Was der "christliche Bourgeois (…) Hitler nicht verzeiht", schrieb Aimé Césaire 1950 in seinem berühmten "Discours sur le Colonialisme", sei "nicht das Verbrechen an sich, das Verbrechen gegen den Menschen (…), nicht die Erniedrigung des Menschen an sich, sondern das Verbrechen gegen den weißen Menschen, die Erniedrigung des weißen Menschen und dass er, Hitler, kolonialistische Methoden auf Europa angewendet hat, denen bislang nur die Araber Algeriens, die Kulis Indiens und die Neger Afrikas ausgesetzt waren".
In der Bundesrepublik spielte die Erinnerung an die eigene Kolonialvergangenheit in den Nachkriegsjahren hingegen kaum eine Rolle. Historiker*innen sprechen mitunter von einer langen Phase der "kolonialen Amnesie".
Seit der Jahrtausendwende lässt sich sowohl in der historischen Forschung als auch in der deutschen Öffentlichkeit eine verstärkte Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit feststellen. Dabei wurden auch die eingangs genannten Überlegungen von Césaire und Arendt aufgenommen, wurde über mögliche Kontinuitäten von kolonialer und nationalsozialistischer Herrschaft und Gewalt nachgedacht. Besonders nachdrücklich hat der Historiker Jürgen Zimmerer argumentiert, es gebe Verbindungen "von Windhuk nach Auschwitz". Für ihn basieren sowohl der europäische Kolonialismus wie auch "die nationalsozialistische Expansions- und Mordpolitik, auf im Grunde ähnlichen Konzepten von Rasse und Raum".
In den vergangenen Monaten ist diese Debatte – vor dem Hintergrund einer ohnehin verstärkten öffentlichen Auseinandersetzung um koloniale Vergangenheit – mit Macht in den deutschsprachigen Feuilletons wieder zum Vorschein gekommen. Die Einladung des postkolonialen Theoretikers Achille Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale 2020,
Vorstellungen von Rasse und Lebensraum
Als Rassismus versteht Zimmerer "nicht nur Zuschreibungen verschiedener Eigenarten an und davon abgeleitet eine bestimmte Wertigkeit der Rassen innerhalb einer angenommenen Hierarchie der Ethnien", sondern in Anlehnung an Ulrich Herbert ein Weltbild, das durch eine umfassende "Biologisierung des Gesellschaftlichen" gekennzeichnet ist.
Im 19. Jahrhundert etablierte sich zusehends die Idee einer globalen Rassenhierarchie, die davon ausging, dass es zur Natur der kolonisierenden Nationen gehöre, zu herrschen, und für Kolonisierte natürlich sei, beherrscht zu werden. Eng verwandt war der Topos des "white man’s burden", der Zivilisierungsmission der Kolonialnationen, deren moralische Pflicht es sei, Kolonien zu "erwerben", die "rückständigen" Völker zu erziehen und auf eine höhere Stufe der Entwicklung zu bringen. Diese Zivilisierungsmission, so schreibt der Historiker Sebastian Conrad, "war der ideologische Kern des kolonialen Projektes". Auch wenn der Gedanke der Zivilisierungsmission besonders radikale rassistische Vorstellungen ausschloss, die von der Unerziehbarkeit der Kolonisierten und der Dominanz unveränderbarer biologischer Faktoren ausging, so unterlag ihm eine rassistische Idee der Höher- beziehungsweise Minderwertigkeit "rassischer" Gruppen. Auch war das Ziel der Zivilisierungsmission nicht die Gleichstellung der Kolonisierten mit den Kolonisatoren, nicht die Erziehung zu "schwarzen Europäern", sondern zu "perfekten Eingeborenen". Gerade in Siedlerkolonien wie in Australien oder dem südlichen Afrika, in denen Siedler und Kolonisierte in einem direkten Konkurrenzverhältnis um Land standen, spielte Erziehung kaum eine Rolle. Hier legitimierten die Kolonisierer die Landnahme damit, dass es Aborigines und Afrikaner versäumt hätten, das Land zu kultivieren. Ihre Rolle im Konkurrenzkampf mit den Weißen war im Extremfall die der "dying races", die das Kolonialland bald freigeben würden.
Die Kolonialherrschaft selbst war dann ebenfalls durch eine strikte rassistisch grundierte Einteilung in Kolonisierer und Kolonisierte gekennzeichnet, die der indische Politikwissenschaftler Partha Chatterjee mit der berühmten Formulierung der "rule of colonial difference" bezeichnet hat.
Dass Rassismus nicht nur für den Kolonialismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zentral war, sondern auch für die nationalsozialistische Ideologie, ist offenkundig. Schon in "Mein Kampf" hatte Hitler geschrieben, der völkische Staat habe die Rasse in den Mittelpunkt des allgemeinen Lebens zu setzen. Er habe eine eugenische Politik umzusetzen, die dafür Sorge trage, dass sich nur die Gesunden fortpflanzen, um das deutsche Volk zu stärken und auf den unvermeidlichen Rassenkampf vorzubereiten. Erst dieser globale Kampf ums Dasein werde in letzter Instanz entscheiden, welche Rasse die Beste sei. Hauptgegner in dieser Auseinandersetzung war das "Weltjudentum". Der Antisemitismus stand im Zentrum nationalsozialistischer Ideologie, aber auch Slawen, Sinti und Roma, Afrikaner und schwarze Deutsche wurden als "artfremde Blutsangehörige" diskriminiert, verfolgt und zum Teil ermordet.
Inwiefern ein direkter Zusammenhang zwischen Kolonial- und NS-Rassismus existierte, kann hier nur anhand eines Beispiels angedeutet werden, der Biografie des Rassenbiologen Eugen Fischer. 1908, ein Jahr, nachdem der genozidale Krieg gegen Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika beendet war, reiste dieser für anthropologische Feldforschungen in die Kolonie. Fünf Jahre später veröffentlichte er dann seine Untersuchung über die "Rehobother Bastards", die Nachfahren weißer Farmer und afrikanischer Nama-Frauen, die im 19. Jahrhundert aus der britischen Kapkolonie ins zentralnamibische Rehoboth ausgewandert waren. In dieser Studie warnte er eindringlich vor einer möglichen "Rassenmischung", da "jeder Tropfen Blut von farbigen Rassen, der in unserm Volkskörper Aufnahme findet, uns schädigt, unheilbar schädigt".
Eng mit den rassistischen Vorstellungen eines Kampfes ums Dasein zwischen den Völkern verknüpft war sowohl im kolonialen Kontext der Jahrhundertwende wie bei den Nationalsozialisten die Idee des "Lebensraums". Denn, wie Zimmerer schreibt, war es der Lebensraum, der einem Volk vor allem fehlte, "dessen Größe in der Zahl seiner ‚rassisch gesunden‘ Mitglieder lag".
Das Konzentrationslager als geteilte Herrschaftstechnik
Lassen sich durchaus Ähnlichkeiten im Rasse- und Raumdenken für Kolonialismus und Nationalsozialismus konstatieren, soll nun die Kontinuitätsfrage an einer konkreten Herrschaftstechnik im Detail überprüft werden. Im Fokus des folgenden Abschnittes steht mit dem Konzentrationslager eine koloniale Erfindung, die zum Emblem des NS-Terrors werden sollte.
Die ersten concentration camps errichteten die Briten im Jahr 1900 im Zuge des Südafrikanischen Krieges (1899–1902), den sie gegen die zuvor unabhängigen Burenrepubliken des Oranje-Freistaates und des Transvaal führten. Als die Buren, Nachfahren europäischer Siedler, die seit dem 17. Jahrhundert nach Südafrika gekommen waren, den Krieg ab Mitte 1900 als Guerillas fortführten, reagierte das britische Militär mit einer "Strategie der verbrannten Erde". Britische Kolonnen durchkämmten das Land, brannten alle Häuser und Felder nieder, trieben das Vieh ab und deportierten die Zivilbevölkerung, Buren und Afrikaner, in neu errichtete Lager. Ohne die Unterstützung der Zivilisten, die die burischen Kommandos zuvor mit Unterschlupf, Nahrung, neuen Rekruten und Informationen über Feindbewegungen versorgt hatten, so das militärische Kalkül, würde der Krieg bald zu Ende sein. Die Primärfunktion der britischen Konzentrationslager war also die Beendigung eines langwierigen Kolonialkrieges. Ganz ähnlich gingen zeitgleich US-Militärs auf den Philippinen und bereits einige Jahre zuvor die Spanier auf Kuba vor – nur dass sie die Zivilbevölkerung in existierenden Ortschaften und nicht in Lagern internierten. Ab 1904/05 errichtete schließlich auch die deutsche "Schutztruppe" Konzentrationslager in Südwestafrika, die ebenfalls primär der Beendigung des Krieges gegen Herero und Nama dienen sollten.
In der historischen Forschung sind diese kolonialen Konzentrationslager – und zwar vor allem die deutschen – vielfach mit verschiedenen NS-Lagern in Bezug gesetzt worden. Am weitesten ging sicherlich Benjamin Madley, der das deutsche Koloniallager auf der Haifischinsel als "grobes Modell für spätere Nazi-Vernichtungslager (…) wie Treblinka und Auschwitz" bezeichnet hat.
Sinnvoller ist der Vergleich mit den "normalen" nationalsozialistischen "Konzentrationslagern im ‚Dritten Reich‘, etwa Buchenwald oder Dachau", wie ihn Joachim Zeller vorgeschlagen hat.
Neben diesen gewichtigen Unterschieden zwischen kolonialen und nationalsozialistischen Konzentrationslagern sei abschließend auf eine interessante funktionale Gemeinsamkeit verwiesen: Die Ausbeutung der Arbeitskraft der Internierten gewann mit der Zeit in den deutschen Koloniallagern und bei den Nationalsozialisten enorm an Bedeutung. In der zweiten Kriegshälfte bildete sich in den NS-Lagern ein System der Häftlingsvermietung heraus. Die Hauptlager dienten nun vor allem dazu, neu ankommende Häftlinge auf die verschiedenen Außenlager zu verteilen, die jetzt häufig in der Nähe von großen Betrieben existierten. Die Firmen, die meist in der Rüstungsindustrie tätig waren, mieteten die Insassen gegen eine Gebühr vom Wirtschaftsverwaltungshauptamt der SS als Zwangsarbeiter*innen. Ein ganz ähnliches System der Vermietung hatte sich im kleineren Stil ab 1905 auch in den Lagern in Deutsch-Südwestafrika etabliert. Insgesamt aber überwiegen eindeutig die Unterschiede zwischen kolonialen und NS-Lagern.
Ein kausaler Zusammenhang?
Es lässt sich konstatieren, dass Rasse- und Raumdenken sowohl im Kolonialismus als auch bei den Nationalsozialisten eine wichtige Rolle spielte. Damit soll nicht gesagt werden, sie seien "deckungsgleich" gewesen.
Gab es einen kausalen Zusammenhang, der diese Gemeinsamkeiten erklären kann? Die Biografien bestimmter Personen, wie Eugen Fischer, mögen eine Verbindung herstellen. Versuchten NS-Akteure darüber hinaus gezielt aus den kolonialen Erfahrungen des 19. Jahrhunderts zu lernen? In der Tat ist eine Reihe von Aussagen überliefert, die genau das suggerieren. So konstatierte Hitler in einem viel zitierten Monolog aus dem September 1941: "Der russische Raum ist unser Indien, und wie die Engländer es mit einer Handvoll Menschen beherrschen, so werden wir diesen unseren Kolonialraum regieren. Den Ukrainern liefern wir Kopftücher, Glasketten als Schmuck und was sonst Kolonialvölkern gefällt."
Doch angesichts der gewichtigen Unterschiede zwischen kolonialen und nationalsozialistischen Konzentrationslagern, was hätten die Nationalsozialisten eigentlich von den britischen Lagern lernen sollen? Hitlers Aussage ist hier weniger als Hinweis auf einen tatsächlichen Lernprozess zu lesen, sondern als politische Propaganda. Angesichts des Krieges gegen England wollte er seine "Volksgenossen" darauf einstellen, dass die Briten auch vor dem Mord an Frauen und Kindern nicht zurückschrecken würden, der Krieg also auch von deutscher Seite nicht mit Samthandschuhen geführt werden könne. Gleichzeitig war der Hinweis auf die "englische Idee" eine elegante Möglichkeit, die britische Kritik an den NS-Konzentrationslagern zu entkräften.