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Sprache und Macht | bpb.de

Sprache und Macht

Andreas Rödder Silvana Rödder

/ 5 Minuten zu lesen

Gegenderte Sprache soll Frauen und nicht-weibliche oder -männliche Personen sprachlich sichtbar machen, die sich durch das generische Maskulinum nicht vertreten sehen. Dieser Annahme liegt die Vorstellung zugrunde, dass Sprache ein Machtkonstrukt ist. Sie geht auf den französischen Dekonstruktivismus der 1970er und 80er Jahre und die berühmte Formulierung des Philosophen Jacques Derrida zurück: "Es gibt nichts außer Text." Mit anderen Worten: Es gibt keine Realität jenseits der Sprache, und diese Sprache ist Teil von Machtverhältnissen. Der Umkehrschluss liegt darin, mittels Sprache Benachteiligungsverhältnisse sichtbar zu machen und abzubauen. Diese Bewegung hat in dem Maße zugenommen, wie sich die identitätspolitische Kritik an als männlich, weiß und heterosexuell markierten Ordnungen vor allem in den 2010er Jahren verstärkt hat – wobei der Begriff "geschlechtergerechte Sprache" seinerseits ein machtpolitisches Instrument ist, weil er andere Formen des Sprechens implizit als "ungerecht" bezeichnet und ihnen damit Legitimität abspricht. In der Tat hat die moralische Aufladung der Diskussion über Sprache, die weit über den üblichen Sprachwandel hinausgeht (in dem etwa ein Begriff wie der des "Fräuleins" aus dem Verkehr gezogen wurde), zu einer Polarisierung und Verhärtung insbesondere über den Genderstern geführt.

Denn in dieser Diskussion steht zur Debatte, wer durch Sprache transportierte Benachteiligungen definiert und wer Regeln diskriminierungsfreier Sprache festlegt. Die identitätspolitische Antwort lautet, dass diese Deutungsmacht bei denjenigen liegt, die Opfer von Diskriminierung sind – und letztlich die Eigenwahrnehmung von Benachteiligung entscheidend ist. Damit sind Grundfragen der gesellschaftlich-politischen Verständigung aufgerufen. Denn demgegenüber geht die klassische Auffassung demokratischer Öffentlichkeit davon aus, dass der rationale Diskurs durch "gute Gründe" bestimmt wird, die intersubjektiv einsichtig und nachvollziehbar sind. Aus identitätspolitischer Sicht hingegen wird diese Auffassung als Machtkonstrukt eines weiß und männlich dominierten universalen Rationalismus zurückgewiesen – ein altes Dilemma des Postkolonialismus, der den Grundlagen des westlichen Rationalismus doch nicht entkommen kann. Und so kann auch die gegenderte Sprache der argumentativen Auseinandersetzung mit dem generischen Maskulinum nicht entgehen, die auf vier Ebenen geführt wird: einer semantischen, einer grammatikalischen, einer sprachpraktischen und einer politisch-kulturellen.

Auf semantischer Ebene nimmt das generische Maskulinum für sich in Anspruch, dass grammatikalisches und biologisches Geschlecht nicht identisch sind: Ich bin der Mensch, die Person und das Subjekt. Daher stelle das generische Maskulinum als genus commune eine vom biologischen Geschlecht unabhängige allgemeine und übergreifende Form der Bezeichnung dar. Demgegenüber schließt die oft als Kompromisslösung verwendete Bezeichnungsform der Bürgerinnen und Bürger nicht-binäre Personen nicht ein, sondern befestigt gerade die Binarität. Konsequenterweise ist dies ein Ausschlusskriterium gegenderter Sprache, wenn es darum geht, nicht-binäre Personen sichtbar zu machen. Alternativ gern verwendete Partizipialkonstruktionen wie Studierende wiederum sind nicht immer möglich, sie sind oftmals sachlich falsch (ein schlafender Studierender ist keiner, und ein toter Autofahrender ist ein Widerspruch in sich), und sie funktionieren nur im Plural.

Um auch nicht-binäre Personen sprachlich sichtbar zu machen, ist die einzig konsequente Alternative zum generischen Maskulinum der Genderstern. Er wirft aber auf grammatikalischer, sprachpraktischer und politisch-kultureller Ebene Probleme auf. Denn Sonderzeichen wie Stern, Doppelpunkt oder Unterstrich im Wortinneren passen nicht zum grammatikalischen System der deutschen Sprache, zumal mit ihren Artikeln und Genitivkonstruktionen, und sie stören den Fluss der Sprache. Wer eine*n Steuerberater*in sucht, kann dies weder schriftlich noch mündlich korrekt tun, und das gilt erst recht, wenn man sich in die Obhut des/der Ärzt*in begibt.

Wenn der Rat für deutsche Rechtschreibung die Empfehlung formuliert, Texte sollten nicht nur sachlich korrekt und verständlich, sondern auch lesbar, vorlesbar und erlernbar sein, ist zugleich eine sprachpraktische Ebene angesprochen, auf der wortinterne Sonderzeichen grundsätzliche Probleme hervorrufen. Dies gilt nicht zuletzt für die Fähigkeit zu vertieftem Lesen und zur konzentrierten Aneignung von Texten, die an Schulen und Hochschulen ohnehin als ein zentrales Bildungsproblem identifiziert wird. Visuelle Stolpersteine beim Lesen erschweren diese elementare Kulturtechnik weiter.

Bleibt noch die politisch-kulturelle Ebene, ist die "geschlechtergerechte Sprache" doch ein wesentlicher Bestandteil der sogenannten Identitätspolitik. Der Genderstern ist Ausdruck einer bestimmten gesellschaftlich-politischen Auffassung, nämlich der Vorstellung "fluider Geschlechtlichkeit", die das tradierte binäre Geschlechtersystem von Männern und Frauen infrage stellt. Die Erwartung der Benutzung des Gendersterns wird von dessen Kritikern daher als Geste der Affirmation und als Bekenntniszwang empfunden – verstärkt durch (selbst erlebte) Markierungen von Nutzern des generischen Maskulinums als "rechts" oder "transphob".

In solchen Fällen geht gegenderte Sprache mit der Anmaßung einer höheren Moral für die eigenen Auffassungen und der moralischen Diskreditierung des Anderen einher. Die liberale Publizistin Anne Applebaum hat die Auswirkungen eines identitätspolitischen Puritanismus an amerikanischen Universitäten geschildert, der von einem emanzipatorischen Anliegen in repressiven Konformitätsdruck umgeschlagen ist: Ein falsches, als "verletzend" verstandenes Wort reicht aus, um Mechanismen der Ausgrenzung in Gang zu setzen, die bis zur Vernichtung der beruflichen und sozialen Existenz reichen. Den "neuen Puritanern" stehen die Anhänger Donald Trumps gegenüber, die sich in die Blase einer gestohlenen Wahl eingesponnen haben und von dort aus die liberale Demokratie samt ihrer Institutionen unterminieren. Moralisierung und Polarisierung identifiziert der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel als wesentliche aktuelle Gefährdungen der Demokratie.

Sprache ist das zentrale Medium öffentlicher Auseinandersetzungen. Ihre Eigenschaft als Gemeingut ist zugleich der Schlüssel für einen konstruktiven Umgang mit ihr in der demokratischen Öffentlichkeit. Sie verträgt keine Anmaßung von Wahrheit und kein Oktroi, sondern erfordert rationale Auseinandersetzung und "gute Gründe". Dabei sprechen zu viele Argumente auf unterschiedlichen Ebenen gegen die eingeführten Formen gegenderter Sprache, zumal sie als eingefordertes Novum der Begründungspflicht unterliegen und nicht das generische Maskulinum. Dessen Eigenschaft als inklusives genus commune hingegen ist sachlogisch nicht widerlegt worden. Zugleich haben auch die Vertreter gegenderter Sprache inzwischen erkannt, dass Sprache nicht automatisch die Realität verändert – vielmehr erinnert die Vorstellung, Realität durch Sprache zu verändern, an Praktiken totalitärer Regime. Umgekehrt haben sich fundamentale, historische Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen in den vergangenen Jahrzehnten ohne gegenderte Sprache durchsetzen lassen.

Eine angemessene Konsequenz all dieser Befunde könnte eine zweifache sein: zum einen ein entspannterer Umgang mit der Sprache inklusive dem generischen Maskulinum; zum anderen das Beharren auf Sprachsensibilität. In der persönlichen Anrede gilt das ohnehin – dort sagen auch wir: "Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Anwesende." Ebenso gilt es bei Begriffen, die bestimmte Assoziationen hervorrufen – Soldaten zum Beispiel ist nach wie vor mit der Vorstellung von Männern verbunden –, und es gilt gegenüber allen Sprachformen, die als herabwürdigend empfunden werden können. Das geht ohne Moralisierung, sondern durch sachliche Begründung und Bereitschaft zur Rücksicht, übrigens auf allen Seiten. Denn Ignoranz wird in der Öffentlichkeit nicht mehr toleriert – auch das ein Beispiel für die Möglichkeiten zivilen Sprachwandels nach den Regeln der demokratischen Öffentlichkeit.

ist Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

ist Oberstudienrätin für Deutsch und katholische Religion am Rabanus-Maurus-Gymnasium Mainz.