"Generationengerechtigkeit" ist eine Kernvokabel der zeitgenössischen Debatte über Gegenwart und Zukunft des Sozialstaates. Begriffe wie "Generationensolidarität" und "Generationenkrieg" bilden einen Rahmen, innerhalb dessen sich eine Vielzahl von Deutungen der Generationenverhältnisse bewegt. Dabei stechen der Generationen- und der Gerechtigkeitsbegriff selbst in den an umstrittenen Begriffen reichen Sozialwissenschaften und der Philosophie hervor. Seit Karl Mannheims Grundlagentext über "Das Problem der Generationen"
Aus soziologischer Perspektive erweisen sich Konzepte als besonders produktiv, die gesellschaftliche und kulturelle Aspekte zusammenführen. Demnach kann "Generation" als ein sozialkulturelles Konstrukt verstanden werden, in dem individuelle Vergesellschaftungsprozesse und -erfahrungen mit gesellschaftlichen Erzählungen zusammenspielen.
Auch der Begriff der "Gerechtigkeit" ist vieldeutig. Besonders einflussreich wirken die Theorien der Philosophen John Rawls und Michael Walzer. Nach Rawls ist es die Aufgabe der Gerechtigkeitstheorie, "Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit" zu finden, auf die sich eine Gesellschaft einigen kann. Diese Grundsätze würden "die Zuweisung von Rechten und Pflichten in den grundlegenden Institutionen der Gesellschaft" ermöglichen und "die richtige Verteilung der Früchte und der Lasten der gesellschaftlichen Zusammenarbeit" festlegen.
Michael Walzer stellt die Verteilungsgerechtigkeit ebenso ins Zentrum seiner Überlegungen und versteht sie als normative Grundlage wohlfahrtsstaatlicher Institutionen. Dabei betrifft seine "Idee der distributiven Gerechtigkeit (…) nicht nur das Haben, sondern ebenso das Sein und das Tun" und ist mit "der Produktion ebenso eng verknüpft wie mit der Konsumtion und mit Identität und Status nicht minder eng als mit Grundbesitz, Kapital und persönlicher Habe". Walzer fasst Gesellschaft als eine Verteilungsgemeinschaft, in der vor allem "der gemeinsame Besitz, die Verteilung und der Tausch von Dingen" die Menschen zusammenführen würden. In dieser Gesellschaft werden soziale Güter wie Sicherheit, Wohlfahrt, Geld und Waren, aber auch Ämter, Erziehung, Bildung, Anerkennung und politische Macht in unterschiedlichen Sphären nach unterschiedlichen Regeln verteilt. Aus dieser eher erweiterten Gerechtigkeitsperspektive bezweifelt Walzer Möglichkeit und Sinnhaftigkeit einer universellen Theorie der Gerechtigkeit mit Gültigkeit für alle Sozialgüter und Verteilungssphären. Kerngedanke seiner Theorie der "Sphären der Gerechtigkeit" ist vielmehr, "dass die Prinzipien der Gerechtigkeit in ihrer Form selbst pluralistisch sind; dass verschiedene Sozialgüter aus unterschiedlichen Gründen von verschiedenen Agenten und Mittlern auf der Basis unterschiedlicher Verfahren verteilt werden sollten und dass alle diese Unterschiede sich herleiten aus den unterschiedlichen Bedeutungen der Sozialgüter selbst – dem unvermeidbaren Resultat eines historischen und kulturellen Partikularismus". Zentral für Walzer ist seine herrschaftssensible Gleichheitsvorstellung. Gleichheit, nicht zuletzt zwischen den Geschlechtern, könne nur erreicht werden, "wenn es niemanden gibt, der Mittel in seinem Besitz hält oder kontrolliert, die es ihm erlauben, über andere zu herrschen". Dabei zielt sein Begriff der "komplexen Gleichheit" nicht nur auf die Verteilung einzelner Güter, sondern auf die Gesamtheit aller sozialen Güter in allen Verteilungssphären und ihre Relationen zueinander. Für den Einzelnen bedeute Gleichheit daher, "dass die Position eines Bürgers in einer bestimmten Sphäre oder hinsichtlich eines bestimmten sozialen Guts nicht unterhöhlt werden kann durch seine Stellung in einer anderen Sphäre oder hinsichtlich eines anderen sozialen Gutes".
Vom Ungleichheits- zum Generationendiskurs
Gesellschaftliche Normen und Leitbilder entstehen und verändern sich in spezifischen sozioökonomischen Zusammenhängen und gesellschaftlichen Diskursen. In der Regel sind sie in größere Narrative eingebunden. Materielle Interessen sowie Hegemoniekonstellationen zwischen sozialen Klassen und Gruppen finden Eingang in diesen Kontext. Für die Debatten um Generationengerechtigkeit waren oft weniger elaborierte philosophische Analysen als vielmehr deutlich gröbere individuelle Gerechtigkeitsvorstellungen ausschlaggebend. Dabei wurde häufig weniger die Ungleichheit der Einkommen und Güterausstattung zwischen den Generationen als Gerechtigkeitsproblem wahrgenommen. Bedeutender waren vielmehr die Ungleichheitsrelationen, die sich aus der zum gleichen Zeitpunkt stattfindenden Umverteilung zwischen Personen, Haushalten oder sozialen Gruppen ergeben.
Trotz ihrer mitunter verwirrenden Vieldeutigkeit haben Narrative, die mit Generationen- und Gerechtigkeitsbegriffen arbeiten, vielfach Eingang in die sozialpolitischen Debatten gefunden. Das gilt vor allem für die Kontroversen um eine generationengerechte Alterssicherung. Dabei entwickelte sich die Idee eines Generationenvertrages als Leitlinie der Familien- und Sozialpolitik unter den Bedingungen des nationalen Wohlfahrtsstaatskapitalismus. Die ökonomische Basis lieferte das Zusammenspiel einer spezialisierten Massenproduktion und eines durch Tarifverträge und Sozialeinkommen gestützten Massenkonsums, das in Deutschland eine Prosperitätsperiode trug, die bis in die 1970er Jahre hineinreichte. Ein infrastrukturschaffender und konjunkturstützender Wirtschaftsstaat glättete Konjunkturschwankungen und band Kapitalverbände und Gewerkschaften in einen sozialstaatlichen Korporatismus ein. Getragen wurde dieser von einem institutionell abgesicherten Klassenkompromiss. Parität, also vor allem die hälftige Beteiligung der Arbeitgeber an der Finanzierung der Sozialversicherungen, avancierte vor allem in dieser Zeit zur "zentralen Friedensformel des deutschen Korporatismus".
In dieser Entwicklungsphase wurde der Begriff des "Generationenvertrages" zur Leitlinie für einen fairen intergenerationellen Austausch: "Familienförderung und Alterssicherung standen (…) in einem Legitimationszusammenhang. Mit der Familienförderung unterstützt die erwerbstätige Generation die heranwachsende Generation, die den Generationenvertrag fortsetzt, und mit den Beiträgen zur öffentlichen Rentenversicherung sorgt sie für die Alten."
Im Zuge des Übergangs vom Wohlfahrtsstaatskapitalismus zum Finanzmarktkapitalismus nahm die Kritik am traditionellen Generationenvertrag zu.
Im Laufe dieser Entwicklung vollzog sich der Übergang von der Ungleichheits- zur Generationendebatte.
Das normative Prinzip der Generationengerechtigkeit orientiert sich in dieser Lesart an der Proportionalität von Aufwand und Ertrag sozialstaatlicher Leistungen. Dabei soll die Relation von Leistung und Gegenleistung in jeder Alterskohorte gleich sein.
Gleichwohl sind Generationenbilanzen als methodischer Ansatz zur Entwicklung normativer Zielstellungen und politischer Positionierung keineswegs unumstritten. Die hohe Abhängigkeit individueller Sparleistungen von Produktivitätsentwicklungen oder Zinssätzen bleibt ebenso unterbelichtet wie die Übertragung von gesellschaftlichem Sach- und Humankapital wie Infrastruktur oder Ausbildungen an nachfolgende Generationen. Auch private Transfers zwischen den Kohorten wie Kindererziehungsleistungen, private Pflegeleistungen oder die Vermögensübertragung durch Erbschaften werden systematisch ausgeblendet. Insgesamt bleiben die tatsächlichen Verteilungseffekte und eine realistische Belastungs- und Verteilungsbilanz innerhalb und zwischen den Kohorten unerkannt, wenn ausschließlich private Aufwendungen oder öffentliche Transfers in die Generationenbilanz einbezogen werden. Es waren und sind diese und andere Defizite, die das Messkonzept der Generationenbilanzen zumeist in antisozialstaatliche Politikempfehlungen münden lassen und sozialstaatliche Transfers und wohlfahrtsstaatliche Institutionen pauschal unter Generalverdacht stellen, gegen die Generationengerechtigkeit zu verstoßen.
Generationengerechtigkeit und die ökonomisch-ökologische Krise
Normative und politische Modelle, die unter den Bedingungen der Gegenwart eine ausbalancierte Aufteilung von Kosten und Erträgen gesellschaftlicher Wertschöpfung sichern wollen, haben eine in den klassischen Gerechtigkeitsdiskursen unterbelichtete Problemdimension zu integrieren. Der neue Kapitalismus ist nicht nur ungleicher und individualistischer als sein Vorgänger. Er befindet sich zudem in einer systemischen "ökonomisch-ökologischen Zangenkrise".
Wird akzeptiert, dass das gegenwärtige Wachstumsmodell repulsiv geworden ist, erfordert dies die Arbeit an einem neuen Entwicklungsmodell. Anzustreben wäre eine Wirtschaft, die nicht unter einem systemischen Wachstumszwang ächzt, sondern die wächst, wo sie wachsen soll und auf Wachstum verzichtet, wo es die Gesellschaft spaltet oder die Natur überfordert.
Fragen der Generationenbeziehungen sind in diese Diskurse einzubeziehen. Eine Sozialpolitik, die sich traditionell aus den Wertschöpfungszuwächsen einer wachsenden Ökonomie bedient, sollte sich dabei neu orientieren. Denn ein sozial und ökologisch nachhaltiges Wachstum würde nicht nur flacher als in der Vergangenheit ausfallen müssen. Es verändert auch die Bedingungen des intergenerationellen Austausches und wirft damit neue Fragen von Generationengerechtigkeit auf.
Kernpunkte einer inklusiven Generationenvereinbarung
Die Debatte um eine ausbalancierte Generationenbeziehung müsste also in die Suche nach Wegen einer sozialökologischen Transformation von Produktion, Konsum und Lebensweise integriert werden. Dabei wäre vor allem eine versicherungsmathematische Engführung bei der Ermittlung intergenerationeller Bilanzen zu vermeiden. Vielmehr zielt die Forderung nach einem inklusiven Gerechtigkeitsbegriff darauf, neben intergenerationellen Geldströmen auch die Verteilung anderer Sozialgüter im Sinne Michael Walzers in etwaige Generationenbilanzen einzubeziehen und die Gerechtigkeitskriterien der jeweiligen Verteilungssphären zu einem möglichst widerspruchsarmen integrierten Verteilungsmodell zusammenzuführen. Dabei lassen sich, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige Mindestanforderungen an ein komplexes Generationenabkommen formulieren, das als Grundlage in der gegenwärtigen Umbruchperiode wirken könnte.
Lebensstandardsicherung als generationenübergreifende Leistungszusage
Zunächst erweist sich die belastbare Zusage eines Alterseinkommens, das im Großen und Ganzen den über die Erwerbsbiografie hinweg erworbenen Lebensstandard sichert, als unverzichtbar. Eine solche Sicherungszusage an alle Generationen erweist sich gegenüber individuellen Rendite- oder Rentabilitätsvergleichen als überlegen. Sie zielt auf vergleichbare und damit gerechte Leistungszusagen, die die jeweiligen gesellschaftlichen Wohlstandsniveaus und biografisch-längsschnittorientierte Betrachtungen in die Gerechtigkeitsüberlegungen einbeziehen. Mit Blick auf die Gerechtigkeitsschäden, die den Privatisierungspolitiken der vergangenen Jahrzehnte anzulasten sind, gilt es, solche Einkommens- und Sicherungszusagen der Erwerbstätigengeneration vor den übermächtigen Verwertungsansprüchen der im Gegenwartskapitalismus einflussstarken "Dienstklasse des Finanzmarkt-Kapitalismus"
Universalisierung von Beitragspflicht und Leistungsansprüchen
Insgesamt dürften Gerechtigkeitsregeln in dem Maße an Akzeptanz gewinnen, in dem möglichst alle Mitglieder der Gesellschaft, die an der Herstellung der wirtschaftlichen und sozialen Güter beteiligt sind, in die Verteilungsgemeinschaft der Alterssicherung einbezogen werden. Das gegenwärtige Rentenversicherungssystem konzentriert sich auf die soziale Mitte der abhängig Beschäftigten. Es erfasst nur Erwerbsarbeit oberhalb versicherungsrechtlicher Geringfügigkeit und unterhalb von privilegierten Beschäftigungsformen wie dem Beamtenstatus oder Einkommenspositionen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze. Die Universalisierung von Beitragspflicht und Sozialschutz durch die Einbeziehung möglichst aller Erwerbspersonen und Einkommen in die Verteilungsgemeinschaft der gesellschaftlichen Alterssicherung erweist sich somit als dringliches Erfordernis. Realisiert werden kann es durch die Erweiterung der Rentenversicherung in eine allgemeine Erwerbstätigenversicherung sowie einen höheren Steuerzuschuss, durch den auch Einkommen aus Geld- und Kapitalvermögensbesitz in die Finanzierung der Alterssicherung einbezogen werden.
Komplexe Generationenbilanz
Doch eine umfassend gerechte Generationenvereinbarung muss über die Sphäre monetärer Transfers hinausreichen. Ein solcher Anspruch findet bereits Anknüpfungspunkte in den Gerechtigkeitstheorien von Rawls und Walzer. Beide blicken in ihren Vorstellungen von Verteilungs- und Generationengerechtigkeit nicht nur auf Geld. Rawls schließt in sein Konzept einer "gerechten Sparrate", durch die Vermögenswerte an die nachfolgende Generation übertragen werden sollen, auch Infrastruktur, Institutionen, Wissen und Kulturtechniken ein. Und für Walzers Begriff der komplexen Gerechtigkeit ist ohnehin die (generationen)gerechte Verteilung aller Sozialgüter konstitutiv. Das erfordert die Einbeziehung qualitativer Dimensionen intergenerationeller Austauschbeziehungen in den Gerechtigkeitsdiskurs. Das bezieht sich etwa auf Arbeitsplatzsicherheit, Infrastruktur, medizinische Versorgung oder Wohnstandards als zentrale Teile des komplexen Ensembles der Arbeits- und Lebensbedingungen.
Generationengerechte Inanspruchnahme der Natur
In Zeiten der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise des Gegenwartskapitalismus müssen inter- wie intragenerationelle Gerechtigkeitsüberlegungen Fragen des Zugriffs auf die Natur integrieren. Das heißt nicht, dass die nachwachsende Generation nicht von Sozialgütern wie Schulen, Universitäten, Infrastrukturen oder Ähnlichem profitieren würde, die nur unter Inanspruchnahme der Natur zur Verfügung gestellt werden können. Der hier anfallende Naturverbrauch geht in die Naturbilanz dieser Generation ein. Doch die Nutzung der Natur spielt in den klassischen Gerechtigkeitstheorien, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Sie erweisen sich als ergänzungs- und korrekturbedürftig. Nötig ist die explizite Einbeziehung von Naturgebrauch und -verbrauch als gerechtigkeitsrelevante Dimensionen in alle Modelle gerechter Generationenbeziehungen. Naturressourcen wären dabei nicht nur als Sozialgut im Sinne Walzers zu fassen, sondern als frei verfügbare, aber begrenzte Allmenden (Gemeingüter) zu konzipieren. Die planetarischen Grenzen der Vernutzung markieren zugleich die Grenzen der materiellen Wertschöpfung und damit den Rahmen, innerhalb dessen sich intergenerationelle Verteilungsprozesse bewegen müssen.
Ausblick
Formulierung und Abschluss einer neuen Generationenvereinbarung haben hohe normative Voraussetzungen. Ihr Modell der Generationengerechtigkeit ist auf gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen. Diese muss aus öffentlichen Debatten hervorgehen und intergenerationelle Konsenspotenziale ausloten. Doch wie in anderen Verteilungskonflikten wird auch hier der "eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Arguments"
Dabei werden Konflikte entlang von Klassenlagen heute vielfach durch Erzählungen von Generationenkonflikten oder gar -kriegen überlagert. Zu Unrecht. Der primäre Verteilungskonflikt verläuft zwischen den Besitzern von Real- und Finanzkapital und denen, die ihren Lebensunterhalt aus Lohnarbeit oder prekärer Soloselbstständigkeit bestreiten müssen. Je schlechter die Verteilungsposition der abhängig Arbeitenden ausfällt, und je mehr der Steuerstaat Kapitaleinkommen und große Vermögen verschont, umso weniger steht im Beitrags- und Steueraufkommen für sozialstaatliche Umverteilung zur Verfügung – auch für die zwischen den Generationen. Ein ausbalanciertes und als gerecht empfundenes Modell der Generationenbeziehungen wird ohne einen neuen Klassenkompromiss kaum zu haben sein.