer sprachlichen Verwendung stehen (ÄrztIn, Ärzt:in, Ärzt!in, Ärzt/in, Ärztex, Ärztys). Allen Formen gemeinsam ist, dass sie Mehrheiten von Personen mit ihren sexuellen Orientierungen sichtbar machen sollen: Unterschiedliche Formen stehen für dasselbe oder fast dasselbe. Ob Stern oder Unterstrich ist im Prinzip egal. Man könnte noch ganz andere Symbole wie ein Dreieck, einen Kreis oder ein Ω verwenden. Was kaum einmal bemerkt wird: Auch umgekehrt ist die unterstellte Bedeutung beliebig und deshalb austauschbar. Man spricht von Personen beliebiger sexueller Orientierung, kann aber ebenso gut von Personen beliebiger Hautfarbe, beliebiger Religionszugehörigkeit oder beliebigem Intelligenzquotienten sprechen. Setzt sich der Genderstern durch, dann ist eine außersprachliche Bedeutung etabliert, der beliebig andere außersprachliche Bedeutungen folgen können. Der Vorgang öffnet einer Manipulation durch Sprache Tür und Tor. Niemand weiß ja, welche Wege der identitätspolitische Zeitgeist noch gehen wird.

Es wurde versucht, dem Stern und seinesgleichen den Status sprachlicher Sonderzeichen zuzusprechen. Der Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache Henning Lobin etwa sagt, der Stern könne als typografisches Zeichen wie das Prozent- oder das Paragrafenzeichen angesehen werden. Da irrt er. Die etablierten Zeichen haben sprachliche Bedeutungen und nicht ideologische Bekenntnisse zur Grundlage, wie sie Die Grünen schon 2015 unmissverständlich formulierten: Der Stern werde verwendet, "um sicherzustellen, dass dadurch alle Menschen genannt" werden. "Transsexuelle, transgender und intersexuelle Personen werden so nicht mehr unsichtbar gemacht und diskriminiert." Es bleibt ein Geheimnis der Autoren solcher Texte, wie es dazu kommen soll, dass mit dem Stern alle die erwähnten und viele weitere Personengruppen genannt sind. Denn der Stern hat keine sprachliche Bedeutung, ist nichts als der sprachliche Geßlerhut, den man zu tragen veranlasst werden soll. Hier wird kein Sprachkampf ausgetragen, sondern ein Streit um ideologische Bedeutungszuschreibungen.

Dass der Stern in jeder Beziehung sprachfremd ist, zeigt sich schon an den einfachsten Fakten seines Gebrauchs: Häufigste Verwendung ist die in Formen wie Lehrer*innen. Er steht hier nach dem maskulinen Wortbaustein (Morphem) er, der ein Nomen Agentis produziert. Für die Grammatik des Wortes nach außen ist er bedeutungslos, weil diese vom Folgemorphem in bestimmt wird. Die Gesamtform ist feminin, was im Singular Lehrer*in deutlich wird. Was bedeutet diese Form? Bedeutet sie "weibliche Lehrerin beliebiger sexueller Orientierung"? Und wie lautet das maskuline Gegenstück? Vielleicht Lehrer*? Oder gibt es das gar nicht? Und warum vermeidet man um jeden Preis die Form Lehr*er? Die würde doch dasselbe bedeuten wie Lehrer*innen, wäre aber maskulin.

Das sind nur allererste unbeantwortete Fragen zur Verwendung des Sterns. Sie setzen sich fort bei Versuchen, seine Aussprache zu beschreiben. Der verwendete Laut ist der Glottisschlag, auch Knacklaut genannt. Er steht vor Wortstämmen, die ohne ihn vokalisch anlauten würden (be-atmen), und er steht wortintern bei Fremdwörtern, wo sie einen sogenannten Hiat (Abgrund) haben wie in na-iv oder line-ar. Kennzeichen des Hiat, der schon in antiken Aussprachelehren als artikulatorisch unschön und unbequem galt, ist das unmittelbare Aufeinandertreffen von zwei Vollvokalen an einer Silbengrenze. In Formen wie Lehrer-innen steht er nicht an einer Silben- sondern an einer Morphemgrenze und hat in aller Regel zur Folge, dass der Hauptakzent des Wortes, der normalerweise auf dem Stamm liegt (Léhrerinnen), auf das feminine Suffix verschoben wird (Lehrerínnen). Ob das gewollt ist, bleibt hier offen. Klar ist aber die Systemwidrigkeit der Aussprache mit Glottisschlag, und zwar in einem ziemlich fundamentalen Sinn. Das zeigt sich wieder an den dazu vertretenen Auffassungen, wenn es ums Gendern geht.

Lobin meint, die Aussprache mit Glottisschlag "wäre kein sprachlicher Systembruch", ignoriert dabei aber den Hiat. Und der Linguist Anatol Stefanowitsch meint, mit der Position vor Morphem "betreten die Verwender/innen dieser Form phonologisches Neuland", wobei ausdrücklich hinzugefügt wird, der Knacklaut sei innovativ, aber kein Element des Lautsystems, also kein Phonem. Der Syntaktiker Hubert Haider schließlich, der eine gegenderte Sprache sonst ablehnt, hält ihn gerade für ein neues Phonem. So kocht jeder wie er will, aber alle kochen ohne Kochbuch.

Über generische Bedeutungen

Nun zum eigentlichen Knackpunkt der ganzen Debatte. Schon früh hat die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch ihre Kampfansage gegen das generische Maskulinum formuliert: Es sei der "wahre Feind" einer feministischen Linguistik. Später hat sie mehrfach nachgelegt, das Deutsche als krank, reparaturbedürftig und die Grammatik schließlich als unverträglich mit dem Grundgesetz bezeichnet. Die angestrebte Umgestaltung des Deutschen hängt tatsächlich im Wesentlichen an der Beseitigung des generischen Maskulinums. Als identitätsstiftend und Movens der Genderbewegung wird dieses Ziel mit allen Mitteln verteidigt. Aber wahr werden die aufgestellten Behauptungen dadurch nicht. Sie sind und bleiben unhaltbar.

Was also ist eine generische Bedeutung? Zumindest für die Konkreta unter den Substantiven nehmen fast alle Grammatiken an, dass Substantive Mengen von Objekten bezeichnen. Das Wort Baum bezeichnet die Menge der Bäume, auch wenn ein Sprecher sie gar nicht kennen kann. Die Menge wird zusammengehalten durch gemeinsame Bedeutungsmerkmale ihrer Elemente, die man als den zugrunde liegenden Begriff (Intension) des Wortes bezeichnet. Die Menge selbst nennt man seinen Begriffsumfang (Extension). Diese Redeweise birgt eine Reihe von Problemen, aber sie ist plausibel und praktisch. Das Wort Linde kann sich beispielsweise in "die Linde am Brunnen vor dem Tore" durchaus auf ein einzelnes und ganz bestimmtes Objekt aus der Menge der Linden beziehen. Im Satz "Die Linde liefert einen schmackhaften Honig" ist das nicht der Fall. Bei normalem Verständnis wird eine Aussage über Linden allgemein gemacht, die Bedeutung betrifft die Gattung der Linden. Jedes Substantiv, das eine Menge bezeichnet, kann so verwendet werden. Man spricht dann meist von einer spezifischen Bedeutung einerseits und einer allgemeinen oder generischen andererseits. Das sind nicht zwei verschiedene Bedeutungen des einen Wortes, sondern das eine Wort wird in unterschiedlichen grammatischen Umgebungen verwendet und bedeutet in Abhängigkeit vom Kontext Unterschiedliches. Wie dieser Zusammenhang aussieht, ist weitgehend geklärt.

Personenbezeichnungen verhalten sich nicht anders. So kann das Wort Lehrerin generisch verwendet werden ("Lehrerinnen sind tüchtig"), aber genauso gut spezifisch ("Diese Lehrerin hat Erfolg"). Bei generischer Bedeutung bleiben viele semantische Merkmale unberücksichtigt, die bei spezifischer Bedeutung eine Rolle spielen können. Das Merkmal "weiblich" spielt bei Lehrerin immer und unabhängig von der jeweiligen Verwendung eine Rolle. Entsprechend beim Wort Lehrer. Auch hier kann die spezifische Bedeutung ein Sexusmerkmal haben, das wäre dann "männlich". Die generische Bedeutung hat dieses Merkmal nicht. Sie ist sexusunabhängig, und die Standardformulierung des Genderismus, Männer seien vom generischen Maskulinum gemeint, Frauen seien lediglich mitgemeint, erweist sich als reine Polemik. Das generische Maskulinum bietet die einfachste, eleganteste und flexibelste Möglichkeit des Deutschen, Sexusdiskriminierung zu vermeiden.

Eben dies wird von seinen "Feinden" bestritten mit der These, Lehrer habe in derselben Weise einen Bezug auf "männlich" wie Lehrerin einen auf "weiblich" hat. Zur Stützung dieser Behauptung wird in der umfangreichen Forschung immer wieder gezeigt, wie man das Wort Lehrer verwenden kann, damit das Merkmal "männlich" in Erscheinung tritt. Niemand bestreitet diese Möglichkeit. Bestritten wird allerdings die Behauptung, das Maskulinum sei nur so verwendbar. Jede Behauptung dieser Art ist unzutreffend, auch wenn der Online-Duden neuerdings die erste Bedeutung von Lehrer als "männliche Person, die an einer Schule unterrichtet" bucht. Das ist weniger ein Irrtum als der Versuch, etwas gegen das generische Maskulinum zu unternehmen, denn ebenso wird mit etwa 11000 anderen Maskulina verfahren. Der Duden informiert seine Leser somit wissentlich falsch.

Von der Sprachwissenschaftlerin Damaris Nübling, einer Befürworterin sprachlichen Genderns, wird formuliert: "Die öffentliche Debatte um sprachliche Geschlechtergerechtigkeit bildet nur einen winzigen Ausschnitt dessen ab, was die linguistische Geschlechterforschung eigentlich interessiert und beschäftigt." Das mag zutreffen, erforderte aber umso mehr eine sorgfältige Prüfung, was von der Geschlechterforschung, also vom Gebrauch der Wörter in Laborsituationen, für den öffentlichen Genderdiskurs relevant ist und was nicht. Diese Prüfung unterbleibt regelmäßig und wird gelegentlich sogar ersetzt durch Einlassungen wie: "Dabei muss man klarstellen: Sprache gehört allen Sprecher*innen und Schreiber*innen, und alle, die sich aktiv am Sprachgeschehen beteiligen, verändern die Sprache mit." So etwas zu lesen, ist schmerzlich. Der öffentliche Straßenraum gehört allen, deshalb haben einige das Recht auf besondere Verkehrsregeln? Und was wird aus der Luft zum Atmen, dem Trinkwasser, der Gleichheit vor dem Gesetz oder dem freien Wort? Sprachliches Gendern vergeht sich an unserem höchsten Kulturgut, führt in den meisten Kontexten zu autoritärem, widerrechtlichem Verhalten und ist undemokratisch. Mit Geschlechtergerechtigkeit oder Gendersensibilität hat all das kaum etwas zu tun.

ist emeritierter Professor für deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam.