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Zumutung, Herausforderung, Notwendigkeit? | bpb.de

Zumutung, Herausforderung, Notwendigkeit? Zum Stand der Forschung zu geschlechtergerechter Sprache

Carolin Müller-Spitzer

/ 18 Minuten zu lesen

Die Diskussion um geschlechtergerechte Sprache erschöpft sich allzu oft in Pro- und Contra-Positionen. Dabei gibt es eine Bandbreite von linguistischen Aspekten und empirischen Studien zum Thema zu betrachten.

Um geschlechtergerechte Sprache hat sich eine hitzige Debatte entwickelt. Allerdings erschöpft sich die Diskussion oft in Pro- und Contra-Positionen. Dabei gibt es eine ganze Bandbreite von linguistischen Aspekten und empirischen Studien rund um das Thema zu betrachten. Im Folgenden sollen einige von ihnen angesprochen werden.

Genus und Sexus

Das Deutsche hat bekanntlich drei grammatische Genera: Maskulinum, Femininum und Neutrum. Das Genussystem im Deutschen wird daher auch den geschlechtsspezifischen Genussystemen zugeordnet. Andere Sprachen, zum Beispiel Französisch oder Spanisch, unterscheiden zwei Genera. Genauso gibt es Sprachen wie das Finnische oder Türkische, die gar kein Genussystem aufweisen. Das Genussystem im Deutschen folgt bestimmten Regularitäten, die – vereinfacht gesagt – teilweise aus der Morphologie (Wortgestalt) und teilweise aus der Semantik (Wortbedeutung) abzuleiten sind.

Beispielsweise sind alle Verniedlichungen (sogenannte Diminutiva) Neutrum, etwa der Mann – das Männchen, die Frau – das Frauchen. Dies ist ein Beispiel für eine morphologische Regel. Im Bereich der natürlichen Personen ist es meist so, dass biologisch männliche Personen auch mit einem maskulinen Nomen bezeichnet werden; umgekehrt ist eine Personenbezeichnung für eine weibliche Person in der Regel ein Femininum (der Mann, der Vater, der Arzt die Frau, die Mutter, die Ärztin). Dies sind Regeln, die mit der Bedeutung der Wörter zusammenhängen. Dass diese Genus-Sexus-Kongruenz – also die Verwendung des grammatischen Geschlechts zur Kennzeichnung der Geschlechtsidentität der bezeichneten Person – in vielen geschlechtsspezifischen Sprachen vorzufinden ist, liegt laut dem Sprachwissenschaftler Greville Corbett daran, dass Menschen sich nun einmal für das Geschlecht ihrer Mitmenschen interessieren und daher die Zuweisung des grammatischen Geschlechts bei belebten Entitäten oft von der Wortbedeutung gesteuert wird. Auch wenn Genus und Sexus daher kategorial deutlich auseinandergehalten werden müssen, stehen sie bei Personenbezeichnungen in einem Zusammenhang, da das grammatische Geschlecht oft die Geschlechtsidentität der bezeichneten Person widerspiegelt.

Das "generische Maskulinum" historisch gesehen

Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung um geschlechtergerechte Sprache ist das sogenannte generische Maskulinum. Es bezeichnet den Sprachgebrauch, dass grammatisch männliche Bezeichnungen für alle Personen "gelten", das heißt, dass zum Beispiel Schüler eine neutrale Bezeichnung für Schüler*innen jeglichen Geschlechts sei. Dabei ist es nicht so, dass dieses generische oder geschlechtsübergreifende Maskulinum schon immer die Standardverwendung war. So fasst zum Beispiel der Schriftsteller und Sprachforscher Johann Christoph Gottsched 1748 in seiner "Grundlegung einer deutschen Sprachkunst" zusammen: "Wörter, die männliche Namen, Ämter, Würden oder Verrichtungen bedeuten, sind auch männliches Geschlechts. Z.E. [Zum Exempel, Anm. d. Aut.] der Mann, der Herr, der Graf, der Fürst, der König, der Kaiser". Zum Femininum schreibt er: "Alle Namen und Benennungen, Ämter und Titel, Würden und Verrichtungen des Frauenvolkes sind weibliches Geschlechts. Z.E. (…) Benennungen, Frau, Mutter, Tochter, Schwester (…), Aemter, Kaiserinn, Königinn, Herzoginn (…), Würden, Prinzessinn, Feldmarschallinn, Oberstinn, Hauptmanninn, Hofräthinn, Doctorinn (…)." Auch der Sprachforscher Johann Christoph Adelung gibt dem grammatischen Geschlecht in seinem Werk "Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache" von 1782 eine semantische Klassifizierung: "Alles, was den Begriff der Lebhaftigkeit, Thätigkeit, Stärke, Größe, auch wohl des Furchtbaren und Schrecklichen hatte, ward männlich; alles, was man als empfänglich, fruchtbar, sanft, leidend, angenehm dachte, ward weiblich." Auch der Grammatik-Duden von 1966 referiert über solche semantikbasierten Genussysteme. Erst ab seiner dritten Auflage von 1977 wird der Zusammenhang zwischen Genus und Sexus strikt verneint.

Trotzdem wird das generische Maskulinum insbesondere von Gegner*innen geschlechtergerechter Sprache als der natürlichere Sprachgebrauch dargestellt. Ein Beispiel: "Jahrhundertelang war klar: Ein Mieter ist ein Mensch, der etwas gemietet hat. Ob dieser Mensch männlich, weiblich oder divers ist, spielte sprachlich keine Rolle." Dabei sind es zunächst einmal die etablierten gewohnten Formen, keine durch das Sprachsystem vorgegebene Praxis. In früheren Zeiten stellte sich die Frage auch nicht: Im öffentlichen Raum, in Bürgerversammlungen, in politischen Diskussionen wurden vor allem Männer adressiert, das heißt, ob maskuline Personenbezeichnungen auch andere Geschlechter einschließen sollten, war weniger relevant. Ende des 19. Jahrhunderts, als Frauen langsam in gesellschaftliche Rollen gelangten, die davor nur Männern vorbehalten waren, wurde zum Teil besonderer Wert darauf gelegt, sie auch explizit mit einer weiblichen Form zu bezeichnen (wie Lehrerin), um sie deutlicher von Männern abzugrenzen. Dabei bediente man sich des gut in der Sprache verankerten Movierungssuffixes -in. Erst in der Nachkriegszeit, als Frauen in immer mehr Bereichen eine Rolle spielten, wurde vermutlich die Verwendung grammatisch männlicher Bezeichnungen für alle, mit denen Frauen dann gegebenenfalls mitgemeint sein sollen, der übliche Sprachgebrauch.

Wie lange dies allerdings auch in älteren Texten Usus war, das heißt, wie oft grammatisch männliche Bezeichnungen zur Bezeichnung aller verwendet wurden, ist empirisch schwer nachzuweisen, da aus den Texten nicht immer zu erschließen ist, ob nur auf männliche Personen referiert wurde oder auch auf Personen anderen Geschlechts. Dass das geschlechtsübergreifende Maskulinum "seit Jahrhunderten" im Sprachgebrauch üblich war, ist aber zumindest auf Basis der sprachhistorischen Untersuchungen von Lisa Irmen, Vera Steiger und Ursula Doleschal in Zweifel zu ziehen.

Die Sicht, dass das geschlechtsübergreifende Maskulinum im Deutschen sozusagen "von Natur aus" angelegt oder ein systemimmanenter Bestandteil sei, vermittelt zudem ein zumindest diskussionswürdiges Bild davon, was Grammatik überhaupt ist. Eine lebendige Sprache entwickelt sich im Wesentlichen durch Sprech- und Schreibhandlungen der an der Sprache Teilnehmenden. Eine Grammatik könnte man dabei als eine Art Deutungskonstrukt für den Sprachgebrauch bezeichnen, um diesen Gebrauch für andere erklär- und analysierbar zu machen. Und auf diesem Weg – eine Erklärung für den vorherrschenden Sprachgebrauch zu finden und seine Regularitäten zu erklären – ist vermutlich auch der Terminus "generisches Maskulinum" in die Grammatikschreibung getreten. Diese Regel wurde eher aus dem Usus abgeleitet, als dass sie den Usus vorhergesagt hat.

Nun folgt aber – wie immer – aus diesem Sein kein Sollen. Das heißt, wenn wir lange mit grammatisch männlichen Personenbezeichnungen auf alle Geschlechter verwiesen haben, bedeutet das nicht, dass das auf immer der bessere, natürlichere, stimmigere Weg sein muss. Interessant dabei ist auch, dass den wenigen Grundwörtern, bei denen die Bezeichnung für die männliche Person die Ableitung ist (Braut Bräutigam, Witwe Witwer, Hexe Hexer) kein geschlechtsübergreifendes Potenzial zugewiesen wird. Zumindest habe ich noch nie die Forderung gehört, dass man einen Mann, der heiratet, als Braut bezeichnen sollte.

Empirische Studien zum "generischen Maskulinum"

In der feministischen Linguistik wird der Sprachgebrauch des generischen Maskulinums bereits seit den 1970er Jahren kritisiert. Die Schwierigkeit ist allerdings, dass Sprachverstehen, also die mentalen Prozesse bei der Verarbeitung sprachlichen Inputs, in der Regel kein bewusster Prozess ist. Wenn mir jemand sagt "Bei uns in der Nachbarschaft wird eine kleine Katze vermisst", mache ich mir in der Regel keine Gedanken, an welche Art von Katze ich dabei denke – an eine schwarze, eine getigerte, eine mit kurzem oder langem Fell? Genauso denke ich nicht darüber nach, ob ich in dem Satz "Die Krankenpfleger haben in der Corona-Krise besonders schwierige Arbeitsbedingungen" nur an männliche oder an männliche, weibliche und nicht-binäre Pflegekräfte denke. Deshalb ist die explizite Frage nach dem "Mitmeinen" an Frauen (also zum Beispiel Wissenschaftlerinnen zu fragen: "Fühlen Sie sich mitgemeint, wenn Sie als Wissenschaftler angesprochen werden?"), nicht unbedingt ein vielversprechender Ausgangspunkt, von dem aus man untersuchen kann, ob das generische Maskulinum auch wirklich das ihm nachgesagte geschlechtsübergreifende Potenzial hat. Besser sind geschickter aufgebaute empirische Studien, in denen versucht wird, einen Blick auf die Verarbeitung geschlechtsübergreifender Maskulina zu werfen.

Zahlreiche solcher Studien weisen darauf hin, dass grammatisch männliche Personenbezeichnungen im Sprachverständnis oft nicht neutral, sondern eher als Referenzen auf männliche Personen verstanden werden. Diese Forschungsfrage wurde beispielsweise in einer Studie über mögliche Satzfortsetzungen untersucht. Die Proband*innen bekamen verschiedene Sätze vorgelegt, in denen eine Personenbezeichnung im generischen Maskulinum formuliert war, zum Beispiel: "Die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof." Im Anschluss bekamen sie einen zweiten Satz, bei dem sie angeben sollten, ob dieser eine sinnvolle Fortsetzung des ersten ist, zum Beispiel "Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen keine Jacke." Gemessen wurde dann unter anderem die Zeit, bis die Proband*innen "ja" drückten. Es zeigte sich, dass in der deutschsprachigen Version des Experiments die Proband*innen unabhängig von der stereotypen Berufsvorstellung für die Satzfortsetzungen mit weiblichen Personen länger brauchten als für die mit Männern. Im Englischen dagegen zeigte sich, dass die Reaktionszeiten von der stereotypen Vorstellung des im ersten Satz genannten Berufs abhing (etwa, dass die Tätigkeit in einem Kosmetikstudio eher als weiblich gilt). Die Studienautor*innen ziehen daraus den Schluss, dass Personenbezeichnungen im generischen Maskulinum im Deutschen auch im Plural nicht geschlechtsübergreifend interpretiert werden, sondern dass das grammatische Geschlecht die stereotype Vorstellung überlagert. Als Grund identifizieren sie, dass das grammatische Geschlecht eine Hinwendung zur mentalen Repräsentation von Männern bewirkt. Eine Vielzahl anderer Studien liefert ähnliche Erklärungsansätze.

Dass geschlechtergerechte Sprache also das Geschlecht der bezeichneten Person mehr betont, als es das generische Maskulinum bislang getan hat, ist zweifelhaft. Eine Voraussetzung dafür wäre, dass das generische Maskulinum wirklich neutral verstanden wird. Bisherige Untersuchungen sprechen allerdings dafür, dass das grammatische Geschlecht bei Personenbezeichnungen potenziell als Hinweis auf die Geschlechtsidentität interpretiert wird und daher die Geschlechtsidentität in der Kommunikation (leider) schon immer aktiviert wurde. Die Verwendung grammatisch männlicher Personenbezeichnungen als Regelfall für alle betont dabei nur ein mögliches Geschlecht, anders als bei der Verwendung geschlechtergerechter Sprache.

Sprache und Chancengleichheit

Auch Forschungsergebnisse aus der Ökonomie lassen die neutrale Funktion des generischen Maskulinums bezweifeln. In verschiedenen Studien wurde versucht, die ökonomischen Folgen von geschlechtsspezifischen Genussystemen und damit die Auswirkungen der Sprache auf die Chancengleichheit von Männern und Frauen zu messen. In einer umfangreichen Studie mit einem Datenset aus über 4000 Sprachen, deren Sprecher*innen 99 Prozent der Weltbevölkerung abdecken, wird gezeigt, dass das Vorhandensein von grammatischem Geschlecht in einer Sprache einen signifikanten Zusammenhang mit einer geringeren Erwerbsbeteiligung von Frauen hat und vor allem einen größeren geschlechtsspezifischen Unterschied in der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern vorhersagt. Obwohl die Erwerbsbeteiligung von Frauen und das Bildungsniveau in den vergangenen Jahrzehnten angestiegen sind, bleibt die negative Assoziation mit dem grammatischen Geschlecht (geringerer Anteil der Erwerbsbeteiligung von Frauen und größerer geschlechtsspezifischer Unterschied) relativ konstant.

Eine weitere Untersuchung zu Arbeitsmarktergebnissen auf der Grundlage einer Stichprobe von über 100 Ländern deutet darauf hin, dass Länder, in denen die Mehrheitssprache Geschlecht stark markiert, eine geringere Erwerbsbeteiligung von Frauen aufweisen. Ähnlich zeigt eine weitere umfangreiche Studie, dass die Intensität der Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Sprache mit der Erwerbsbeteiligung von Frauen, der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und den Quoten für die politische Beteiligung von Frauen zusammenhängt.

Ein Erklärungsansatz für diesen Zusammenhang könnte sein, dass eine Sprache ganz allgemein eine Reihe von Optionen zur Verfügung stellt, die Sprecher*innen dieser Sprache zu beachten haben. Da verschiedene Sprachen verschiedene Optionen anbieten, können sie ihre Sprecher*innen unbewusst dazu bringen, auf unterschiedliche Merkmale zu achten. So könnte man bei einer Sprache, die das Geschlecht des Referenten grammatikalisch kodiert, beim Denken und Sprechen besonders stark auf Geschlecht und seine kommunikative Bedeutung ausgerichtet sein. Genauso könnte es auch die umgekehrte Wirkrichtung sein: Dass also in Kulturen, die grundsätzlich durchlässiger für Frauen sind oder die insgesamt Geschlecht keine so hohe Bedeutung im Miteinander zuweisen, dazu tendieren, die Unterschiede sprachlich nicht so stark zu kodieren. Nach dieser Vorstellung kann Sprache als eine Art kulturelles Gedächtnis modelliert werden, das heißt, eine Sprache spiegelt zum einen kulturelle Gegebenheiten, sie formt sie aber auch mit.

Welche Wirkrichtung plausibler ist, ist meines Wissens eine offene Frage. Auch liegt nicht klar auf der Hand, welche linguistischen Schlüsse aus den Ergebnissen zu ziehen sind. Sind nur Neutralisierungen (wie Lehrkraft oder Studierende) das Mittel der Wahl, um sprachlich einen Beitrag zur Chancengleichheit zu leisten? Denn in den Studien scheinen die Sprachen ohne geschlechtsspezifisches Genussystem am besten "abzuschneiden". Oder ist auch die Beidnennung beziehungsweise die Verwendung von Zeichen wie dem Genderstern ein Schritt, der dazu beitragen kann?

Geschlechtergerechte Sprache im gesellschaftlichen Kontext

Die Forschungsergebnisse lassen insgesamt also Zweifel aufkommen, ob das Postulat, dass Personenbezeichnungen im grammatischen Maskulinum für alle "gelten", im Sprachverständnis so funktioniert. Zwar sind die meisten Personenbezeichnungen wahrscheinlich so beabsichtigt, das heißt, die Schreiber*innen denken sowohl an Männer und Frauen, wenn sie einen Satz wie oben mit den Krankenpflegern in der Corona-Krise schreiben. Bei den Leser*innen entstehen im Kopf allerdings eher Bilder männlicher Pflegekräfte – das mag kein bewusster Effekt bei jedem einzelnen Mitglied der Sprachgemeinschaft sein, aber empirisch kann er als relativ gut abgesichert gelten. Dass der Mann lange Zeit die Norm und den positiven Maßstab bildete, hat sich in der Sprache eingeschrieben. Sprache hat die Aufgabe, Wirklichkeit abzubilden. Die gesellschaftliche Wirklichkeit passt heute aber vielfach nicht mehr zum traditionellen Sprachgebrauch wie dem geschlechtsübergreifenden Maskulinum, deshalb entwickelt die Diskussion um geschlechtergerechte Sprache auch so eine starke Dynamik.

Dass gesellschaftliche Hierarchien Einfluss auf die Sprache haben, ist auch deshalb plausibel, weil seit Ludwig Wittgenstein in großen Teilen der Sprachwissenschaft die Annahme geteilt wird, dass die Bedeutung von Wörtern aus ihrem Gebrauch abzuleiten ist. Dazu ein kurzer Auszug aus dem Essay "Autorität und amerikanischer Sprachgebrauch" des Schriftstellers David Foster Wallace: "Wenn die Bedeutungen von Wörtern und Wendungen auf intersubjektiven Regeln und diese Regeln wiederum auf den Konsens einer Gemeinschaft angewiesen sind, dann ist Sprache nicht nur privat, sie ist auch unhintergehbar öffentlich, politisch und ideologisch. Das bedeutet, Fragen nach unserem nationalen Konsens hinsichtlich Grammatik und Sprachgebrauch sind verbunden mit jeder einzelnen sozialen Frage (…) – Klasse, Rasse, Geschlecht, Moral, Pluralismus, Zusammenhalt, Gleichheit, Gerechtigkeit, Geld: Was immer Sie wollen." Und Geschlecht ist eben die einzige der in diesem Zitat aufgezählten Kategorien, die besonders auffällig in unserem Grammatiksystem verankert ist. Deshalb tangiert die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit die Grammatik.

Alle Versuche, die männlich geprägte Sicht in der Sprache zu relativieren oder neue, zeitgemäße Formen zu finden, werden allerdings auch von deutlicher Ablehnung begleitet, die teilweise medial stark forciert wird. Die Rede ist vom "Genderwahn", "Gender-Gaga" oder von "Sprachdiktatur". Vor pathetischem Vokabular sind dabei auch Sprachwissenschaftler*innen nicht gefeit: "Der Kampf des Genderismus gegen das generische Maskulinum kann nicht gewonnen werden. Er wird aber auf die Dauer eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Das freie Wort ist Grundlage der Demokratie. Das freie Wort ist für jeden Demokraten unaufgebbar."

Auch manche Einwände von einzelnen Sprachwissenschaftler*innen, zum Beispiel die Ablehnung von Partizipformen wie Studierende, verwundern bei genauer Hinsicht. Die "Hemmung", diese Substantivierungen zu bilden, werde "von der Genderlinguistik nicht respektiert" und die Bedeutung der Partizipbildungen nicht beachtet: "Die Tätigkeit befindet sich im Verlauf, sie ist unabgeschlossen und in aller Regel an kontextuell gegebene Gleichzeitigkeit gebunden." Dass Vorsitzende nicht dauervorsitzen, sondern schlafen oder im Urlaub sein können, und Erstgebärende nicht genau dann gebären, sondern gleichzeitig hochschwanger sein oder ihr Kind schon bekommen haben können, wird dabei außer Acht gelassen. Die Lexikalisierung solcher Partizipien, also der Prozess, dass die Bedeutung eines Wortes nicht mehr allein aus den einzelnen Bestandteilen erschlossen werden kann, es sozusagen zu einem "festen Begriff" wird, ist ein üblicher Prozess im Deutschen. Selbst das Substantiv Student geht auf ein lateinisches Partizip zurück, genau von der Sorte, die mit diesen Einwürfen bekämpft wird (aus studens, im Plural studentes, was "strebend, suchend" bedeutet).

Dabei muss man klarstellen: Sprache gehört allen Sprecher*innen und Schreiber*innen, und alle, die sich aktiv am Sprachgeschehen beteiligen, verändern die Sprache mit. Am Ende entscheidet jede und jeder selbst, wie er oder sie spricht und schreibt. Man kann bei gewohnten Formen wie dem geschlechtsübergreifenden Maskulinum bleiben, man kann aber auch – wie in diesem Artikel – eine Form geschlechtergerechter Sprache verwenden. In einigen Kontexten sind Richtlinien jedoch wichtig, etwa um ein einheitliches Erscheinungsbild einer Firma oder einer Institution zu gewährleisten. So hat beispielsweise die Unesco schon 1987 Richtlinien zur Verwendung geschlechtergerechter Sprache publiziert und darin das Thema sehr breit gefächert, sich also nicht nur auf das generische Maskulinum konzentriert, sondern weitere Beispiele stereotyper Sprache aufgeführt. Auch die Schweizerische Bundeskanzlei hat in den 1980er Jahren einen solchen Leitfaden veröffentlicht. Seit einigen Jahren sind auch immer mehr Presseorgane und Rundfunkanstalten um eine geschlechtergerechtere Sprache bemüht.

Solche Richtlinien gelten aber immer nur für sprachliche Äußerungen aus dem jeweiligen institutionellen Kontext. Im privaten Gebrauch wird niemand gezwungen, eine bestimmte Sprachform zu verwenden. Selbst wenn der Rechtschreibrat den Genderstern oder andere Möglichkeiten geschlechtergerechter Sprache als normgerechte typografische Zeichen innerhalb von Wörtern in das Regelwerk aufnehmen würde, wäre das keine Empfehlung für geschlechtergerechte Sprache. Es wäre nur eine Abbildung des Sprachwandels, der längst stattfindet. Die Einführung einer "Sprachpolizei" oder "Sprachdiktatur" muss daher niemand befürchten.

Forschungsbedarf

In der Diskussion um geschlechtergerechte Sprache wird zu Recht betont, dass die geschlechtergerechte Verwendung einer Sprache mit geschlechtsspezifischem Genussystem eine große Herausforderung darstelle und der Verzicht auf das generische Maskulinum nicht leicht zu bewältigen sei. Auch wird oft darauf hingewiesen, dass Personenbezeichnungen auf unterschiedliche Weise verwendet würden. Im Satz "Neben dem Bäcker wird das Haus renoviert" fungiert die Personenbezeichnung als Ortsbezeichnung, wohingegen "der Bäcker, der gerade hinten in der Backstube arbeitet" eine definite, spezifische Bezugnahme auf eine konkrete Person ist. Die Referenzialität einer Personenbezeichnung kann also stark variieren.

Das kann man, selbst wenn man gerne geschlechtergerecht schreibt oder spricht, natürlich auch in den eigenen Sprachgebrauch einfließen lassen. Im ersten Beispiel würde ich beispielsweise die Personenbezeichnung so im Maskulinum stehen lassen oder durch "Bäckerei" als Ortsbezeichnung ersetzen. Im zweiten Fall würde ich "Bäckerin" sagen oder schreiben, wenn es sich um eine Frau handelt, und "Bäcker", wenn es sich um einen Mann handelt. Diese Varianz ist kein Gegenargument gegen die Verwendung geschlechtergerechter Sprache generell, denn selbst wenn man diesem Ziel etwas abgewinnen kann, heißt es nicht, dass man immer und alles gendert. "Da es ja aber in erster Linie um Sichtbarmachung geht, konstruiert die Kritik an mangelnder konsequenter Umsetzbarkeit ein Problem, das es gar nicht gibt. Dass die Umsetzung geschlechtergerechter Sprache in ihrer Konsequenz variiert, zeigt auch, dass Sprecherinnen und Sprecher von ihrer Freiheit Gebrauch machen, selbst die Balance auszuloten zwischen Sichtbarmachung von Geschlechterdiversität auf der einen Seite und persönlichem ästhetischem Empfinden auf der anderen."

Diese unterschiedlichen Kontexte und die daraus resultierende Verschiedenheit in der Abstraktheit der Personenbezeichnung werden in der Genderlinguistik keineswegs ignoriert. Es ist sinnvoll, danach zu unterscheiden, "über wen mit welcher sprachlichen Struktur gesprochen wird, weil Geschlecht in Abhängigkeit davon unterschiedlich relevant sein kann". Referenzialität (als Grad der Identifizierbarkeit eines Referenten) wurde dabei als ein zentraler Faktor identifiziert, der die Enge des Genus-Geschlecht-Zusammenhangs beeinflusst. Referenzialität manifestiert sich unter anderem in der Artikelwahl (bestimmter/unbestimmter Artikel), der Numeruswahl (Singular/Plural), auch in der semantisch-syntaktischen Rolle und kann als graduelles Konzept aufgefasst werden. Es ist daher wichtig, den Grad der Genderisierung von Personenreferenzen zu erforschen. Auch scheinen unterschiedliche Wörter verschiedene Wirkungen zu haben. Man spricht hier von lexikalischer Relevanz. All dies gilt es noch weiter zu untersuchen.

Sprachpraxis heute

Trotz der Komplexität der Herausforderung, das Deutsche geschlechtergerecht zu verwenden, gibt es immer mehr Menschen, die diese Herausforderung annehmen. Ob es in den Fernsehnachrichten, im Hörfunk, auf Homepages von Kommunen, in Kulturprogrammen, in Zeitschriften oder in Zeitungen ist – die geschlechtergerechte Sprachpraxis hat eine ungeahnte Dynamik aufgenommen. Initiativen wie "Genderleicht" des Deutschen Journalistinnenbundes oder das "Genderwörterbuch" versuchen dabei, dem Bedarf an geeigneten Formulierungsstrategien konstruktiv zu begegnen. Zu welchen langfristigen Veränderungen dies im Sprachgebrauch führen wird, werden wir in einigen Jahren sehen können. Sprachwandel kann man sich vereinfacht wie eine Art Trampelpfad vorstellen, und so gilt auch bei diesem sprachpolitisch motivierten Sprachwandel: Wenn sich immer mehr Menschen dafür interessieren, die geschlechtliche Vielfalt sprachlich sichtbar zu machen, dann wird sich Sprache dadurch nachhaltig verändern; wenn nicht, dann nicht. Auch in vielen anderen Sprachen, in denen Geschlecht markiert wird, findet ein solcher Sprachwandel derzeit statt, inklusive der Diskussionen darum.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist es zu früh, jetzt schon bestimmte Formen geschlechterinklusiven Schreibens oder Sprechens zu präferieren. Die Möglichkeiten sind für das Deutsche sehr vielfältig, und noch ist nicht abzusehen, welche sich am ehesten durchsetzt. Ob der typografisch herausstechende Genderstern das bevorzugte Symbol bleibt, oder ob sich eher der Unterstrich, Doppelpunkt oder vielleicht auch eine neue Konvention durchsetzt, oder ob möglicherweise das geschlechtsübergreifende Maskulinum eine dominierende Rolle behält, bleibt abzuwarten. Für eine konstruktive Auseinandersetzung wäre es allerdings hilfreich, wenn insgesamt ein offener, reflektierter, sachlicher und möglichst unaufgeregter Umgang mit dem Thema geschlechtergerechte Sprache vorherrschen und die Forschung vorangetrieben würde. Jene, die an geschlechtergerechter Sprache Interesse haben, sollten entspannt mit neuen Formen experimentieren dürfen, ohne diese anderen vorzuschreiben.

Wenn zum Beispiel der Vorsitzende des Vereins Deutsche Sprache im "Spiegel" betont, dass sein Mailprogramm automatisch alle Nachrichten mit Genderstern in den Spam einsortiert und er als Professor die Annahme von Studienarbeiten mit Genderstern ablehnt, ist dies genauso ein Eingriff in die sprachliche Freiheit, wie für fehlendes Gendern in Studienarbeiten Punktabzug zu geben. Sprachliche Autonomie und gegenseitige Toleranz wären hier sinnvollere Alternativen. Die sprachliche Welt geht vom aktuellen Wandel nicht unter. Was "korrekt" oder "richtig" ist, steht nicht auf alle Zeiten fest und ist – und war nie – für alle Sprachteilnehmer*innen gleich, sondern muss in vielfältiger Weise immer wieder neu erarbeitet werden.

Dieser Beitrag erschien ähnlich bereits in Sprachreport 2/2021, S. 1–12.

ist Professorin für germanistische Linguistik und Leiterin des Projekts "Empirische Genderlinguistik" am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. E-Mail Link: mueller-spitzer@ids-mannheim.de