Alleweil wird eine neue Generation gebacken. Den Anfang machen die "Wilhelminer", die Alterskohorte der zwischen 1854 und 1864 in Deutschland geborenen Männer, zu denen auch Kaiser Wilhelm II. selbst zählte. Er steht manchen Interpreten zufolge stellvertretend für den leicht aufbrausenden, ebenso hochtrabenden wie nervösen kollektiven Charakter dieser Generation, der in dieser Lesart maßgeblich zur aggressiven imperialistischen Außenpolitik des Kaiserreiches seit der Jahrhundertwende beitrug. Darauf folgt die sogenannte Frontgeneration des Ersten Weltkrieges, die in den Schützengräben an der Westfront ihre prägenden Erlebnisse hatte. Die dort eingeprägte Härte, Unnahbarkeit und Militanz fand in zahlreichen Kriegsromanen der 1920er und frühen 1930er Jahre ihren Ausdruck. Ihr folgt wiederum die sogenannte Kriegsjugendgeneration der zwischen 1900 und 1910 Geborenen, die im Schatten des Krieges aufwuchsen, aber zu jung waren, um sich an der Front zu bewähren.
Die Zeit nach 1945 beginnt mit der sogenannten Flakhelfergeneration. Dies ist allerdings eine eher "unglückliche Kategorie", da zu den Luftwaffenhelfern der letzten Phase des Zweiten Weltkrieges eigentlich nur die drei Jahrgänge von 1926 bis 1928 zu rechnen sind, während die meisten historisch akzentuierten Generationenbegriffe eher zehn bis 15 Jahrgänge umfassen. Der Soziologe Helmut Schelsky hat für die in den 1920er Jahren Geborenen auch von der "skeptischen Generation" gesprochen. Einen ähnlichen Akzent setzt der Begriff der "45er" für etwa dieselbe Alterskohorte, indem er sich auf das Jahr 1945 als jenen Moment bezieht, in dem das "Dritte Reich" den Krieg verlor und die NS-Diktatur unterging. Lebensgeschichtlich, so das Argument, habe diese Erfahrung die Abkehr von den falschen Idealen des Hitlerfaschismus ermöglicht und damit den Weg für eine nüchterne Anerkennung und Unterstützung der politischen Normalität einer parlamentarischen Demokratie eröffnet. Die Generation der "68er" – damit ist zumeist die Alterskohorte der um 1940 Geborenen gemeint – wird von ihren Anfängen in der Protest- und Studentenbewegung der späten 1960er Jahre bis zu ihrem linken politischen Engagement in den folgenden Jahrzehnten verfolgt. Für die Zeit vor und nach der Jahrtausendwende wird die Zuschreibung von Generationen dann sehr viel bunter und unübersichtlicher. 2000 prägte der Autor Florian Illies in einem viel gelesenen Buch den Begriff der "Generation Golf". Für die Altersgruppe der in den 1990er Jahren Geborenen hat sich zuerst im englischen Sprachraum, bald danach aber auch in Deutschland, die Bezeichnung "Millenials" oder auch "Generation Y" eingebürgert.
Wie diese keineswegs vollständige Aufzählung zeigt, herrscht an prägnanten Namen und Zuschreibungen von Generationen kein Mangel. Auffällig ist auch, dass der Generationenbegriff als Bezeichnung konstant bleibt, dabei aber eine große Spannbreite von Phänomenen abdecken soll: Die erfahrungsprägende Wirkung der jahrelangen Teilnahme an einem Krieg und die Vorliebe für den Erwerb eines bestimmten Mittelklassewagens sind zwei durchaus grundverschiedene Sachverhalte. Ebenso bunt und vielfältig präsentiert sich auch die historisch-sozialwissenschaftliche Forschung zum Begriff und zum Phänomen der Generationen. Dabei bleiben erhebliche Zweifel an der genauen begrifflichen Eingrenzung, der Reichweite und dem Erklärungswert des Generationenkonzepts bestehen, Zweifel, die sich im Übrigen auch durch die einschlägige Literatur ziehen. Dessen ungeachtet wird Generation als ein "soziologischer Grundbegriff" bezeichnet, der neben Kategorien wie "Klasse" und "Geschlecht" angesiedelt sei und in seinem Erklärungsanspruch "mindestens einen ebenbürtigen Rang" habe. Was hat es damit auf sich? Welche Phänomene lassen sich mit dem Konzept der Generation beschreiben, und welche Blindstellen und Probleme bringt dieser Ansatz mit sich?
Der Klassiker
Um diese Fragen zu beantworten, empfiehlt sich zunächst der neuerliche Blick auf einen Text, den alle Stellungnahmen zur Generationenforschung als den "Klassiker" bezeichnen: Gemeint ist ein Aufsatz von Karl Mannheim von 1928 zum "Problem der Generationen". Der aus Ungarn stammende Soziologe lehrte zu diesem Zeitpunkt als Privatdozent an der Universität Heidelberg. Mit seinen Arbeiten zur Wissenssoziologie, die die gesellschaftliche Bedingtheit und Relativität der Produktion von Wissen in den Blick nahmen, war er einer der innovativsten soziologischen Denker der 1920er Jahre. Gleich zu Beginn seines Aufsatzes präsentierte Mannheim seinen Ansatz als eine Synthese. Auf der einen Seite stehe ein generativ-positivistisches Verständnis von Generationen, das er vor allem in Frankreich vorherrschend sah. In dieser Lesart sind Generationen eigentlich Alterskohorten: Sie entstehen aus dem biologischen Rhythmus von Geburt und Tod und dem daraus resultierenden generativen Verhalten, das mit demografischen Methoden messbar ist. Auf der anderen Seite gebe es ein romantisches Generationenverständnis, das Mannheim in den deutschen Geisteswissenschaften verortete. Neben dem Philosophen Wilhelm Dilthey, der den Generationenbegriff seit den 1870er Jahren im deutschen Sprachraum popularisiert hatte, nannte Mannheim den Kunsthistoriker Wilhelm Pinder. In einem zuerst 1926 erschienenen Buch hatte Pinder die Abfolge von Stilrichtungen in der bildenden Kunst auf die Altersgebundenheit der Künstler und den daraus resultierenden "Generationscharakter" ihrer Werke zurückgeführt. Mit einer Metapher aus der Musik und in zutiefst idealistischer Terminologie beschrieb Pinder die Generationen als "Stimmen", deren "verborgene[s] Nacheinander" der Kunsthistoriker als "Polyphonie" erkennen und sichtbar machen müsse.
Um die Einseitigkeiten beider Ansätze zu überwinden, schlug Mannheim eine Synthese vor. Dabei unterschied er zwischen "Generationslagerung", "Generationszusammenhang" und "Generationseinheit". Die gemeinsame Lagerung einer bestimmten Generation im sozialen Raum ergab sich für Mannheim nicht automatisch aus dem gemeinsamen Aufwachsen bestimmter Alterskohorten, sondern aus der Möglichkeit einer gemeinsamen Partizipation an "verbindenden Ereignissen oder Erlebnisgehalten". Für diese tiefgreifende Prägung durch kollektiv geteilte Erfahrungen benutzte Mannheim auch den Begriff der "Erlebnisschichtung". Diese Wortwahl hatte einen strategischen Sinn, denn durch Mannheims Text zieht sich der Vergleich mit der sozialen Schichtung und dem Begriff der Klasse als einer grundlegenden Kategorie der Gesellschaftsanalyse.
In einen "Generationszusammenhang" tritt eine Jugendkohorte erst dann ein, wenn aus der Möglichkeit einer Teilhabe an gemeinsamen Erlebnissen eine Realität wird, diese Jugend also an "derselben historisch-aktuellen Problematik orientiert ist". Mannheim machte diese Begriffsbildung in direkter Analogie zur marxistischen Vorstellung des Übergangs von der Klasse "an sich" zur Klasse "für sich", also einer Arbeiterklasse, die erst über den Klassenkampf und die Teilhabe an Arbeiterparteien zu ihrer Aktionseinheit "für sich" findet. Den letzten Punkt seiner Begriffstrias, die "Generationseinheit", beschrieb Mannheim als ein "einheitliches Reagieren" und "Mitschwingen" verschiedener Gruppen innerhalb eines Generationszusammenhangs. Als Beispiel dafür nannte er das Mit- und Gegeneinander einer "romantisch-konservative[n]" und einer "liberal-rationalistische[n]" Strömung in der gebildeten Jugend um 1800.
Probleme und Blindstellen des Generationenkonzepts
Im Abstand von mehr als 90 Jahren wird deutlich, dass in Karl Mannheims Generationenkonzept eine Reihe von Problemen eingelassen sind, von denen sich die Generationenforschung bis heute nicht vollständig gelöst hat. Das erste besteht darin, dass Mannheim drei Dimensionen von Generation zusammenführt und verklammert, die analytisch besser getrennt gehalten werden: die biologische Abfolge von in bestimmten Jahrgangsgruppen geborenen Alterskohorten; durch gemeinsame Ereignisse geprägte Generationen; und schließlich Generationen als Altersstufen, die innerhalb des Lebenslaufes aufeinander folgen (Kindheit, Jugend, Alter). Dieses erste Problem wird dadurch gesteigert, dass Mannheim seinen Generationenbegriff eng an den "Mythos Jugend" koppelt: Für ihn ist es allein die Jugendphase, in der dauerhaft prägende Erfahrungen gemacht werden, und es ist die Jugend, die für das Versprechen einer Erneuerung der Gesellschaft und damit für das progressive Voranschreiten der Geschichte steht. Diese Festlegung war eng an die Entdeckung der Jugend als einer eigenständigen Lebensphase im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und an die intensive Kultivierung des Jugendmythos in der Weimarer Republik gekoppelt. Sie ist nur vor diesem zeitspezifischen Hintergrund zu verstehen. Heute ist der Mythos der Jugend verblasst und die Jugendphase eher zu einem sozialen Problem geworden. Zudem ist die Annahme, dass allein die Jugend durch Sozialisation und Erziehung tiefgreifend geprägt wird, nicht mehr plausibel, wie etwa die Vorstellung eines lebenslangen Lernens andeutet.
Ein weiteres Problem von Mannheims Ansatz ist, dass er trotz seines Versprechens einer Synthese die romantische Fundierung des Generationenkonzepts nicht überwunden hat. Zwar lehnte Mannheim die von Pinder stammende Vorstellung ab, jede Generation habe ein "inneres Ziel", welches ihr Lebensgefühl präge. Aber auch die Idee einer gemeinsamen, von einer ganzen Alterskohorte geteilten Erlebnisschichtung ist selbst zutiefst romantisch geprägt. Dies wird unter anderem daran deutlich, dass Mannheim die bürgerliche Jugendbewegung als Beispiel für eine durch "Gruppenbildungen" konkret gewordene Generationseinheit anführte. Doch die Jugendbewegung der Zeit um 1900 war ein Sonderfall, eine sozial höchst exklusive, in ihren Ritualen und Verkehrsformen nach innen gewandte und von einem elaborierten Gefühlscode getragene Form der Vergemeinschaftung, die auf einer ausdrucksstarken Variante des romantischen Jugendmythos basierte. Die 1913 etwa 25000, ausnahmslos bürgerlichen Mitglieder der "Wandervogelbewegung" standen eben nicht in einer auf gemeinsamer "Erlebnisschichtung" basierenden Generationslagerung mit gleichaltrigen Jugendlichen aus Arbeiter- und Bauernfamilien, die bis zu zwölf Stunden am Tag an der Werkbank oder auf dem Feld harter körperlicher Arbeit nachgingen. Vor 1914, aber auch noch lange danach, waren die Wahrnehmungsweisen und Erfahrungswelten unterbürgerlicher Schichten von denen der kleinen Gruppe des Bildungsbürgertums meilenweit entfernt. Die angebliche "Tatsache, daß Menschen verwandter Jahrgänge historische Ereignisse aus derselben lebenszeitlichen Perspektive heraus wahrnehmen", ist eben keineswegs "so einleuchtend wie trivial." Es bleibt in jedem Einzelfall empirisch zu untersuchen, welche Erlebnisprägungen tatsächlich vorlagen, welche Alterskohorten von ihnen betroffen waren und in welchem Umfang bestimmte Erlebnisse Gemeinschaften stifteten. Erst dann lässt sich entscheiden, ob eine mögliche generationelle Prägung nicht durch klassen-, schicht- und geschlechtsspezifische Faktoren durchbrochen oder unterlaufen wurde.
Damit ist ein weiterer Kritikpunkt angesprochen, die Geschlechterblindheit, ja mehr noch der Geschlechterbias von Mannheims Ansatz und fast aller an ihn anschließenden Forschungen. Aus Mannheims Text geht klar hervor, dass die jugendliche Generation für ihn stets nur aus jungen Männern bestand und das Kind somit zwangsläufig zu einem "Jüngling" heranwuchs. Nehmen wir einige der genannten Generationsprägungen in den Blick, so ist klar, dass sowohl die "Frontgeneration" des Ersten Weltkrieges als auch die "Flakhelfergeneration" als exklusiv männlich zu verstehen sind. Dasselbe gilt aber auch für die "Kriegsjugendgeneration". Diese wird üblicherweise durch den Versuch charakterisiert, die fehlende Fronterfahrung, welche die älteren Brüder dieser Altersgruppe aufwiesen, durch einen aggressiven Nationalismus und eine betont militante Haltung in den innenpolitischen Kämpfen der Weimarer Republik zu kompensieren. Wiederum liegt dem nur eine recht schmale Stichprobe ausnahmslos bürgerlicher Repräsentanten dieser Altersgruppe zugrunde. Auch die zeitgenössische Literatur, auf die sich die historische Konstruktion dieser generationellen Lagerung stützt, beschrieb diese Gruppe ganz selbstverständlich als "Söhne ohne Väter und Lehrer", wie es der Journalist Peter Suhrkamp 1932 in einem Essay formulierte.
Auffällig an dieser Formulierung ist auch, dass Suhrkamp keine Notwendigkeit sah, die prägende Wirkung der Mütter zu erwähnen. Das ist kein Zufall. Denn eine Analyse der zahlreichen Texte, die in den 1920er und frühen 1930er Jahren die Problematik der jugendlichen Altersgruppen erörterten, zeigt, dass sie allein "Männergenerationen" konzipierten. Die Beschwörung männlich-aggressiver Eigenschaften in dieser Alterskohorte sollte eine als krisenhaft verstandene Unordnung der Geschlechterbeziehungen korrigieren. Dazu gehörte auch eine gezielte "Negation der Mutter", die den weiblichen Einfluss auf die heranwachsenden jungen Männer herunterspielte oder komplett leugnete. Die Kriegsjugendgeneration war also nicht nur ohne Frauen konstruiert, sondern vielmehr ganz gezielt gegen diese. Der Generationendiskurs der Weimarer Republik bezog nur im Ausnahmefall junge Frauen ein, die in der Regel – weitaus präziser – als "junge Angestellte" oder "junge Arbeiterin" firmierten. Als die Boulevardzeitung "Tempo" 1929 das "Gesicht der weiblichen Generation" suchte, geschah dies im Rahmen eines Schönheitswettbewerbs, den die Redaktion ausgelobt hatte.
Mannheims Generationenkonzept und viele der an ihn anschließenden Forschungen weisen also mindestens vier miteinander verzahnte Probleme und Blindstellen auf: die Vermengung der Dimensionen Alterskohorte, generationelle Prägung und Lebensalter; die Bindung an den um 1900 entstandenen Jugendmythos; die Geschlechterblindheit, die historisch oft mit der gezielten Verneinung der Präsenz und Handlungsfähigkeit von Frauen verbunden war; und schließlich die romantische Überzeichnung der auf einer gemeinsamen "Erlebnisschichtung" basierenden "Generationslagerung", die gewissermaßen den Rohstoff darstellt, auf dessen Grundlage dann ein "Generationszusammenhang" entstehen kann. Diesen Punkt will ich an einem konkreten Beispiel nochmals vertiefen, da er die wichtigste Ursache für die so oft anzutreffende Überzeichnung der Fundierung von Generationen im 20. Jahrhundert ist.
Für die Frontgeneration des Ersten Weltkrieges scheint es selbstverständlich, eine gemeinsame Generationslagerung anzunehmen. Der Historiker Ulrich Herbert etwa definiert – in klarer Anlehnung an Karl Mannheim – eine "politische Generation" dadurch, dass "bedeutsame und langfristig folgenreiche Ereignisse und Entwicklungen die Erlebnisse einer zu dieser Zeit heranwachsenden Altersgruppe geprägt" haben. Dies, so seine These, traf "auf den alle bisherigen Erfahrungsdimensionen sprengenden Ersten Weltkrieg (…) in besonderer Weise zu". Aber war dies tatsächlich der Fall? Wer gehörte überhaupt zu der nach 1918 so wortreich ausgemalten Frontgeneration? Zur Beantwortung dieser Frage sind zunächst einige Zahlen nötig. Von den rund 13,1 Millionen Männern, die von 1914 bis 1918 in Deutschland zum Wehrdienst eingezogen wurden, dienten zwei Drittel im Feldheer und ein Drittel in den Garnisonen in der Heimat. Gewiss, es gab einen Austausch von Personal. Aber viele Soldaten blieben eben auch die meiste oder die gesamte Zeit des Krieges über in der Heimat stationiert und arbeiteten dort als Ausbilder oder im Wachdienst. Die Front sahen sie nicht einmal aus der Ferne. Aber auch die Angehörigen des Feldheeres standen keineswegs alle stets oder auch nur für längere Zeit an der Front und waren dort direkt in Kampfhandlungen verwickelt. Hunderttausenden von Militärangehörigen oblag die Überwachung der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten im Osten und Westen und in den Etappengebieten in Belgien und Nordfrankreich. Sozialistische Autoren wie Heinrich Wandt und Wilhelm Appens machten die Etappe nach 1918 gerade deshalb zum Gegenstand höchst erfolgreicher kriegskritischer Broschüren, weil die dort vorherrschende Korruption und Völlerei der Offiziere in starkem Kontrast zu der in der Weimarer Zeit so oft beschworenen Rede einer vom Kampf geprägten Frontgeneration stand.
Aber selbst unter den eigentlichen Frontsoldaten, deren Einheit für längere Zeit an der Front stationiert war, finden wir keineswegs eine auch nur annähernd einheitliche "Erlebnisschichtung". Das hat viele Gründe. Einer war die extrem ungleiche Verteilung der Kampfhandlungen an den Fronten. Auch an der Westfront gab es stille Sektoren, wo Divisionen mit vielen älteren Soldaten eine Stellung hielten, ohne vom Herbst 1914 bis in das Frühjahr 1918 hinein in nennenswerte Kampfhandlungen verwickelt zu sein. Noch wichtiger war die sozial- und klassenspezifische Verarbeitung des Fronterlebnisses. Die zahlreichen Frontsoldaten aus dörflich-bäuerlichen Schichten erlebten und deuteten die Front in den gewohnten Stabilisierungsmechanismen der ländlichen Gesellschaft: gesicherte Ernährung, christliche Frömmigkeit und agrarische Subsistenz. Für die ebenfalls zahlreichen Soldaten aus der sozialistischen Industriearbeiterschaft war der Krieg eine Bestätigung ihrer Erfahrungen über den Klassencharakter der wilhelminischen Gesellschaft und die zerstörerische Dynamik des Kapitalismus. So waren klassen- und schichtspezifische Deutungen wichtiger als potenziell generationsprägende. Die Annahme einer gemeinsamen "Generationslagerung" der Frontsoldaten gehört ins Reich der Legende, und zwar genauer: einer in der Nachkriegszeit von Schriftstellern, soldatischen Kampfbünden und anderen Organisationen konstruierten und sorgfältig gepflegten Legende, aus der sich kulturelles und politisches Kapital schlagen ließ.
Generationen lassen sich also nicht als Gemeinschaften verstehen, die durch gemeinsame Sozialisation oder kollektive gemachte Erfahrungen gestiftet werden. Für diese durch Mannheim geprägte Annahme gibt es keine hinreichenden empirischen Belege. Das gilt nicht nur für die so oft bemühte Frontgeneration des Ersten Weltkrieges, sondern etwa auch für die sogenannten 45er. Historiker und Sozialwissenschaftler haben hier auf der Grundlage sehr schmaler empirischer Stichproben weitreichende, aber nicht hinreichend belegte Schlussfolgerungen gezogen. Das bedeutet nicht, dass die Kategorie der Generation damit völlig bedeutungslos wäre. Es zeigt vielmehr, dass das seit Karl Mannheim fortgeschriebene Verständnis von Generationen als Erfahrungsgemeinschaften nicht plausibel ist.
Generationalität als mediale Konstruktion
Aus dieser Feststellung lassen sich verschiedene Konsequenzen ziehen. Die Historikerin Mary Fulbrook hat mit Blick auf die besondere Prägung der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert durch Diktaturen und Gewalt vorgeschlagen, Generationen als Einheiten zu verstehen, die auf solche spezifischen "Herausforderungen" in einer bestimmten Art und Weise reagieren. Fulbrook macht deutlich, dass die Annahme "gemeinsamer Schlüsselerfahrungen" empirisch nicht überzeugend ist. Stattdessen richtet sie den Blick auf die individuell erprobten und vollzogenen, aber doch in einem kollektiven Möglichkeitsraum begrenzten Formen, in denen eine Generation jeweils auf die Erfahrung von Diktatur und Krieg reagiert. Doch auch dieser Zugang lebt von der von vornherein gemachten Annahme, dass bestimmte Alterskohorten durch ihre besondere Sichtbarkeit im historischen Prozess quasi automatisch "herausstechen". Bei Fulbrook sind dies vor allem die sogenannten 1929er, die nach 1945 als politisch unbelastet gelten konnten. Das von ihr vorgeschlagene Modell von challenge und response führt weiter als die Annahme einer übergreifenden Erlebnisschichtung. Aber trotz der Heranziehung zahlreicher Selbstzeugnisse verlieren sich die Spuren der so verstandenen "1929er" doch bald im Strudel der Umbrüche des 20. Jahrhunderts.
Die andere, zentrale Konsequenz besteht darin, das Konzept der Generation von der Bindung an eine gemeinsame prägende Erfahrung komplett zu lösen und als eine diskursiv konstruierte und medial inszenierte Identitätskonstruktion zu verstehen. In diesem Sinne sind Generationen als "imaginäre Begriffe" bezeichnet worden. Damit ist nicht gemeint, dass eine solche Imagination folgenlos bleibt. Der Blick richtet sich vielmehr darauf, dass "Generation" eine begriffliche Zuschreibung ist, die in der öffentlichen Diskussion von sozialen und politischen Konflikten verwendet wird, aber auch der kollektiven Selbstthematisierung und Selbstbeschreibung bestimmter Alterskohorten dienen kann, ohne dass dem eine einheitliche Erfahrungsprägung zugrunde liegen muss. Die Pointe eines so verstandenen Konzepts besteht gerade in der Aufmerksamkeit dafür, dass die öffentlich zirkulierende Rede von generationellen Einheiten oft erhebliche Unterschiede in der Erlebnisschichtung verdecken soll, um damit Deutungs- oder Geltungsansprüche in der Gesellschaft durchzusetzen. Für diesen Fokus auf die kommunikative und mediale Inanspruchnahme oder Zuschreibung einer Generationslagerung hat sich der Begriff der "Generationalität" eingebürgert. Ein methodisch umsichtiges und empirisch höchst ertragreiches Beispiel für diesen Zugang ist die Studie des Historikers Benjamin Möckel zur Kriegsjugendgeneration in den beiden deutschen Staaten nach 1945. Auf der Grundlage von Selbstzeugnissen und publizierten Texten kann Möckel zeigen, dass die Inanspruchnahme des Generationenbegriffs durch die Jugendjahrgänge des Zweiten Weltkriegs gerade dazu diente, mit der "Entwertung" der im Dritten Reich geprägten "Gemeinschaftsvorstellungen" umzugehen und daraus neue biografische Perspektiven für die Zeit nach 1945 abzuleiten. Die Rede von der Generation erscheint so als eine "biografische Metapher", mit der sich die doppelte Herausforderung von Zusammenbruch und Neuanfang nach 1945 sowohl individuell als auch kollektiv ausdeuten ließ.
Fazit
Über der Verwendung des Begriffs der "Generation" in Deutschland im 20. Jahrhundert liegt der lange Schatten der bürgerlichen Jugendbewegung um 1900. Der klassische Text von Karl Mannheim war stark vom romantischen Grundgefühl, der Beschwörung des gemeinsamen Erlebnisses und dem Kult der Jugend geprägt, der die Jugendbewegung auszeichnete. Die ebenso inflationäre wie konfliktreiche Inanspruchnahme des Begriffs in der Weimarer Republik vertiefte den irreführenden Eindruck, dass sich Generationen auf eine geteilte "Erlebnisschichtung" zurückführen lassen. Generationen sind in erster Linie jedoch Identitätskonstruktionen, die bestimmte Alterskohorten in der Gesellschaft sichtbar machen und Individuen die Möglichkeit bieten, ihre eigene Lebensgeschichte vor diesem Hintergrund zu deuten und zu reflektieren. Dabei wird auch deutlich, dass die Massenmedien in diesen Prozess der semantischen Erzeugung von Generationen eine immer wichtigere Rolle spielen.