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Am Anfang war die Erbse | Gentechnik | bpb.de

Gentechnik Editorial Von A wie "Adenin" bis Z wie "Züchtung". Eine Einführung in die Gentechnologie Am Anfang war die Erbse. Kleine Geschichte der Gentechnik und ihrer Rezeption "Wir dürfen da noch sehr viel erwarten". Ein Gespräch über medizinische RNA-Forschung und -Therapien. Ende des Schicksals? Genomeditierung in der Medizin Recht vs. Naturwissenschaften? Die Debatte zur Regulierung grüner Gentechnik in der EU Die große Verunsicherung. Zur Resonanz grüner Gentechnik in der deutschen Bevölkerung

Am Anfang war die Erbse Kleine Geschichte der Gentechnik und ihrer Rezeption

Samia Salem

/ 16 Minuten zu lesen

Bereits Jahre vor dem ersten gelungenen gentechnischen Experiment 1972 begannen die Diskussionen darum. Dabei war die Rezeption der Gentechnik nicht nur durch den gentechnologischen Fortschritt selbst, sondern auch durch Diskurse um andere Technologien geprägt.

Gentechnologie beschreibt das gezielte "Verfahren zur In-vitro-Rekombination von genetischem Material (DNA) und dessen identischer Reproduktion in einem geeigneten Wirtssystem". Entscheidend ist hierbei die gezielte Rekombination genetischen Materials: Gentechnik stellt neue, nicht von Natur aus in einem Organismus vorhandene Kombinationen genetischer Information her, die insbesondere im Bereich der Medizin (rote Gentechnik) und der Landwirtschaft (grüne Gentechnik) ihre Anwendung finden.

Die Rezeption der Gentechnik ist seit ihren Anfängen nicht nur durch den gentechnologischen Fortschritt selbst, sondern immer wieder auch durch Diskurse um andere Technologien geprägt. Dies betrifft insbesondere den medizinischen Anwendungsbereich der Gentechnik, dem vielfach Anwendungen beispielsweise der Bio- und Reproduktionstechnik zugeschrieben wurden.

Von der Genetik zur Gentechnik

Zu den frühen Wegbereitern der Gentechnik zählt der Augustinermönch Johann Gregor Mendel als Begründer der klassischen Genetik. Er steht mit seinem Aufsatz "Versuche über Pflanzen-Hybriden" aus dem Jahr 1866 am Beginn einer im heutigen Verständnis wissenschaftlichen Vererbungslehre. Infolge zahlreicher Kreuzungsversuche an Erbsen beschrieb er feste Regeln, nach denen Erbmerkmale weitergegeben werden. Der Aufsatz blieb zunächst unbeachtet und wurde erst im Jahr 1900 von den Botanikern Carl Correns und Erich von Tschermak-Seysenegg sowie dem Biologen Hugo de Vries wiederentdeckt. 1902 erkannte der Biologe William Bateson, dass die von Mendel aufgestellten Regeln auch auf Tiere übertragbar waren und prägte für die Vererbungslehre den Begriff "Genetik". Noch im selben Jahr erbrachte der amerikanische Arzt William Curtis Farabee den Nachweis über die Anwendbarkeit der Mendelschen Regeln auf den Menschen.

Wesentliche Erkenntnisse über die Vererbungsmechanismen und auch den Nachweis einer linearen Anordnung der Gene auf den Chromosomen brachten die 1910 beginnenden Versuche des Zoologen Thomas Hunt Morgan mit der Frucht- beziehungsweise Taufliege Drosophila als genetischem Modellorganismus – eine Arbeit, die 1933 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurde.

Die Mitte der 1930er Jahre begonnenen Forschungen zu Genanalysen mündeten 1944 im Nachweis über die DNA als Trägerin der genetischen Information durch den Mediziner Oswald Theodore Avery, den Genetiker Colin MacLeod und den Biologen Maclyn McCarty. 1953 entschlüsselten die Molekularbiologen Francis Crick und James Watson die Doppelhelix-Struktur der DNA und wurden dafür neun Jahre später ebenfalls mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Auch in den 1960er Jahren ebnete eine Vielzahl wegweisender und mit Nobelpreisen ausgezeichneter Arbeiten den Weg für die Gentechnik. So gelang den Biochemikern Marshall Warren Nirenberg, Heinrich Matthaei, Har Gobind Khorana und Severo Ochoa die Aufklärung des genetischen Codes, also der wesentlichen Bestandteile des genetischen Alphabets und der Kodierung von Aminosäuren über Tripletts von Nukleotiden. Der Physiologe und Genetiker François Jacob und der Biochemiker Jacques Lucien Monod entwickelten 1961 ein Modell, um die Regulation der Genaktivität durch Eiweißstoffe zu erklären und prägten in diesem Kontext den Begriff des "Operons" als einer Funktionseinheit der DNA.

Die bedeutenden Erkenntnisse der Genetik und Molekularbiologie blieben der Öffentlichkeit nicht lange verborgen. 1962 stellte das Symposium "Man and his future" der Ciba-Stiftung in London bereits humangenetische Erkenntnisse in den Fokus. Die Veranstaltung, zu deren Teilnehmern 27 Wissenschaftler zählten, darunter sechs Nobelpreisträger, gilt heute als Ausgangspunkt für die weltweiten Diskussionen um die Gentechnik. Basierend auf der Grundannahme, dass die krisenhafte Entwicklung der Welt im Kontext des starken Bevölkerungswachstums und der drohenden Erschöpfung natürlicher Rohstoffquellen auf durch Mutationen ausgelöste genetische Fehler der menschlichen Population zurückgehe, gingen die Konferenzteilnehmer davon aus, dass das genetische Material einer sich unkontrolliert vermehrenden Menschheit akut gefährdet sei, und diskutierten Maßnahmen zur Verbesserung seiner Qualität durch künstliche Veränderungen am menschlichen Erbgut. Dazu zählten neben eugenischen Maßnahmen auch erste, in ihrer technologischen Umsetzung jedoch noch völlig unkonkrete Ideen einer zukünftigen Gentechnik. So sprach sich der Biologe Hermann Muller für ein Verfahren aus, das planmäßige Umwandlungen des menschlichen Erbguts durch "Nano-Nadeln" erlaube. Auch der Genetiker Joshua Lederberg erwartete für die kommenden Generationen technologische Möglichkeiten zur Züchtung von Keimzellen zum "Auswechseln von Chromosomensegmenten", worauf "die direkte Kontrolle von Nukleinsäurenfolgen in menschlichen Chromosomen gemeinsam mit dem Erkennen der Selektion und Integration der gewünschten Gene" folgen sollte.

Außerhalb des Symposiums blieben die Visionen einer zukünftigen Gentechnik unter den Fachwissenschaftlern in der Folge weitgehend unbeachtet. Jedoch regten die Veröffentlichungen der Beiträge eine breite Diskussion insbesondere ethischer Fragen der Gentechnik an, noch ehe sie selbst zur Realität geworden war. In der Bundesrepublik ging die Kritik an den Symposiumsbeiträgen vor allem von den Humangenetikern aus, die Manipulationen des menschlichen Erbanlagenbestands generell ablehnten, nicht zuletzt aufgrund der augenscheinlichen Parallelen zwischen den Begründungen für solche Eingriffe und den eugenischen Maßnahmen des "Dritten Reiches".

Ende der 1960er Jahre schritten die Entwicklungen voran, und dem Mikrobiologen Jonathan Beckwith gelang erstmals die Isolierung eines einzelnen Gens aus dem Erbgut des Darmbakteriums Escherichia Coli. Zur selben Zeit entdeckten die Molekularbiologen und Biochemiker Werner Arber, Daniel Nathans und Hamilton Othanel Smith Restriktionsenzyme, mit denen DNA-Fragmente gezielt hergestellt und isoliert sowie zu neuen Kombinationen wieder zusammengesetzt werden konnten. Damit waren die Werkzeuge der Gentechnologie molekularisiert und der Weg bereitet für das erste gentechnische Experiment: 1972 übertrug der Biochemiker Paul Berg die DNA eines afrikanischen Krallenfrosches erfolgreich in Escherichia Coli und stellte darüber sogenannte rekombinante DNA her.

Die Entdeckung von Polymerasen, Restriktionsenzymen, Ligasen und Plasmiden – den molekularen Schneide-, Klebe- und Übertragungswerkzeugen – ermöglichte zu Beginn der 1970er Jahre nicht nur die In-vitro-Synthese von Makromolekülen, sondern auch eine gezielte In-vitro-Manipulation der Erbsubstanz und somit eine Gentechnologie im engeren Sinne.

Erste medizinische und wirtschaftliche Erfolge verzeichnete die Gentechnik Mitte der 1970er Jahre. Der Biochemiker Herbert Boyer und der Investor Robert Swanson gründeten im April 1976 die Genentech Inc., das weltweit erste Biotechnologieunternehmen. 1977 brachte das Unternehmen das erste mithilfe rekombinanter DNA hergestellte humane Wachstumshormon Somatostatin auf den Markt. Nur fünf Jahre später ermöglichten die Arbeiten des Molekularbiologen Howard Goodmans und des Biochemikers William Rutters an der University of California in San Francisco die Isolierung der für die Steuerung der Insulinproduktion verantwortlichen Gene aus Rattenzellen. Sie fertigten eine biochemische Kopie (cloning) der Gene und fügten diese in Escherichia-Coli-Bakterien ein, die das Insulin-Gen an ihre Nachkommen vererbten. Auf Basis dieser Methode produzierte Genentech ab 1982 humanes Insulin als erstes gentechnisch hergestelltes Medikament.

Sicherheitsfragen

Zeitgleich sorgten die Möglichkeiten zur Genübertragung zwischen verschiedenen Spezies und damit das Überschreiten von Artengrenzen für zunehmende Besorgnis unter den Forschenden. Da nur wenige Molekularbiolog*innen eine Ausbildung in medizinischer Mikrobiologie und damit im Umgang mit pathogenen Stoffen erfahren hatten, erwuchs schon bald die öffentliche Forderung, das epidemiologische Gefahrenpotenzial zu prüfen. Ausgelöst durch ein Experiment zur Einbringung von Chromosomen eines Tumorvirus in einen Escherichia-Coli-Bakterienstamm, begannen die an den Forschungen beteiligten Wissenschaftler*innen, im Rahmen von Fachkonferenzen über die Sicherheit der neuen Technologie sowie die Verhinderung einer Freisetzung von Labororganismen zu diskutieren.

Das erste Treffen zur originären Erörterung von Sicherheitsfragen fand im Januar 1973 im Asilomar-Konferenzzentrum in Kalifornien statt und erhielt außerhalb der wissenschaftlichen Community wenig Aufmerksamkeit. Ein halbes Jahr später beschlossen die seinerzeit führenden Biochemiker*innen im Rahmen der Gordon-Konferenz "Nucleic Acids" in New Hampton, mit ihren Bedenken an die Öffentlichkeit zu gehen. Als Ko-Vorsitzende der Konferenz verfassten Maxine Singer von den National Institutes of Health und Dieter Söll vom Department of Molecular Biophysics and Biochemistry der Yale University im Juli 1973 einen Brief an den Präsidenten der National Academy of Sciences, Philip Handler, der bereits zwei Monate darauf in der Zeitschrift "Science" unter dem Titel "Guidelines for DNA Hybrid Molecules" veröffentlicht wurde. Singer und Söll regten im Namen der Konferenzteilnehmer*innen die Einrichtung einer Kommission an, die die geäußerten Bedenken prüfen und gegebenenfalls notwendige Maßnahmen oder Richtlinien herausgeben sollte.

Im Februar 1975 erklärten die 150 teilnehmenden Wissenschaftler*innen der zweiten Asilomar-Konferenz in ihrem Schlussbericht Forschungen mit bestimmten hochpathogenen Stoffen als grundsätzlich unzulässig, während für entsprechende Experimente eine vierstufige Sicherheitsskala eingeführt wurde. Der Bericht wurde in vielen Ländern zur Grundlage für erste Sicherheitsregelungen im Kontext der Gentechnik, so auch in der Bundesrepublik, in der das Bundeskabinett im Februar 1978 Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in vitro neukombinierte Nukleinsäuren verabschiedete.

Erste Medikamente, resistente Pflanzen und transgene Tiere

In den 1980er Jahren konnte die Gentechnik erste kommerzielle Erfolge verzeichnen. Weltweit erfolgte ein Aufbau gentechnologischer Forschungs- und Produktionsstätten, und erste, über gentechnologische Herstellungsprozesse gefertigte Arzneimittel erhielten eine behördliche Zulassung für den therapeutischen Einsatz am Menschen. Nachdem 1982 gentechnisch hergestelltes Humaninsulin auf den Markt gebracht worden war, folgten noch in den 1980er Jahren unter anderem ein Hepatitis-B-Impfstoff, Erythropoetin zur Bildung roter Blutkörperchen, Faktor 8 als ein Blutgerinnungsfaktor, das Enzym TPA zur Auflösung von Blutgerinnseln bei Herzinfarkten oder das humane Protein Interferon, das zur Behandlung von Krebspatienten eingesetzt werden sollte. Die erste Produktgeneration konzentrierte sich insbesondere auf die Bereiche Diagnose und Therapie, wobei man sich wirtschaftlich zunächst auf effizientere, günstigere oder völlig neuartige Lösungen auf dem Arzneimittelmarkt fokussierte. Ein wesentlicher Erfolg der Gentechnik lag in den 1980er Jahren vor allem darin, dass sie zu einem enormen medizinischen Erkenntnisgewinn beitrug, so auch bei der Erforschung des 1983 entdeckten Human Immunodeficiency Virus, kurz HIV.

Im Kontext der Forschungen zur Gentherapie, um genetisch bedingte Krankheiten zu behandeln, wurden in den 1980er Jahren zum Transfer isolierter Gene beziehungsweise von Genabschnitten in eine Zelle zwar bereits drei Methoden entwickelt, jedoch ließen die Vorarbeiten zur somatischen Gentherapie, also der gezielten Veränderung von Körperzellen, aus wissenschaftlicher Sicht lediglich einen beschränkten Einsatz für wenige Erbkrankheiten erwarten. Therapiert werden konnten im Grunde nur solche Krankheiten, die auf die Mutation eines einzigen Gens zurückgeführt werden konnten. Für die zumeist multifaktoriell bedingten Defekte schien eine Anwendung der Gentherapie noch in weiter Ferne.

Ethische Fragen zur Zulässigkeit eines künstlichen Eingriffs am Menschen waren, befördert durch die Fortschritte der Reproduktionstechnologie und hier insbesondere die In-vitro-Fertilisation, bereits zehn Jahre zuvor aufgekommen. Im Juli 1978 kam das weltweit erste durch In-vitro-Fertilisation gezeugte Kind in England zur Welt. In der Bundesrepublik wurde das erste sogenannte Retortenbaby im April 1982 geboren. Parallelen zur Gentherapie ergaben sich vor allem bei Fragen um die Zulässigkeit eines künstlichen Eingriffs in das Leben des Menschen und führten in der Folge zu vielfach undifferenziert geführten Diskussionen der beiden Technologien.

In den USA beschränkten sich die gentechnischen Forschungen in den 1980er Jahren aber nicht auf die medizinischen Anwendungsmöglichkeiten, wenngleich sie dominierten. Im Bereich der Pflanzenzüchtung begannen ebenfalls Forschungen zur Übertragung von Resistenzen gegenüber Salz, Trockenheit, Wärme, Insekten und Viren. Zu den ersten Modellpflanzen gehörten hier Petunien und Tabak, in die eine Übertragung artfremder Gene bereits zu Beginn der 1980er Jahre gelungen war. Erste Versuche mit Nutzpflanzen konzentrierten sich auf die Übertragung von Genen zur Stickstofffixierung, die eine Verringerung der Stickstoffzufuhr über Düngemittel versprachen. In der Bundesrepublik wurde die erste Genehmigung, eine gentechnisch veränderte Pflanze auszubringen, 1989 erteilt.

Ebenfalls im Bereich der grünen Gentechnik angesiedelt waren gezielte Erbgutveränderungen von Tieren, die sich insbesondere darauf konzentrierten, die Milch- und Fleischproduktion von Nutztieren zu steigern. Besondere Aufmerksamkeit erlangte in diesem Kontext das rekombinante Rinderwachstumshormon Bovines Somatotropin (rBST). Infolge der Patentierung einer Methode zur Gewinnung von rBST kam es Mitte der 1980er Jahre zunächst in den USA und in der Folge auch in europäischen Staaten zu intensiven Diskussionen, nachdem Berichte über die ersten "Riesenschweine" und "Riesenschafe" bekannt geworden waren, die unter anderem an Gelenkdeformationen, Herzschwäche und Arthritis litten. Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzungen boten darüber insbesondere die Aspekte Tiergesundheit, Agrarstruktur und Nahrungsmittelqualität.

Versuche mit transgenen, also gentechnisch veränderten Tieren reichten in den 1980er Jahren auch über den Nutztierbereich hinaus und beabsichtigten zugleich die Entwicklung von Modellorganismen, an denen humane Krankheiten sowie Wirkungen und Nebenwirkungen neuer Arzneimittel für den Menschen studiert werden können. Die Hoffnungen bezogen sich hier auf Medikamente zur kausalen Therapie bislang nicht heilbarer Krankheiten wie Aids, Alzheimer oder Arteriosklerose. Besondere Bekanntheit erlangte die mit einem menschlichen Brustkrebsgen versetzte "Onko-Maus" beziehungsweise "Krebsmaus" der Harvard University, die 1988 in den USA patentiert wurde und eine Diskussion über die Patentierbarkeit von Lebewesen auslöste.

Stockende Etablierung

Mit dem Voranschreiten gentechnologischer Entwicklungen erkannte man in der Bundesrepublik das Risiko, in der einschlägigen Forschung den Anschluss an die internationale Spitze zu verlieren. Vor diesem Hintergrund förderte das Bundesforschungsministerium sowohl gentechnologische Forschungsvorhaben im Rahmen eines Biotechnologieprogramms als auch die Gründung von Genzentren als Kooperationen von Hochschulen, Max-Planck-Instituten und der Industrie. Mit dem Einstieg in die Genforschung in Form anwendungsorientierter Grundlagenforschung wurde infolge der Erfahrungen in den USA und der hiesigen Diskussionen um die Kernenergie zugleich erkannt, dass es zu starkem öffentlichen Widerstand kommen könnte. Daher beförderte das Bundesforschungsministerium ab 1983/84 mit Fachgesprächen und Kolloquien sowie der Einrichtung von Kommissionen und Arbeitsgruppen einen Austausch zwischen Wissenschaft und Politik. Ein Gremium, das in diesem Kontext zu großer Bekanntheit gelangte, war die im Juni 1984 vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie". Sie sollte die mit Gentechnik verbundenen ökonomischen, ökologischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen sowie die ethischen Aspekte untersuchen und Empfehlungen für das weitere politische Handeln formulieren. Der 1989 veröffentlichte Abschlussbericht der Enquete-Kommission fand in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit und wurde wegen ihrer Empfehlung zur gesetzlichen Verankerung von Sicherheitsbestimmungen vor allem vonseiten der Industrie stark kritisiert. Im Ergebnis erfolgte Mitte 1990 in der Bundesrepublik eine gesetzliche Regulierung der Gentechnik.

Zur gleichen Zeit wuchs die Zahl gentechnologischer Forschungsarbeiten in den USA immer weiter. Viele Produkte erlangten Marktreife, wenngleich sie kaum umsatzstark etabliert werden konnten. Auch die führenden deutschen Chemie- und Pharmakonzerne wie Bayer, Hoechst, Schering, Boehringer Ingelheim und Boehringer Mannheim, Merck sowie die BASF bauten ihre gentechnologischen Aktivitäten weiter aus. Die Schwerpunkte lagen auf Forschungen zur Entwicklung von Gentherapien, neuartigen Tierimpfstoffen, Diagnostika sowie auf Projekten im Bereich des Pflanzenschutzes.

Im Bereich der roten Gentechnik waren 1998 43 rekombinante Wirkstoffe beziehungsweise Medikamente in Deutschland zugelassen, wobei wenige davon auch hier produziert wurden. Die zugelassenen Wirkstoffe unterstützten unter anderem die Behandlung von Minderwuchs, Diabetes, Krebs, der Bluterkrankheit, Mukoviszidose, Fertilitätsstörungen, Hepatitis B, Hepatitis A/B, Thrombosen oder Blutarmut. Zu den umsatzstärksten gentechnisch hergestellten Pharmazeutika gehörten während der 1990er Jahre Blutwachstumsfaktoren, gefolgt von Insulinen, Wachstumshormonen, Interleukinen als Botenstoffen der Zellen sowie von Interferonen, also köpereigene Proteine beziehungsweise Zytokine, die im Rahmen der Immunantwort auf Virusinfektionen produziert und auch in der Krebstherapie eingesetzt werden.

Bis 2006 stieg die Zahl der in Deutschland zugelassenen gentechnisch hergestellten Arzneimittel auf rund 120, womit etwa vier Prozent aller zugelassenen Wirkstoffe gentechnischen Ursprungs waren und mit rund drei Milliarden Euro bereits zwölf Prozent des gesamten deutschen Arzneimittelumsatzes ausmachten. International wie auch in Deutschland blieb die Entwicklung von Medikamenten aber vor allem auf die Therapie von Krebserkrankungen fokussiert.

Neben der Entwicklung von Wirkstoffen wurden auch Forschungen zur Gentherapie weiter vorangetrieben. 1990 erfolgte der weltweit erste genehmigte klinische Gentherapieversuch an einem vierjährigen Mädchen, das an einem sogenannten ADA-Mangel litt, einem rezessiv erblichen Defekt des Immunsystems, der auf ein einziges in seiner Funktion gestörtes Gen zurückgeht. 1992 folgte in Italien die erste Gentherapiestudie, woraufhin unmittelbar Anträge für Studien in den Niederlanden, Frankreich und der Bundesrepublik eingereicht wurden. Gentherapeutische Studien konzentrierten sich in dieser Zeit auf monogen bedingte genetische Defekte oder Krebserkrankungen und kamen nicht über ein Versuchsstadium hinaus. Beinahe alle weltweit begonnenen klinischen Studien befanden sich noch in Phase I und prüften vornehmlich die Verträglichkeit und Sicherheit des Gentransfers, dessen Erfolgsrate damals kaum zufriedenstellend war. Zu einer Prüfung der Wirksamkeit der Therapie in Phase II gingen nur wenige Studien über.

Gentherapeutische Studien wurden im öffentlichen Diskurs von Beginn an nicht grundsätzlich infrage gestellt. Eine kritische Auseinandersetzung damit erfolgte in Deutschland zumeist lediglich vor dem Hintergrund der Entwicklungen der Reproduktionstechnologien. 1997 läutete das Klonschaf "Dolly" weltweit eine neue Phase der bioethischen Diskussionen ein. Zwar hatten bereits vor dem Bekanntwerden von Dolly Klonierungsversuche an Säugetieren für Aufsehen in der Öffentlichkeit gesorgt, jedoch war Dolly das erste geklonte Säugetier, bei dem die Erbinformation aus bereits ausdifferenzierten adulten Spenderzellen, also von einem ausgewachsenen Säugetier stammte. Ziel des Klonierungsversuchs war die Herstellung einer genetisch identischen Kopie von Dollys Mutter, die infolge der Übertragung eines menschlichen Gens das pharmazeutisch wertvolle Protein Alpha-1-Antitrypsin zur Behandlung von Lungenkrankheiten in ihrer Milch produzierte. Die Verschränkung der Diskussionen um die Reproduktions- und Gentechnologie wurde durch das Dolly-Ereignis weiter befördert und konnte auch durch die von Wissenschaftler*innen unternommenen Versuche um eine Abgrenzung beider Technologiebereiche kaum aufgelöst werden. An den vorrangig bioethischen Diskussionen beteiligten sich neben einer breiten Öffentlichkeit insbesondere Theolog*innen, Philosoph*innen, Biowissenschaftler*innen und Mediziner*innen, die Klonierungsversuche an Mensch und Tier mehrheitlich ethisch begründet ablehnten. Zu den diskutierten Argumenten gehörte neben einer sehr hohen Misserfolgsrate bei Klonierungsversuchen insbesondere die Gefahr einer Instrumentalisierung von Lebewesen als Ersatzteillager im Kontext einer vermeintlich nutzenbringenden Anwendung.

Im Bereich der grünen Gentechnik bewegten sich die Arbeiten in den 1990er Jahren ebenfalls weitgehend im Bereich der Grundlagenforschung. Die industriellen Bemühungen fokussierten sich auf Herbizid- und Pestizidresistenzen. Hinzu kamen Entwicklungsversuche, um die Stressresistenz von Pflanzen zu verbessern und den Gehalt von Zusatz- und Hilfsstoffen sowie qualitätsbestimmender Inhaltsstoffe zu steigern, etwa um den Vitamingehalt von Pflanzen zu erhöhen. Die Forschungen konzentrierten sich dabei auf Mais, Kartoffeln, Raps, Sojabohnen, Tomaten, Baumwolle, Tabak und Zuckerrüben, während gentechnische Veränderungen an Obstpflanzen nur in wenigen Fällen zu Freisetzungsversuchen führten.

Mit der FlavrSavr-Tomate der US-Firma Calgene kam 1994 erstmals ein gentechnisch verändertes Lebensmittel auf den Markt. Die "Anti-Matsch-Tomate" brauchte länger, um zu reifen, und konnte daher auch länger gelagert werden. Zum kommerziellen Durchbruch transgener Kulturpflanzen gelangte die 1996 in der EU zugelassene Roundup-Ready-Sojabohne der US-Firma Monsanto. Sie verfügte über eine Herbizidresistenz, die sie vor dem firmeneigenen Unkrautvernichtungsmittel "Roundup" (Glyphosat) schützte.

Die Genehmigung der Europäischen Kommission zur Anlieferung und Weiterverarbeitung dieser Sojabohnen zog in der Bundesrepublik, ebenso wie in der Schweiz und den Niederlanden, eine Welle von Widerstandsaktionen nach sich. Deutschlandweite, vor allem von Interessensverbänden organisierte Proteste setzten Politik und Industrie unter starken öffentlichen Druck. Im Juni 1996 stieg auch Greenpeace Deutschland umweltpolitisch mit einer Kampagne in das Themenfeld Gentechnik ein und beeinflusste fortan maßgeblich Inhalte und Verlauf der hiesigen Diskussion zur landwirtschaftlichen Anwendung der Gentechnik.

Der Einstieg zahlreicher Umweltverbände in die Debatte rund um grüne Gentechnik erfolgte im Kontext der Auseinandersetzungen zur Kernenergie, zu deren Risiken vielfach Parallelen gezogen wurden, insbesondere zum Größten Anzunehmenden Unfall (GAU). Für beide Technologien wurden die massiven Umweltbelastungen im Wesentlichen auf den technologischen Fortschritt zurückgeführt. Viele Menschen teilten die ökologischen Bedenken, mithilfe von Gentechnik hergestellte Lebensmittel könnten Allergien, chronische Vergiftungen oder Antibiotikaresistenzen verursachen, und sahen die Gefahr einer Auswilderung beziehungsweise eines zufälligen Einkreuzens gentechnisch veränderter Pflanzen in verwandte Wildpflanzen. Unter ökonomischen Gesichtspunkten befürchteten sie eine Konzentration auf wenige Herbizide und Pestizide, und dass die Patente für Produkte der grünen Gentechnik große Landwirtschaftsbetriebe begünstigen und zu Abhängigkeiten von deren Herstellern führen könnten. Gefordert wurde die Stärkung der Verbraucherrechte in Bezug auf gesundheitliche Unbedenklichkeit, Transparenz und Wahlfreiheit.

Industrie und Wissenschaftler*innen führten die mangelnde Akzeptanz der grünen Gentechnik auf Wissensdefizite und ausgeprägte Vorurteile zurück und versuchten zumindest vorübergehend, im Rahmen einer gemeinsamen Strategie mit Aufklärungskampagnen dagegenzusteuern. Verbraucher*innen sollten überzeugt werden, dass gentechnische Verfahren in der Landwirtschaft lediglich eine Fortsetzung der klassischen Züchtung bedeuteten und eine Reihe von Vorteilen bargen.

Zuvor hatte die Bundesregierung einen vorsichtigen Einstieg in Feldversuche gewagt und vier Jahre nach der ersten Genehmigung zur Ausbringung transgener Petunien 1989 einen Freilandversuch für eine Kartoffelpflanze als erster transgener Nutzpflanze genehmigt. Diese sollte einen Stärketyp produzieren, der in der Papierherstellung und Abwasseraufbereitung gebraucht wurde. Beide Versuche hatten für massive Proteste gesorgt – vielfach waren Versuchsfelder zerstört worden –, sodass sie im Ausland fortgesetzt werden mussten. Mit dem Erprobungsanbau des insektenresistenten Bt-Mais erfolgte ab 1998 ein durchaus nennenswerter Anbau transgener Pflanzen in Deutschland, wobei die Feldzerstörungen in der Folge erneut zunahmen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen standen nun die Fragen, ob eine Koexistenz der verschiedenen Anbauformen umsetzbar sei und ob gentechnikfreie Regionen geschützt werden konnten.

Ausblick

Einen wesentlichen technologischen Fortschritt erfuhr 2012 insbesondere der Bereich der roten Gentechnik mit der Entdeckung der "Genschere" CRISPR (clustered regularly interspaced short palindromic repeats) durch die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und die Biochemikerin Jennifer Doudna, die 2020 den Nobelpreis für Chemie erhielten. Mit der Erkenntnis, dass CRISPR-targeting RNA und eine transaktivierende RNA zusammen mit dem Cas9-Protein bewirken, dass Gene von Viren zielgenau inaktiviert werden, wurde es möglich, auch in großen Genomen gezielt Änderungen vorzunehmen. Insbesondere bei Genomen wie dem des Menschen waren bisherige Verfahren zu ihrer Modifikation sehr ungenau. CRISPR/Cas9 ist preiswerter und effizienter als die bisher eingesetzten Methoden und eröffnet mit ihrer Zielgenauigkeit vielfältige Anwendungsmöglichkeiten zur Behandlung schwerer Immunerkrankungen sowie in der Pflanzenzüchtung. So erlaubt die neue Methode in der grünen Gentechnik unter anderem die Herstellung von glutenarmem Weizen oder vitaminreicherem Obst und bedeutet im medizinischen Bereich tiefgreifende Fortschritte insbesondere für die somatische Gentherapie. Unter anderem konnten Wissenschaftler*innen neben veränderten Blutstammzellen zur Behandlung von Bluterkrankungen auch Erfolge in der Krebstherapie sowie der Bekämpfung des HI-Virus oder von Infektionskrankheiten erzielen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Karl Brand, Taschenlexikon der Biochemie und Molekularbiologie, Heidelberg–Wiesbaden 1992, S. 103.

  2. Vgl. Heinrich Zankl, Genetik, München 1998, S. 12.

  3. Vgl. ebd., S. 14.

  4. Es handelte sich ausschließlich um männliche Teilnehmer.

  5. Vgl. Hermann J. Muller, Genetischer Fortschritt durch planmäßige Samenwahl, in: Robert Jungk/Hans Josef Mundt (Hrsg.), Das umstrittene Experiment: Der Mensch, München 1966, S. 277-291, hier S. 285, S. 290.

  6. Vgl. Joshua Lederberg, Die Biologische Zukunft des Menschen, in: ebd., S. 292-301, hier S. 293f.

  7. Vgl. die Originalveröffentlichung Gordon Wolstenholme (Hrsg.), Man and His Future, London 1963 sowie deren deutsche Übersetzung Jungk/Mundt (Anm. 5).

  8. Vgl. Samia Salem, Die öffentliche Wahrnehmung der Gentechnik in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1960er Jahren, Stuttgart 2013, S. 44.

  9. Vgl. Hans-Jörg Rheinberger/Staffan Müller-Wille, Vererbung, Frankfurt/M. 2009, S. 242f.

  10. Vgl. James Watson/John Tooze, The DNA Story, San Francisco 1981, S. 1f.

  11. Vgl. John Richards, Recombinant DNA, New York u.a. 1978, S. 303.

  12. Vgl. Maxine Singer/Dieter Söll, Guidelines for DNA Hybrid Molecules, in: Science 4105/1973, S. 1114.

  13. Vgl. Paul Berg et al., Asilomar Conference on Recombinant DNA Molecules, in: Science 4192/1975, S. 991–994.

  14. Vgl. Wolfgang Schallenberger, Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Biotechnologie, in: Peter Markl (Hrsg.), Neue Gentechnologie und Zellbiologie, Wien 1988, S. 155–165, hier S. 155.

  15. Vgl. Günter Donn, Gentechnologie und Ernährung, in: Hoechst AG (Hrsg.), Gentechnologie, Frankfurt/M. 1986, S. 108–125, hier S. 112, S. 118.

  16. Vgl. Hans-Hermann Schöne, Gentechnologie, mehr als eine Methode, in: Hoechst AG (Hrsg.), Gentechnologie, Frankfurt/M. 1986, S. 5–25, hier S. 22; Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Hrsg.), Biotechnologie und Agrarwirtschaft. Stand und Perspektiven biotechnologischer Forschung und Entwicklung, Münster 1985, S. 18f.

  17. Vgl. Karl Heinz Büchel, Gentechnik bei Bayer für Medizin und Landwirtschaft, in: Bayer AG (Hrsg.), Gentechnik bei Bayer, Leverkusen 1989, S. 12–29, hier S. 22.

  18. Vgl. Aufbruchstimmung 1998. Der erste Report der Schitag Ernst & Young Unternehmensberatung über die Biotechnologie-Industrie in Deutschland, Stuttgart 1998, S. 20.

  19. Vgl. Ulrich Dolata, Politische Ökonomie der Gentechnik, Berlin 1996, S. 26f., Tabelle 1.

  20. Für eine Gesamtlistung siehe Externer Link: http://www.vfa.de/de/forschung/am-entwicklung/amzulassungen-gentec.html.

  21. Vgl. Salem (Anm. 8), S. 180.

  22. Vgl. Gabriele E. Sachse, Gentechnik in der Lebensmittelindustrie, in: Hans Günter Gassen/Michael Kemme, Gentechnik, Frankfurt/M. 1996, S. 144–195, hier S. 180f.

  23. Vgl. Michael Boutros, Präzise Schnitte ins Erbgut, in: Kultur & Natur 15/2019, S. 81–84, hier S. 82.

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ist promovierte Wissenschafts- und Technikhistorikerin und Referentin für wissenschaftliche Weiterbildung an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit.
E-Mail Link: samia.salem@arbeitsagentur.de