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Inflation und Inflationsangst | Geldpolitik | bpb.de

Geldpolitik Editorial Politische Theorie des Geldes Die neue geldpolitische Strategie der Europäischen Zentralbank. Grundlagen und Herausforderungen Zentralbankkapitalismus. Das (Schatten-)Bankensystem in der Krise Inflation und Inflationsangst Eine kurze Geschichte der Europäischen Währungsunion Monetäre Kriegsführung Modern Monetary Theory. Rückkehr des gesamtwirtschaftlichen Denkens Kryptowährungen und ihre Bedeutung im Finanzsystem Der CFA-Franc. Afrikas letzte Kolonialwährung

Inflation und Inflationsangst

Mechthild Schrooten

/ 15 Minuten zu lesen

Die aktuelle Teuerung ist von Energiepreisen getrieben – dagegen kann Geldpolitik wenig ausrichten. Viel eher muss sozialpolitisch gehandelt werden, damit die Inflation die Gesellschaft nicht weiter spaltet.

Sie ist wieder da – die Inflationsangst. Im Zuge der Pandemie haben die Verbraucherpreise kräftig angezogen. Europaweit und auch in anderen wichtigen Volkswirtschaften wie den USA ist die Inflation in der zweiten Jahreshälfte 2021 deutlich gestiegen. Jetzt wird sie durch weitere Verunsicherungen angetrieben. Krieg zerstört, eine Geldwirtschaft ist aber auf stabile Rahmenbedingungen angewiesen. Instabilität bedeutet oftmals Angst, auch Inflationsangst.

Was wird gemessen?

Die Inflation wird in Deutschland vom Statistischen Bundesamt berechnet. Es geht dabei um die Verbraucherpreisentwicklung. Zu deren Messung wird ein Warenkorb konstruiert, in den 650 verschiedene Waren eingehen. Die einzelnen Güter werden gewichtet, sodass ihre jeweilige Preisentwicklung immer nur zu einem kleinen Teil in die Berechnung des Gesamtindex eingeht. Die Werte der so berechneten Indizes können dann über die Zeit verglichen werden, so kann die Situation 2021 leicht der Situation im Jahre 2020 gegenübergestellt werden.

Steigt der Verbraucherpreisindex über einen längeren Zeitraum um mehr als 2 Prozent, wird dies Inflation genannt. Im Januar 2022 lag die Inflationsrate in Deutschland bei 4,9 Prozent. Stark gestiegen sind vor allem die Energiepreise; sie haben um 20,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugelegt. Da jedoch die Preise für andere Güter längst nicht mit dieser Dynamik gestiegen sind, fiel die allgemeine Veränderungsrate des Verbraucherpreisindex weit moderater aus. Leicht gesunken sind beispielsweise die Preise für Bekleidung und Schuhe. Bei Computer-Software gab es sogar einen Rückgang um knapp 6 Prozent. Angesichts der angespannten Märkte für Rohstoffe und der wachsenden Unsicherheit ist aber nicht mit einer kurzfristigen Entspannung bei der Inflationsdynamik zu rechnen.

Die Inflation in der gesamten Eurozone betrug im Januar 2022 5,1 Prozent – Deutschland liegt also im Durchschnitt. Besonders stark fiel die Inflation in Litauen (12,2 Prozent) und Estland (11,7 Prozent) aus. Beachtliche Werte wurden auch in Belgien (8,5 Prozent), in der Slowakei (8,5 Prozent) und in den Niederlanden (7,6 Prozent) erreicht.

Inflation und Geldwertstabilität

Geld ist systemisch relevant. Über das Geld sind wir alle verbunden. Das Wirtschaftsleben funktioniert auf der Grundlage von Geldtransaktionen. Wir kommunizieren unsere ökonomischen Entscheidungen auf der Grundlage der geldwirtschaftlichen Infrastruktur. Vermögenswerte werden in Geldeinheiten gemessen. Umso wichtiger scheint es, dass das Geld selbst einen stabilen Wert hat.

Die Inflationsrate wird als Maßstab für die Geldwertstabilität betrachtet. In der Wirtschaftswissenschaft wird eine zweiprozentige Steigerung der Verbraucherpreise gewissermaßen als Puffer verstanden, den die Wirtschaft zum "Atmen "braucht. Erst das dauerhafte Überschreiten dieser "magischen" Zwei-Prozent-Marke wird als Problem betrachtet.

Bei alledem werden in der Inflationsdiskussion nur die Verbraucherpreise betrachtet. Die jahrelange Steigerung etwa der Immobilienpreise, des Goldpreises, von Aktienkursen und anderer Vermögenswerte wird nicht als Inflation betrachtet. Erst, wenn sich die Preisdynamik etwa für Immobilien auf dem Wohnungsmarkt in Form von Mietpreissteigerungen spiegelt, wird daraus Inflation im eigentlichen Sinne. Folglich können Preissteigerungen für Vermögen als Frühwarnindikator für eine zukünftige dynamische Verbraucherpreisentwicklung verstanden werden.

(© Statistisches Bundesamt)

Aus Sicht der Verbraucher:innen bedeutet Inflation, dass mit gegebenem Einkommen weniger konsumiert werden kann. Das ist einem Kaufkraftverlust gleichzusetzen. Daher wird vielfach zwischen nominalen und realen Werten unterschieden. Ein vereinfachendes Beispiel zeigt: Bei einem Nominallohn von 1000 Euro und einer jährlichen Inflation von 5 Prozent wären nach einem Jahr 1050 Euro notwendig, um die Kaufkraft – und damit das Realeinkommen – konstant zu halten.

Hyperinflation?

In den 1920er Jahren kam es zu einer Hyperinflation, die gerade in Deutschland ein Trauma im kollektiven Gedächtnis hinterließ. Später trat das Phänomen der Hyperinflation auch im Zuge der Transformation vormals sozialistischer Volkswirtschaften auf, so etwa in den Ländern der zerfallenden Sowjetunion. Auch sogenannte emerging economies, beispielsweise in Schwellenländern, können teilweise auf Episoden der Hyperinflation zurückblicken.

Mit einer Hyperinflation geht in der Regel eine vollständige Destabilisierung der Gesamtwirtschaft einher. In der Wirtschaftswissenschaft wird eine Hyperinflation als Teuerung von 50 Prozent pro Monat definiert. Der Tausch von Gütern ersetzt zunehmend die Geldwirtschaft, und langfristige Geschäfte sind nicht mehr möglich. Geldvermögen werden in kürzester Frist radikal entwertet. Geld verliert seine Funktion. Das ist in der aktuellen Situation nicht in Sicht. Trotz aller Verunsicherungen der Märkte ist es grob fahrlässig, dieses Wort mit der aktuellen Situation in Verbindung zu bringen und Ängste zu schüren.

Standardtheorien versagen

Auch wenn die Inflation in einzelnen Monaten höher ausfiel, sind die durchschnittlichen auf das Jahr 2021 berechneten Werte nicht beunruhigend. Die in der Eurozone gemessene Inflation betrug 2,6 Prozent, die in der EU 2,9 Prozent. Indes fällt auf, dass sich das Jahr 2021 in zwei Phasen teilen lässt. In den ersten Monaten des Jahres 2021 verlief die Preisentwicklung moderat. In der zweiten Jahreshälfte jedoch setzte ein beschleunigter Preisauftrieb ein, der 2022 weiter anhält.

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist seit Jahren expansiv ausgerichtet. Die EZB stützt die gesamtwirtschaftliche Entwicklung seit Langem durch niedrige Zinsen und umfassende Anleihe- und Wertpapierkäufe. Auch die Negativzinsen für hohe Einlagen von Geschäftsbanken schaffen Anreize zur Kreditvergabe. Die Weitergabe dieser Negativzinsen an die Sparer:innen erhöht in diesem Gefüge die Nachfrage nach Gütern. In der Pandemie hat die EZB ein zusätzliches Notfallprogramm (Pandemic Emergency Purchase Program; PEPP) aufgelegt, das den Anleihekauf noch einmal erleichtert.

In der monetaristischen Theorie wird die Geldmengenausweitung im Kern als ursächlich für die aktuelle Preisentwicklung verstanden. Doch eine solche Argumentation greift zu kurz. Denn die lockere Geldpolitik gibt es schon länger; sie hat über einen langen Zeitraum keineswegs inflationstreibend gewirkt. Auch die Ausweitung des EZB-Anleihekaufs kann kaum als zentrale Ursache gesehen werden. Sie geht zwar mit einem immensen Aufbau von Geldvermögen der privaten Haushalte einher. Doch ist vielfach keine Nachfrage nach Gütern entstanden, sondern es wurde gespart.

Die aktuelle Situation ist durch starke Verunsicherung geprägt; Verunsicherung ist eine Inflationstreiberin. Krieg bringt Leid und ist zerstörerisch – ökonomisch ist Krieg destruktiver Unsinn. Mit dem Krieg in Europa werden Knappheiten geschaffen, die die Lage weiter verschärfen. Zudem werden nicht nur Lieferketten in Frage gestellt, sondern auch die Rahmenbedingungen einer Geldwirtschaft einem Stresstest unterzogen. Eine funktionierende Geldwirtschaft ist auf Frieden angewiesen.

All das liegt freilich nicht in der Hand der EZB. Bei einer Analyse der Inflationsfaktoren helfen die auf Liquiditätsnachfrage und Geldangebot gerichteten traditionellen geldpolitischen Modelle kaum weiter.

Kerninflation

Wo die Standardtheorie hingegen richtig liegt: Das Inflationsgeschehen wird vor allem durch Erwartungen geprägt. Aktuell scheinen diese Inflationserwartungen weltweit groß zu sein; folglich werden sich auf den Märkten leicht Preissteigerungen durchsetzen lassen. Gerade die Preise für Energie, Rohstoffe und Nahrungsmittel schwanken erfahrungsgemäß. Diese teilweise erhebliche Volatilität soll definitionsgemäß nicht in der Zielinflationsrate der Zentralbank berücksichtigt werden. Daher wird auf das Konzept der sogenannten Kerninflationsrate zurückgegriffen, um zwischen kurzfristigen und langfristigen Preiseffekten zu unterscheiden. Folglich ist die Kerninflation der zentrale Indikator für die Geldwertstabilität. Die Europäische Zentralbank orientiert sich bei ihrem grundsätzlichen Anspruch, den Geldwert zu sichern, genau an diesem Indikator. Die Kerninflation lag im Euro-Raum im Januar 2022 bei 2,3 Prozent, in Deutschland bei 2,9 Prozent, jeweils gegenüber dem Vorjahreswert. Die jeweiligen Werte der Verbraucherpreisentwicklung fielen deutlich höher aus. Zum Vergleich: Die Kerninflation in den USA lag zum gleichen Zeitpunkt bei 6 Prozent – das ist eine ganz andere Dimension. Die Betrachtung der Kerninflationsrate in der Eurozone dagegen zeigt, dass die EZB gar nicht so weit von ihrem geldpolitischen Zwei-Prozent-Ziel entfernt ist.

Dennoch ist im März 2022 das Sonderaufkaufprogramm PEPP ausgelaufen. Auch eine leichte Zinswende wird diskutiert. Die Zeiten des sehr billigen Geldes sind offenbar erst einmal vorbei. Aber wird damit das Problem im Kern gelöst? Wird diese Inflation angesichts von mehreren Sonderfaktoren mit Geldpolitik zu bekämpfen sein?

Lieferengpässe

(© Statista)

Mit der Globalisierung steigt die Abhängigkeit und Vulnerabilität von Volkswirtschaften, was im Zuge der Pandemie deutlich geworden ist. Der teilweise Zusammenbruch von internationalen Lieferketten ließ Engpässe auf vielen Gebrauchsgütermärkten und bei ihren Vorprodukten entstehen. Internationale Lieferengpässe konnten nicht einfach durch eine Produktionsverlagerung in EU-Länder kompensiert werden. Vielmehr war gerade in den kurzen Phasen der gesamtwirtschaftlichen Erholung 2021 eine hohe private Nachfrage zu spüren, der kurzfristig kein entsprechendes Angebot gegenüberstand. Preissteigerungen und Preisanpassungen sind in solchen Fällen die übliche Marktreaktion. Bei weiteren Erschütterungen der weltwirtschaftlichen Lieferkettensituation ist daher davon auszugehen, dass diese Art der Preissteigerungen zukünftig an Bedeutung gewinnt, während sie beim Gegenteil, nämlich der Normalisierung der Lieferketten, an Bedeutung verlieren würde.

Energiepreise

Verschärfend kam in der zweiten Jahreshälfte 2021 hinzu, dass weltweit die Energiepreise kräftig gestiegen sind. Dieser Preisauftrieb setzt sich offenbar auch 2022 weiter fort. Dabei schlugen sowohl die steigenden Strom- und Gaspreise als auch die dynamischen Kraftstoffpreise zu Buche. Bei der Berechnung des Verbraucherpreisindex erreichen die Energiepreise ein Gewicht von mehr als 10 Prozent. Bei der Berechnung der Kerninflation werden dagegen die Preisbewegungen auf dem Energiemarkt vernachlässigt.

In der Rückblende zeigt sich, dass mit der Pandemie und dem weltweiten gesamtwirtschaftlichen Einbruch der Ölpreis einbrach. Wenn also jetzt die Ölpreise anziehen, so ist das zunächst eine verständliche Gegenbewegung, die auch auf die gesamtwirtschaftliche Erholung zurückgeht. Ein Barrel Öl kostete im Februar 2022 über 90 US-Dollar (gegenüber knapp 60 Dollar im Vorjahresmonat). In der langfristigen Betrachtung zeigt sich, dass der aktuelle Preis noch deutlich unter den Spitzenwerten einzelner Monate des Jahres 2007 liegt. Dennoch ist der Preisauftrieb klar zu erkennen. Angesichts des russischen Einmarschs in die Ukraine dürfte auf den Energiemärkten jede weitere Verunsicherung eher zu einem Preisschub führen.

Der Preisauftrieb auf dem Energiemarkt ist aber auch durch die vermachteten Angebotsstrukturen geprägt. Die fossilen Energieträger werden von wenigen Anbietern bereitgestellt. Das Ausweichen auf erneuerbare Energien ist kurzfristig nicht möglich. Der schon aus klimapolitischen Gründen notwendige Strukturwandel des Energiesektors wurde über einen langen Zeitraum fahrlässig vernachlässigt. Wenn jetzt die Anbieter fossiler Energieträger, die eine große Marktmacht auf den entsprechenden Märkten innehaben, Preissetzungsspielräume nutzen, so ist dies ein leicht zu durchschauendes Spiel. Möglicherweise ist dies ein letztes Aufflackern der fossilen Industrie, die bei einer weltweiten Energiewende vor den Herausforderungen einer großen Desinvestitionswelle steht.

Die hohen Preise für fossile Energien lassen die relativen Preise für erneuerbare Energien sinken; in einem solchen Gefüge werden Investitionen in erneuerbare Energien attraktiver. Es ist dringend geboten, hier offensiv vorzugehen.

Greenflation

Neuerdings gibt es auch eine Diskussion um die Effekte einer sogenannten green inflation – kurz Greenflation. Der Begriff der Greenflation ist nicht nur umstritten, sondern erscheint auch eher als eine populistische Wortwahl. Im Kern wird darunter eine Preiserhöhung verstanden, die beispielsweise auf die Bepreisung von CO2 zurückgeführt werden kann. In der Vergangenheit waren für Umweltbelastungen kaum Kosten bei deren Verursachern angefallen. Das ändert sich gerade deutlich, wenn es um CO2 geht. Mittels unterschiedlicher Mechanismen wird hier neuerdings eine nennenswerte Korrektur der fehlgeleiteten Marktpreise durchgesetzt. Gewissermaßen wird die Umweltzerstörung durch den neuen Preismechanismus (CO2-Steuer und Emissionshandel) zumindest teilweise berücksichtigt.

Die Klimaziele der Europäischen Union geben der CO2-Bepreisung einen neuen Rahmen. Anders ausgedrückt: Wenn die Klimaziele der Europäischen Union auch nur annähernd erreicht werden sollen, dann ist eine solche Bepreisung unumgänglich. Und weiter noch, die CO2-Preise müssen sogar zukünftig noch deutlich steigen, damit Impulse für einen Umstieg auf erneuerbare Energien, der in vielen Fällen erhebliche Investitionen voraussetzt, entsprechend verstärkt werden. Dies muss auch dann gelten, wenn der Marktpreis für fossile Energien sinkt.

Daher gibt es auch gute Argumente für einen Preispfad bei fossilen Energien zur Schärfung des Instrumentenkastens. Wenn Umweltschäden jetzt in den Preisbildungsmechanismus einbezogen werden sollen, dann ist das zwar ein Strukturbruch bei der bisherigen Preisfindung, aber keineswegs eine klassische Inflation. Vielmehr ist es ein dringend notwendiger Anpassungsprozess, der zumindest in einer Übergangsphase deutlich höhere Kosten wahrscheinlich werden lässt. Hier wird also der Preisdruck vorläufig nicht abnehmen.

Nahrungsmittel

Nicht nur die Preise für Energie steigen, sondern auch die für Nahrungsmittel: Sie legten um 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu (ohne alkoholische Getränke). Die Preisentwicklung dieser Produkte verlief also parallel zur allgemeinen Teuerungsrate.

Im europäischen Vergleich waren die Nahrungsmittelpreise in Deutschland über Jahre hinweg besonders niedrig. Wenn sie nun kräftig anziehen, dann hat dies einerseits mit einer hohen Nachfrage zu tun. Andererseits gibt es angebotsseitig Restriktionen, die etwa auf schlechte Ernten, Lieferkettenprobleme oder die Kriegsereignisse zurückgehen. Vergessen scheint, dass über Jahre die geringen Nahrungsmittelpreise in Deutschland als ein gesamtgesellschaftlicher Makel diskutiert wurden. Im Zuge der aktuellen Entwicklung haben jetzt Akteuer:innen entlang der Lieferkette die Chance, ein mark-up pricing, also einen Preisaufschlag zu realisieren – auch um ihre Profite zu erhöhen.

Inflation und Profit

In der Pandemie ist die Produktion teilweise eingebrochen; die Gesamtwirtschaft erholt sich nur langsam. Viele Unternehmen melden trotzdem hohe Profite. Wie geht das zusammen? Hier dürfte der Preismechanismus eine wichtige Stellschraube sein. Denn höhere Preise führen zu höheren Umsätzen – aktuell lassen sich die höheren Preise gegenüber den Verbraucher:innen relativ gut mit gestiegenen Kosten begründen. Ob die Kosten tatsächlich in dem Maße gestiegen sind, wie es die Preise aktuell anzeigen, ist indes schwierig nachzuprüfen.

Während die so zu verstehende Profit-Preis-Spirale kaum analysiert wird, geht es in der öffentlichen Diskussion bereits wieder um die sogenannte Lohn-Preis-Spirale. Denn Löhne sind aus der Perspektive von Unternehmen erst einmal Kosten, und Kosten werden gern an die Verbraucher:innen abgewälzt. Doch bei der aktuellen Inflation ist klar erkennbar, dass die Lohnsteigerungen hinter den Tarifabschlüssen herhinken. Damit sinkt die Kaufkraft vieler Menschen. Ein Inflationsdruck durch über der Inflationsrate liegende Tarifabschlüsse lässt sich in Deutschland derzeit nicht beobachten. Damit fällt die Idee einer Lohn-Preis-Spirale als Argument in der Diskussion um die Inflationsursachen weitgehend aus. Vielmehr zeichnet sich ab, dass die Preisentwicklung der Lohnentwicklung davonläuft.

Erholung nach der Krise

In der Krise sind die Einkommen durch die zahlreichen staatlichen Stützungsmaßnahmen längst nicht so stark wie die Produktion eingebrochen. Vielmehr war die Nachfrage nach vielen Produkten schon bedingt durch die jeweiligen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung stärker rückläufig als die Einkommen. Dies spiegelt sich in Deutschland in einer deutlich gestiegenen Sparquote. Die Vermögen haben kräftig zugelegt. Wenn in der Folgezeit diese Ersparnisse in Nachfrage gewandelt werden, kann leicht ein Preisdruck entstehen.

Nicht zuletzt angesichts des beobachtbaren Aufwärtstrends bei den Erzeugerpreisen ist tatsächlich davon auszugehen, dass die Teuerungstendenz in der nahen Zukunft, wenn die gesamtwirtschaftliche Erholung auch in Deutschland an Fahrt gewinnt, zunächst aufrechterhalten bleibt. Steigende Preise sind in Aufschwung und Boom einer Marktwirtschaft jedoch normal und kein Grund zur Besorgnis.

Wer gewinnt, wer verliert?

In der Debatte wird oft vergessen: Inflation erzeugt Gewinner:innen und Verlierer:innen. Es gewinnen beispielsweise all diejenigen, die zu einem relativ günstigen Zins einen Kredit aufgenommen hatten. Mit der Inflation verringern sich die nominalen Schulden nicht. Die realen Schulden jedoch werden kräftig reduziert. Aber nicht nur die geschuldete Gesamtsumme fällt unter diesen Inflationseffekt. Auch die Zinszahlungen sind betroffen. In Deutschland werden beispielsweise viele Kreditverträge zu festen nominalen Zinsen vereinbart. Vereinfachend kann gesagt werden: Der Nominalzins abzüglich der Inflationsrate entspricht dem Realzins. Je höher die Inflation, desto geringer ist daher die reale Zinsbelastung. Die gilt auch für diejenigen, die günstige Wohnungsbaukredite aufgenommen haben. Schulden lohnen sich in Zeiten der Inflation.

Große Schuldner sind weltweit vor allem die öffentlichen Haushalte, aber auch Unternehmen. Diese werden also bei der Rückzahlung von Krediten, aber auch bei den Zinszahlungen teilweise kräftig real entlastet. Gleichzeitig werden all diejenigen real belastet, die sich in einer Gläubigerposition befinden. Inflation bedeutet demnach eine Umverteilung von Gläubiger:innen zu Schuldner:innen – wohlgemerkt gerechnet in realen Einheiten. Dieses Spiel zwischen Schuldner:innen und Gläubiger:innen ist typisch für eine Kreditwirtschaft. Es lässt die relativ schwache Position der Gläubiger:innen in diesem System erkennen.

Inflation bedeutet aber auch Umverteilung; die Kaufkraft der Verbraucher:innen sinkt tendenziell. In einer inflationären Situation zählen all diejenigen zu den Verlierer:innen, die Geldbestände halten. Verlierer:innen werden auch leicht diejenigen, die auf Zahlungen angewiesen sind, die nicht automatisch an die Inflationsentwicklung angepasst werden, also etwa Hartz-IV-Empfänger:innen.

Typisch ist, dass gerade die privaten Haushalte von den mit der Inflation verbundenen Kostensteigerungen besonders hart betroffen sind. Allerdings trifft die Inflation die einzelnen privaten Haushalte mit unterschiedlicher Wucht. Das liegt zum einen an Unterschieden in den grundlegenden Konsumentscheidungen und -gewohnheiten. Zum anderen spielt auch die Einkommenssituation eine große Rolle. Beide – Konsumgewohnheiten und Einkommenssituation – sind nicht unabhängig voneinander.

In der längeren Frist sind es nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) gerade die ärmeren Haushalte, deren Lebenshaltungskosten seit 1995 besonders stark gestiegen sind. Die Lebenshaltungskosten der einkommensstärksten Haushalte dagegen haben sich mit einer deutlich geringeren Dynamik entwickelt. Die ärmeren Haushalte zählen zu den deutlichsten Verlierer:innen der langfristigen Preisentwicklung; Inflation verschärft Armut.

Bezogen auf die kurzfristige Inflationsentwicklung im Dezember 2021 hat das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) unterschiedliche haushaltsspezifische Teuerungsraten ausgerechnet. Dabei wurde die Preisentwicklung für den jeweils haushaltstypischen Warenkorb nachgezeichnet. Der Warenkorb etwa für einen Single-Haushalt unterscheidet sich von dem eines Familienhaushalts. Zentrales Ergebnis: Kein Haushaltstyp konnte der Teuerung entkommen; in allen Gruppen liegt das Ergebnis über der Zwei-Prozent-Marke.

Besonders betroffen von der Teuerung im Dezember 2021 waren dabei Familien mit mittlerem Einkommen. Die energiepreisgetriebene Inflation ist ein Mittelstandsproblem und führt hier zu einem unerwarteten Wohlstandsverlust. Das IMK kommt zu dem Resultat, dass Single-Haushalte mit einem geringen Einkommen unterdurchschnittlich von der Teuerung betroffen waren. Dies ist ein bemerkenswertes Ergebnis und geht auf die unterstellten spezifischen Konsumgewohnheiten zurück. Kurzum: Wo kein Geld ist, kann auch nichts Teureres konsumiert werden. Dieser Konsumverzicht kann nicht einer freiwilligen Konsumentscheidung gleichgesetzt werden, sondern geht offenbar auf die harte Budgetrestriktion zurück, der sich diese Gruppe ausgesetzt sieht. Insgesamt gilt: Die Kaufkraft sinkt und verschärft die Armuts- und Verteilungsproblematik in Deutschland.

Was tun?

Die aktuelle Inflationsentwicklung in Deutschland und in der Eurozone hat nur wenig mit der geldpolitischen Grundstimmung zu tun. Eine Zinswende würde kaum helfen, die Inflationserwartungen zu brechen. Erfahrungen mit steigenden Preisen führen zu weiteren Inflationserwartungen. Zu beachten ist dabei auch, dass gerade in Bezug auf CO2-Emissionen eine Preissteigerung gesellschaftlich gewünscht ist. Jahrelang konnten Emissionen verursacht werden, ohne dass sich nennenswerte Preiseffekte ergaben. Dass es nun zu einer Bepreisung kommt, ist dringend notwendig. Dieser Teil der Teuerung ist also gesellschaftlicher Wunsch – und keine klassische Inflation. Eine Zinserhöhung der Zentralbank würde die notwendigen Investitionen in erneuerbare Energien verteuern. Das wäre kontraproduktiv.

Klar ist aber auch, dass die Inflation für viele Menschen Armut bedeutet. Ohnehin ist die Vermögensungleichheit in Deutschland stark ausgeprägt. Vor diesem Hintergrund ist der Staat gefragt, gerade die Haushalte zu entlasten, die durch Energiepreise weiter prekarisiert werden.

In einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden unterschiedliche staatliche Entlastungsmaßnahmen diskutiert. Dazu gehören nicht nur zusätzliche oder höhere Transferzahlungen, sondern auch Preisobergrenzen und die Senkung der Mehrwertsteuersätze. Denkbar wäre auch die staatliche Bereitstellung einer Grundversorgung mit ausgewählten Gütern. Derartige Überlegungen werden gerade von marktliberalen Ökonom:innen schnell verworfen. Doch hat die jahrelange neoliberale Wirtschaftspolitik, die massiv auf Privatisierung und Deregulierung setzt, auch in Deutschland einen guten Nährboden für die Marktmacht privater Unternehmen bereitet. Die aktuelle Preisentwicklung ist aus Sicht der Unternehmen auch eine Profitsicherung. Von einer Wettbewerbswirtschaft sind wir gerade im Energiesektor weit entfernt.

Der Staat ist als Regulierer gefragt. Aber er ist auch gefragt, weil er ein großer Profiteur der Inflation ist. Während Staat und Unternehmen als große Schuldner eine Gewinnerposition im Inflationskampf einnehmen, sind diejenigen unter den privaten Haushalten besonders getroffen, deren reales Einkommen und Vermögen inflationsbedingt kräftig sinkt. Dieser Druck auf die Realeinkommen ist bis in die Mittelschicht zu spüren. Es muss alles dafür getan werden, dass Inflation nicht mit einer Verschärfung der Armut einhergeht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Beitrag wurde im Februar 2022 geschrieben. Er kann daher die Effekte, die vom Krieg in der Ukraine ausgehen, bestenfalls anreißen.

  2. Das bedeutet: Der Preis des Warenkorbes lag in Deutschland im Januar 2022 um 4,9 Prozent über dem Vergleichswert von Januar 2021.

  3. Vgl. Statistisches Bundesamt, Konjunkturindikatoren, Verbraucherpreisindex für Deutschland, 14.2.2022, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Basisdaten/vpi001j.html.

  4. Vgl. Eurostat, Euroindikatoren, Schnellschätzung – Januar 2022, 17/2022. Zur Methodik der europäischen Inflationsmessung siehe auch den Beitrag von Ulrike Neyer in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  5. Vgl. Mechthild Schrooten, Geldwirtschaft und Krise, in: Club of Vienna (Hrsg.), Wieviel Geld verträgt die Welt? Analysen und Alternativen, Wien–Berlin 2016, S. 44–76.

  6. Philipp Cagan hatte in seinem fundamentalen, monetaristisch fundierten Paper Faktoren hinter der sich selbst beschleunigenden Dynamik von hyperinflationären Prozessen herausgearbeitet. Dahinter steht vor allem der Vorgang, dass nominaler und realer Wert einer Währung in kürzester Zeit auseinanderfallen. Die Zahlungsmittelfunktion und die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes werden so aufgehoben. Damit kommt die Geldwirtschaft an ihr Ende, die Tauschwirtschaft gewinnt an Bedeutung. Vgl. Phillip Cagan, The Monetary Dynamics of Hyperinflation, in: Milton Friedman (Hrsg.), Studies in the Quantity Theory of Money, Chicago 1956, S. 25–117.

  7. Siehe hierzu auch die Beiträge von Ulrike Neyer und Joscha Wullweber in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  8. Vgl. Rudolf Hickel, Grün und sozial: Mit der Greenflation zur Transformation; in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2022, S. 21–24.

  9. Vgl. Stephan Schulmeister, CO2-Emissionen müssen stetig teurer werden – durch einen Preispfad für fossile Energie, in: Wirtschaftsdienst 10/2020, S. 812–814.

  10. Vgl. Markus Demary/Cornelius Kruse/Jonas Zdrzalek, Welche Inflationsunterschiede bestehen in der Bevölkerung? Eine Auswertung auf der Basis der Einkommens- und Verbraucherstichprobe, IW-Report 46/2021.

  11. Vgl. Silke Tober, IMK Inflationsmonitor; Haushaltsspezifische Teuerungsraten, IMK Policy Brief 114/2022.

  12. Vgl. Mechthild Schrooten, Inflation – kein Fall für die EZB, 8.2.2022, Externer Link: http://www.fr.de/wirtschaft/-91289143.html.

  13. Die Situation in der Eurozone und in Deutschland unterscheidet sich durchaus von der in den USA. In einem vielbeachteten Artikel kommt Isabella Weber zu dem Ergebnis, dass weitreichende staatliche Eingriffe wie etwa Preiskontrollen in den USA gerechtfertigt sein können. Vgl. Isabella Weber, Could Strategic Price Controls Help Fight Inflation?, 29.12.2021, Externer Link: http://www.theguardian.com/business/commentisfree/2021/dec/29/inflation-price-controls-time-we-use-it. Die Wirkung derartiger staatlicher Eingriffe in den Gaspreis erläutert sie gemeinsam mit Sebastian Dullien. Vgl. Systemrelevant Podcast: Wie sinnvoll ist ein Gaspreisdeckel?, 15.2.2022, Externer Link: http://www.boeckler.de/de/podcasts-22421-gaspreise-ist-ein-gaspreisdeckel-sinnvoll-39116.htm.

Lizenz

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ist Professorin für Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Geld und Internationale Integration an der Hochschule Bremen.
E-Mail Link: mechthild.schrooten@hs-bremen.de