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Die neue geldpolitische Strategie der Europäischen Zentralbank | Geldpolitik | bpb.de

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Die neue geldpolitische Strategie der Europäischen Zentralbank Grundlagen und Herausforderungen

Ulrike Neyer

/ 15 Minuten zu lesen

Das vorrangige Ziel der EZB ist die Preisstabilität. Um ihr Inflationsziel zu erreichen, steuert sie den Leitzins, hat aber auch mit unkonventionellen Programmen wie ihren Staatsanleihenkäufen Furore gemacht.

Im Juli 2021 gab die Europäische Zentralbank (EZB) ihre neue geldpolitische Strategie bekannt. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden Grundlagen der Geldpolitik der EZB skizziert und die drei Kernelemente der neuen Strategie erläutert. Was ist das Ziel der EZB? Wie versucht sie, es zu erreichen, und mit welchen Instrumenten? Was sind die Probleme des wichtigsten unkonventionellen geldpolitischen Instruments der quantitativen Lockerung? Welche Informationen werden wie in geldpolitischen Entscheidungen berücksichtigt? Welche Rolle spielt der Klimawandel für die Geldpolitik?

Grundlagen der Geldpolitik der EZB

Die EZB und die nationalen Zentralbanken der 19 Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion, wie zum Beispiel die Deutsche Bundesbank, bilden das Eurosystem, das die gemeinsame Geldpolitik der Euroländer durchführt. In der Regel spricht man jedoch – nicht ganz korrekt – von der Geldpolitik der EZB. Die Begriffe Eurosystem und EZB werden also synonym verwendet, so auch hier.

Das wichtigste Gremium und oberste Beschlussorgan der EZB ist der EZB-Rat. Er trifft die geldpolitischen Entscheidungen. Dieser Rat setzt sich aus den sechs Mitgliedern des Direktoriums der EZB und den Präsidenten der 19 nationalen Notenbanken zusammen.

Die EZB hat ein eindeutiges Mandat. Demnach ist ihr vorrangiges Ziel, Preisstabilität zu gewährleisten (Artikel 127 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV). Bei welcher Inflationsrate das Ziel der Preisstabilität erreicht ist, hat der Gesetzgeber nicht vorgegeben, sondern die EZB legt im Rahmen ihrer geldpolitischen Strategie eine Zielinflationsrate fest.

Als Geldpolitik bezeichnet man die Maßnahmen, die von einer Zentralbank ergriffen werden, um ihre geldpolitischen Ziele zu erreichen: im Fall der EZB also ihre Maßnahmen zur Gewährleistung von Preisstabilität. Die EZB kann die Preise nicht direkt beeinflussen, sondern sie macht das indirekt über die Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, die sich unter anderem aus dem Konsum der privaten Haushalte und den Investitionen der Unternehmen zusammensetzt. Der Weg von der geldpolitischen Maßnahme bis zur Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage wird als geldpolitische Transmission bezeichnet. Die bedeutendste geldpolitische Transmission erfolgt über das Zinsniveau in einer Volkswirtschaft.

Werden geldpolitische Maßnahmen mit dem Ziel durchgeführt, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit die Inflationsrate zu erhöhen, spricht man von einer expansiven Geldpolitik. Bei geldpolitischen Maßnahmen, die die gesamtwirtschaftliche Nachfrage senken sollen, um die Inflationsrate zu reduzieren, liegt eine kontraktive Geldpolitik vor.

Eckpunkte der neuen Strategie

Die geldpolitische Strategie der EZB beschreibt, wie sie das vom Gesetzgeber vorgegebene Ziel, die Gewährleistung von Preisstabilität, erfüllen will. Von Januar 2020 an unterzog die EZB ihre Strategie eineinhalb Jahre lang einer eingehenden Überprüfung. Seit der davorliegenden letztmaligen Überprüfung im Jahr 2003 haben sich die geldpolitischen Rahmenbedingungen geändert, was eine Überarbeitung der Strategie erforderlich machte. Eine wesentliche Änderung ist, dass der langfristige Zins, unabhängig von der Geldpolitik, einen sinkenden Trend aufweist. Dies impliziert, dass die EZB schneller und häufiger an eine Zinsuntergrenze stößt. Dies schränkt ihren Handlungsspielraum ein. Die neue Strategie der EZB trägt deshalb insbesondere dieser Entwicklung Rechnung.

Die vom EZB-Rat festgelegte Strategie besteht aus drei Kernelementen: erstens der Festlegung der Zielinflationsrate, zweitens der Festlegung der Instrumente, mit denen das Ziel erreicht werden soll, drittens der Festlegung, welche Informationen in die geldpolitischen Entscheidungen einfließen und wie diese aufbereitet werden.

Neue Zielinflationsrate

Die EZB kann keinen direkten Einfluss auf einzelne Preise nehmen. Zurzeit sehen sich die Menschen zum Beispiel insbesondere mit hohen Energiepreisen konfrontiert. Diese kann die EZB natürlich nicht senken. Sie kann jedoch auf das Preisniveau, das heißt auf den Durchschnitt der Preise im Eurogebiet mittelfristig Einfluss nehmen. Das Preisniveau in einem Mitgliedsland wird durch seinen Verbraucherpreisindex widergespiegelt. Zur Berechnung dieses Indizes wird ein Warenkorb betrachtet. Die Waren und Dienstleistungen in diesem Korb mit ihren jeweiligen Mengen spiegeln das Konsumverhalten eines typischen Haushalts in dem Land wider. Im deutschen Warenkorb sind über 650 Güterarten enthalten. Das Gut, das den höchsten Anteil im deutschen Warenkorb aufweist, ist das Wohnen (Nettokaltmiete) mit knapp 20 Prozent. Der Anteil von Fleisch zum Beispiel liegt bei knapp 2 Prozent, der von Obst bei knapp 1 Prozent. Zur Ermittlung der Inflationsrate werden die Ausgaben für diesen Warenkorb, und damit der Verbraucherpreisindex, zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten ermittelt. Die Inflationsrate von 4,9 Prozent, die das Statistische Bundesamt für Deutschland für Januar 2022 berechnet hat, sagt aus, dass die Ausgaben für diesen Warenkorb im Januar 2022 um 4,9 Prozent höher waren als im Januar 2021. Ein Grund für diese relativ hohe Inflationsrate sind die Preisanstiege für Heizöl von 37 Prozent und Benzin von 22 Prozent. Heizöl ist mit einem Anteil von rund 1 Prozent in dem Warenkorb enthalten, Benzin mit rund 2,6 Prozent.

Die Anteile, mit denen einzelne Güter in dem Warenkorb enthalten sind, spiegeln die Konsumstruktur eines typischen Haushalts in Deutschland wider. Weicht also die eigene Konsumstruktur von der eines typischen Haushalts ab, fährt man zum Beispiel kein Auto, isst weniger Fleisch und mehr Obst als der typische Haushalt, weicht die eigene Inflationsrate möglicherweise erheblich von der offiziell veröffentlichen Inflationsrate ab. Die offiziell veröffentlichte Inflationsrate verdeckt auch, inwiefern bestimmte Bevölkerungsgruppen, die eine unterschiedliche Konsumstruktur aufweisen, unterschiedlich stark von Preissteigerungen betroffen sind. Bezüglich ihres Ziels orientiert sich die EZB nicht an den spezifischen Inflationsraten einzelner Bevölkerungsgruppen, sondern am durchschnittlichen Verbraucher. Ein Grund hierfür ist, dass die EZB eine unabhängige Institution ist. Sie unterliegt also nicht der direkten parlamentarischen Kontrolle. Die Bevorzugung einzelner Bevölkerungsgruppen bei politischen Entscheidungen muss aber demokratisch legitimiert sein, das heißt, darüber haben demokratisch gewählte Parlamente und Regierungen zu entscheiden und nicht der EZB-Rat.

Der Preisindex, den die EZB ihren geldpolitischen Entscheidungen zugrunde legt, der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI), ist ein gewichteter Durchschnitt der Verbraucherpreisindizes aller Euroländer. In der Gewichtung kommt die Bedeutung des jeweiligen Landes für diesen gesamten Verbraucherpreisindex für den Euroraum zum Ausdruck. Die Gewichtung erfolgt nach dem Konsumanteil des jeweiligen Landes am Gesamtkonsum der Währungsunion.

Von der letzten Überarbeitung der Strategie im Jahr 2003 bis zur Neuausrichtung 2021 war das geldpolitische Ziel, mittelfristig eine Inflationsrate, gemessen am jährlichen Anstieg des HVPI für den gesamten Euroraum, von unter, aber nahe 2 Prozent sicherzustellen. Die mittelfristige Ausrichtung berücksichtigt, dass das Ziel nur mittelfristig erreicht werden kann, da geldpolitische Maßnahmen zeitverzögert wirken. Bis ein geldpolitischer Impuls auf die Preise durchwirkt, kann über ein Jahr vergehen. Es wird keine Inflationsrate von null angestrebt, um einen entsprechenden Sicherheitsabstand zu einer problematischen Deflation, also zu fallenden Preisen zu haben. Weiterhin berücksichtigt eine positive Zielinflationsrate, dass die berechnete Inflationsrate die tatsächliche Inflationsrate überzeichnet. Die positive Inflationsrate soll auch den Differenzen in den Inflationsraten der einzelnen Euroländer Rechnung tragen. Eine durchschnittliche Inflationsrate von null bedeutet dann nämlich, dass einige Länder eine negative Inflationsrate aufweisen würden, dort also eine problematische Deflation vorliegt.

Im Rahmen ihrer Strategieüberprüfung änderte die EZB ihre Zielinflationsrate auf das Punktziel von 2 Prozent. An der mittelfristigen Ausrichtung und auch an den Begründungen für eine positive Inflationsrate hat sich grundsätzlich nichts geändert. Auch wird als Messgröße weiterhin der HVPI verwendet. Mit der leichten Erhöhung der Zielinflationsrate will die EZB das trendmäßige Sinken des langfristigen Zinses berücksichtigen. Eine höhere Zielinflationsrate führt zu höheren durchschnittlichen Nominalzinsen, wodurch der geldpolitische Spielraum für expansive geldpolitische Maßnahmen steigt. Teilweise wurde diskutiert, aus diesem Grund die Zielinflationsrate noch stärker zu erhöhen. Höhere Inflationsraten sind jedoch mit Kosten verbunden (zum Beispiel Ineffizienzen durch eine Verzerrung der relativen Preise, willkürliche Vermögensumverteilungen). Das Punktziel von 2 Prozent ist, so die EZB, nach Abwägung der Vor- und Nachteile unterschiedlicher Zielinflationsraten, angemessen. Ein Vorteil der neuen Inflationsrate ist, dass damit das Inflationsziel eindeutiger ist. Die Symmetrie des neuen Inflationsziels wird damit begründet, dass die bis 2021 geltende Asymmetrie (unter, aber nahe 2 Prozent) eine zu geringe geldpolitische Entschlossenheit signalisieren könnte, zu niedrige Inflationsraten zu bekämpfen. Mit dem symmetrischen Ziel will man zum Ausdruck bringen, dass Abweichungen nach oben und unten gleichermaßen unerwünscht sind. Mit der Bekanntgabe der neuen Strategie wies die EZB darauf hin, dass, wenn die Zinsen im Euroraum an der Zinsuntergrenze liegen, "besonders kraftvolle oder langanhaltende geldpolitische Maßnahmen nötig [sind], um zu verhindern, dass sich negative Abweichungen vom Inflationsziel verfestigen. Dies kann unter Umständen damit einhergehen, dass die Inflationsrate vorübergehend leicht über dem Inflationsziel liegt." Dieser Zusatz kann problematisch sein, da er die klare Aussage zum Inflationsziel einschränkt.

Geldpolitische Instrumente

Das zweite Kernelement der geldpolitischen Strategie der EZB ist die Festlegung der geldpolitischen Instrumente, mit denen sie ihr Ziel erreichen will. Diese Instrumente werden hier nicht im Detail behandelt. Vielmehr wird die grundlegende Idee der konventionellen und unkonventionellen Instrumente anhand des jeweils wichtigsten Instruments (Veränderungen des Leitzinses und quantitative Lockerung) beschrieben, und Probleme des unkonventionellen Instruments der quantitativen Lockerung aufgezeigt.

Das wichtigste konventionelle geldpolitische Instrument der EZB ist ihr Leitzins. Zu diesem Leitzins, dem Hauptrefinanzierungszins, können Geschäftsbanken bei der EZB einen kurzfristigen Kredit aufnehmen. Befürchtet die EZB, dass es zu steigenden Preisen kommt, die die Inflationsrate über ihre Zielinflationsrate heben, erhöht sie den Hauptrefinanzierungszins. Die Kreditaufnahme der Banken bei der Zentralbank wird teurer, das heißt, die Kosten der Banken steigen. Die Idee dieser geldpolitischen Maßnahme ist, dass die Banken die höheren Kosten in Form höherer Kreditzinsen an ihre Kunden weitergeben. Der Konsum der privaten Haushalte und die Investitionen der Unternehmen sinken dann, da die Finanzierung dieser Ausgaben teurer wird. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit auch die Preissteigerungen gehen zurück. Erwartet die EZB hingegen ein Absinken der Inflationsrate unter ihr Ziel, senkt sie den Hauptrefinanzierungszins. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wird stimuliert, und die Inflationsrate steigt.

Eine Reduzierung des Leitzinses zur Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ist nicht mehr möglich, wenn dieser sich schon nah an der effektiven Zinsuntergrenze befindet. Das war beispielsweise 2014/2015 der Fall. Der Hauptrefinanzierungszins lag bei nahe null. Die Inflationsrate im Euroraum lag bei unter 1 Prozent und drohte sich auf dem Niveau zu verfestigen. Sie war damit relativ weit entfernt von der Zielinflationsrate der EZB. Ein weiterer expansiver geldpolitischer Impuls wurde als notwendig erachtet. Da die EZB aber mit dem Hauptrefinanzierungszins schon nah an der Zinsuntergrenze operierte, hatte sie keinen großen Zinssenkungsspielraum mehr. So entschloss sie sich, erstmalig das Instrument der quantitativen Lockerung einzusetzen. Der englische Ausdruck hierfür ist Quantitative Easing (QE). Im Rahmen dieses Instruments kauft die EZB Wertpapiere, in erster Linie Staatsanleihen. Diese geldpolitische Maßnahme der EZB, der Ankauf von Staatsanleihen, ist das Public Sector Purchase Programme (PSPP). Mit dem Ankauf der Wertpapiere will sie das langfristige Zinsniveau direkt senken. Die Zinsstrukturkurve, die den Zusammenhang zwischen den Laufzeiten und den Zinssätzen aufzeigt, weist in der Regel einen steigenden Verlauf aus, das heißt, dass der Zinssatz umso höher ist, je länger die Laufzeit ist (normale Zinsstruktur). Das bedeutet aber auch, dass, wenn am kurzfristigen Ende die Zinsuntergrenze bereits erreicht ist, am langen Ende noch Zinssenkungen möglich sind. Dieser Sachverhalt soll durch QE ausgenutzt werden. Durch die direkte Senkung des langfristigen Zinsniveaus will die EZB wiederum den Konsum der privaten Haushalte und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen ankurbeln, um so die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu erhöhen, sodass die Preise stärker steigen.

Die EZB betont in den Ausführungen zu ihrer neuen Strategie, dass ihr primäres geldpolitisches Instrument der kurzfristige Leitzins ist. Wenn es jedoch notwendig ist, also in den Fällen, in denen sie mit dem Leitzins die effektive Zinsuntergrenze erreicht, will sie auf unkonventionelle geldpolitische Instrumente wie QE zurückgreifen.

Der Einsatz von QE wird gerade in Deutschland sehr kontrovers diskutiert. Befürworter heben die empirisch nachgewiesenen positiven Effekte auf die Preise und die Produktion im Euroraum hervor. Kritiker führen die unerwünschten Nebenwirkungen an, wie negative Anreizeffekte für Staaten erstens in Bezug auf ihre Haushaltsdisziplin und zweitens in Bezug auf notwendige Reformen. Diese Anreize würden bestehen, da die Staaten nicht für eine schlechte Haushaltspolitik und Reformunwilligkeit von den Kapitalmärkten in Form höherer Zinsen bestraft würden, sondern sich bedingt durch die Staatsanleihekäufe der EZB über einen längeren Zeitraum auf niedrige Zinsen verlassen könnten. Auch im privaten Sektor würde es in Folge eines langanhaltenden Niedrigzinsniveaus zu Fehlallokationen von Kapital und Risiken kommen, im Extremfall zu einer Blasenbildung zum Beispiel an Aktien- und Immobilienmärkten.

Kritiker werfen der EZB weiterhin vor, mit den Staatsanleihekäufen nah an der Fiskalpolitik zu operieren, also der Ein- und Ausgabenpolitik der Euroländer. Dazu hat sie kein Mandat. Auch würde sie monetäre Staatsfinanzierung betreiben, also über den Ankauf von Staatsanleihen Ländern zur Finanzierung ihrer Ausgaben finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Monetäre Staatsfinanzierung kann man sich so vorstellen, dass die Zentralbank Geld druckt, das sie den Finanzministern der Länder gibt, damit diese davon die Ausgaben ihres Staates bestreiten können, zum Beispiel für den Straßenbau, die Bezahlung der Angestellten im öffentlichen Dienst und so weiter. Monetäre Staatsfinanzierung ist im Euroraum verboten (Artikel 123 AEUV). 2016 wurde dann auch Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Es sollte prüfen, inwiefern das PSPP (nicht) mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung kollidiere und durch das Mandat der EZB gedeckt sei. Das Bundesverfassungsgericht gab diesen Vorgang 2017 weiter an den Europäischen Gerichtshof. Dieser gab 2018 grünes Licht, bei dem PSPP bewege sich die EZB im Rahmen ihres Mandats, es handele sich nicht um die gemäß Artikel 123 AEUV verbotene Staatsfinanzierung. Das Bundesverfassungsgericht erkannte das an, kam jedoch 2020 zu dem aufsehenerregenden Urteil, dass das PSPP in Teilen verfassungswidrig sei, da es die EZB versäumt habe, darzulegen, dass der Einsatz dieses Instrumentes gemäß Artikel 5 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) verhältnismäßig sei. Sie habe nicht hinreichend dargelegt, dass sie die Vorteile (mögliches Erreichen ihres Inflationsziels) gegenüber den Nachteilen gründlich abgewogen hätte. Die EZB hat daraufhin der Bundesregierung und dem Bundestag entsprechende Dokumente zukommen lassen, die nach Prüfung dieser Unterlagen die Verhältnismäßigkeit für ausreichend befunden hatten.

Der Einsatz von QE an der effektiven Zinsuntergrenze ist sinnvoll, um einem möglichen Abgleiten in die Deflation entgegenzuwirken, das heißt, um auch an der effektiven Zinsuntergrenze geldpolitisch handlungsfähig zu bleiben. Die Problematik ist jedoch, dass die oben skizzierten schädlichen Nebenwirkungen mit Ausmaß und Dauer des Einsatzes dieses Instruments zunehmen. Ein rechtzeitiger Ausstieg aus dieser mit QE verbundenen extrem expansiven Geldpolitik ist deshalb wichtig.

Aufbereitung von Informationen

Das dritte Kernelement der geldpolitischen Strategie der EZB betrifft die Aufbereitung von Informationen. Für ihre geldpolitischen Beschlüsse sammelt, verarbeitet und bewertet die EZB eine Vielzahl von Informationen. Bis zum Juli 2021 geschah dies im Rahmen der sogenannten Zwei-Säulen-Strategie. Die beiden Säulen bildeten die "wirtschaftliche Analyse" und die "monetäre Analyse". Im Rahmen der wirtschaftlichen Analyse betrachtete die EZB eine Vielzahl von Indikatoren, die auf Risiken für die Preisstabilität in der kurzen bis mittleren Frist hinweisen. Zu diesen Indikatoren zählen unter anderem das Bruttoinlandsprodukt, die Auslastung des Produktionspotenzials, Inflationsraten, Löhne, Wechselkurse und Rohstoffpreise. In der monetären Analyse wurden Indikatoren betrachtet, die auf Risiken für die Preisstabilität in der mittleren bis langen Frist hinweisen. Hierzu zählen die Geldmenge und die Kreditvergabe der Banken. Probleme im Bankensektor, wie sie die Finanzkrise von 2008/2009 aufgedeckt hat, behindern die geldpolitische Transmission: Zinssenkungen der Zentralbank führten nicht zu einer vermehrten Kreditvergabe, damit nicht zu einem Anstieg der Nachfrage und somit nicht zu der gewünschten Stabilisierung der Preise. Deshalb hat die EZB im Zuge ihrer monetären Analyse zunehmend auch die Stabilität des Bankensektors beobachtet. Die Informationen aus den beiden Säulen, also aus der wirtschaftlichen und der monetären Analyse wurden abgeglichen (cross-checking) und daraus entsprechende geldpolitische Beschlüsse abgeleitet.

Die neue Strategie der EZB baut auf beiden Säulen auf. Es werden nun aber nicht mehr zwei nebeneinanderstehende Säulen betrachtet, sondern beide Analysen werden als "integrierter Analyserahmen" für geldpolitische Beschlüsse zusammengefasst. Eine gesonderte Gegenprüfung entfällt somit. Weiterhin wurde die monetäre Analyse explizit zur "monetären und finanziellen Analyse" erweitert. Im Rahmen der finanziellen Analyse wird ein besonderes Augenmerk auf die Stabilität des Bankensektors gelegt. Bei der Beschreibung ihrer Strategie weist die EZB ausdrücklich darauf hin, dass sie im Rahmen ihrer Analyse die Verhältnismäßigkeit und potenziellen Nebenwirkungen ihrer geldpolitischen Beschlüsse prüft, möglicherweise eine Konsequenz aus dem oben beschriebenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020.

Grüne Geldpolitik?

Der Klimawandel wird in den nächsten Jahren weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Man unterscheidet zwischen physischen Risiken (Extremwetterereignisse, die unter anderem Wohngebäude und Produktionsanlagen zerstören) und Transitionsrisiken (zum Beispiel klimapolitische Maßnahmen wie das Verbot von Verbrennungsmotoren oder die Bepreisung von CO2-Emissionen). Entsprechende Ereignisse können sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotsseite einer Volkswirtschaft beeinflussen und wirken sich entsprechend auf die Inflationsrate aus. Die EZB trägt dieser Entwicklung Rechnung, indem sie im Rahmen ihrer "wirtschaftlichen Analyse" die Auswirkungen des Klimawandels stärker in ihren Analysen und Prognosen berücksichtigen will. Die Berücksichtigung von mehr Informationen zur besseren Abschätzung der Wirksamkeit geldpolitischer Maßnahmen ist sinnvoll. Inwiefern die Berücksichtigung dieser Informationen jedoch einen entscheidenden Einfluss auf die geldpolitischen Maßnahmen hat, bleibt abzuwarten. Geldpolitische Maßnahmen haben einen mittelfristigen Zeithorizont und betreffen den gesamten Euroraum, während aus dem Klimawandel resultierende Risiken häufig über den mittelfristigen Zeithorizont hinausgehen oder, wie zum Beispiel bei Extremwetterereignissen, regional begrenzt auftreten.

Einen aktiven Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels im Rahmen ihrer geldpolitischen Maßnahmen kann die EZB nicht leisten. Verschiedentlich wird gefordert, dass sie zum Beispiel im Rahmen von QE verstärkt "grüne" Anleihen kaufen sollte, oder plakativ ausgedrückt: Anleihen von Unternehmen, die Windkrafträder herstellen. Doch das kann sie nicht, sie würde ihr Mandat überschreiten. Sie ist eine unabhängige Institution und unterliegt nicht der direkten parlamentarischen Kontrolle. Die Förderung bestimmter Branchen und Unternehmen ist immer mit einer Umverteilung von Ressourcen verbunden, auch beim Klimaschutz. Deshalb müssen über Art und Umfang dieser Maßnahmen demokratisch gewählte Parlamente und Regierungen entscheiden, nicht der EZB-Rat.

Zusammenfassung

Die Zielinflationsrate der EZB liegt bei 2 Prozent. Ihr Hauptinstrument ist ihr kurzfristiger Leitzins. Hat sie mit diesem jedoch die Zinsuntergrenze erreicht, greift sie auf unkonventionelle Maßnahmen wie QE zurück. Die unerwünschten Nebenwirkungen dieses Instruments steigen mit Ausmaß und Dauer dieses Instrumenteneinsatzes. Für ihre geldpolitischen Beschlüsse werden eine Vielzahl von Indikatoren betrachtet und in einem integrierten Analyserahmen abgeleitet, inwiefern Gefahren für die Preisstabilität bestehen. Klimaereignisse könne die Inflationsrate beeinflussen. Deshalb berücksichtigt die EZB Risiken des Klimawandels in ihren Analysen und Prognosen. Einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz, etwa über den bevorzugten Ankauf "grüner Anleihen", kann die EZB nicht leisten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Deutsche Bundesbank, Die geldpolitische Strategie des Eurosystems, in: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank September 2021, S. 17–63. Auf diesen Artikel beziehen sich die Beschreibungen der Kernelemente der neuen geldpolitischen Strategie der EZB in diesem Beitrag.

  2. Ein zusätzliches denkbares Ziel kann z. B. ein hoher Grad an Beschäftigung sein. Dieses doppelte Mandat hat das Federal Reserve System, die Zentralbank der USA. Für den Euroraum hat der Gesetzgeber jedoch festgelegt, dass das vorrangige Ziel der EZB die Gewährleistung von Preisstabilität ist.

  3. Dieser Zins ergibt sich aus dem Angebot von und der Nachfrage nach Kapital. In erster Linie resultiert das Angebot daraus, wie viel die Menschen sparen wollen, die Nachfrage daraus, wie viel die Unternehmen investieren wollen. Es wird argumentiert, dass strukturelle Veränderungen, wie zum Beispiel die demografische Alterung und ein langsamerer technischer Fortschritt, das Angebot an Kapital erhöhen und die Nachfrage senken, was einen trendmäßigen Rückgang des langfristigen Zinses bewirkt.

  4. Siehe hierzu auch den Beitrag von Mechthild Schrooten in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  5. Vgl. Statistisches Bundesamt, Preis-Kaleidoskop Januar 2022, Externer Link: https://service.destatis.de/Voronoi/PreisKaleidoskop.svg.

  6. Auf der Internetseite des Statistischen Bundesamtes kann man seine persönliche Inflationsrate berechnen. Siehe Externer Link: https://service.destatis.de/inflationsrechner/index.html.

  7. Gründe hierfür sind Probleme bei der Inflationsmessung. Preissteigerungen können Qualitätsverbesserungen eines Produktes widerspiegeln, dann ist es aber nicht mehr das gleiche Produkt. Auch wird nicht berücksichtigt, dass Verbraucher auf Veränderung von relativen Preisen reagieren und ihre Konsumstruktur anpassen, indem sie mehr von dem relativ billiger gewordenem Gut kaufen. Da diese Effekte bei der Ermittlung der Inflationsrate nicht berücksichtigt werden, kommt es zu einer Überschätzung der tatsächlichen Inflationsrate.

  8. EZB, Erklärung zur geldpolitischen Strategie der EZB 2021, Externer Link: http://www.ecb.europa.eu/.

  9. Eine ausführliche Beschreibung findet sich hier: EZB, The Eurosystem’s Instruments 2021, Externer Link: http://www.ecb.europa.eu/mopo/implement/html/index.de.html.

  10. Banken geben die Zinssenkungen der Zentralbank nicht nur an ihre Kreditkunden, sondern auch an die Sparer weiter. Fällt der Zins unter null, müssen die Sparer für ihre Guthaben Zinsen zahlen. Fällt der Zins hinreichend weit unter null, heben die Sparer ihre Ersparnisse bei den Banken ab. Sie halten diese dann lieber in Form von Bargeld. Die effektive Zinsuntergrenze liegt leicht unter null, da bei einem Zinssatz von null nicht alle Ersparnisse abgehoben werden, da auch die Bargeldhaltung mit Kosten verbunden ist, zum Beispiel in Form von Lagerhaltungskosten (Tresore), und da Sparer aus Sicherheitsüberlegungen heraus nicht im großen Umfang Bargeld halten wollen. Wie niedrig die effektive Zinsuntergrenze ist, wird deshalb von den Kosten der Bargeldhaltung bestimmt.

  11. Eine steigende Nachfrage nach Wertpapieren führt zu steigenden Preisen für diese Wertpapiere und damit zu sinkenden Renditen/Zinsen.

  12. Vgl. Christine Lagarde, The Monetary Policy Strategy Review: Some Preliminary Considerations, Rede auf der "ECB and its Watchers XXI"-Konferenz am 30. September 2020, Externer Link: http://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2020/html/ecb.sp200930~169abb1202.en.html.

  13. Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse der EZB zum Staatsanleihekauf kompetenzwidrig, Pressemitteilung 32/2020, und dass., Erfolglose Vollstreckungsanträge zum Urteil des Zweiten Senats zu dem PSPP-Anleihekaufprogramm der EZB, Pressemitteilung 38/2021.

  14. Vgl. Deutsche Bundesbank (Anm. 1), S. 49.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Ulrike Neyer für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Monetäre Ökonomik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
E-Mail Link: ulrike.neyer@hhu.de